Große Anthropozän-Ausstellung am Deutschen Museum geplant

Für die Jahre 2014/2015 plant das Deutsche Museum eine große Sonderausstellung , die in enger Kooperation mit dem Rachel Carson Center konzipiert wird. Weitere Partnerschaften zeichnen sich ab, vor allem mit dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin, das in den kommenden beiden Jahren das Thema des Anthropozäns in den Mittelpunkt seines Gesamtprogramms rücken wird.

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Abb. 1: Die historische Abbildung zeigt Fördertürme auf einem Ölfeld in Texas um 1960 als Insignien des industriellen Komplexes. Davor friedlich grasende Kühe. Natur versus Technik? Nur scheinbar! Zum einen gelten heute auch in der Landwirtschaft die Spielregeln industriellen Wirtschaftens. Zum anderen wird durch die massenhafte Haltung von Tieren zum Verzehr mittler- weile fast ebenso viel CO2 produziert wie durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe.

Mit dieser Ausstellung werden mehrere Ziele verfolgt. So sollen

  • die Einmaligkeit der heutigen Phase am Beginn planetarer Gestaltung vermittelt,
  • das Bewusstsein für Zeitskalen und Dimensionen der Umweltveränderungen gestärkt,
  • eingefahrene Denkschemata der Nachhaltigkeitsdebatte überwunden,
  • die zentrale Rolle von Wissenschaft und Technologie sowie die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Natur-, Technik-, Sozial- und Geisteswissenschaften für die Welt von morgen hervorgehoben,
  • Faszination für menschliche Erfindungs-/Lernfähigkeit geweckt und
  • ein Horizont für persönliche Verantwortung, Mitbestimmung und Lebensstilwahl eröffnet werden.

Ein denkbares Grundprinzip ist die Gestaltbarkeit durch das Publikum, um den offenen Charakter des Anthropozäns zum Ausdruck zu bringen. Neben wichtigen Fakten, die zum Verständnis der unterschiedlichen Phänomene des Anthropozäns vermittelt werden, sollen die Besucher und Besucherinnen durch verschiedene Formen der direkten Partizipation zum Nachdenken über die »Unswelt« angeregt werden.

Durch den Einsatz zum Beispiel von Smartphone-Technologien und Social Media bieten sich für die Anthropozän-Idee spannende Möglichkeiten, die Ausstellung über das Museum hinaus in die Gesellschaft und andere Aktionsformate zu tragen. So ist denkbar, dass Besucherinnen und Besucher eine eigene Version »ihrer« Ausstellung erstellen und in sozialen Netzwerken mit anderen teilen, einen digitalen »Selfmade-Katalog« erstellen oder auch ihre eigene Meinung in Echtzeit in die Ausstellung einbringen. Mit ihrem Blick auf den anthropozänen Planeten – seine historische Entstehung, seine gegenwärtige Lage und seine zukünftige Gestaltung – will die Ausstellung sowohl informieren als auch hinterfragen und zum Handeln animieren.

In einer Ausstellung, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet, spielen historische Exponate eine wichtige Rolle. Technologien der Vergangenheit, mit denen die Menschen das Anthropozän geprägt, ja erschaffen haben, wie die Dampfmaschine oder das Haber-Bosch- Verfahren zur industriellen Herstellung von Ammoniak, verdeutlichen den menschlichen Eingriff in die ehemals als natürlich empfundene Umwelt und werfen die Frage nach unserem Technik-, Menschen- und Naturbild auf. In jedem Fall werden auch in der Anthropozän-Ausstellung in der bewährten Tradition des Deutschen Museums Objekte im Mittelpunkt stehen, historische Exponate aus seinen reichen Schatzkammern und aktuelle Artefakte aus den Laboratorien von Wissenschaft und Industrie. Die auf Originalobjekten basierende Ausstellung bietet zudem die große Chance, das bislang noch recht theorielastige Konzept des Anthropozäns zu konkretisieren und mit handfestem Leben zu füllen. Sie führt den Besucherinnen und Besuchern ganz unmittelbar vor Augen, was es heißt, die menschengemachte Unswelt für künftige Generationen verantwortlich zu gestalten.

Anregungen für die Gestaltung der Zukunft

Die Globalität, die Verschränkung von natur-, technik-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Fragen und der Zeithorizont des Anthropozäns eröffnen vielfältige Darstellungsmöglichkeiten für eine Sonderausstellung. Um die dem Anthropozän eigenen systemischen Verschränkungen zu verdeutlichen, will die Ausstellung die einzelnen Teilthemen weniger »sektoral« als integrativ vermitteln. Nicht statisch gefasste Einzelthemen wie Klima, Ernährung, Urbanisierung, Biodiversität etc. sollen im Mittelpunkt stehen, sondern eine handlungorientierte Bündelung von Themen. Die grundlegende Verschränkung der Probleme in der »Unswelt« ist auch eine Chance, um neue, integrative Lösungen zu entwickeln. Kategorien, die dabei im Vordergrund stehen, sind der Mensch als Zerstörer, aber auch als Gestalter; der anthropozäne Planet, der tiefgreifend durch den Menschen geformt und verändert wird; historisch gewachsene Konsummuster und Lebensstile; die Zeit als wichtiger Faktor im Anthropozän und die Zukunft als Herausforderung, aber auch als Chance für die Menschheit und ihre politischen Institutionen, sozialen Netzwerke und persönlichen Lebensträume.
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Abb. 2: Die Kraftmaschinenhalle im Deutschen Museum zeigt die Geschichte der Energieerzeugung.

Auch wenn die Ausstellungsplanungen erst begonnen haben: Mit dem Anthropozän greifen das Deutsche Museum und das Rachel Carson Center gemeinsam ein wichtiges politisches, wissenschaftliches, gesellschaftliches und kulturelles Thema auf. Sie nehmen ihre Aufgabe als Vermittler und Denkanstöße gebende Institutionen ernst und bieten der Öffentlichkeit die Möglichkeit, an vorhandenem Wissen teilzuhaben, sich eine Meinung zu bilden, Fragen zu stellen, Antworten abzuwägen und entscheidungsfähig zu sein. So werden die Grundlagen geschaffen, um das heutige Wirken des Menschen auf der Erde zu verstehen, verschiedenste Haltungen dazu einzunehmen und in einen offenen Gestaltungsprozess für Optionen und Szenarien der Zukunft einzutreten. Für das Anthropozän ist nicht nur die Frage nach der Zukunft von Wissenschaft und Technik zentral, sondern auch deren Einbettung in einen Gesamtprozess, in dessen Verlauf sich die überkommenen Grenzen von Natur und Kultur auflösen.

Ausschnitt aus: Die menschengemachte Erde – Das Anthropozän sprengt die Grenzen von Natur, Kultur und Technik.
Von Reinhold Leinfelder, Christian Schwägerl, Nina Möllers und Helmuth Trischler, in Kultur & Technik 2/2012 (Themenheft Mensch und Natur), S. 12-17, München (Verlag Deutsches Museum)
(© Verlag Deutsches Museum, used with permission)

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> zur Webseite von Kultur und Technik (Themenheft Mensch und Natur 2/2012)

Reinhold Leinfelder ist Geologe, Geobiologe und Paläontologe. Er ist Professor an der Freien Universität zu Berlin (Arbeitsgruppe Geobiologie und Anthropozänforschung) sowie (seit Okt 2018) zusätzlich Senior Lecturer am Institut Futur der FU. Seit April 2022 ist er formal im Ruhestand. Seit 2012 ist er Mitglied der Anthropocene Working Group der International Stratigraphic Commission. Von 2006-2010 war er Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, von 2008-2013 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), von 2011-2014 Research Fellow und affiliate Carson Professor am Rachel Carson Center an der LMU, München, von 2012-2018 Principal Investigator am Exzellenzcluster "Bild-Wissen-Gestaltung" der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1. Sept. 2014 bis 15. Sept. 2016 Gründungsdirektor der Futurium gGmbH in Berlin. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen beim Anthropozän, Korallenriffen, neuen Methoden und Herausforderungen des Wissenstransfers und Museologie | Homepage des Autors | blog in english, via google translate

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