Rubens im Frankfurter Städel. Pfui?
Bislang hat mich die aktuelle Sexismus-Debatte nicht sehr berührt. Aber jetzt hat es mich doch noch erwischt. Im Frankfurter Städel ist nämlich gerade eine sehr schöne Rubensausstellung eröffnet worden. Aber anzügliche, sexistische und gewaltverherrlichende Bilder sollen weg, hört man jetzt immer wieder. Sogar ein Gedicht wurde von der Wand gekratzt, weil es die Vorstellung hervorrufen könnte, dass Männer Frauen hinterherschauen (bewundernd). Was soll man da mit Rubens machen?!
Gewalt gibt es da, und nackte Leiber in Hülle und Fülle, zwar auch männliche, aber doch mehr weibliche. Und die zeigt Rubens mit seinem – wie könnte er auch anders – männlichen Blick.
Symptomatisch für alle: Das “Urteil des Paris”. Das Bild hat mich eigentlich schon immer entrüstet, aber so mehr oder minder unausgesprochen. Ich fand das doof, wie die drei Göttinnen da von den Männern begutachtet werden und wie sie sich in Pose stellen! Halt, gefährlicher Denkfehler: In Pose stellen lassen, durch den männlichen Maler.
Was sagt der Mythos?
Das Thema ist seit der Antike in der Malerei beliebt. Der zugrundeliegende Mythos geht so: Die Göttin der Zwietracht warf aus Verärgerung einen Apfel unter die zu einer Hochzeit geladenen Götter. “Der Schönsten” sollte er gehören. Hera, Athene und Aphrodite gerieten darüber in Streit. Zeus befahl dem trojanischen Prinzen Paris, ein Urteil zu fällen. Die Göttinnen versuchten, Paris zu beeinflussen: Hera versprach ihm die Herrschaft über die ganze Welt, Athene versprach ihm Weisheit, Aphrodite aber stellte ihm die Liebe der schönsten Frau unter den Sterblichen in Aussicht. Paris entschied sich für Aphrodites Angebot.
Im Mythos ist keine Rede davon, dass die drei mächtigen Göttinnen es nötig hätten, nackig vor Paris herumzutanzen. Sie wissen wahrscheinlich, dass er im Grunde gar nicht in der Lage ist, sich selbst ein Urteil zu bilden. Also versprechen sie ihm was Schönes.
Am liebsten nackt
Obwohl der Mythos das also gar nicht verlangt – und es in der antiken Vasenmalerei zum Beispiel auch nicht so gehandhabt wurde -, sind in der Malerei die drei wetteifernden Göttinnen oft nackt dargestellt. Meistens, aber nicht immer, posieren sie mehr oder minder aufreizend. Aber Sandro Botticelli zum Beispiel lieferte Ende des 15. Jahrhunderts auch eine ziemlich züchtige Variante. Trotzdem: nackt zur Begutachtung freigegeben ist in den letzten 500 Jahren die deutlich beliebtere Version der Göttinnen gewesen. Interessant: Eine an moderne Casting-Shows erinnernde und in meinen Augen besonders abstoßende Version lieferte Max Klinger im Jahr 1885 (heute im kunsthistorischen Museum Wien, das kann ich aus urheberrechtlichen Gründen hier leider nicht zeigen. Google kann’s). Aber selbst da liegt die Bewertung offenbar ganz im Auge des Betrachters: Die Kunsthistorikerin Annegret Friedrich interpretierte Klingers Version vor Jahren als ausgesprochen feministischen Ansatz (“Das Urteil des Paris”. Ein Bild und sein Kontext um die Jahrhundertwende. Jonas Verlag, Marburg 1997).
Das Unbehagen in der Malerei
Wirklich, ich fühle mich beim Betrachten dieser Bilder unbehaglich. Und ich fühle mich auch nicht gut, wenn ich zum Beispiel eine Kreuzigungs-Darstellung ansehe. Aber ich habe gelernt, die persönliche Bewertung des Inhaltlichen zu verdrängen. Also freue ich mich, wenn ich sehe, wie gut etwas gemacht ist. Ich staune über diesen oder jenen Kunstgriff. Ich verstehe das Bild als Dokument seiner Zeit und bin mir der historischen Distanz bewusst, der Verschlüsselung oder der Symbolik.
Trotzdem sind es auch solche Museumsstücke wie die Rubensbilder, die das Rollenverständnis auf beiden Seiten seit Generationen spiegeln und prägen. Ihr Einfluss ist vielleicht sogar besonders wirksam, weil sie als “hohe Kunst” meistens eher unreflektiert und ohne Murren rezipiert werden, denn es handelt sich ja um Kulturgut (Allgemeinbildung!).
Was tun mit diesen Bildern? Wegsperren? Den ganzen Rubens in die Tonne treten? Das wäre dann aber doch schade. Und ganz schön übergriffig. Und dazu: So ein Bildersturm ist immer ein Alarmsignal. Wo nach Säuberung gerufen wird, da riecht es nach Intoleranz, nach Populismus.
Der naive Blick
Mein Vorschlag: Zusätzlich zu den vielen Facetten der Bildinterpretation wie Ikonografie, Kompositionsanalyse oder Rezeptionsgeschichte sollte man ruhig auch mal bewusst nach dem eigenen Empfinden fragen und den verpönten naiven Blick wagen: Wie finde ich das eigentlich, was ich da abgebildet sehe? Aber nicht, um zu einem moralischen Urteil über das Bild oder den Künstler zu kommen, sondern zu einer bewussteren Wahrnehmung. Ich kann es zum Beispiel in Beziehung zu meiner Lebenswelt setzen – vielleicht stelle ich fest, dass es nicht viel damit zu tun hat. Oder es hält meiner Realität den Spiegel vor – und wenn mir nicht gefällt, was ich sehe, dann weiß ich, woran ich arbeiten muss. In der Wirklichkeit! So geschult, wären wir wohl auch widerstandsfähiger gegen die Werbung und Propagandabilder …
Also bitte, bitte hängen lassen, damit wir alles mit kritisch geschärftem Blick betrachten können und jeder für sich sein Urteil bilden kann – im Bewusstsein, dass unser Urteil nur eines unter vielen möglichen ist, alle abhängig von individuellen, historischen oder gesellschaftlichen Bedingungen. Kein Denkverbot, kein Bilderverbot – und davon war ja eigentlich in Bezug auf die Frankfurter Rubens-Ausstellung auch Gottlob noch nicht wirklich die Rede. Was man dort übrigens sehr schön sehen kann, weil es der Schwerpunkt der Ausstellung ist, ist der Mechanismus künstlerischer Tradition – zum Beispiel in der Aktdarstellung.
Zitat: Ihr Einfluss [der Einfluss von Kunstgemälden] ist vielleicht sogar besonders wirksam, weil sie als “hohe Kunst” meistens eher unreflektiert und ohne Murren rezipiert werden, denn es handelt sich ja um Kulturgut (Allgemeinbildung!).
Kunstgemälde unreflektiert zu konsumieren, nur damit man zu den Wissenden/Gebildeten (“Was man wissen muss“) gehört, das ist ja das Schlimme, denn unreflektiertes Memorieren von Kunst und Künstlern bedeutet, dass man Kunst gar nicht wahrnimmt, sondern nur dazu verwendet, sich selber das “richtige” Profil (das richtige Facebook-Profil) zu geben.
Es ist empörend was die Herren Rubens, Klinger & Co. auf Wand & Leinwand bringen, liebe Frau Bambach. Bleiben Sie bitte unbedingt am Ball, und zeigen Sie – als Mahnung – mehr von den Abscheulichkeiten dieser Schmierfinken. Frisch ans Werk – Ihr Blog habe ich als Lesezeichen aufgenommen.
Der Ruf nach dem Verbannen von Kunstwerken, weil sie nicht in den Wertekanon passen, den man gerne hätte, ist eigentlich dasselbe wie die Forderung, man solle dem David von Michelangelo ein Feigenblatt vorhängen, damit Betrachter (oder wahrscheinlich Betrachterinnen) nicht durch den Anblick eines entblößten männlichen Geschlechtsteils schockiert werden.
In beiden Fällen wird der Allgemeinheit ein Mangel an Reife unterstellt. Jedes Kunstwerk reflektiert den gesellschaftlichen Kontext, in dem es entstand. Das ist beim Urteil des Paris von Rubens genau so wie beispielsweise beim gleichnamigen Bild von Ivo Saliger.
Man könnte ja auch mal den Museumsbesucher unterstellen, dass ihnen dieser Umstand bekannt ist und dass sie ein 400 Jahre altes Gemälde eben als 400 Jahre altes Gemälde ansehen und dass sie alles, was sie darin sehen, entsprechend einzuordnen wissen.
Meine Gedankengänge beispielsweise beim Betrachten eines Bildes aus längst vergangenen Zeiten könnten sein: “Boah, ganz schön verquaste Denke” oder “Ziemlich unkritische Religiosität”, aber auch “Nun ja, das war halt damals so, aber andererseits: Wahnsinn, dieser Umgang mit Licht und Farben!” Und manchmal, beispielsweise beim Schinken besagten Ivo Saligers, denke ich einfach: “Was für ein Sch…! Da habe ich selbst auf dem Flohmarkt Besseres gesehen!”.
Also, volle Zustimmung zu Ihrem Artikel, insbesondere den letzten zwei Absätzen und wenn ich darf, möchte ich auch meine Bitte anfügen: Leute, traut uns, der Öffentlichkeit, doch auch mal zu, dass wir selbst nachdenken können. Wir müssen nicht dauernd an die Hand genommen und vor verstörenden Anblicken geschützt werden. Wir kommen klar. Echt jetzt.
@Michael Kahn (Zitat): In beiden Fällen [Verbannen+Verhüllen] wird der Allgemeinheit ein Mangel an Reife unterstellt. Ja, aber zusätzlich wollen die Leute, die das heute im Namen der politischen Korrektheit tun, auch die betreffenden “sexistischen” Künstler bestrafen für ihre falsche Weltsicht. Und mit der Bestrafung, mit dem an den Pranger stellen, wollen sie auch die Heutigen aufschrecken und abschrecken, indem sie den Zeitgenossen indirekt mit einer ähnlichen Bestrafung drohen, falls sie nicht die Lehren aus der Aktion ziehen.
Die aktuelle Verbannungswelle trifft sowohl Künstler, die noch leben (wie beispielsweise Eugen Grominger mit seinem Wandgemälde “avenidas y flores y mujeres” ) als auch bekannte Künstler wie den Ende des letzten Jahrhunderts aktiven Maler John William Waterhouse, dessen Gemälde Hylas and the Nymphs abgehängt wurde.
Meine Beurteilung: Die politische Korrekten wollen alle zur politischen Korrektheit erziehen indem sie Exempel statuieren, indem sie auf symbolische Art öffentliche Hinrichtungen inszenieren.
So sehe ich das auch. Auch Nazi-Kunst wie das Zeug von Ivo Saliger muss gezeigt werden. Sonst können wir nichts draus lernen.
Das Gedicht von Grominger wird weiter gezeigt. Es soll wohl eine Tafel angebracht werden mit Informationen. Somit wird das Gedicht nur in anderer Form gezeigt. Das ist auch bei Rubens Bildern möglich und ein Unterschied zur Bücherverbrennung.
Das Exempel wurde dieser Fall aber vor allem durch die mediale Aufmerksamkeit. Ich denke nicht, dass das unbedingt berücksichtigt wurde in der Entscheidung.
Auch das Verkleinern, und vor allem bei einem Bild, ist eine Art Zensur und schränkt den Zugang zum Kunstwerk ein. Bei einem Gemälde würde dabei gerade wichtige Aspekte des Kunstcharakters vernichtet, während das dem eigentlich Inkriminerten, der sexistischen Aussage, nichts anhaben würde.
Bei Grominger ging es um ein Gedicht. Da ist das verkleinern sicher etwas anderes als bei einem Gemälde.
Zensur in diesem Sinne der Veränderung des Rahmens des Kunstwerk. Zum Beispiel könnte man Ruben in einer Ausstellung einordnen, bei Bedarf als sexistisch brandmarken ist meiner Meinung nach legitim.
Wenn man die Veränderung des Rahmens eines Kunstwerkes als Zensur begreift, dann wird man selber auch zum Zensor: Man würde ja die Einordnung zenzieren.
Außerdem ist es nicht jedes Kunstwerk wert gesehen zu werden. Alleine aus logistischen Gründen muss man eine Relevanzbetrachtung von Kunst treffen. Ich denke nicht, dass dabei moralische Gründe gar keine Rolle spielen dürften. Wenn man da Vorschriften zu möglichen Gründen machen würde, macht das Gleiche, was man anderen Zensoren vorwirft.
Das heißt nun nicht, dass es die beste Entscheidung wäre jegliche möglicherweise sexistische Kunst in eine Lagerhalle zu räumen. Dies hielte ich aus dem Grunde für falsch, weil es ein falsches Bild vergangener Kunst erzeugen könnte. Dies wäre aber auch wieder ein im wesentlichen moralischer Grund, warum man keine Zensur üben sollte und dieser ist damit nicht grundsätzlich erhaben über Gründe zur Zensur, sondern diese Gründe können gegeneinander abgewogen werden. Durch Einordnung von Bildern wird meiner Meinung nach das Zeigen in der Regel den Vorzug bekommen, wobei das ebend auch nur ein eingeschränktes sein kann, wie im Falle des Gedichtes, das dann nicht mehr auf der ganzen Fassade zu sehen ist.
Klar, aus dieser Nummer kommt man nicht raus: Jede Art der Präsentation schließt eine Bewertung mit ein.
Wo Bilder abgehängt werden, werden auch irgendwann Künstler aufgehängt.
Ebenfalls volle Zustimmung zum Artikel.
Der Max Klinger hängt bestimmt nicht im Kunsthistorischen Museum, sondern wohl im Belvedere, in der Österreichischen Galerie.
Ich kann nur davor warnen, eine Abhängediskussion zu führen, damit öffnet man Schleusentore des Bilderturms. Jetzt sind es Nackte, dann könnten es schwarze Diener (Haussklaven) sein:
Permalink https://rkd.nl/explore/images/13447
Oder Zigeuner (darf man das noch sagen, wenn sie auf Gemälden erscheinen?).
Sind Darstellungen von Hofzwergen nicht auch ehrenrührig?
Oder all die grausam gemarterten Heiligen, die hl. Agatha mit den abgeschnittenen Brüste, z.B.
https://de.wikipedia.org/wiki/Agatha_von_Catania#/media/File:Santa_Agueda_-_Zurbar%C3%A1n_(detalle).png
Die Liste kann man endlos fortsetzen.
“Trotzdem sind es auch solche Museumsstücke wie die Rubensbilder, die das Rollenverständnis auf beiden Seiten seit Generationen spiegeln und prägen.”
Wie viele Menschen schauen sich das an? Beim Urlaub läuft man pflichtbewusst durch die Museen, mehr nicht.
Ich sehe die Gefahr des Jakobinertums und Tugendwahns.
Stimmt. Der Klinger gehört natürlich ins Belvedere. Sorry für die Fehlinformation und danke für die Berichtigung.
Der grössere Zusammenhang der Kunst-Abhängaktionen ist durch die Zensur gegeben, die von Politisch Korrekten an US- und anderen Universitäten zunehmend durchgesetzt wird. Dies im Rahmen von Ideen wie „save spaces“ und Kampf gegen Mikroagression. Kunstabhänaktionen haben für mich eine enge Beziehung zu beispielsweise Triggerwarnungen, die vor Sexismus bei Vorlesungen über Ovid warnen oder zur Praxis an vielen Universitäten, missliebige Gast-Redner nicht nur zu bojkottieren, sondern gleich auszuladen. Dazu liest man im Independent-Artikel More than nine in 10 UK universities are restrictive of free speech (Zitat, übersetzt von DeepL):
Die Analyse der Zeitschrift Spiked, die vom Joseph Rowntree Reform Trust unterstützt wird, deutet darauf hin, dass die Campus-Zensur in den letzten drei Jahren stetig zugenommen hat – mit einer wachsenden Zahl von Institutionen, die aktiv gegen Ideen, Literatur und Gastredner vorgehen, die nicht ihren eigenen Werten entsprechen.
Die Free Speech University Rankings (FSUR), die aus der Untersuchung der Politik und der Verbote von 115 Universitäten und Studentenverbänden hervorgegangen sind, fanden, dass fast zwei Drittel (63,5 Prozent) die Meinungsfreiheit “stark” einschränkten, wobei mehr als 30 Prozent eine “gelbe” Warnung erhielten.
…
Zu den Einschränkungen gehören: Ein Verbot, sich als Caitlyn Jenner in Newcastle zu verkleiden, eine Einschränkung der “Blasphemie” an der London South Bank University und eine Politik an der University of Surrey, die darauf bestand, dass ihr Maskottchen Steve the Stag nicht von Studenten dargestellt wird, die trinken, rauchen oder “in unzüchtige Handlungen verwickelt sind”.
Im Gespräch mit The Independent sagte der führende Menschenrechts- und Redefreiheitsfürsprecher Peter Tatchell, dass die Ergebnisse des Berichts auf eine ernste Situation für die Universitäten hindeuten.
Er sagte: “Früher waren Universitäten Bastionen der Meinungsfreiheit und der offenen Debatte. Wie dieser Bericht zeigt, sichern sie die Meinungsfreiheit zunehmend mit allen möglichen Qualifikationen ab und machen sie damit nicht mehr frei.
Dazu gehört, dass man externe Redner lange im Voraus benachrichtigen und einen Oppositionsredner zu jeder strittigen Frage einladen muss.
Während das Verbot islamistischer und rechtsextremer Redner, die Gewalt gegen Frauen und Minderheiten befürworten, gerechtfertigt ist, sind viele der derzeitigen Einschränkungen nicht gerechtfertigt.
Er fügte hinzu:”Ich war schockiert, als ich entdeckte, dass meine örtliche Universität, die London South Bank, Redner verbietet, die wahrscheinlich Blasphemie begehen – auch wenn es sich dabei nicht um eine Straftat handelt. “Dies scheint eine übertriebene Anpassung an religiösen Druck zu sein.”
…
In den letzten drei akademischen Jahren haben Institutionen 129 Verbote erlassen.
Etwa 21 Universitäten haben Sprecher verboten, 20 haben Zeitungen verboten, 17 haben bestimmte Anzeigen verboten, 16 haben Studentenvereine suspendiert und neun haben offensive Kostüme verboten.
Bei getrennter Betrachtung stellten die Analysten fest, dass die Studentengewerkschaften eine strengere Zensurpolitik verfolgen als die Universitätsverwaltungen insgesamt.
Doch die Zensur an den Universitäten soll deutlich schneller wachsen: Der Anteil der hochrangigen oder “roten” Universitäten ist in diesem Jahr von 15 Prozent im Jahr 2016 auf 23,5 Prozent gestiegen.
Es ist sicher eine der größten Herausforderungen für eine freiheitliche Gesellschaft, die Grenze zwischen gerechtfertigten und nicht gerechtfertigten Verboten zu ziehen.
Zitat: Es ist sicher eine der größten Herausforderungen für eine freiheitliche Gesellschaft, die Grenze zwischen gerechtfertigten und nicht gerechtfertigten Verboten zu ziehen. Ja, wobei viele europäische Länder bereits restriktiver geworden sind und beispielsweise Grossbritannien im Jahr 2008 Hassreden “verboten” hat (Zitat, übersetzt von DeepL): Das Strafrechts- und Einwanderungsgesetz 2008 hat Teil 3A des Gesetzes über die öffentliche Ordnung von 1986 geändert. Der geänderte Teil 3A fügt für England und Wales die Straftat der Anstiftung zum Hass aufgrund der sexuellen Orientierung hinzu. Alle Straftaten in Teil 3 beziehen sich auf folgende Handlungen: die Verwendung von Wörtern oder Verhaltensweisen oder die Anzeige von schriftlichem Material, die Veröffentlichung oder Verbreitung von schriftlichem Material, die öffentliche Aufführung eines Theaterstücks, die Verbreitung, Vorführung oder Wiedergabe einer Aufnahme, die Ausstrahlung oder die Aufnahme eines Programms in einen Programmdienst sowie den Besitz von entzündlichem Material. Unter den Umständen des Hasses, der auf religiöser Überzeugung oder sexueller Orientierung beruht, muss die betreffende Handlung (d.h. Worte, Verhalten, schriftliches Material, Aufzeichnungen oder Programme) bedrohlich und nicht nur beleidigend oder beleidigend sein.
Doch die neuesten Zensurmassnahmen gehen nicht vom Staat, sondern von Universitäten aus und wenn man sie überhaupt mit etwas historischem vergleichen kann, dann mit der Zeit des Puritanismus wie etwa im Essay Political Correctness Is the New Puritanism gemacht.
Die letzte Konsequenz von #MeToo und sexuell/politischer Korrektheit wäre das Abhängen von Picasso-Bildern aus seinem Erotic Year (1932) bemerkt zurecht der Artikel Sex on the canvas: Picasso’s most erotic year laid bare. Dort liest man (übersetzt von DeepL):
Ich glaube, das Problem ist in all diesen Fällen, dass wir am liebsten in Schwarz-Weiß denken. Entweder jemand ist Opfer oder Täter, er ist gut oder böse. Dass der Mensch in der Regel all diese Aspekte in sich vereinbart und es eine makellose Lichtgestalt schlichtweg nicht gibt. Das ist offenbar schwer zu akzeptieren. Dass also Picasso seine Macht Frauen gegenüber nmissbraucht haben, zugleich aber ein genialer Künstler gewesen sein könnte, passt nicht ins Weltbild.
Und was ist jetzt bei den gezeigten Bildern von Picasso jetzt so schlimm? Und nach Picasso können sich die Bilderstürmer über die Impressionisten hermachen und über die Salonmalerei und den Symbolismus. Da gibt es auch viel Nacktes und böse Männer …
Was ist denn mit all den Raptus-Gruppen? Ich wage den Begriff kaum zu erklären …
Ich würde sagen, der Vorrat an Bildern, die man verbieten könnte, wenn man mal damit angefangen hat, ist schier unerschöpflich.
… und vielleicht würden uns spätere Generationen dafür hassen. Man erinnere sich nur daran, welchen Schaden der reformatorische Bildersturm im 16. Jahrhundert oder die Vernichtung “Entarteter Kunst” im dritten Reich angerichtet hat. Nicht zu vergessen, die Zerstörung einzigartiger Kulturgüter durch islamische Terroristen.
Während der Kulturvandalismus in früherer Zeit religiös oder politisch motiviert war, scheint er durch die #MeToo-Debatte nun pädagogisch motiviert zu sein. Allerdings sollte der aufgeklärte Mensch sich vor Augen halten, dass Kunstwerke einen Wert “an sich” haben, unabhängig von der Ideologie, die sie transportieren.
Aber bei Rubens sehen die Frauen immer sympathisch und intelligentm aus ( wie zum Beispiel die Frau mit dem Strohhut in London).
LG
Franziska
Das Ölgmälde Das Urteil des Paris ist 1639 entstanden, also mitten im 30-jährigen Krieg.
Die Leute hatten nichts zu Essen und starben zu Millionen. Wenn es eine Auftragsarbeit war, dann wollte der Auftraggeber wieder “Heile Welt” schaffen, so wie die Durchhaltefilme während des 2. Weltkrieges.
Sexuelle Motive sehe ich da nicht, wenn man die Gesichter der drei Göttinnen vergleicht, das könnten Klone sein.
Die Spanischen Niederlande litten nicht ganz so sehr unter dem Krieg wie Deutschland, d.h., es waren vor allem die Grenzgebiete betroffen, aber wenig Brüssel und Antwerpen, wo Rubens lebte.
Es war ein Auftragsbild des spanischen Königs:
“This painting was a personal commission by King Philip IV of Spain from Rubens in 1637-1638, a time when he was already working on other projects for the same patron. The king´s brother, Cardinal-Infante don Fernando de Austria, who was governor of the Southern Netherlands, handled the commission and wrote about it in several letters. He considered this one of Rubens´s best works, but was concerned about the nudity of the three women.
The painting was sent to Madrid in 1639, and was placed in the Buen Retiro Palace, where it is first inventoried in 1666.”
https://www.museodelprado.es/en/the-collection/art-work/the-judgement-of-paris/f8b061e1-8248-42ae-81f8-6acb5b1d5a0a?searchid=3f8d57b8-b665-58f7-4917-ea085d071b20
Der Kardinalinfant hatte also Probleme mit der Nacktheit der Frauen, er hatte aber keine Probleme damit, als Kardinal gleichzeitig Feldherr zu sein.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_von_Spanien
Zeitgenossen hätten vielleicht gesagt, daß in den Bildern der Schönheit des weiblichen Körpers gehuldigt wird. Ob das so ist oder nicht, bleibt dem/r Betrachter/in überlassen, aber dieser Reflex, jede Darstellung von weiblicher Blöße als sexistisch zu betrachten, ist eindeutig eine Form von neuem Puritanismus, die man früher eher von rechts und aus religiösen Kreisen her kannte.
Man könnte genauso sagen, daß mann in den Bann gezogen werden kann von weiblicher Schönheit und sich dadurch die Machtverhältnisse sogar umkehren können, wenn mann es damit übertreibt.
Und was soll dieses ständige Machtgedöns? Im hier gezeigten Bild stehen sich zwei Geschlechter gegenüber, die in etwas kitschiger Art voneinander fasziniert sind. Wo bitte ist da Diskriminierung zu sehen?
Und was ist eigentlich mit den zahllosen Darstellungen von Männern als Krieger und Sieger, die ständig ihre Stärke zu beweisen haben?
Was mit den Darstellungen von nackten Männern in antiken Bildern und Statuen, die ein geradezu lächerliches Muskel-und Männerbild propagieren?
“Zeitgenossen hätten vielleicht gesagt, …”
Das Bild und viele gleichartige dieser Zeit sind der Ausdruck eines gewissen Widerspruchs der Bildstrategie. Die moralische Botschaft widerspricht dem Augenschein.
Einerseits ist offensichtlich, das hier weibliche Schönheit dem Betrachter präsentiert wird, auch noch nackt. Die Moral der Geschichte ist aber ebenso klar, wie aus der zeitgenössischen Literatur hervorgeht: Paris hat ein katastrophales Fehlurteil getroffen, in dem er sich für Venus (die Liebe) entschied. Er gewann dadurch die schon verheiratete Helena und löste mit ihrer Entführung (traditioneller Ausdruck: “Raub”) den trojanischen Krieg aus, der zur Zerstörung seiner Heimatstadt und dem Untergang seiner Familie führte.
Die Botschaft des Bildes (an die Männer) lautet also tatsächlich: Verlier’ wegen schöner Frauen nicht den Verstand, zähme deine Lust!
Es ist ja eben nicht so, dass zwei Geschlechter sich voneinander fasziniert gegenüberstehen. Die Frauen posieren vor den Männern, die sie begutachten. So malte man(n) das eben damals, und so auch Rubens – dem ich keinen persönlichen Sexismus vorwerfen würde, vgl. die vielen anderen Frauendarstellungen von seiner Hand, auf die auch Franziska Franke aufmerksam gemacht hat.
“Die Frauen posieren vor den Männern, die sie begutachten.”
Das machen sie laut Mythos aber freiwillig, denn sie wollen wissen, wer die Schönste ist. Tausende Mädchen wollen auch heute noch bei Schönheitswettbewerben und Germanys next top model mitmachen (dabei bleibt immer noch ein Bikini an). Manche Teens posten aber auch Nacktbilder im Netz.
Wie müsste eine feministische Fassung aussehen? Eine Frau als Richterin? Frauen sagen ja immer, sie machen wegen der anderen Frauen schön. Woher dieser Schönheitsttreib kommt, ist damit nicht erklärt. Das ist ein blinder Fleck des Feminismus.
Was die Mädels antreibt, weiß ich auch nicht. Aber ob und wie die Frauen laut Mythos posieren, unterliegt der Ausgestaltung im Wandel der Zeit.
Soweit mir bekannt waren Hera und Athene in der griechischen antiken Kunst immer bekleidet. In der bildenden Kunst kann man einen Shift von bekleideten zu nackten Göttinnen bei Raffael nachweisen. In einer durch einen Kupferstich Marcantonio Raimonids überlieferten Zeichnung variierte Raffael die Darstellung auf einem römischen Sarkophag (Aphrodite/Venus nackt, Hera/Juno und Athene/Minerva bekleidet) zu einer Darstellung mit drei unbekleideten Göttinnen.
Was die literarische Tradition betrifft, müsste man mal genauer nachsehen. In griechischen Komnödien kam das Thema wohl öfter mal vor – und da wird offenbar auch die Erzählung von den Geschenken weitergegeben, die die Göttinnen dem Paris anbieten (das hat ja nichts mit Posieren zu tun, eher im Gegenteil). Der Text der Ilias gibt noch nichts dazu her. Spätestens bei Ovid aber beschwert sich die Nymphe Oinone bei Paris, die Göttinnen, insbesondere auch Minerva/Athene, hätten sich nackt seinem Urteil gestellt (Heroides).
“Was die Mädels antreibt, weiß ich auch nicht.”
Eitelkeit treibt die Mädels an, nehme ich mal an.
Die Nackheit bei der Schönheitskonkurrenz wird nach Ovid auch bei anderen römischen Autoren (Lukian, Dear. iud. 9, Properz, 1,2,8; ich habe die Stellen aber nicht überprüft) erwähnt (so Hans-K. u. Susanne Lücke, Antike Mythologie, Ein Handbuch, 2006, S. 609). Natürlich hatten die Künstler oder ihre Auftraggeber in der frühen Neuzeit Freiheiten, die Geschichte darzustellen, wie sie wollten. Praktisch nie dargestellt wurde in der Malerei die weibliche Scham. Das ging zu weit.
Für männliche Künstler und die männlichen Betrachter ist das Thema natürlich eine Steilvorlage. Das Element einer gewissen weiblichen Kollaboration (im Mythos wie in der Realität existierender Schönheitswettbewerbe) lässt sich aber auch nicht leugnen.
Für die echten Mädchen in der Moderne muss man Kooperation unterstellen, das sehe ich auch so. Aber die gemalten und in den Texten beschriebenen Göttinnen hatten gar kein bisschen Einfluss auf die Art, in der sie da posieren mussten.
Paul Stefan
Die griechischen Götter- und Heldensagen sind ja an psychologischem Tiefsinn kaum zu toppen.
Bei der Darstellung hat Rubens auch der klassischen Antike nachgeeifert, möglichst realistisch aber eben mit einem Schuß kultureller Verklemmtheit. Pornografie ist übrigens auch heute noch verpöhnt.
Der ganze Barock befindet sich in diesem Zwiespalt von Erlaubtem und Unerlaubtem. Die Darstellung von nackten Engelchen, die Putten, sind für mich schon ein Indiz für Pädophilie.
Ich kenne Aktmalereien aus der DDR von dem Maler Willi Sitte. Diese zeigen mir ,dass der Mensch in erster Linie ein triebgesteuertes Wesen ist und das er, wenn er dieses verdrängt, unnatürlich abgehoben und wirklichkeitsfremd wirkt. Diese Libido (Das ES) , um mit Siegmund Freud zu sprechen, ist uns genetisch angeboren und wurde von vielen Naturvölkern in Ritualen gefeiert. Der Blick auf diese Nackten von Rubens wird sich sogleich verändern, wenn man dahinter den Verfall alles Irdischen sieht,also das solche schönen Körper auch altern und vergehen…
MG
Aktmalerei. Mich wundert es, dass hauptsächlich Bilder von wohlgenährten Frauen gemacht werden. Dabei sind die meisten Frauen gar nicht so fett. Also steckt doch etwas anderes dahinter.
@Paul Stefan
Dieser Botschaft folgend, geht es also um eine Situation, in der eher die weibliche Seite die Macht ausübt.
Vielleicht sogar der eigentliche Grund für den Fokus der Bilderstürmer? Schließlich beißt sich das mit der vorherrschenden Ideologie, daß Frauen für nichts Negatives verantwortlich sein können.
@Eva Bambach
Die Frauen posieren, aber die Männer wirken jetzt auch nicht wirklich vorteilhaft. Lächerliche Kostüme, etwas peinliche Fleischbeschau. Sexismus ist es, wenn Hierarchien aufgestellt werden, eine Seite alleine herabgewürdigt wird. Hier aber kriegen beide Seiten ihr Fett weg.
Rubens würde heute vielleicht bei sitcoms als Ideengeber mitwirken.
Stimmt schon, Paris ist eine eher traurige Figur, passt ja auch zum Mythos. Aber wenn ich mir eine Rolle aussuchen müsste, dann eher seine, als die einer der drei Göttinnen. Am liebsten wäre ich aber das Schaf, das aus dem Hintergund alles beobachtet – ich glaube, eigentlich bin ich’s schon und das Schaf ist mein Spiegelbild.
Das Schaf hat die Ruhe weg, nicht die schlechteste Rolle im Ganzen.