Informative Grafiken

Als ich vor Jahren in einer entlegenen Gegend in Afrika an einen bestimmten Ort gebracht werden wollte, war ich mir schlau vorgekommen: Um meine sprachlichen Defizite auszugleichen, hatte ich schon im Voraus eine Anfahrtsskizze angefertigt.

Der Taxifahrer betrachtete sie höflich und steckte sie in die Hosentasche. Und dann fuhren wir “planlos” durch die Gegend – einfach so lange, bis wir irgendwann am gewünschten Ziel vorbeikamen und ich Stopp rufen konnte. Kaum zu glauben – ich hatte ihm doch eine so unmissverständliche, präzise Anweisung gegeben! Was könnte eindeutiger sein als ein sorgfältig gezeichneter Straßenplan?

Kartenkompetenz

Ich war meiner eigenen Borniertheit aufgesessen. Schon in der Schule übten wir das Deuten des hoch abstrakten Inhalts von Landkarten – offenbar so gut, dass ich diese Technik für das Natürlichste der Welt hielt. Dabei ist die zweidimensionale Darstellung räumlicher Bezüge eine Art kultureller Übereinkunft und ebensowenig selbsterklärend wie etwa ein Schriftsystem.

Nova Orbis Tabula in Lucem Edita von Frederick de Wit (1662) via Wikimedia Commons

Die Karten des 16. – 18. Jahrhunderts waren reich dekorierte Kunstwerke, oft auch mit figürlichem Beiwerk versehen. Erst seit dem 19. Jahrhundert trat bei der Erstellung der Karten die geographische Genauigkeit in den Vordergrund (auch weil verbesserte Technik und Verfahren erhöhte Präzision erlaubte) und die schmückenden und erzählenden bildlichen Elemente wurden minimiert. Für uns heute erscheint eine Landkarte als präzises, objektives Abbild der realen Welt, deren ästhetischer Wert gegen Null strebt.

Meistens jedenfalls, denn es gab auch immer – vor allem in Bezug auf Infografiken allgemein – einfach wunderbare, ebenso schöne wie informative Darstellungen und seit einigen Jahren sind aufwendige Infografiken in allen Medien ganz groß im Kommen. Ein Beispiel von vielen:

Emblemata

 

Wenig anfangen können wir dagegen heute mit emblematischen Darstellungen, wie sie in der Renaissance aufkamen und vor allem im Barock gepflegt wurden. Die barocken Embleme bestanden aus drei Teilen –  einem Bild und zwei Texten. Das Bild war weder selbsterklärend noch lediglich eine Illustration des Geschriebenen, sondern nur im Zusammenspiel aller drei Teile kam der Betrachter zur Erkenntnis des Sinns der Darstellung. Zunächst waren die Embleme ein Rätselspaß für Gebildete, die Griechisch und Latein sprachen und die Zusammenhänge der antiken Zitate kannte. Später dienten die Embleme verstärkt der Vermittlung moralischer Inhalte.

Emblem: Palme durch Gewicht beschwert – 1531

Das Emblem aus dem Emblematum liber des Humanisten Andrea Alciato (Augsburg 1531) thematisiert den Widerstand, den man dem Bösen entgegensetzen soll. – so wie die Palme, die trotz der Bürde in ihren Zweigen süße Datteln hervorbringt.

Die große Zeit der Embleme war das 16. Jahrhundert. Später trat der Text gegenüber dem Bild mehr und mehr zurück und im 18. Jahrhundert verloren Embleme vollends an Bedeutung, bis hin zur völligen Ablehnung dieser als anmaßend oder zumindest übertrieben empfundenen Aufladung einfacher Gegenstände der Natur mit Sinn.

Ein origineller Gottesbeweis

Einen ebenso eigensinnigen wie monumentalen Versuch, Bild und Text zu verschränken und den Betrachter über den Kanal seines ästhetischen Empfindens zur Erkennis zu führen, unternahm der Schweizer Arzt und anerkannte Naturwissenschaftler Johann Jakob Scheuchzer am Anfang des 18. Jahrhunderts. Geprägt von den Gedanken René Descartes’ hatte er einen tiefen Glauben an Gott und gleichzeitig naturwissenschaftlich begründete Überzeugungen – und machte sich damit viele Feinde in seiner Schweizer Heimat.

In seiner heute unter dem Namen “Kupfer-Bibel” bekannten Physica sacra versah er die biblische Geschichte mit naturwissenschaftlichen Erklärungen. Der Druck der vier Foliobände mit 750 Kupferstichen wurde in der Schweiz nicht genehmigt. 1731 bis 1735 erschien die Physica sacra dann in Augsburg.  Der Maler Johann Melchior Füssli zeichnete die Vorlagen, die von einem ganzen Heer von herausragenden Stechern umgesetzt wurden. Das gesamte Werk ist heute dank der ETH-Zürich online verfügbar.

Johann Jakob Scheuchzer Physica sacra 1731 bis 1735

Viele der Kupferstiche sind aufgebaut wie dieser: In der Mitte eine erzählende biblische Darstellung – hier ist es das Drama der bei der Sintflut nicht auf die Arche kommenden Menschen. Der Bezug wird durch die Angabe der entsprechenden Bibelstelle hergestellt. Meist sind die Darstellungen von einem dem aufwendigen Rahmen umgeben. Und hier findet man dann immer wieder und auf den ersten Blick oft kaum wahrnehmbar akribisch genaue naturwissenschaftiche Darstellungen. Den Bildern beigegeben sind ausführliche Texte. Eingeleitet durch die Wiedergabe des angegebenen Bibelverses und einem mehrzeiligen Sinnspruch holt Scheuchzer zu ebenso ausführlichen wie systematischen Gedanken aus. Zur obigen Abbildug etwa berechnet er das Datum der Sintflut und die Jahreszeit ihres Anfangs und Endes: Es müsse im Frühling gewesen sein, das bewiesen auch die Fossilienfunde, die er in den Figuren I, II und III darstellen ließ: Eine unreife Gerstenähre, eine unreife Haselnuss und Larven der “Schneider-Metzen oder Augenschiesser” (Libelle?) in einem Entwicklungsstadium, das dem Monat Mai entspreche.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

3 Kommentare

  1. Das tönt kryptisch was man da über Johann Jakob Scheuchzer‘s Tableaux liest.
    Ich frage mich gerade ob etwas davon, also etwas vom Gedanken der emblematischen Darstellungen, in den Bilderrätseln überlebt hat, die es bis vor kurzem noch gab.

  2. Was heißt informativ ? Im MIttelalter gab es noch keine Massenmedien die die Menschen rund um die Uhr manipulierten. Nötige ” Informationen” bekamen diese Menschen bestenfalls über den Pfarrer von der Kanzel oder eben durch solche Schriften und allegorischen BIlder . So gab es denn mehr oder weniger einheitliche Vorstellungen einer bebilderten Gotteswelt. Meine erste Vorstellung von einem Gott stammt übrigens aus einer Bibel wo ein bärtiger Mann auf einem Thron über den Wolken sitzt …Oft wenn ich heute an einen Gott denken muss, sehe ich dann wieder diesen Herren …Will sagen: Für die Menschen im Mittelalter waren solche Werke eine prägende Karte zu ihrem Glauben. Und was diesen Taxifahrer anbetrifft, so könnte man vermuten, dass dieser Herr ihre Anfahrtsskizze wohl nicht benötigte, da er über Umwege mehr verdienen kann. Geschäftstüchtig ist man also nicht nur in Deutschland.

  3. Eva Bambach schrieb (24. Nov 2020):
    > […] das Deuten des hoch abstrakten Inhalts von Landkarten
    > […] die zweidimensionale Darstellung räumlicher Bezüge

    Ja: Landkarten, einschl. Globen, sind i.A. zweidimensional.
    Landkarten sind jedoch i.A. außerdem (zumindest “blattweise”) eben.

    Was von Landkarten (und Globen) im Wesentlichen dargestellt wird, ist jedoch auch zweidimensional; nämlich jeweils Bestandteile einer Fläche (insbesondere gegenüber einander starre Bestandteile der Erdoberfläche) bzw. identifizierbare Objekte auf dieser Fläche.

    > […] eine Art kultureller Übereinkunft
    > […] Für uns heute erscheint eine Landkarte als präzises, objektives Abbild der realen Welt

    Zu den damit verbundenen “kulturellen Übereinkünften” gehört im Einzelnen:

    – Abstandsverhältnisse zwischen (gegenüber einander starren) identifizierbaren Bestandteilen einer Karte (die identifizierbare Objekte der realen Fläche abbilden) zu ermitteln, oder zumindest abzuschätzen, und besonders zu beachten,

    – einigermaßen einfache Beziehungen dieser Abständsverhältnisse (“in der Karte”) zu Abstandsverhältnissen, die die realen Objekte untereinander haben, zu erwarten; mindestens

    – Monotonie der Abbildung von Geraden, d.h. falls für die Abstandsverhältnisse dreier Objekte A, B und C untereinander gilt:
    (d[ A, B ] / d[ A, C ]) + (d[ B, C ] / d[ A, C ]) = 1,
    dann erfüllen die Abstandsverhältnisse zwischen den entsprechenden Bestandteilen der Karte k[ A ], k[ B ] und k[ C ] zumindest
    (d[ k[ A ], k[ B ] ] / d[ k[ A ], k[ C ] ]) < 1 und
    (d[ k[ B ], k[ C ] ] / d[ k[ A ], k[ C ] ]) < 1,

    sowie

    – Monotonie der Abbildung auf Geraden, d.h. falls für die Abstandsverhältnisse der Abbildungen k[ A ], k[ B ] und k[ C ] dreier Objekte gilt:
    (d[ k[ A ], k[ B ] ] / d[ k[ A ], k[ C ] ]) +
    (d[ k[ B ], k[ C ] ] / d[ k[ A ], k[ C ] ]) = 1
    ,
    dann erfüllen die Abstandsverhältnisse dieser Objekte selbst zumindest
    (d[ A, B ] / d[ A, C ]) < 1 und
    (d[ B, C ] / d[ A, C ]) < 1.

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