Islamic Banking (Teil II) – Zinsverbot aus islamischer Sicht – Gastbeitrag von Abdelaali El Maghraoui
BLOG: Der Islam
Geschichte und Gegenwart
Im ersten Teil meines Artikels haben wir bereits eine Form von riba kennengelernt, die der Mehrheit der Korankommentatoren zufolge in der vorislamischen Zeit vorgeherrscht haben soll und auf die sich das koranische Verbot direkt bezogen haben soll.
Es wird allerdings in der klassischen Literatur noch eine weitere Form von riba erwähnt, welche die Araber in der vorislamischen Zeit praktizierten. Diese ist in den Korankommentaren von al-Gassas (gest. 980) und ar-Razi (gest. 1210) zu finden.
Al-Gassas betont, dass die Akteure einer riba-Transaktion vor dem Islam schon zum Zeitpunkt des Schuldverhältnisabschlusses eine festgelegte Mehrzahlung für die Entlohnung des ausgeliehenen Kapitals vereinbarten. Ar-Razis Schilderung des riba in der vorislamischen Zeit geht einen Schritt weiter. Ihm zufolge handelte es sich hierbei um zwei Aufschläge. Der eine sollte bereits am Beginn der Vereinbarung festgestellt und vom Schuldner während der Laufzeit der Schuld in monatlichen Raten abgezahlt werden. Der andere sollte beim Fälligkeitstermin und der Zahlungsunfähigkeit erfolgen, um den Rückzahlungstermin hinausschieben zu können. Diese beiden Beschreibungen dienen für Vertreter der Idee von Islamic Banking und die Befürworter eines generelles Zinsverbots als wichtigstes Argument dafür, dass die auf dem riba basierten Geschäfte in vorislamischer Zeit genau wie die Zinstransaktionen der modernen Wirtschaft betrieben wurden, da damals auch eine Vereinbarung einer Mehrzahlung zum Zeitpunkt des Darlehensvertragsabschlusses getroffen worden sei. Darüber hinaus seien die auf riba beruhenden Transaktionen in der vorislamischen Zeit genau wie heutzutage überwiegend zur Finanzierung von produktiven Projekten genutzt worden. Dabei wird vor allem auf die Rolle des damaligen Mekka als Handelszentrum hingewiesen. Ob al-Gassas´ und ar-Razis Beschreibungen als glaubwürdige Textbelege betrachtet werden können, mag allerdings bezweifelt werden. Weder al-Gassas noch ar-Razi führen zur Unterstützung ihrer Argumentation überlieferte Berichte an, wie sie dies sonst an den meisten Stellen ihrer Korankommentare üblicherweise tun.
Angesichts der Tatsache, dass at-Tabaris Schilderung von riba in der vorislamischen Zeit (siehe Teil 1) unter den früheren muslimischen Gelehrten die am weitesten verbreite ist und dass al-Gassas und ar-Razi ihre Beschreibungen nicht mit überlieferten Texten belegen, kann das koranische Verbot von riba folgendermaßen zusammengefasst werden: Der Koran untersagt einen in vorislamischer Zeit üblichen Handelsbrauch, bei dem die ursprüngliche Schuld immer wieder verdoppelt wurde, wenn der Schuldner säumig war. Eine Mehrzahlung wurde weiterhin nicht bereits am Beginn des Schuldverhältnisses vereinbart. Sie erfolgte erst bei der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Des Weiteren scheint in der vorislamischen Zeit ein bestimmter rechtlicher Rahmen im heutigen Sinne, welcher sowohl die Rechte des Schuldners als auch die des Gläubigers gewährleisten soll, nicht vorhanden gewesen zu sein. Die beiden Akteure agierten damals vielmehr ungeschützt und meist zu Gunsten des Gläubigers. Denn die Praxis der stetigen Vervielfachung der Forderung drängte den Schuldner immer wieder zu neuem Verschulden, bis er völlig unfähig wurde, die angehäuften Schulden auszugleichen. Wie in manchen Werken klassischer islamischer Rechtsgelehrter waren Verarmung und Versklavung des Schuldners als Folgen solch einer Praxis nicht auszuschließen. Von diesen Überlegungen ausgehend ist die Ausdehnung des koranischen Verbots von riba auf moderne Zinsen als willkürlich zu bewerten. Die Interpretation, dass der Koran sämtliche Zinsen für verboten erkläre, ruht auf wackligen Stützen. Höchstens das Verbot von Zinseszins kann im Koran nachgewiesen werden. Wie sieht es nun mit der Prophetentradition, welche zusammen mit dem Koran die primären islamischen Rechtsquellen ausmacht, aus? Finden sich dort ausschlaggebende Argumente für ein totales Zinsverbot?
Wie oben bereits erwähnt, verbietet die Prophetentradition ausdrücklich den riba, welcher im Geschäftsleben der Araber vor dem Islam gängig war. Zudem gibt es eine Prophetenüberlieferung, die in der Sammlung al-Baihaqis enthalten ist und die von den Befürwortern eines absoluten Zinsverbots stets vorgebracht wird. Demnach soll jede Art der Leihe, die einen Nutzen mit sich mitbringt, eine Art des riba darstellen und daher verboten sein. Diese Überlieferung ist, wie al-Baihaqi selbst bemerkt, aufgrund seiner lückenhaften Überlieferungskette allerdings als „mauquf“ zu bewerten, was bedeutet, dass ihr Gebrauch als Argument in rechtlichen Entscheidungen fragwürdig ist. Ferner behandelt die Prophetentradition eine spezifische Art von riba, nämlich den sogenannten riba al-buyu´. Dabei handelt es sich um das Verbot von jeglichem quantitativ ungleichen Austausch von bestimmten Gütern derselben Gattung. Diese Art von riba hat mit der Kreditvergabe im heutigen Sinne nichts zu tun und ist für die Etablierung von Islamic Banking nicht von Belang. Daher wird eine ausführlichere Darstellung dieser Art von riba im Folgenden außer Acht gelassen.
Auch wenn die konservative Position hinsichtlich der Interpretation von riba die herrschende Meinung ist, gab und gibt es vor und nach der Einführung der Idee von Islamic Banking einige Stimmen, denen eine liberale Einstellung zum Problem Bankzins und riba zugeschrieben werden kann. So konstatiert der im Jahr 2010 verstorbene Schaich der al-Azhar Universität Saiyid Muhammad Tantawi in einem Interview mit einer kuwaitischen Zeitschrift, dass die im Voraus vereinbarten Bankzinsen nach dem islamischen Recht zulässig sind und nicht zu dem verbotenen riba zählen. Zudem entsprechen nach Tantawi konventionelle Bankgeschäfte, die durchaus positive Folgen für das Allgemeinwohl haben können, dem folgenden islamischen Grundsatz: Nützliches ist grundsätzlich erlaubt und Schädliches grundsätzlich verboten. Der verbotene riba kann in den Augen von Tantawi Schaden mit sich bringen, wenn er beispielsweise in Form des vorislamischen riba vorliegt oder wenn es sich um verzinsliche Darlehen handelt, die zur Ausnutzung der Notlage der Bedürftigen vergeben werden. Die herrschende Meinungsverschiedenheit unter den Gelehrten bezüglich der Problematik des riba sieht Tantawi generell als ein Zeichen für die Flexibilität des islamischen Rechts. Es sei jedem Muslim überlassen, mit welcher Art von Banken er seine Geschäfte tätigen möchte. Äußerungen wie diese entflammten immer wieder aufs Neue die Debatte über riba und sorgten für heftige Kritik seitens der Vertreter der islamischen Wirtschaftsordnung und der Befürworter des Islamic Banking. Wie auch immer bleibt nach wie vor die restriktive Interpretation des riba die Vorherrschende. Dies bedeutet schließlich, dass die ideelle Grundlage für alle Finanzinstrumente des Islamic Banking aufrechterhalten bleibt.
Angesichts der Tatsache, dass at-Tabaris Schilderung von riba in der vorislamischen Zeit (siehe Teil 1) unter den früheren muslimischen Gelehrten die am weitesten verbreite ist und dass al-Gassas und ar-Razi ihre Beschreibungen nicht mit überlieferten Texten belegen, kann das koranische Verbot von riba folgendermaßen zusammengefasst werden: Der Koran untersagt einen in vorislamischer Zeit üblichen Handelsbrauch, bei dem die ursprüngliche Schuld immer wieder verdoppelt wurde, wenn der Schuldner säumig war. Eine Mehrzahlung wurde weiterhin nicht bereits am Beginn des Schuldverhältnisses vereinbart. Sie erfolgte erst bei der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Des Weiteren scheint in der vorislamischen Zeit ein bestimmter rechtlicher Rahmen im heutigen Sinne, welcher sowohl die Rechte des Schuldners als auch die des Gläubigers gewährleisten soll, nicht vorhanden gewesen zu sein. Die beiden Akteure agierten damals vielmehr ungeschützt und meist zu Gunsten des Gläubigers. Denn die Praxis der stetigen Vervielfachung der Forderung drängte den Schuldner immer wieder zu neuem Verschulden, bis er völlig unfähig wurde, die angehäuften Schulden auszugleichen. Wie in manchen Werken klassischer islamischer Rechtsgelehrter waren Verarmung und Versklavung des Schuldners als Folgen solch einer Praxis nicht auszuschließen. Von diesen Überlegungen ausgehend ist die Ausdehnung des koranischen Verbots von riba auf moderne Zinsen als willkürlich zu bewerten. Die Interpretation, dass der Koran sämtliche Zinsen für verboten erkläre, ruht auf wackligen Stützen. Höchstens das Verbot von Zinseszins kann im Koran nachgewiesen werden. Wie sieht es nun mit der Prophetentradition, welche zusammen mit dem Koran die primären islamischen Rechtsquellen ausmacht, aus? Finden sich dort ausschlaggebende Argumente für ein totales Zinsverbot?
Wie oben bereits erwähnt, verbietet die Prophetentradition ausdrücklich den riba, welcher im Geschäftsleben der Araber vor dem Islam gängig war. Zudem gibt es eine Prophetenüberlieferung, die in der Sammlung al-Baihaqis enthalten ist und die von den Befürwortern eines absoluten Zinsverbots stets vorgebracht wird. Demnach soll jede Art der Leihe, die einen Nutzen mit sich mitbringt, eine Art des riba darstellen und daher verboten sein. Diese Überlieferung ist, wie al-Baihaqi selbst bemerkt, aufgrund seiner lückenhaften Überlieferungskette allerdings als „mauquf“ zu bewerten, was bedeutet, dass ihr Gebrauch als Argument in rechtlichen Entscheidungen fragwürdig ist. Ferner behandelt die Prophetentradition eine spezifische Art von riba, nämlich den sogenannten riba al-buyu´. Dabei handelt es sich um das Verbot von jeglichem quantitativ ungleichen Austausch von bestimmten Gütern derselben Gattung. Diese Art von riba hat mit der Kreditvergabe im heutigen Sinne nichts zu tun und ist für die Etablierung von Islamic Banking nicht von Belang. Daher wird eine ausführlichere Darstellung dieser Art von riba im Folgenden außer Acht gelassen.
Auch wenn die konservative Position hinsichtlich der Interpretation von riba die herrschende Meinung ist, gab und gibt es vor und nach der Einführung der Idee von Islamic Banking einige Stimmen, denen eine liberale Einstellung zum Problem Bankzins und riba zugeschrieben werden kann. So konstatiert der im Jahr 2010 verstorbene Schaich der al-Azhar Universität Saiyid Muhammad Tantawi in einem Interview mit einer kuwaitischen Zeitschrift, dass die im Voraus vereinbarten Bankzinsen nach dem islamischen Recht zulässig sind und nicht zu dem verbotenen riba zählen. Zudem entsprechen nach Tantawi konventionelle Bankgeschäfte, die durchaus positive Folgen für das Allgemeinwohl haben können, dem folgenden islamischen Grundsatz: Nützliches ist grundsätzlich erlaubt und Schädliches grundsätzlich verboten. Der verbotene riba kann in den Augen von Tantawi Schaden mit sich bringen, wenn er beispielsweise in Form des vorislamischen riba vorliegt oder wenn es sich um verzinsliche Darlehen handelt, die zur Ausnutzung der Notlage der Bedürftigen vergeben werden. Die herrschende Meinungsverschiedenheit unter den Gelehrten bezüglich der Problematik des riba sieht Tantawi generell als ein Zeichen für die Flexibilität des islamischen Rechts. Es sei jedem Muslim überlassen, mit welcher Art von Banken er seine Geschäfte tätigen möchte. Äußerungen wie diese entflammten immer wieder aufs Neue die Debatte über riba und sorgten für heftige Kritik seitens der Vertreter der islamischen Wirtschaftsordnung und der Befürworter des Islamic Banking. Wie auch immer bleibt nach wie vor die restriktive Interpretation des riba die Vorherrschende. Dies bedeutet schließlich, dass die ideelle Grundlage für alle Finanzinstrumente des Islamic Banking aufrechterhalten bleibt.
Die Auseinandersetzung mit diesen Instrumenten ist das Thema meines nächsten Beitrages.
Danke
für diesen sehr schönen Artikel. Bin schon gespannt auf den dritten Teil.
Mich würde interessieren, ob es neben al-Tantawi noch weitere prominente Gelehrte in der islamischen Welt gibt, die eine liberalere Position bezüglich riba vertreten. Mal sehen, wie sich die Diskussion in den nächsten Jahren entwickeln wird.
@ Max Heidelberger
Lieber Max, vielen Danke für die nette Worte und die interessante Frage, auf die ich hiermit gerne eingehen möchte. Ja, Neben at-Tanatawi gab und gibt es in der islamischen Welt noch weitere religiöse Autoritäten, denen eine liberale Einstellung zum Problem Zins bzw. riba zugeschrieben werden kann. Die Mehrheit dieser Stimmen kommt aus Ägypten.
In diesem Zusammenhang sei z.B. auf die Ansichten von Muhammad Rashid Rida (gest. 1935) hingewiesen, welche zugleich als eine der ersten liberalen Interpretationen des riba in unserer Zeit zu betrachten sind und die spätere Auffassungen geprägt haben. Rida zufolge bezieht sich das koranische absolute Verbot von riba auf den riba, wie er in der vorislamischen Zeit praktiziert wurde, d. h. auf den Wucher durch Vervielfachung der Schuld bei Nichtleistung und Zahlungsverzug. Zudem zählt zu den modernen liberalen Interpreten von riba der jetzige Großmufti von Ägypten Ali Guma. Bei ihm finden Tantawis Auffassung Zustimmung.
Ferner plädieren weitere Gelehrte und hochangesehene Juristen in der islamischen Welt für eine liberale Interpretation von riba. Nähre Informationen hierzu siehe meine Magisterarbeit. Abrufbar unter:
http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/…dversion.pdf
Es ist schließlich zu bemerken, dass sich Tantawi zum Thema riba in seiner Position als Ägyptens Großmufti und Schaich der al-Azhar Unisität geäußert hat. Daher stellt seine Auffassung die dieser Ämter dar.
nana
hallo,ich möchte gerne klarheit würde gerne ein eigentumshaus in deutschland kaufen da wir ehe soviel an miete zahlen müßte alerdings einen kredit aufnähmen ist das im islam erlaubt salamwalikum
@ Noureddine
Lieber Noureddine, Für Ihre Sorge habe ich vollkommen Verständnis. Ich kann allerdings keine Antwort auf Ihre Frage geben. In meinem Beitrag zum Zinsverbot aus islamischer Sicht habe ich lediglich die unterschiedlichen von den muslimischen Gelehrten geäußerten Meinungen dargestellt und kommentiert sowie die Schwachpunkte ihrer Argumentation gezeigt. Daher ist mein Beitrag nicht als Fatawa (islamisches Rechtsgutachten) zu betrachten. Zudem sehe ich mich nicht als Fatwa-Erteiler.
Beste Grüße wa assalam.
@ Noureddine
Sie stellen eine interessante Frage, die viele Muslime beschäftigt. Ich denke aber auch, dass weder Abdelaali noch ich diese Frage beantworten können. Die sollte einer religiösen Autorität gestellt werden.
Vielleicht ist unter den Lesern ein muslimischer Theologe, der darauf eingehen kann. Das fände ich schon interessant und spannend.
Alles gute!