Ich rieche was, was Du nicht riechst……

Helene Loos

…und sag’s Dir nicht! Über die Geruchswahrnehmung beim Säugling.

Helene Loos
Helene Loos

Dieser Text entstand im Rahmen des Klaus-Tschira-Preises  für verständliche Wissenschaft. Hier schreiben Promovierte über ihre Doktorarbeit. Nur die Gewinnertexte wurden in Bild der Wissenschaft veröffentlicht. Es sind aber noch viele weitere hervorragende Texte darunter gewesen. Einigen von diesen wird in den Scilogs nun auch ein Platz in Form von Gastbeiträgen eingeräumt. Initiiert von Anna Müllner, die selbst am Preis teilnahm, hier bei den Scilogs bloggt und es schade fand, dass so viele spannende Geschichten über Wissenschaft nicht den Weg in die Öffentlichkeit fanden. Die Artikel findet ihr gesammelt hier, sie werden hintereinander veröffentlicht.

Einer dieser Texte ist von Helene Loos. Helene Loos ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Analytische Sensorik, Fraunhofer IVV, Freising, sowie in der Arbeitsgruppe für Aromaforschung, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Identifizierung von Geruchsstoffen aus biologischen Matrices sowie der Wirkung von Geruchsstoffen auf Verhalten und Physiologie des Menschen.

Lest selbst:

Geboren zu werden bringt eine schlagartige Veränderung der Umgebung mit sich, die dem Neugeborenen einiges abverlangt. Selber atmen. Selber Krankheiten abwehren. Selber Nahrung aufnehmen. Säugetiere versorgen ihren Nachwuchs in den ersten Wochen oder Monaten nach der Geburt mit Milch. Doch wie kann das Junge die Milch finden?

Diese Frage ist keineswegs trivial, wenn man die eingeschränkten sensorischen und motorischen Fähigkeiten einiger Säugetierjungen bedenkt. Kaninchen zum Beispiel sind zunächst blind und taub und können sich nur auf ihren Tast-, Geschmacks-, und Geruchssinn verlassen. Dabei ist die Kaninchenmutter keineswegs stets verfügbar. Sie kommt nur einmal pro Tag zum Nest, so dass es für das Junge lebensnotwendig ist, diesen Zeitpunkt nicht zu verschlafen, erfolgreich die Zitze zu finden und Milch aufzunehmen. Dies gewährleistet ein Geruchsstoff in Kaninchenmilch, der beim Kaninchenjungen einen Saugreflex auslöst und durch eine französische Forschergruppe um Benoist Schaal, Gérard Coureaud und Dominique Langlois charakterisiert wurde. Eine solch reflexhafte Reaktion auf den Geruch von Milch wurde bislang bei keinem anderen Säuger beschrieben. Dennoch stützen sich auch Neugeborene anderer Tierarten auf ihren Geruchssinn, um erfolgreich Milch aufzunehmen. Und beim Menschen ruft der Geruch von Muttermilch eine positive Reaktion des Säuglings hervor, die sich zum Beispiel in vermehrten Saugbewegungen und einer Kopforientierung hin zur Geruchsquelle äußert. Doch welche Geruchsstoffe bedingen dieses Verhalten?

Als ich anfing, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, war bereits einiges über die Geruchsstoffzusammensetzung von Muttermilch bekannt. Unter anderem enthält sie Schweißgeruchsstoffe, die in Tiermilchen noch nicht beschrieben sind und somit spezifisch für den Menschen sein könnten. Womöglich waren diese Geruchsstoffe mit einer positiven Reaktion des Säuglings verknüpft. Diese Idee wollte ich im Rahmen einer Kooperation zwischen der Gruppe um Andrea Büttner, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung, Freising, sowie der Gruppe um Benoist Schaal am Centre des Sciences du Goût et de l’Alimentation in Dijon überprüfen.

Klein, aber fein: die Nase eines Säuglings

In der Neugeborenenstation des Uniklinikums in Dijon rekrutierte ich Mütter mit ihren 3 Tage alten Neugeborenen für einen ca. 15-minütigen Riechtest. Dabei wurden dem Säugling im Laufe eines Tests ca. 3 verschiedene Geruchsstoffe in verschiedenen Konzentrationen zum Riechen gegeben. Zur Kontrolle beobachtete ich außerdem die Reaktion auf Muttermilch, pures Wasser und Vanillin.

Neugeborene sagen nicht, was sie riechen. Doch wer Säuglinge schon einmal beobachtet hat, weiß, dass sie ein ausgeprägtes Mienenspiel zeigen. Eine systematische Auswertung von Gesichtsausdrücken ist über die „Zerlegung“ der Mimik in die Bewegungsanteile einzelner Muskeln möglich. Im Facial Action Coding System nach Paul Ekman ist jeder Bewegung eines Muskels eine sogenannte Action Unit zugeordnet. Das Herabziehen der Augenbrauen zum Beispiel wird durch das Zusammenspiel der drei Muskeln Depressor glabellae, Depressor supercilli und Corrugator hervorgerufen und ist eine Action Unit. Die Auswertung der beobachteten Action Units erlaubt es zu einem gewissen Grad auf die mit dem Gesichtsausdruck verbundene Emotion zurückzuschließen. In meiner Studie nahm ich daher die Dauer bestimmter Action Units als ein Maß dafür, wie der untersuchte Geruchsstoff durch den Säugling wahrgenommen und bewertet wird. Des Weiteren nahm ich die Atmung des Säuglings mittels eines piezoelektrischen Atemgürtels auf (altgriechisch piezein: drücken). Dieser erzeugt je nach Ausdehnung ein unterschiedlich starkes Signal, und gibt so die durch das Atmen bedingte Bewegung des Brustkorbs/des Bauchs wieder.

Ich hatte angenommen, dass die Wahrnehmung eines Geruchs zu einer Veränderung der Atmung führen würde, beispielsweise zu einer erhöhten Atemfrequenz. Dies war jedoch nicht der Fall. Dennoch zeigten die Gesichtsausdrücke der Säuglinge, dass sie die Geruchsstoffe durchaus wahrnahmen. Überraschenderweise führten die Geruchsstoffe aber nicht zu einer positiven Reaktion, sondern im Gegenteil zu negativen Reaktionen wie z. B. einem Rümpfen der Nase oder einem Senken der Augenbrauen.

Weshalb aber empfinden Säuglinge Geruchsstoffe, die in Muttermilch vorkommen, als unangenehm oder gar abstoßend? Auf diese Frage könnte es mehrere Antworten geben. So wurden die Geruchsstoffe in meiner Studie einzeln präsentiert, während sie in der Natur immer als Mischung vorliegen. In Geruchsstoffmischungen können viele verschiedene Effekte auftreten. Die Einzelkomponenten können als solche wahrgenommen werden, sie können sich aber auch zu einem neuen Geruch vereinigen – je nach Art und Konzentration der miteinander vermischten Geruchsstoffe. Wie sich das mit den hier getesteten Substanzen verhält, ist unklar. Deshalb ist es durchaus möglich, dass die untersuchten Geruchsstoffe zwar in Muttermilch vorkommen, der Säugling jedoch die Geruchseigenschaften der einzelnen Geruchsstoffe nicht kennt. Dann wären die in der Studie präsentierten Gerüche neu für den Säugling und könnten eine ablehnende Reaktion aufgrund ihrer Neuheit hervorrufen.

Die Studie brachte noch einen weiteren interessanten Aspekt zutage: Die Säuglinge reagierten auf Konzentrationen, die unter der Geruchsschwelle von Erwachsenen lagen, d.h. die durch Erwachsene nicht wahrgenommen wurden. Dies deutet darauf hin, dass Säuglinge einen besseren Geruchssinn haben als Erwachsene, und könnte erklären, weshalb Säuglinge sogar den Milchgeruch ihrer Mutter von dem Geruch einer fremden Muttermilch unterscheiden können, obwohl Muttermilch für Erwachsene einen äußerst schwachen Geruch aufweist.

Durch die oben beschriebenen Versuche konnte ich zeigen, dass als humanspezifisch vermutete Schweißgeruchsstoffe kein ausgeprägtes positives Verhalten des Säuglings hervorrufen. Gibt es andere Geruchsstoffe in Muttermilch, für die das der Fall ist? Geruchsstoffe sind in der Regel leichte Moleküle. Sie lassen sich in einem Gaschromatographen voneinander trennen, wozu ihre unterschiedlichen physikalischen und chemischen Eigenschaften genutzt werden. Je nach Gewicht und Polarität (abhängig von der Verteilung elektrischer Ladung im Molekül) wandern sie unterschiedlich schnell in einem Gasstrom durch eine dünne Glaskapillare von ca. 0,3 mm Durchmesser. Der Gasstrom kann am Ende der Kapillarsäule an einem sogenannten Sniffing Port abgerochen werden. Durch diese „Gaschromatographie-Olfaktometrie“ könnten Hinweise auf weitere relevante Geruchsstoffe erhalten werden. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die Geruchsstoffanalytik von erwachsenen Nasen durchgeführt wird. Vielleicht riechen Säuglinge einfach mehr in der Milch.

 

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Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

2 Kommentare

  1. @Loos
    Der britische Parfümhersteller QUEST INTERNATIONAL fand per EEG-Daten heraus, dass vor allem süße, moschusartige Düfte – wie sie in der Muttermilch vorkommen – kulturübergreifend einen merklich entspannenden Wohlfühleffekt erzeugen (bei Erwachsenen). (captured, the sweet scent of happiness, Zeeya Merali, 21.10.2006)
    Weil Babys in den Industrieländern nur ca. 1/2 Jahr gestillt werden, muss diese Vorliebe aus dieser Zeit stammen – und lebenslang ein Bestandteil unserer Grunderfahrungen sein.

    (off topic:
    wir können uns lebenslang an früheste Erfahrungen erinnern. Per Google [Kinseher nderf denken_nte] oder [www.nderf.org/german/denken_nte.pdf] (ganzen Link eingeben) finden Sie eine PDF mit weiteren Infos)

  2. Pingback:[SciLogs] Ich rieche was, was Du nicht riechst…

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