Von wem stammen die Knochen der Heiligen Drei Könige?

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Zu den beeindruckendsten Kunstwerken im Kölner Dom zählt der mit Edelsteinen besetzte Schrein der Heiligen Drei Könige. Er soll ihre Gebeine beherbergen. Nur einmal im Jahr – am Dreikönigstag (6. Januar) – können die Menschen durch eine kleine Klappe in den Schrein hineinschauen. Drei bräunliche Schädel mit goldenen Kronen sind dann zu sehen.

Das es sich nicht um die Schädel der Heiligen Drei Könige handelt ist klar. Aber zu wem gehören die Gebeine?

Markus Schwerig schreibt dazu im Kölner Stadtanzeiger vom 3.1.2014 (Knochenklau mit Folgen):

“Im Jahre 1864 holte man einmal die Knochen aus dem Schrein und stellte dabei fest, dass die Skelette Männern gehören, die im Alter von 30, 25 und zwölf Jahren gestorben waren. Eingepackt waren sie immerhin in Textilien, die aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert und aus dem syrischen Raum stammten.”

Schön wäre es gewesen, wenn die Untersucher von damals ein Paper geschrieben hätten….(Aber vielleicht gibt’s ja eins?) So – vor allem ohne entsprechende Referenzknochen – habe ich nämlich erst mal einige Zweifel an diesen Aussagen. (Die ich mir gerne nehmen lasse.)

Wie vollständig waren die Schädel bzw. Skelette? Welche Knochen außer den Schädeln waren noch vorhanden? Konnte man 1864 mit den vorhandenen Knochen das Alter so genau bestimmen?

Vor allem bei Kindern ist die Altersbestimmung post mortem – hier wird von einem 12-Jährigen gesprochen – nicht so einfach, weil die Knochen in der Regel weniger gut erhalten sind als bei einem Erwachsenen. Die Nahtstellen des Schädelknochens verknöchern nur sehr langsam. Erst im Alter von etwa 40 bis 50 Jahren ist der Schädel eines Menschen endgültig verknöchert. Zähne kann man aufschneiden und dann an Zuwachsringen das Alter des Toten erkennen. Ein Oberschenkelknochen muss ebenfalls aufgesägt werden. Je älter der Mensch, desto poröser wird das innere Schwammgewebe im Knochen. In der Kindheit entwickelt sich zwischen Knochenschaft (Diaphyse) und den Endstücken (Epiphyse) zunächst eine dünne Knorpelschicht, die Wachstumsfuge (Metaphysenfuge). Solange das Kind wächst, sind diese Knorpelzellen im Knochen. Die Wachstumsfugen schließen sich zwischen dem 14. und 25. Lebensjahr. Damit ist das Wachstum eines Menschen abgeschlossen.

Wie hat man 1864 das so genannte “Knochenalter” des Kindes bestimmt?

Das Knochenalter beschreibt, welches Alter eines gesunden Kindes der skeletale Reifegrad entspricht. (Normalerweise deckt sich das Knochenalter mit dem chronologischen Alter.) Zur Schätzung werden meist Röntgenbilder der linken Hand anhand ausgewählter, besonders aussagekräftiger Bildbereiche (Handgelenksknochen und zwischen den Fingerknochen) von Radiologen durch Vergleiche mit alterstypischen Bildern anhand eines Atlas ausgewertet. In der Wachstumsfuge entsteht aus Knorpelgewebe Knochen. Da Knorpelgewebe auf einem Röntgenbild nicht zu sehen ist, sind in frühen Wachstumsstadien Zwischenräume zwischen Wachstumsfuge und Endstück zu sehen.

Wie hat man 1864 eine morphologische Geschlechtsbestimmung mit den Schädeln durchgeführt?

Heute jedenfalls werden anhand von morphologischen Kriterien, die in der 80er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, Schädelmerkmale für die Geschlechtsbestimmung in drei Kategorien eingeteilt. Diese Kategorien unterscheiden sich in ihrer Aussagekraft für die Geschlechtsbestimmung. Die erste Kategorie hat die stärkste Aussagekraft (Gewichtung: 3), die dritte die schwächste (Gewichtung: 1).

Zur ersten Kategorie gehören Glabella (Stirnglatze), Processus mastoideus (Warzenfortsatz hinter dem Ohr), Processus zygomaticus (Jochfortsatz), das Relief des Planum nuchale (die Hinterhauptsfläche). Eine prominente, deutlich gegen die Nasenwurzel abgehobene Glabella, sowie ein starkes Relief des Planum nuchale sprechen für das Vorliegen eines männlichen Schädels. Gleichermaßen wird ein kräftiger, hoher Processus zygomaticus und ein voluminöser Processus mastoideus gedeutet.

Die zweite Kategorie bilden Arcus superciliaris (knöcherner Augenbrauenwulst), Tuba frontalia und parietalia (Stirn- und Scheitelhöcker), Protuberantia occipitalis externa (Hinterhauptsstachel) und Os zygomaticum (Jochbein). Stark hervorgetretene Arcus superciliares; fehlendes bzw. schwach ausgebildete Tuba frontalia und parietalia, eine starke Protuberantia occipitalis externa und ein kräftiges Os zygomaticum geben den Hinweis auf einen Mann.

Die dritte und am wenigsten aussagekräftige Kategorie bilden das Os frontale (Stirnbein), der Margo supraorbitalis (Kante der oberen Augenhöhle) und die Orbita (Augenhöhle). Dabei sprechen für einen Mann eine fliehende Stirn, ein abgerundeter kräftiger Margo supraorbitalis und eine eher rechteckige Orbita.

Innerhalb jeder der drei Kategorien sind die Merkmale allerdings nicht immer eindeutig männlich bzw. eindeutig weiblich. Vielmehr teilt man sie in hyperfeminin (-2), feminin (-1), indifferent (0), maskulin (+1) und hypermaskulin (+2) ein. Bei der Auswertung sind der Grad der Sexualisierung sowie die Anzahl der benutzten Merkmale zu beachten. Die Geschlechtsbestimmung ist umso eindeutiger, je mehr Merkmale in die gleiche Richtung deuten.

Zusätzlich bemerkt Stefan Knopp auf katholisch.de (Ein Schrein für drei Könige):

“Die Heiligen Drei Könige liegen übrigens nicht alleine darin: Dort liegen auch Knochenteile von Felix und Nabor, die damals zusammen mit Jesus Christus gekreuzigt wurden, und vom Heiligen Gregor von Spoleto, der zur Zeit der Christenverfolgung Anfang des 4. Jahrhunderts starb.”

In dem Schrein liegen also angeblich Gebeine von sechs verschiedenen Menschen aus verschiedenen Regionen und Epochen.

Ist die DNA noch so gut enthalten, dass man mittels molekularbiologischer Methoden die Knochen jeweils sechs verschiedenen Individuen zuordnen kann?

Wahrscheinlich, wenn man bedenkt dass Paläontologen mit noch sehr viel älteren Knochen zu tun haben und DNA extrahieren und sequenzieren. Mit der Zeit werden Verunreinigungen durch humane DNA aus anderen Quellen eine solche Analyse natürlich erschweren. Ich denke aber, man kann das in den Griff bekommen. Wie grob kann man mit DNA-Markern und SNPs die geographische Herkunft der Knochen eingrenzen? Vielleicht stammen einige der Knochen tatsächlich aus dem damaligen (zwischen 250 und 330 nach Christus) Palästina? Die drei Schädel stammen von jungen Männern. Waren sie miteinander verwandt? Handelt es sich vielleicht um Brüder, die einer Krankheit zum Opfer fielen?

Leute, ich denke wir müssen den Schrein noch mal öffnen und die Knochen noch mal untersuchen.

Doch mit welchen Argumenten könnte man das Erzbistum Köln und eine Ethikkommission überzeugen?

Ich frage mich allerdings auch ob nicht mit zweierlei Maß gemessen wird, denn die meisten Menschen haben bei den Pharaonengräbern in Ägypten weniger Hemmungen entsprechende Untersuchungen durchzuführen.

Liegt es vielleicht daran, dass es sich
1. um eine andere Religion handelt?
2. deren Anhänger nicht mehr leben?
3. um ein anderes Land handelt?

Inwieweit sollte 2. für die Urteilsfindung relevant sein, wenn Religion einen Wert an sich hat? Muss die Religion “lebendig” sein – also praktiziert werden – damit Reliquien schützenswert sind?

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

10 Kommentare

  1. Interessante Fragestellungen. Ohne eine Antwort zu wissen, gebe ich eine weitere mögliche Begründung zu bedenken:
    Bei den Menschen, die in Ägyptischen Pharaonengräbern beigesetzt sind, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich um hirtorische Könige. Ihre Abstammung kann Aufschluss über die Geschichte der Ägyptischen Dynastien geben. Bei den Reliquien der heiligen drei Könige handelt es sich dagegen fast sicher nicht um drei der Weisen aus dem Morgenland, von denen die Bibel berichtet. Der historische Nutzen einer Analyse ist vermutlich nicht sehr groß.

  2. In der Archäologie bemisst sich der Wert eines Fundobjektes im wesentlichen durch dessen Kontext: Wo wurde es gefunden, wie tief? In welchem Zustand war es bei der Aufdeckung? Welche weiteren Funde gab es in unmittelbarer Umgebung?

    Ohne diesen Kontext ist ein historisches Objekt im Extremfall sogar komplett wertlos – “Alt zu sein” stellt für die Forschung keinen Erkenntnismehrwert an sich dar.

    Bei Pharaonengräbern gibt es diesen Kontext quasi in einer besonderen, teils “selbstdokumentierenden” Form: Wir wissen, wer da warum liegt, kennen durch historische Quellen wenigstens grundlegende Lebensdaten, Grabbeigaben ergänzen das Bild. Die Analyse der Mumie hilft nun ganz konkret dabei, das Bild zu verifizieren – oder eben zu widerlegen. Sagen unsere historischen Quellen, der Pharao lebte 50 Jahre, der Leichnam ist aber nur 30 Jahre alt geworden, dann wirft das ein entsprechende Licht auf die Qualität der Quellen. Finden wir im Mageninhalt nicht die gleichen Nahrungsmittelreste wie bei den Grabbeigaben, dann lässt das zumindest Schlüsse auf gesellschaftliche Konventionen zu. Das Öffnen der Mumie ist kein Selbstzweck.

    Bei den Gebeinen im Kölner Schrein gilt nun das oben gesagte: Ihnen fehlt jeglicher Kontext. Wir kennen die Behandlung der Funde nicht, bevor sie im Schrein lagen, die Fehleranfälligkeit der Analyse ist also sehr groß.
    Eine Analyse belegt noch widerlegt irgendeine im Raum stehende These (selbst die katholische Kirche geht nicht von der Echtheit aus).
    Selbst wenn wir herausfinden, dass es sich um Brüder handelt, die einer Krankheit zum Opfer fielen. Ohne Kenntnis des konkreten Herkunftsortes bzw. Originalfundortes ist keine Einschätzung möglich, welche Bedeutung das hat.

    Ansonsten gilt noch anzumerken, dass die katholische Kirche eher eine Abneigung zur Reliquenverehrung entwickelt hat, sie eher duldet. Echte theologische Gründe stehen der Untersuchung deshalb vermutlich nicht im Wege, eher pietistische. Und da ein Erkenntnisgewinn nicht absehbar ist, wiegt die Totenruhe höher als die menschliche Neugier. Diese Auffassung spiegelt auch sich in der Praxis wieder, dass der Schrein eben nur einmal im Jahr geöffnet wird.

  3. Man wird höhstens herausfinden aus welchem Jahrhundert diese sind, wer die Herren waren höhstwahrscheinlich nicht.

    Wahrscheinlich Gebeine die ein Reliquienhändler ausgebraben hat.

  4. Na ja, der Kontext ist in diesem Fall eben “als Reliquie im Kölner Dom aufbewahrt” samt dazugehöriger Überlieferung. Dies ins Verhältnis zu einem ermittelten Alter usw. stellen zu können wäre m.E. schon interessant.

    • Dann handelt es sich aber um einen historischen Kontext – und der Überlieferung, daher den historischen Aufzeichnungen, kann man mit dem modernen Instrumentarium der kritischen Quellenanalyse vermutlich besser zu Leibe rücken. Eine Untersuchung der Gebeine würde nur die letzte “Rückzugslinie” darstellen, wenn alle anderen Mittel versagt haben oder nicht eindeutig sind. Das gilt auch für vergleichbare Fälle: so lange wissenschaftliche Methoden ausreichende Ergebnisse liefern, die nicht den Untersuchungsgegenstand potenziell schädigen oder zerstören können, gibt es keinen Grund “just for fun and science” eben diese anzuwenden.
      Die Baugeschichte des Kölner Doms könnte man vermutlich im Detail auch besser verstehen, wenn man der Bausubstanz Proben entnimmt. Dafür braucht es keine Ethikkommission, nur einen Baustatiker. Macht aber auch keiner, weil niemand an der aktuellen Version der Baugeschichte zweifelt.

      Um es klar zu stellen: Das gilt für den jetzigen Wissenstand. Eine andere Geschichte wäre es, wenn bislang unbekannte Quellen auftauchen würden, die konkrete Angaben zur ursprünglichen Herkunft der Gebeine machen. Wenn diese Quellen einer kritischen Betrachtung standhalten und als echt angenommen werden können, dann würde das durchaus eine Untersuchung der Gebeine rechtfertigen. Und ich bin mir sicher, die katholische Kirche würde dieser auch zustimmen.

  5. Liegt es vielleicht daran, dass es sich
    1. um eine andere Religion handelt?
    2. deren Anhänger nicht mehr leben?
    3. um ein anderes Land handelt?

    Inwieweit sollte 2. für die Urteilsfindung relevant sein, wenn Religion einen Wert an sich hat? Muss die Religion “lebendig” sein – also praktiziert werden – damit Reliquien schützenswert sind?

    Die Besitzverhältnisse sollten jedenfalls nicht so beschaffen sein, dass der Eigentümer kein Interesse an der wissenschaftlichen Altersfeststellung haben muss.
    >:->
    Religionen und Reliquien sind an sich natürlich nicht besonders schützenswert gegenüber wissenschaftlicher Kritik.

    MFG
    Dr. W

  6. Sehr gutes Thema und feiner Blogpost,@Joe!

    Ich denke, die Frage ist tatächlich immer, wie sich aus der Frage der “Eigentümer” Nutzen und Schaden zueinander verhalten. Ich erinnere z.B. an den jahrelangen Rechtsstreit um den Kennewick Man, auf den Native American-Stämme Anspruch erhoben – gerade auch, weil mit ihm Besiedelungsgeschichte gedeutet wurde.
    http://en.wikipedia.org/wiki/Kennewick_Man

    Auch in Jerusalem kann man sich ein bedrückendes Bild davon machen, welche politische Bedeutung Archäologie bekommen kann…

  7. @ Dr. Webbaer, Michael Blume

    Ich möchte noch mal da anknüpfen, was Alexander Merz in seinem letzten Kommentar gesagt hat:

    “Eine andere Geschichte wäre es, wenn bislang unbekannte Quellen auftauchen würden, die konkrete Angaben zur ursprünglichen Herkunft der Gebeine machen. Wenn diese Quellen einer kritischen Betrachtung standhalten und als echt angenommen werden können, dann würde das durchaus eine Untersuchung der Gebeine rechtfertigen. Und ich bin mir sicher, die katholische Kirche würde dieser auch zustimmen.”

    Ist das Erzbistum Köln Besitzer oder Eigentümer der Gebeine?

    Ein Eigentümer einer bestimmten Sache kann über sie nach Belieben verfügen. Besitzer hingegen sind im Besitz einer Sache, dennoch müssen sie nicht gleichzeitig Eigentümer dieser Sache sein. Daher können Sie Eigentümer sein, ohne die Sache besitzen zu müssen (z.B. Vermieter), andererseits können Sie Besitzer ohne umfassendes Herrschaftsrecht sein (z.B. Mieter).

    Ich tendiere dazu das Erzbistum Köln als Besitzer zu sehen. Wenn die Untersuchung dem Ziel dient den Eigentümer ausfindig zu machen kann das schon ein ausreichender Grund sein den Schrein noch mal zu öffnen. Zusätzlich muss man ja auch davon ausgehen, dass die Verstorbenen nicht mehrere tausend Kilometer von ihrer Heimat entfernt im Kölner Dom beigesetzt werden wollten.

    Die Behauptung die Gebeine von jemanden zu besitzen, der gar nicht existiert hat, sondern eine Erfindung ist, halte ich aber unter einem anderen Aspekt für problematisch: Nämlich den, dass man eine falsche Reliquie schützt. Wenn es tatsächlich die Gebeine der Weisen wären, die bei der Geburt Jesu dabei waren (inwiefern ist das historisch gesichert?) könnte ich sie zumindest als echte Reliquien anerkennen.

    Stünde der Eigentümer fest wurde das Erzbistum die Reliquien herausgeben?

    • Meines bescheidenen juristischen Wissens nach gibt es kein Eigentum an Körpern, auch nicht an Körpern Verblichener. Das Eigentum an der Kleidung dürfte die Kirche, wenn nicht durch Übereignung, doch längst durch Ersitzung erlangt haben.
      Ferner ist mir unbekannt, dass eine rechtliche Handhabe gegen “falsche” Reliquien bestünde, zumal Kultgegenstände anzuerkennen und zu verwalten eine kirchliche Angelegenenheit sein dürfte, die der Selbstverwaltung und Kirchenrecht unterfällt.

    • Ich tendiere dazu das Erzbistum Köln als Besitzer zu sehen. Wenn die Untersuchung dem Ziel dient den Eigentümer ausfindig zu machen kann das schon ein ausreichender Grund sein den Schrein noch mal zu öffnen.

      Nice try. – Hier müsste sich aber, in üblicher Rechtsauffassung, zumindest ein das Eigentum behauptender Anderer finden, meinen Sie nicht?

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