Der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie und ein Ausblick in die Zukunft

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Zwischen Molekularbiologie und Medizin
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Und da ist es tatsächlich passiert: Shinya Yamanaka und John Gurdon erhalten den diesjährigen Nobelpreis für Medizin oder Physiologie aufgrund ihrer Entdeckung, dass reife Zellen in ein unreifes Stadium zurückprogrammiert werden können. Schon seit Jahren gelten beide Wissenschaftler als Anwärter auf die höchste wissenschaftliche Auszeichnung, die sich beide nun – völlig verdient – teilen dürfen.

Die Forscherleistung die beide vollbracht haben ist in der Tat Gold wert, denn sie hat das Dogma der Biologie über den Haufen geworfen, dass sich Zellen nur in eine Richtung entwickeln können. Spätestens seit der im Jahre 2006 erschienenen Publikation von Yamanaka ist klar, dass dies nicht der Fall ist. So kann man beispielsweise eine Hautzelle mit vier verschiedenen Genen in ein pluripotentes Stadium zurückversetzen. Dies bedeutet nichts anderes als das Löschen aller Informationen die eine Hautzelle zu einer Hautzelle macht, um sie so wie ein unbeschriebenes Blatt Papier zu hinterlassen. Schnell erkannte man das Potential dieser Erkenntnis und prompt war die Rede von Stammzelltherapien wie etwa gegen Parkinson oder anderen Erkrankungen, wo Zellen nicht mehr ihrer richtigen Funktion nachkommen.

Das Prinzip dahinter ist recht einfach: Man entnehme dem Patienten Zellen, programmiert sie zu induziert pluripotenten Stammzellen (kurz: ipS-Zellen) um, spritzt sie in das kranke Gewebe und veranlasst sie mit der richtigen Gabe an Substanzen sich zu den Zellen zu entwickeln, welche die falsch funktionierenden Zellen ersetzen. Kranke Zellen werden durch gesunde ausgetauscht und die Krankheit verschwindet.

Was sehr theroretisch klingt und erst noch in klinischen Studien nachgewiesen werden muss, brächte viele Vorteile mit sich. Zum einen könnte eine erkrankte Person mit ihren eigenen Zellen behandelt werden und dürfte auf Immunsuppressiva verzichten, da das Immunsystem die verabreichten Zellen als körpereigen erkennt. Zum anderen könnten sämtliche ethische und moralische Bedenken über Bord geworfen werden, welche beim Thema Stammzelltherapie immer mit von der Partie sind. So würde sich die Problematik um embryonale Stammzellen entgültig erledigen.

Zumindest aber Ersteres stellt Wissenschaftler zur Zeit noch vor eine große Herausforderung. Jüngst zeigte eine Studie an Mäusen, dass ihnen verabreichte ipS-Zellen Immunreaktionen auslösen und aufgrund dessen vollkommen zerstört wurden. Weiterhin wurde bereits beobachtet, dass ipS-Zellen die Ausbildung von Tumoren fördern, da ihnen eine genetische Instabilität nachgesagt wird, die die Zellen entarten lassen können.

Der schnelle Weg hin zu neuartigen Therapien ist also so gut wie ausgeschlossen, da sie sich immer erst beweisen und durchsetzen müssen und das braucht bekanntlich Zeit. Während man also noch weit entfernt vom alltäglichen Einsatz von ipS-Zellen in der Klinik ist, hat man vielleicht schon woaders eine Lösung gefunden.

Der Clou an der ganzen Sache ist nämlich folgender: Da sich die Wissenschaft immer wieder neu erfindet und weiterentwickelt, kann ein synthetisch neu erzeugtes Enzym namens “Transcription Activator-Like Effector Nuclease” kurz TALEN den Stammzellen vielleicht in naher Zukunft den Laufpass geben und überflüssig machen. Während man Stammzellen nämlich – wie oben erwähnt – einsetzen möchte um kranke Zellen zu ersetzen, könnte man TALENs verwenden, um falsch funktionierende Zellen einfach wieder funktionstüchtig zu machen.

Das Prinzip dahinter ist wiederum sehr einfach: Man schneidet die Gene, die eine Zelle beispielsweise bei Diabetes dazu bringt zu wenig Insulin zu produzieren aus und ersetzt sie durch solche, die die Zelle zur Insulinproduktion bewegt. Man setzt also einen Schritt früher an und tauscht nicht funktionsunfähige Zellen, sondern die Gene aus, die sie funktionsunfähig machen. Dabei würde man sich dan Aufwand sparen ipS-Zellen erst zu züchten und eliminiert den weiteren Aufwand der benötigt wird, um Zellen dazu zu veranlassen sich zu den richtigen Zellen zu differenzieren. Dies scheitert heute immer noch oft an der Umsetzung.

Methodisch gesehen wäre der Einsatz von TALENs also weitaus einfacher aber ebenso billiger, da diese synthetisch hergestellten Enzyme relativ schnell und im großen Maßstab produziert werden können. Etwas kostenaufwendiger wäre in diesem Fall lediglich die synthetische Herstellung des gesunden Gens, welches natürlich mitsamt des Enzyms gleichzeitig verabreicht werden muss. Dieses würde dann durch körpereigene DNA-Reparatur-Mechanismen in das Genom an der Stelle eingebaut werden, wo das vorher funktionsgestörte Gen mithilfe der TALENs ausgeschnitten wurde. Die Erkrankung wäre durch Editieren des Genoms überwunden. 

Es wird spannend sein zu beobachten, welches der beiden Verfahren sich letztendlich durchsetzt und welches tatsächlich das halten kann, was es verspricht. Ich persönlich sehe im Moment die TALENs vorne und obwohl es sie noch nicht so lange gibt, haben sich bisher keine größeren Hürden aufgetan, die sie daran hindert ins medizinische Repertoire aufgenommen zu werden.

Das kann sich allerdings schnell ändern.

 

 


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Veröffentlicht von

Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

2 Kommentare

  1. Nobelpreis für Physiologie oder Medizin

    Es existiert kein “Nobelpreis für Medizin”, bitte dieses hier zu korrigieren. Die in anderen Medien gezeigte Ingnoranz diesbezüglich, sollte in seriösen Wissenschaftsblogs nicht übernommen werden. Zudem suggeriert die Bezeichnung, dass nur medizinische Forschung ausgezeichnet wird, hinzu kommt, dass die meisten Preistäger einfach als ” Mediziner” bezeichnet werden, was ebenfalls falsch ist. Nur eine Minderheit der Preisträger hat Medizin studiert.

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