Die schwarze Acht und die grüne Sechs

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Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

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Nein! Hier geht es nicht um Poolbillard, sondern um eine Farben-Ziffern-Synästhesie bei der wir viel über unsere menschliche Wahrnehmung lernen können. Für die Wahrnehmung unserer Umwelt benutzen wir unsere Sinnesorgane: Das Auge vermittelt Licht- und Farbwahrnehmung, das Ohr befähigt uns zur Laut- und Tonwahrnehmung, die Nase vermittelt uns Geruch, die Zunge Geschmack. Aber Vorsicht! Unsere Sinnesorgane vermitteln uns keine direkten Informationen über unsere Umwelt, sondern nur Informationen über die Vorgänge in den Sinnesorganen selbst, über das Auftreffen vieler Lichtteilchen auf der Netzhaut des Auges oder die starke Verformung der Sinneshaare durch den Schalldruck im Ohr. Erst in unserem Gehirn entsteht aus diesen Vorgängen die Wahrnehmung von Farbe, Ton, Geschmack und Geruch. Aus diesen Informationen produziert das Gehirn dann ein Abbild der Welt.

Wahrnehmung und Synästhesie

Unsere Wahrnehmung ist also meistens eine Mischung aus verschiedenen Sinnesempfindungen, die oft gleichzeitig auftreten. Hierzu müssen die von den Sinnesorganen aufgenommen Signale einem Strukturierungsprozess unterworfen werden, in dem elementare Sinnesdaten in gestalthafte Kontexte eingebettet werden. Ohne diesen Strukturierungsprozess, der in den Sinnesorganen und im Gehirn stattfindet, bliebe unsere „für wahr“ genommene Welt eine Anhäufung bedeutungsloser Farbflecken, Geräusche und Gerüche, ein unübersichtliches Wirrwarr von Sinneseindrücken was uns wahrscheinlich orientierungslos und verrückt machen würde.

Synästhesie (griech. Synaisthesis = Mitempfindung) ist die abnorme Begleitwahrnehmung einer anderen Sinnesmodalität als die des eigentlich angesprochenen Sinnesorgan. Synästhetiker hören z.B. bestimmte Töne und sehen dabei als Begleiterscheinung bestimmte Farben. Diese Farbempfindungen nennt man Photismen. Franz Liszt (1811-1886) etwa, der deutsche Komponist und Dirigent, forderte 1842 sein Orchester in Weimar auf:

Dieser Ton ist dunkelviolett, meine Herren, und nicht so rosa, glauben Sie mir!

Die Ursache der Synästhesie besteht wohl darin, dass neben der für ein Sinnesorgan zuständigen Hirnregion gleichzeitig andere sensorische und assoziative Hirnareale aktiviert werden. Untersuchungen von Synästhetikern mit der Positronen-Emissions-Tomografie (PET), die die Hirnaktivität misst, haben das bestätigt [1].


Abb.1:  PET bei Farben-Wörter-Synästhesie Zwei laterale Ansichten des menschlichen Gehirns. Die Nummern beziehen sich auf Brodman Areale, welche den Neocortex aufteilen, entsprechend den Unterschieden in ihren zellulären Strukturen. Regionen, die bei Synästhetikern und Nicht-Synästhetikern aktiv sind während der Präsentation von Wörtern, relativ zu der Präsentation von reinen Tönen sind grün gefärbt. Regionen, die bei Synästhetikern im Gegensatz zu Nicht-Synästhetikern bei der Präsentation von Wörtern aktiv sind, sind rot gefärbt.

Der Farben-Ziffern-Photismus

Dass Photismen keine Phantasieprodukte sind und ohne willentliche Beeinflussung relativ starr auftreten, konnte durch eine Abwandlung des Stroop-Test nachgewiesen werden. Beim Stroop-Test werden Wörter für Farben in unterschiedlichen Farben gedruckt. Die Farbe in der das Wort gedruckt ist kann schneller benannt werden, wenn diese Farbe mit der Farbe die durch das Wort beschrieben wird übereinstimmt.

Abb.2: Stroop-Test  Teil 1) Die Versuchsperson muss zunächst eine Liste (einheitlich schwarz gedruckter) Farbwörter lesen. Teil 2) Hier soll die Farbe der Balken benannt werden. Teil 3) In der Interferenzbedingung soll die Farbe, in der das Wort gedruckt ist, genannt werden.

Mike Dixon und sein Forscherteam boten nun keine Wörter sondern die Ziffern 1 bis 9 in verschiedenen Farben an [2]. Aufgabe der Versuchspersonen war, die Farbe der Ziffer so schnell wie möglich zu sagen. Einige der Versuchsteilnehmer waren Farben-Ziffern-Synästhetiker. Für die stehen die Ziffern 1 bis 9 für bestimmte Farben, bei der Synästhetikerin C. die 7 beispielsweise für gelb.


Abb.3: Farben-Ziffern-Photismus Der Farben-Ziffern-Photismus eines Synästhetikers.

Nicht-Synästhetiker brauchen für die Farbnennung immer gleich viel Zeit, während C. viel weniger Zeit für die richtige Farbnennung brauchte, wenn die Farbe mit ihrer synästhetischen Farbassoziation übereinstimmte als bei Nichtübereinstimmung (zum Beispiel bei einer gelben versus einer blauen 7).

Dass ein externer Stimulus für diese Form der Synästhesie nicht notwendig ist, zeigte folgender Test: Nacheinander wurden eine Ziffer, ein arithmetischer Operator, eine weitere Ziffer und eine Farbtafel präsentiert. Der Test bestand darin, so schnell wie möglich die Farbe zu benennen und dann die Lösung der arithmetischen Aufgabe zu sagen. Nicht-Synästhetiker brauchen für diese Tests gleich lange. C. dagegen löst die Tests viel schneller, wenn das Ergebnis der arithmetischen Aufgabe mit der assoziierten Farbe übereinstimmte (beispielsweise bei der Präsentation 4 + 3, gelb) als wenn dies nicht der Fall war (4 + 3, blau). Ein externer Stimulus, zum Beispiel die Ziffer 7, ist also nicht notwendig, um diesen Farben-Ziffern-Photismus auszulösen. Die mentale Berechnung war hinreichend, um die Farbempfindung zu aktivieren.

Dass dieser Farben-Ziffern-Photismus diese Synästhetiker zu einer besonderen Form der Gestaltwahrnehmung befähigt, konnten Experimente von Vilayanur Ramachandran und Ed Hubbard zeigen [3]. Mit einem Computer erzeugten sie Muster aus den in Computerschrift spiegelverkehrt aussehenden Zahlen 2 und 5. Dabei waren die Ziffern 2 vor dem „Hintergrund“ der Ziffer 5 zu Figuren angeordnet. Nicht-Synästhetiker sahen nur ein wirres helldunkles Durcheinander, doch den Farben-Ziffern-Synästhetiker sprangen diese Figuren (zum Beispiel ein Dreieck) sofort ins Auge, ähnlich wie beim Ishihara-Test zum Erkennen von Farbenblindheit.

Abb.4: Farben-Ziffern-Photismus und Gestaltwahrnehmung

Da solche Gestaltwahrnehmungseffekte nicht begrifflich, sondern sinnlich erfolgen, muss das Gehirn die Synästhesie in sensorischen Arealen ausbilden. Dafür spricht auch, dass nur die arabischen Ziffern, nicht römische Ziffern bei den untersuchten Synästhetikern die Assoziation der Farben hervorriefen – es war also die Gestalt der Zeichen, nicht der zugehörige Begriff, der für die arabischen und römischen Ziffern ja identisch ist.

Ramachadran spekuliert, dass der Gyrus fusiformis, ein Bereich im unteren Schläfen- und Hinterhauptlappen bei Farben-Ziffern-Synästhetikern eng mit einer möglicherweise benachbarten Hirnregion verschaltet ist, die Zeichen von Ziffern verarbeitet. Der Gyrus fusiformis enthält in seinem hinteren Teil die Area V4, die für das Erkennen von Farben notwendig ist. Diese Hypothese soll nun mit bildgebenden Verfahren überprüft werden.

Weiterführende Literatur

[1] E. Paulesu, J. Harrison, S. Baron-Cohen, J. D. G. Watson, L. Goldstein, J. Heather, R. S. J. Frackowiak and C. D. Frith (1995) The physiology of coloured hearing A PET activation study of colour-word synaesthesia Brain 118(3): 661-676

[2] Mike J. Dixon, Daniel Smilek, Cera Cudahy, Philip M. Merikle (2000) Five plus two equals yellow. Nature 406, 365.

[3] Alison Motluk (2000) The number purple New Scientist, 166, 2233, 19.

Deutsche Synästhesie-Gesellschaft

Synästhesie-Forum

Diese Seite wurde 2003 von Synästhetikern für Synästhetiker ins Leben gerufen – und für alle, die sich für das Thema interessieren.

Synästhesieforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover

Bildnachweis

Abb.1:  PET bei Farben-Wörter-Synästhesie

Quelle: Perception: The seeing ear, Vincent Walsh, Current Biology
Volume 6, Issue 4, April 1996, Pages 389-391,  doi:10.1016/S0960-9822(02)00503-1

Figure 2

Abb.2: Stroop-Test

Hilger E, Kaspers S (2002) Kognitive Symptomatik bei schizophrener Erkrankung: Diagnostik und Pharmakotherapie. Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, 3 (4), 17-22.   

Abbildung 2, Seite 19

Abb.3: Farben-Ziffern-Photismus
   
Kersti Nebelsiek, 17. Januar 2009

Quelle: Wikimedia Commons

Some Licence

Abb.4: Farben-Ziffern-Photismus und Gestaltwahrnehmung

Quelle: A window into the synaesthetic mind, 17 December 2009

Embedded shapes

Obvious pattern

 

Dixon, M., Smilek, D., Cudahy, C., & Merikle, P. (2000). Five plus two equals yellow Nature, 406 (6794), 365-365 DOI: 10.1038/35019148

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

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