Documenta 14: Finanzdesaster, Kitsch und Überforderung?

Die Documenta 14 ist gerade zu Ende gegangen. Die Kritiker waren, zumindest in Deutschland, wenig angetan von der Veranstaltung. Außerdem hinterlässt sie ein etwa 7 Millionen Euro tiefes Finanzloch. Es stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Documenta-Leiters. Aber auch die nach der Berechtigung dieser Mammutveranstaltung überhaupt – in einem offenen Brief als Reaktion auf das Finanzproblem warfen 212 Künstler, die an der diesjährigen Documenta teilgenommen haben, am vergangenen Sonntag selbst die Frage auf, indem sie sagen:  “Westeuropa ist nicht mehr das Zentrum zeitgenössischen Ausstellungmachens.”

Für eine bessere Welt

Nicht ohne das gleich zu relativieren: “Kassel beeinflusst aber noch immer die Diskussionen in der zeitgenössischen Kunst, die an vielen anderen Orten aufkommen.” Außerdem wird gefragt, ob “große Ausstellungen eine mögliche Plattform darstellen, diskursive Hegemonien in Frage zu stellen.” Man zielt also auf die gesellschaftliche Relevanz, man müsse “Ausstellungen machen, die allen zugänglich sind und die Kunstgeschichte dezentrieren, Krieg und Nationalismus herausfordern, und gegen die Zerstörung des Planeten kämpfen”.

Ein hoher Anspruch – es klingt ein bisschen nach allem und nichts. Wie Satire wirkt dazu eine weitere Passage aus dem Brief: “Das Nebeneinander von Geschichten aus aller Welt ist vielleicht verwirrend, aber genau das macht die Struktur dieser Ausstellung aus. Große Gesten müssen neben hunderten von Kleinen gemessen werden, um ein komplexes Ganzes zu ergeben, und das in Richtung Globalisierung des kunsthistorischen Kanons.”

Aber vielleicht sollte man auch nicht auf einem offensichtlich mit der heißen Nadel gestrickten Brief herumreiten.

Ein Besucher der Dokumenta 14 am Veranstaltungsort “Ehemaliger unterirdischer Bahnhof” in Kassel – beim Betrachten einer der vielen Foto- und Videoinstallationen

Der Kurator als Künstler

Adam Szymczyk, der künstlerische Leiter der Documenta 14, nahm mit seinem Ausstellungskonzept Stellung zur Finanz- und Eurokrise: „Von Athen lernen“ lautete sein Motto, das die genaue Umkehrung der vor allem von Deutschland bestimmten Haltung in der EU war, Athen müsse endlich seine Hausaufgaben machen. Taugt so etwas als Konzept einer Ausstellung, die im Sinne ihrer Erfinder den Stand der modernen Kunst dokumentieren sollte (um den Deutschen das zu zeigen, was sie 1933–1945  verpasst hatten)?

Szymczyk setzte aber letztlich nur fort, was mit Harald Szeemann 1972 begonnen hatte. Die Kunst sollte ihren musealen Charakter verlieren und mit politischen Stellungnahmen und Provokationen in die Gesellschaft hineinwirken. Szeemanns Documenta 5 stieß damals auf die Entrüstung weiter Teile der Bevölkerung und wird heute wohl zu Recht als eines der weltweit wichtigsten Kunstereignisse des 20. Jahrhunderts betrachtet. Seit Szeemann wird der Kurator als eine Art Superkünstler angesehen, weniger als Organisator. Das hat oft geklappt, birgt aber ein hohes Risiko. Möglicherweise verhilft das finanzielle Debakel der Documenta 14 nun zu einem Überdenken der Rolle des künstlerischen Leiters, aus der neue Impulse hervorgehen können.

Der Parthenon der Bücher – emblematisch?

Einig sind sich Kritiker wie Publikum offenbar darin, dass das herausragende Kunstwerk der Documenta 14 der “Parthenon der Bücher” von Marta Minujín war. Das begehbare, wahrhaft monumentale Kunstwerk wird als Wahrzeichen der 14. Documenta in die Geschichte eingehen. Bei mir allerdings hinterlässt der fotogene Bau einen eher schalen Geschmack. Der “Parthenon der Bücher” ist eine Installation, die 1983 nach dem Zusammenbruch der argentinischen Diktatur mit Büchern errichtet worden war, die während der Diktatur verboten waren. Anschließend konnten die Menschen die nun erlaubten Schriften mitnehmen. Auch in Kassel durften  die Bücher am Ende mitgenommen werden. Aber hier erscheint die Geste weniger als Akt der Befreiung denn als Selbstbestätigung. Die Bücherverbrennung von 1933 am selben Ort ist lang her und wird von niemanden mehr auf sich bezogen. WIR leben ja in einem freien Land …

Für den “Parthenon der Bücher” wurden Stahlgerüst-Säulen während der Ausstellung mit gespendeten Büchern umkleidet. Folie schützte die Bücher gegen Nässe.

 

Die Symbolik hakt

Die Größe der Installation sollte sicher auch zeigen, dass es ungeheuer viele Bücher waren, die schon auf der Welt verboten wurden. Nur sind die Säulen nicht aus den Büchern erbaut, sondern damit großzügig dekoriert worden. Und außerdem gab es die meisten Bücher in vielen Exemplaren aus ein und derselben Auflage. Mehr als die Hälfte der Bücher stammen von Verlagen – deutschen vor allem, aber auch britischen und US-amerikanischen – und scheinen palettenweise angeliefert worden zu sein. Aussagekräftiger finde ich in diesem Zusammenhang die “List of banned books” für die  eine Studentengruppe der Uni Kassel, die immerhin durch das Kunstwerk Marta Minujins angeregt wurde: Die Liste umfasst 70 000 Titel.

Marta Minujín, Parthenon of books, documenta 14
Die Besucher waren sicher auch einfach mal froh, ein übersichtlich strukturiertes Kunstwerk im Umhergehen sinnlich erfahren zu dürfen.

Es scheint alles gut zu passen: Athen und Demokratie und Meinungsfreiheit, irgendwie. Aber letztlich war es, jedenfalls am Standort Kassel, einfach nur Kitsch. Denn zwar mögen wir Athen als “Wiege der Demokratie” feiern, aber in Hinblick auf die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit taugt es nicht wirklich zum Symbol. Frauen, Sklaven und Zugezogene hatten keine demokratischen Rechte, insgesamt dürfte auch zu den besten Zeiten nur etwa ein Viertel der antiken Athener alle Bürgerrechte besessen haben. Und was die Meinungsfreiheit betrifft, denke man an nur an Sokrates! Gefährliche Wortverdreherei wurde ihm vorgeworfen, „Frevel in Bezug auf die Götter und die Dämonen oder die Verstorbenen und die Eltern und das Vaterland“. Dafür erhielt er die Todesstrafe.

Wohl wahr, der Tempel passte einfach gut auf den Platz vor dem klassizistischen Fridericianum. Unübersehbar machte er auch auf den zweiten Ausstellungsort der Documenta 14 in Athen aufmerksam.

Ich glaube, dass der “Parthenon der Bücher” nicht wegen einer besonders überzeugenden Symbolhaftigkeit so gut angekommen ist, sondern trotz ihres Fehlens, aus schierer Sehnsucht nach der großen Geste, nach Selbstbestätigung und Wohlfühlatmosphäre.

 

 

 

 

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

43 Kommentare

  1. Ein “Parthenon der Bücher” sagt jedenfalls jedem Bildungsbürger etwas. Und wenn es dann noch genügend gross ist, bleibt es auch in Erinnerung haften. Später kann man davon erzählen und die davor gemachten Selfies anderen zeigen.
    Letztlich braucht jede wiederkehrende Veranstaltung wie eben die Documenta, etwas, was sie ausmacht und von anderen Veranstaltungen unterscheidet. Wenn es so ist, wie hier zu lesen, dass die Documenta nicht einfach Werke von Künstlern ausstellen will sondern selbst eine Art Kunstwerk ist, das auch noch gesellschaftliche Fragen aufwirft, dann scheint die Documenta 14 mindestens versucht zu haben, den Geist der Documenta-Ausstellungen weiterzuführen. Natürlich kann das jedesmal schiefgehen und je öfter sich etwas wiederholt desto schwieriger wird es, weiterhin zu überzeugen und zu überraschen.

  2. Öffentlich geförderte Kunst wirkt heute fast immer banal und seltsam überholt vom Fortschritt, den wir in Wissenschaft, Technik und Gesellschaft seit 200 Jahren sehen. Wer von der Kunst ernsthaft Anregungen zu relevanten zeitgenössischen Debatten erwartet, hat den Schuss nicht gehört. Debatten – und zwar auch Debatten mit weitaus höherem Niveau und geistreicheren Beiträgen zu weitaus mehr Themen – gibt es heute überall zuhauf.

    Letztlich sind Veranstaltungen wie die documenta Unterhaltungsformate für gehobene Zielgruppen, deren öffentliche Subventionierung überhaupt nicht mehr gerechtfertigt ist. So etwas mit staatlichen Mitteln zu fördern, ist einfach nur noch unsozial.

    • Bundesdeutsch staatlich geförderte Kunst mit ihren Kunstschaffenden, vs. Künstlern womöglich, ist dem Anschein nach bedauerlicherweise degeneriert, so dass kulturmarxistische Anwendungen der Kunst sich durchgesetzt haben.
      So dass Schönheit nicht mehr benötigt wird, Kunstfertigkeit insofern ebenfalls nicht; überraschend ist dies nicht.
      Überraschender ist es dagegen schon, dass direkt politische Meinung beworben wird, bei der sich auch gerade politisch Linke, Traditionslinke abwenden, abzuwenden haben, so dass nunmehr ein Brei von politischer Meinung derart künstlerisch, oft auch “künstlerisch”, also wenn es handwerklich nicht passt, beworben wird, wie er insbesondere auch von Globalisten gewünscht wird, auch globalistischen Wirtschaftsinteressen folgend, die witzigerweise “neoliberal” genannt werden. [1]

      MFG
      Dr. Webbaer (der insofern nichts besonderes gegen die Rückbesinnung auf die Fertigkeit hätte, denn diese meint das Wesen der Kunst, die Etymologie ist hier in vielen Sprachen klar – wobei natürlich auch gerne punktuell politisch geworden werden soll, aber nicht als Substitut von Kunst)

      [1]
      Der Ordo- oder Neuliberalismus meint bestimmte liberale Sichten, insbesondere auch den Sozialstaat, also dezidiert Soziales.

    • @Tim (Zitat):

      Öffentlich geförderte Kunst wirkt heute fast immer banal und seltsam überholt vom Fortschritt, den wir in Wissenschaft, Technik und Gesellschaft seit 200 Jahren sehen.

      Öffentlich gefördert wird jede Opernaufführung, jedes (klassische) Konzert und jede Theateraufführung. Ich nehme aber an, sie meinen mit öffentlich geförderter Kunst nur bildende Kunst Ihre Idee ist wohl, dass echte Kunst im Widerstreit zur Gesellschaft steht und eine Förderung deshalb der Idee der Kunst widerspricht.
      Wenn sie sagen, Wissenschaft, Technik und Gesellschaft seien fortschrittlich, Kunst aber nicht, dann sagen sie im Prinzip, dass Künstler die moderne Gesellschaft nicht verstehen. Viele Künstler aber sehen sich selbst gerade in der Auseinandersetzung mit iher Zeit. Wenn diese Künstler hier versagen, dann versagen möglicherweise auch alle Bürger. Auch sie halten dann mit dem Fortschritt nicht Schritt – etwas was durchaus zutreffen könnte.

      • @ Herr Holzherr :

        Künstler, in der Regel auch Promis (“Prominente”), “Celebrities” und so, sind im Wortsinne Bewegte und zu Beachtende, qua Beachtung von Vorführung, nicht qua Mandat; Dr. Webbaer ist sozusagen derart zu beachten, natürlich nur in den kleinen und weitgehend gesellschaftlich bedeutungslosen Reservaten, wie bspw. hier.

        Irgendwelche, aber bekannt sozusagen.

        Es macht Sinn, die eigentlich vorliegende Neutralitätspflicht von Amtsträgern umgehend / vernachlässigend, für politisch Handelnde entweder NGOs zu bilden, entscheidend zu finanzieren, die das tun, was Amtsträger nicht tun dürfen, oder sogenannte Promis einzukaufen.
        Die dann, wie der Zufall so will, Regierungsmeinung oder weitgehend ähnlich verbreiten.

        Nur insofern sind bestimmte Bemühungen zu erklären :
        -> http://www.spiegel.de/panorama/leute/udo-lindenberg-fordert-helene-fischer-zu-mehr-engagement-gegen-rechts-auf-a-1119306.html
        Teils auch übergriffige Bemühung meinend.

        Kunst, auch politisches Kabarett, Kabarett ist ebenfalls Kunst, war eigentlich mal per se gegenrednerisch, Herrschende und Hegemonien adressierend, in der BRD konnte dies zuletzt geändert werden.

        MFG
        Dr. Webbaer

      • @ Martin Holzherr

        Öffentlich gefördert wird jede Opernaufführung, jedes (klassische) Konzert und jede Theateraufführung. Ich nehme aber an, sie meinen mit öffentlich geförderter Kunst nur bildende Kunst

        Bei Ballett, Schauspiel und klassischem Konzert ist der Widerspruch sogar noch größer. 90 % der Kosten werden vom Steuerzahler getragen, damit die Kulturelite einen gehobenen gesellschaftlichen Abend mit der 25.000. Aufführung einer Brahms-Symphonie genießen kann? Nein, so geht es nicht. Es gibt wenige staatliche Ausgaben, bei denen die unsoziale Ausrichtung so offensichtlich ist.

        Wer ein Unterhaltungsprogramm bucht, soll das gefälligst selbst bezahlen.

        • “Wer ein Unterhaltungsprogramm bucht, soll das gefälligst selbst bezahlen.”

          Ohne öffentliche Subvention wären Theater, Opern, Konzerte und Ausstellungen nur für sehr Wohlhabende bezahlbar. Mit Subventionen sind die Eintritte für die meisten erschwinglich und insofern auch “sozial”: die meisten haben so Zugang zur Hochkultur.

          Der Staat subventioniert auch den Sport, Schwimmbäder und bezahlt die Polizeieinsätze bei Fußballspielen etc.

          Die Ausgaben für Soziales ist übrigens immer der größte Posten im Haushalt von Kommunen und Ländern.

          • @ Paul Stefan

            Ohne öffentliche Subvention wären Theater, Opern, Konzerte und Ausstellungen nur für sehr Wohlhabende bezahlbar.

            So? Eine DVD mit beliebigem Kulturprogramm oder ein Bildband kosten vielleicht 10-20 Euro. “Unbezahlbar” würde ich das nicht unbedingt nennen. Was der Staat mit seinen “Hoch”kultursubventionen fördert, ist nicht der kulturelle Inhalt, sondern das gesellschaftliche Ereignis für eine kulturelle Elite. Das ist unsozial.

            Zudem gibt es sehr viele Kultursparten, die weitgehend ohne öffentliches Geld auskommen müssen, siehe etwa Musicals, Kino, Popkultur, Buchverlage und praktisch alle modernen kulturellen Bereiche wie etwa Computerspiele. Die Ungleichbehandlung ist ein Skandal.

            Ich hätte nichts dagegen, wenn man die Kultursubventionierung demokratisiert und die Bürger selbst über die Zuteilung der Fördergelder abstimmen lässt. Die derzeitige Praxis der politischen Zuweisung an genehme Kulturträger gehört so schnell wie möglich auf den Müllhaufen der Geschichte.

          • @ Herr Stefan :

            Ohne öffentliche Subvention wären Theater, Opern, Konzerte und Ausstellungen nur für sehr Wohlhabende bezahlbar.

            Straßenmusikanten und Straßenkünstler sehen dies anders, Dr. W hat sich bspw. in der Nähe der Freiheitsstatue bespaßen lassen, auch durch Artisten, die mehrfache Saltos übten, und alles war sozusagen gut.

            Sänger, Schauspieler und andere Artisten sollten sich am Wert orientieren, den ihnen der Markt gibt.
            Die Rolling Stones bspw. werden (hoffentlich) nicht aus Steuermitteln bezuschusst und auch kleinere Artisten müssen so nicht unterstützt werden.

            Wer am Markt nicht durchdringt, monetär, hat künstlerisch einen Wert, den er bevorzugt privatim und auf eigene Kosten kompensieren darf.

            Denn ansonsten läge staatliche Betreuung der Wahlvolks vor, Brot und Spiele sozusagen, was einer aufklärerischen Demokratie unwürdig wäre.

            Regie-Theater, bestimmte Opern und Ausstellungen werden vom Menschen, vom Markt, halt nicht gerne gesehen, auch weil antiquiert oder auf das sogenannte Regie-Theater bezogen auch als sittlich niedrig bestimmt.
            Der Schreiber dieser Zeilen hätte insofern, als Steuerzahler in der BRD zweifach vorrätig, auch gerne seine Steuern gezahlt, wenn Derartiges NICHT zur Veranstaltung gelangt wäre.

            MFG
            Dr. Webbaer

        • “Eine DVD mit beliebigem Kulturprogramm oder ein Bildband kosten vielleicht 10-20 Euro.”

          Wer den Unterschied zwischen einem Buch bzw. einer DVD und dem Betrachten eines Originals bzw. dem Besuch einer Vorstellung nicht kennt, hat überhaupt keine Ahnung von Kultur.
          Man kann Spaghetti auch mit Ketchup essen, aber man sollte Ketchup nicht für Sauce Bolognaise halten und sich für einen Kenner italienischer Küche halten.

          • Wer den Unterschied zwischen einem Buch bzw. einer DVD und dem Betrachten eines Originals bzw. dem Besuch einer Vorstellung nicht kennt, hat überhaupt keine Ahnung von Kultur.
            Man kann Spaghetti auch mit Ketchup essen, aber man sollte Ketchup nicht für Sauce Bolognaise halten und sich für einen Kenner italienischer Küche halten.

            Nur Gourmands dürfen sich auch als Gourmets betrachten.

          • @ Paul Stefan

            Wer den Unterschied zwischen einem Buch bzw. einer DVD und dem Betrachten eines Originals bzw. dem Besuch einer Vorstellung nicht kennt, hat überhaupt keine Ahnung von Kultur.

            Meine Güte, selbst Karajan sah in Bild- und Tonträgern die Zukunft! Wir haben doch nicht mehr 1950.

            Aber Dein Beitrag illustriert schön das Problem der deutschen Kulturpolitik. An den Hebeln sitzen Leute, die Jahrzehnte (vielleicht auch ein Jahrhundert) der Entwicklung verschlafen haben und am bürgerlichen Kulturleitbild einer vergangenen Epoche festhalten. Es sind Leute, die genau wissen, was wertvolle Kultur ist und was nicht. Diese Arroganz macht mich immer wieder fassungslos, vor allem wenn man sich einmal anschaut, welche kulturellen Inhalte in den letzten sagen wir mal 50 Jahren global erfolgreich waren. Ein kleiner Tipp: Aus Deutschland kamen sie nur selten. Oder nehmen wir den Jazz: Von ganz wenigen ganz kleinen Ausnahmen abgesehen gilt er deutschen Kulturförderern noch immer als Schmuddelkind, das man mit ein paar Euros abspeisen kann. Zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 2017.

            Ich nehme an, Du als jemand, der wichtige Kultur von unwichtiger Kultur klar unterscheiden kannst, wärst sehr gegen die von mir vorgeschlagene Demokratisierung der Kulturförderung? Weil die Leute ja nicht wissen können, was gut ist?

        • Ich habe nichts gegen DVDs und Bildbände, ich habe nichts gegen den Ersatz und die Konserve, aber ich habe etwas gegen den Irrtum, dass diese Medien ein vollgültiger Ersatz für Live-Aufführungen und Originale seien, das ist einfach lächerlich, zumindest für jeden, der schon mal eine Oper live gesehen hat.

          “Demokratisierung der Kulturförderung”

          Es sollten möglichst alle, die es interessiert, Zugang zur Kultur haben, das ist demokratisch. Dass der Demos irgendwie wüsste, was Qualität in der Kultur ist, scheint mir ein Hirngespinst zu sein. Warum soll er es besser wissen, als die Fachleute? Das finden Sie sicherlich furchtbar arrogant, aber auch Mozart hat gesagt, dass er nicht für Eselsohren schreibe. Nein, ich habe kein Vertrauen in den Volksgeschmack. Und wie “demokratisch” soll es denn überhaupt werden? Prollniveau und Unterschichtenfernsehen? Oder linke Kleinkunst oder irgendeine ultracoole Subkulturmode?

          • @ Herr Stefan :

            Nein, ich habe kein Vertrauen in den Volksgeschmack.

            Haha, wer hat das schon?

            Es geht natürlich aus liberaler Sicht nicht um die ‘Demokratisierung der Kulturförderung’, sondern darum, dass Kunst staatlicherseits nur sehr sparsam gefördert werden sollte.
            Die Kunst kam lange Zeit ohne staatlicher, derart hässlicher institutionalisierter Förderung aus. Denn es standen ja immer private Förderer, Mäzene bereit.
            Sie stehen auch heute bereit.
            Zudem darf Kunst auch verkauft werden, es gibt einen Kunstmarkt, der Markt ist eigentlich gar nicht so blöd und meint nicht nur den ‘Volksgeschmack’.

            MFG
            Dr. Webbaer

  3. Sich auf die Aufklärung zu beziehen, künstlerisch, ginge wohl nicht in der BRD, denn dies wäre ja europäisch (was so auch “nicht ganz” stimmt) und als Skandalon ausreichend.
    Zudem würden politisch Linke so womöglich traurig werden.

    Die Kunst sollte ihren musealen Charakter verlieren und mit politischen Stellungnahmen und Provokationen in die Gesellschaft hineinwirken.

    Kunst darf gerne politisch sein, sie darf wie gemeint auch ‘in die Gesellschaft hineinwirken’ (die Pluralbildung wäre womöglich politisch unangemessen), allerdings meint die Kunst das Können, gerne auch das handwerkliche, wie sah es denn handwerklich, trotz des bedauernswerten Bildmaterials, in Kassel aus?

    MFG
    Dr. Webbaer (der sich der geäußerten Kritik am “Von Athen lernen” mit ähnlicher Argumentation vorsichtig anschließt)

  4. “Von Athen lernen”, angesichts des Stammtisch-Gebrabbels, was sich im Zusammenhang mit der Eurokrise ausgetobt hatte, ist das ein geradezu mutiges Statement, vor allem im “freien” Deutschland.

    “Wenn diese Künstler hier versagen, dann versagen möglicherweise auch alle Bürger. ” (Martin Holzherr)
    Glaub auch, daß Künstler eben Spiegel einer Gesellschaft sind, der ein wenig Subversivität mal ganz gut täte, in allen Bereichen. Von der Kunst wird das immer zuerst erwartet, vielleicht auch ein wenig zurecht. Nur möchte ich die Reaktionen mal sehen, wenns wirklich mal ein paar Künstler krachen lassen würden….

  5. “Denn zwar mögen wir Athen als “Wiege der Demokratie” feiern, aber in Hinblick auf die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit taugt es nicht wirklich zum Symbol. Frauen, Sklaven und Zugezogene hatten keine demokratischen Rechte, insgesamt dürfte auch zu den besten Zeiten nur etwa ein Viertel der antiken Athener alle Bürgerrechte besessen haben.”

    Ich finde diese Kritik an der attischen Demokratie unfair. Es war das fortschrittlichste System der antiken Welt. Woanders gab es nicht einmal eine Mitbestimmung für die männlichen Bürger. Die Grundidee war revolutionär und vorbildlich.

    • Die Verdientste der attischen Demokratie will ich nicht in Frage stellen. Aber ausgerechnet zum Thema “Bücherverbot” ist sie nicht die passende Referenz, finde ich.

      • Im “Parthenon der Bücher” bilden Bücher die Bausteine eines ( aus christlicher Sicht heidnischen) Tempels. Bücher – auch und gerade wenn sie verboten sind – , sind hier Bausteine des alten (altgriechischen) und – sofern es das gibt – neuen Sakralen. Das scheint mir die Idee hinter dieser Installation, eine Idee, die zudem jeder sofort versteht ähnlich wie alle das Motto der Hamburger G20-Demo “Welcome to Hell” sofort verstanden. Allgemein bekannte Begriffe und Universalmythologien (wozu Tempel, Hölle und auch Paradies etc gehören) werden heute vermehrt im Kunstumfeld, aber auch von Silicon-Valley Firmen benutzt und durch diese Benutzung resakralisiert. Google, Apple, Facebook etc verwenden ideel aufgeladene oder unscheinbare Begriffe, die sich ideell aufladen lassen, gerne, sehen sie sich doch als neue Institutionen, die aber für die Menschheit eine ähnliche Bedeutung wie die altgriechischen haben, wie die Akademie, das altgr. Gymnasium oder den altgriechischen Marktplatz (Agora).

  6. Tim
    …….öffentlich geförderte Kunst,
    ist Kunst ein Luxus des Wohlfahrtsstaates oder ist Kunst das notwendige Attribut einer Hochkultur?
    Du bemängelst die notwendige Kontrolle an staatlich geförderter Kunst?
    Du setzt stillschweigend voraus, dass staatlich geförderte Kunst banal wird, weil ihr die “Existenzangst” fehlt.
    Wie stehst du zu Joseph Beuys? War das ein Scharlatan?
    Wer soll unterscheiden, was Kunst ist und sein soll und was nicht?
    Ist Kirche und Religion nicht auch ein Luxus, oder sind die essentiell?

    Also ich denke8 Millionen Defizit sind Peanuts im vergleich zu den aktuellen Bausünden z.B . Berliner Flughafen.

    • @ R

      Wer soll unterscheiden, was Kunst ist und sein soll und was nicht?

      Das soll jeder selbst entscheiden, aber doch bitte keinesfalls die Politbürokratie. Momentan wird “Hochkultur” ja in Deutschland implizit definiert als die Gesamtheit der Kulturformen, die auf Weisung der Kulturbürokratie vom Steuerzahler finanziert wird. Mit anderen Worten: Das tatsächliche Interesse an solchen “Kulturformen” (tatsächlich sind es wie beschrieben eher Unterhaltungsformate mit sozialer Distinktionsfunktion) ist so gering, dass sie nicht selbst lebensfähig sind. Armseliger geht es nun wirklich nicht.

      Ist Kirche und Religion nicht auch ein Luxus, oder sind die essentiell?

      Auch das soll natürlich jeder selbst entscheiden. Und dann aber bitte auch selbst finanzieren. Auch hier sind wir noch weit von einem erträglichen Zustand entfernt.

  7. Tim,
    eine Kultur definiert sich über die Institutionen, die garantieren, dass das “Erworbene” nicht vergessen wird.
    Ich meine, du denkst da zu materialistisch, egoistisch und zu zweckgebunden.
    Wer ist denn die Politbürokratie. Sind das Aliens oder sind das unsere Nachbarn?
    Jeder cent, der in die Kunst investiert wird, ist gut angelegt.

  8. @ R

    eine Kultur definiert sich über die Institutionen, die garantieren, dass das “Erworbene” nicht vergessen wird.

    Und was uns alle eint, sind also vor allem Ballett, symphonisches Konzert, Sprechtheater und Gemälde? Wenn Du das ernsthaft glaubst, solltest Du Dich unbedingt als Leiter/-in eines Kulturamtes bewerben – Du hättest beste Chancen. 🙂

    • Wer sagt denn, dass das alle einen muss? Was gibt es denn, was alle eint? Was ist das überhaupt für ein nationaler Anspruch, etwas zu finden, was alle eint?
      Das, was Sie sich unter Kultur vorstellen, eint bestimmt auch nicht alle.

  9. Es ist überrraschend, dass auch in diesem Umfeld die Existenzberechtigung der Kunst verteidigt werden muss, ich hätte das jetzt eher bei SPON oder Wonline erwartet. Also nochmal das ganze herunterdekliniert: jede Kunst, ob populär oder elitär, entsteht und entwickelt sich nicht im luftleeren Raum, sondern baut auf vorgefundenem auf. Dabei greift die massen- (oder markttaugliche Kunst) regelmässig auf das zurück, was die Hochkultur bereits geleistet hat. Da hier Musicals schon als leuchtende Beispiele genannt wurden, dass Kunst keiner Subvention bedarf, gehen wir das hier mal an dem kommerziell erfolgreichsten Musicalkomponisten durch. Die Musik von Andrew Lloyd Webber ist ohne Puccini überhaupt nicht vorstellbar, tatsächlich bietet Webber weder in der Orchestrierung noch in der Harmonik irgend etwas, was nicht auf Puccini rückverweist. Puccini wiederum steht mit beiden Beinen auf den Schultern von Georges Bizet, der notorisch erfolglos war und ohne staatliche Subventionen sein Leben vermutlich als Buchhalter hingebracht hätte.
    Wer allen Ernstes fordert, dass die Kunst sich ausschliesslich am Markt zu bewähren hätte, ist ähnlich weitsichtig wie der Tropf, der fordert, dass die Physiker für ihren LHC doch gefälligst selbst blechen sollten, da die meisten Menschen Teilchenphsik ohnehin nicht interessiert. Ein paar Jahre mag das gutgehen, aber eher früher als später werden dann alle feststellen, dass keine technische Entwicklung mehr nachkommt und dass man ein grosses Erbe versungen und vertan hat. Das gleiche Ergebnis erzielt man im Bereich der Kunst, wenn man sich blind und ignorant auf die Regeln des Marktes verlässt.
    Noch eine Bemerkung zu den alten Athenern: die populäre Darstellung des Sokrates als tapferem Helden und Streiter für die Meinungsfreiheit im Gegensatz zu seinen bornierten Mitbürgern, die ihm dafür nach dem Leben trachteten, nervt kolossal. Das Todesurteil hat sich Sokrates vollumfänglich selbst eingebrockt, seine Mitbürger hätten ihn liebend gerne mit einer mässigen Geldstrafe davonkommen lassen. Die Anklage ist auch kein Beispiel für mangelnde Meinungsfreiheit. Schliesslich waren in der religiösen Vorstellung der Griechen die olympischen Götter etwas höchst reales, und sie waren nicht dafür bekannt, feine Unterschiede zu machen. Wenn ein Mann sie verärgerte, zerstörten sie auch gerne mal die Heimatstadt des Frevlers, wenn der nicht von seinen Mitbürgern zur Rechenschaft gezogen wurde (Troia). Der Prozess kann also durchaus als eine Art Gefahrenabwehr gesehen werden.

  10. Tim,
    Kultur ist ein Sammelbegriff für Alles was über die persönlichen Aktivitäten, sei es sportlicher Art, künstlerischer Art, modischer Art, technischer Art hinausgeht. Ein Merkmal von Kultur ist das Gemeinsame.
    Wenn du eine Jeans trägst und nicht eine römische Toga, dann ist das ein Bekenntnis für unsere Kultur. Wenn du die toga trägst, dann hält man dich für einen Sonderling oder einen Spinner.
    Du kannst auch nicht so einfach mit einem selbstgebauen 5-rädrigen Auto herumfahren. Das braucht auch eine Genehmigung. Und wenn du mit Tanzschritten spazieren gehst, dann wird man dich genauer ansehen, ob du nicht ein Fall für die Psychatrie bist.
    Also Kultur ist auch ein Zeichen der Anerkennung gängiger Vorstellungen und Werte. Und wenn du dich “normal” verhältst, dann musst du dich unseren Kulturvorstellungen anpassen.
    Nur wenige können es sich leisten, sich nicht anzupassen. Das sind etwa Trendsetter oder Promis, die auffallen müssen, damit man sie wahrnimmt.
    Die Reichsbürger sind ein Beispiel für “Nichtangepasste”. Da sind mir doch die normalen Bürger lieber.

    So jetzt zum Ballett. Viele Mädchen würden zum Ballett gehen , wenn sie sich das leisten könnten.
    Ich würde es sogar begrüßen, wenn der Tanzschulbesuch vom Staat subventioniert würde. Unseren Jungs würden damit gute Manieren näher gebracht.

    • “Kultur ist ein Sammelbegriff für Alles was über die persönlichen Aktivitäten, sei es sportlicher Art, künstlerischer Art, modischer Art, technischer Art hinausgeht. Ein Merkmal von Kultur ist das Gemeinsame. (…) Also Kultur ist auch ein Zeichen der Anerkennung gängiger Vorstellungen und Werte.”

      Das kann man auch Sitten und Gebräuche nennen und nicht notwendigerweise Kultur, jedenfalls nicht im engeren Sinne. Vielleicht handelt es sich auch um die ominöse Leitkultur.
      Ich verstehe unter Kultur im engeren Sinne alle künstlerischen, musischen, literarischen, theatralischen etc. Aktivitäten und Produkte, wobei die Grenzen von der Hoch- zur Pop- und Volkskultur natürlich fließend sind. Ohne Kreativität und einen gewissen Anspruch des Kulturschaffenden an sich und sein Publikum geht es nicht, sonst bleibt es Konsum und reine Unterhaltung.
      Große Künstler haben auch immer zu einem gewissen Teil mit der Tradition gebrochen oder etwas derartig überzeugend Neues geleistet, dass sich ihr Stil paradigmatisch durchsetzte. Sie haben mit manchen Werten gebrochen und neue gesetzt.

  11. Paul Stefan,
    …..ominöse Leitkultur,
    zur Leitkultur gehört auch ein Leitwolf und dann ist es bis zu “ein Reich, ein Volk, ein Führer” nicht mehr weit.
    Wenn sich die Kunst dieser Geisteshaltung verschließt und sogar angefeindet wird, dann ist sie auf dem richtigen Weg.

    • Was war ursprünglich mit dem Begriff “Leitkultur” gemeint?

      “1996 veröffentlichte Bassam Tibi in der Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte der Wochenzeitung Das Parlament der Bundeszentrale für politische Bildung seinen Beitrag Multikultureller Werte-Relativismus und Werte-Verlust. Für Tibi basiert die europäische Leitkultur auf westlich-liberalen Wertevorstellungen: „Die Werte für die erwünschte Leitkultur müssen der kulturellen Moderne entspringen, und sie heißen: Demokratie, Laizismus, Aufklärung, Menschenrechte und Zivilgesellschaft.“ wie er in seinem 1998 veröffentlichtem Buch Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft schrieb.[1]”

      https://de.wikipedia.org/wiki/Leitkultur

      Ich denke, dass Tibi für diese Wertvorstellungen ein falsches Wort geprägt hat, was jetzt chronisch die Debatte verwirrt. Denn “Leitkultur” wird heute meist so verwendet, dass sich die Zuwanderer so zu verhalten haben, wie “wir”, gemeint sind aber meistens Verhaltensregeln und Sitten oder irgendetwas “gemeinsames” (was aber in Schwaben, Bayern, Berlin, Pommern unterschiedlich sein kann).

      • @ Herr Stefan :

        Ich denke, dass Tibi für diese Wertvorstellungen ein falsches Wort geprägt hat, was jetzt chronisch die Debatte verwirrt.

        Bassam Tibi entstammt dem politisch streng linken Spektrum, das bekanntermaßen in Internationalismus und Kollektivismus macht, er hat sich dann, weil er das Wesen des Islam gut versteht, vor einigen Jahren erhoben den Begriff der Leitkultur zu entwickeln wie in der Folge auch zu bewerben, auch um vor dem Islam zu schützen.

        Herr Dr. Tibi ist ein sozusagen politisch aufgeklärter Linker und insofern Internationalist, sein diesbezüglicher Versuch war erkennbar nett gemeint, bleibt aber ein ‘falsches Wort’ (Ihr Zitat).

        Aus liberaler Sicht geht es an erster Stelle schon um die Aufklärung und um aufklärerische Werte, die u.a. auch die Menschenrechte meinen, sie sind zentral.
        Allerdings darf es auch nationale Kultur geben, es darf möglich sein national zu denken, dem Eigenen und den Eigenen verbunden, und beispielsweise, dies hier nur in diesem d-sprachigen Kommentariat so angeführt, deutsche Kultur zu vertreten, zu bewerben.
        Es darf Deutsche geben.

        Bei der Berücksichtigung der Rechte nationaler Minderheiten wird dies direkt klar, denn sie könnten ohne dem Begriff der Nation, der immer auch nationale Kultur meint, gegenrednerisch nicht berücksichtigt werden.
        Zudem gibt es auch das allgemein anerkannte Selbstbestimmungsrecht der Völker.


        Es sollte statt von Leitkultur zu schwatzen, von aufklärerischer und nationaler Kultur geredet werden, bedarfsweise und auch offensiv oder proaktiv von deutscher Kultur. [1]
        Bedarfsweise unterschieden, denn es darf in aufklärerischen Gesellschaftssystemen auch sogenannte Parallelgesellschaften geben, der Multikulturalismus funktioniert genau dann, wenn die Kulturen kompatibel (das Fachwort, “mitleidend” ist gemeint) sind, nicht aber Gegengesellschaften.

        MFG + schönes Wahlwochenende,
        Dr. Webbaer

        [1]
        Vergleiche mit :
        -> http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/deutsche-kultur-was-aydan-oezoguz-mit-ihrer-aussage-meinte-15175917.html (Tsk, tsk, die (Des-)Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz sprach)

  12. Dr. Webbaer,
    …..es darf Deutsche geben.
    Es soll Deutsche geben. Nur sind wir eine Nation mit einem gebrochenen Verhältnis zu unserer Geschichte.
    Wir haben keine generationübergreifenden Persönlichkeiten, wir haben keine “Geschichte” mehr.
    Und jetzt kommt es darauf an, wer das Wort ergreift.
    Wenn unsere eigene Regierung keine klaren Worte findet zu dem, was den Menschen auf den Nägeln brennt, sondern nur das Prinzip Hoffnung ausgibt, dann stoßen eben die Rechten in das “nationale Vakuum”.
    Leitkultur habe ich immer als Abgrenzung und Gegensatz zum Liberalismus gesehen.
    Wenn jetzt Paul Stefan darauf aufmerksam macht, dass mit diesem Begriff genau das Gegenteil gemeint war, nämlich die Grundwerte, dann hat die Aufkärung der Öffentlichkeit versagt.

  13. Kultur als geistig Gemeinsames bedeutet für Dokumenta-Künstler wohl etwas ganz Anderes als für einen konservativen Bayern im Bierzelt, das zeigt schon die obige Aussage von sich politisch verstehenden Dokumenta-Künstlern zum gefühlten Auftrag der Dokumenta (Zitat): die Kunstgeschichte dezentrieren, Krieg und Nationalismus herausfordern, und gegen die Zerstörung des Planeten kämpfen. Künstler, die hinter einer solchen Aussage stehen bilden eine Gemeinschaft, eine Art Kulturgemeinschaft einer ihnen eigenen Kultur. Zugleich sind diese Künstler aber Mitglieder ihrer jeweiligen nationalen Gesellschaft und der in ihr herrschenden Kultur und sie entstammen jeweils einem bestimmten Landesteil und einer bestimmten Volksschicht mit ihrer jeweils eigenen Kultur. Jede dieser Kulturen verbindet, sie trennt aber auch Kulturgleiche von Kulturfremden. Wirklich tief geht die Trennung, wenn sich Bewohner der gleichen Gegend aufgrund unterschiedlicher Kultur nicht mehr begegnen, nicht mehr untereinander heiraten und sich nicht verstehen, weil sie beispielsweise nicht die gleiche Sprache sprechen. Es gibt eine Auffassung von Multikulturalismus die solche Formen des Nebeneinanderlebens rechtfertigt und gut findet. Gemäss dieser Auffassung verhält sich ein deutscher Ladenbesitzer, der einem Türken sagt, “Türken werden hier nicht bedient” OK, solange diese Handlung vom Grundgesetz abgedeckt ist – schlecht dagegen, wenn es nicht grundgesetzkonform ist. Für mich aber ist diese Form des Multikulturalismus durch die Geschichte – gerade auch durch die jüngste Geschichte – längst widerlegt. Widerlegt, weil das früher oder später im Bürgerkrieg endete, beispielsweise in Sarajevo, einer Stadt, die vor dem Krieg als Musterbeispiel einer multikulturellen Stadt galt. Während dem Krieg aber beschossen sich Bewohner verschiedener Stadtteile gegenseitig.

  14. Martin Holzherr,
    Grenzen von Multikulti,
    Der Balkankrieg bleibt mir ein Rätsel. Da haben doch Serben und Kroaten im gleichen Ort gelebt, die gleiche Sprache gesprochen, fast die gleiche Religion gehabt, und von heute auf morgen sich gegenseitig abgeschlachtet.
    Multikulti bei Schwarz und Weiß geht in New York auch nicht, die Schwarzen werden de facto immer noch unterdrückt.
    Die Kultur einer gemeinsamen Menschheit lässt noch auf sich warten.

    Die Musik scheint dagegen die Menschheit zu einen, die Literatur auch.

    • @ ‘R’ :

      Der Balkankrieg bleibt mir ein Rätsel. Da haben doch Serben und Kroaten im gleichen Ort gelebt, die gleiche Sprache gesprochen, fast die gleiche Religion gehabt, und von heute auf morgen sich gegenseitig abgeschlachtet.

      So “nicht ganz” richtig, allerdings können Sie für Ihr Mangelwissen wohl nichts persönlich, Dr. Webbaer war seinerzeit in der BRD dabei und die Medien suchten, dezent formuliert, nicht die Information ihrer Leser; zudem schien sich bundesdeutsch darin eingeschworen zu sein Serben als böse, Muslime, auch sich selbst Türken oder Bosniaken nennend, als lieb und die Kroaten als irgendwie dazwischen einstufen oder vielleicht besser : zu bewerben.

      Korrekt ist, dass Kroaten stark bevorzugt römisch katholisch sind, Serben sich stark bevorzugt zum Orthodoxen Christentum und die “Bosniaken” zum Islam.
      Zudem folgen die Kroaten der lateinischen Schrift, die Serben der kyrillischen und die “Bosniaken” pflegen in ihrer Schrift tendenziell der Lateinischen, wobei aber türkische, persische und arabische Zeichen oft verstanden werden.

      Dr. Webbaer war seinerzeit kurzzeitig, also als der Bürgerkrieg lief, vor Ort und hat sich einiges erklären lassen, bspw. auch, dass Alija Izetbegović auch den Dschihad konnte, wie auch angewendet hat oder anwenden ließ.

      All dies durfte seinerzeit in der BRD nicht gewusst werden, womöglich, oder nicht berichtet werden, das Web war seinerzeit noch “sehr klein”.
      In gewisser Hinsicht eine Vorschau auf Kommendes,
      MFG
      Dr. Webbaer

  15. @Webbaer
    Tim ging es um eine ‘Demokratisierung der Kulturförderung’, der Begriff stammt von ihm. Eigentlich existiert die ja auch schon.

    “Die Kunst kam lange Zeit ohne staatlicher, derart hässlicher institutionalisierter Förderung aus. Denn es standen ja immer private Förderer, Mäzene bereit.”

    Die Auftraggeber waren im Ancien Regime Kirche, Könige, Fürsten, Adel, manchmal auch Kommunen und staatliche Vertreter. Weil es diese Auftraggeber nicht mehr gibt und auch noch kaum die damit verbundenen Aufgaben der Repräsentation, ist eine staatliche Kunstförderung an die Stelle getreten.

    • Genau, Herr Stefan, Dr. Webbaer hat sich Ihrer Kritik an Tims Aussage und an Herrn Dr. Tibis Begriff ‘Leitkultur’ angeschlossen.
      Von der derart weitgehenden Kunstförderung, wie sie in der BRD stattfindet, durchaus auch den Steckenpferden von politischen Parteien geschuldet, wird hier weiterhin Abstand gehalten, sie als nicht gut eingeschätzt, auch als der Kunst nicht gut tuend.
      Kunst wird so ein Mündel politischer Parteien, ähnlich ist die Problematik bei den zwei großen Kirchen und bei der Wissenschaft in der BRD gelagert.
      Herauskommen oft Nachplapperer dieser Parteien, die sich für letztlich immer parteipolitischen Maßgaben folgende Förderung erkenntlich zeigen.

      • Die öffentliche Kunstförderung ist in Deutschland nicht besonders parteipolitisch organisiert. Ich wüsste nicht, welcher regierenden Partei die Documenta-Programmatik folgen sollte. Im übrigen gibt es dieses Problem auch bei der Patronage durch andere Gruppen.
        “Der Gesamtetat war anfangs auf 37 Millionen Euro ausgelegt, wobei auf die Stadt Kassel und das Land Hessen jeweils 7 Millionen Euro und die Kulturstiftung des Bundes 4,5 Millionen Euro entfielen. Die verbleibenden 18,5 Millionen sollte die Ausstellung selbst durch Eintrittsgelder und Sponsorenzahlungen erwirtschaften.”

        https://de.wikipedia.org/wiki/Documenta_14

        Die Hälfte der Finanzierung sollte also wirtschaftlich erbracht werden. Ohne den Zusatzstandort hätte es wohl auch geklappt.

        Früher war die Kunstförderung vom Landesherrn veranstaltet worden, der auch Museen, Theater, Oper etc. unterhalten hat. Einige reiche Städte haben im 19. Jh. bürgerliche Institutionen dafür gegründet. Heute haben die Bundesländer und die Kommunen diese Nachfolge angetreten. Ich sehe da kein grundsätzliches Problem. Und die finanzielle Ausstattung durch öffentliche Träger ist sowieso inzwischen sehr knapp. Für Projekte ist es heute schon in der Regel nötig, Sponsorengelder einzuwerben. Weitere Kürzungen würden in vielen Fällen schlicht das Ende einer Sparte oder eines Museums bedeuten.

        • @ Herr Stefan :

          Weitere Kürzungen würden in vielen Fällen schlicht das Ende einer Sparte oder eines Museums bedeuten.

          Was womöglich partiell auch zu begrüßen wäre.

          Früher war die Kunstförderung vom Landesherrn veranstaltet worden, der auch Museen, Theater, Oper etc. unterhalten hat.

          Abär es gab schon Mäzene und den Kunstmarkt, der sich an Kunstfertigkeit, gar Schönheit orientiert hat.

          Staatskunst, das Fachwort, Staatskunst darf womöglich weitgehend gemieden werden, es spricht natürlich nichts dagegen, dass der Staat identitätsstiftende, gerne auch alte, Kunstwerke erhält, es spricht einiges dagegen die Kunstförderung degenerieren zu lassen, so dass letztlich bspw. Rolling Stones-Konzerte oder Hollywood-Filme (!) in die staatliche Förderung gelangen. [1]

          Staatskunst, sie wäre auf die BRD bezogen dann wohl eher Parteienkunst zu nennen, Nachplapperer generierend, ist halt uncool.

          Dr. Webbaer hofft nun sich hinreichend klar ausgedrückt zu haben.

          MFG + schönen Wahl-Sonntag,
          Dr. Webbaer

          [1]
          Gerade das Verschmelzen von wirtschaftlichen Interessen, die Kultur meinend, und die Kultur und Kunst, mit politischer Aussage meinend, kommt hier nicht gut an, kann dbzgl. nicht gut ankommen.

  16. Zitat:

    „Von Athen lernen“ lautete sein [des Austellungsleiters] Motto.

    In Bezug auf das angehäufte Defizit hat die Dokumenta 14 von Athen gelernt, haben doch die Austellungsmacher wie Athen ungerührt an ihrem Defizit und seiner Notwendigkeit (seiner Nachhaltigkeit?) festgehalten und beide haben am Schluss die Kreditgeber dafür beschimpft nicht noch mehr Defizit zugelassen zu haben und deshalb Schuld am Elend zu sein.
    „Von Athen lernen“ hat bei der Documenta 14 mehrere Bedeutungen. Es meint nicht nur vom antiken Athen lernen, wie man im Kunstumfeld erwarten könnte, sondern auch vom modernen Athen mit seiner Schuldenkrise und der Schuldzuweisung an den Kreditgeber lernen. Doch was sind die längerfristigen Auswirkungen eines solchen Verhaltens des Schuldners? Wohl die, dass der Kreditgeber – die Stadt Kassel, die öffentliche Hand – sich sagt: NIE WIEDER!
    Im übrigen lässt sich (ironischerweise?) das Defizit vollständig auf Ausgaben für den Zweitausstellungsort Athen zurückführen. Dieser Zweitaustellungsort hat weit mehr Geld benötigt als ursprünglich vorgesehen. (Zitat NZZ “Der Kasseler Kunst-Scherbenhaufen” ):

    Sicher sei nur, dass das Defizit ausschliesslich durch den Athener Standort verursacht worden sei. Die bis heute vorgebrachten Gründe für das Defizit überzeugen jedoch angesichts der Höhe der Ausstände nicht: unterschätzte Kosten für Strom, Kunsttransporte und Sicherheitspersonal, zusätzliche Laptops und Flugtickets für Documenta-Mitarbeiter. Dafür sollen Millionen Euro verbraucht worden sein?
    Das Kasseler Stadtparlament stimmte kürzlich einer 8 Millionen Euro schweren Bürgschaft zu, um die Documenta GmbH zu retten, wobei peinliche Dankbarkeitsbezeugungen gegenüber Szymczyk seitens der Linken und der SPD zu hören waren. Man fühlte sich an Schildbürger erinnert, die sich noch dafür bedanken, wenn sie bestohlen werden. Zudem kauft die Stadt Documenta- Kunstwerke im Umfang von knapp 300 000 Euro an. Dank der guten Steu- erertragslage der Stadt, beschwichtigte Oberbürgermeister Geselle, könne das Geld ohne Kürzungen im Bildungs- und Sozialbereich aufgebracht werden

    .
    Fazit: Athen kann sich jederzeit wiederholen. Nicht das antike Athen, sondern das moderne (modern?).

  17. Von Athen lernen
    Das heutige Athen hat die Kredite, die es unter anderem von Deutschland erhalten hat, verkonsumiert und hat nach dem Aufliegen des Kreditschwindels den griechischen Plebs in Armut versinken lassen während sich gleichzeitig die Mehrbesseren mit Steuerbetrug und anderen Betrügereien schadlos gehalten haben.
    Eine moderne Interpretation zu Von (diesem) Athen lernen wäre nun, dass die Dokumenta 14 oder ihr verantwortlicher Leiter sich gegenüber Kassel und dem deutschen Staat sich genauso verhalten hat wie Athen es in der Schuldenkrise getan hat. Mit anderen Worten Gelder/Kredite wurden verkonsumiert anstatt sie in etwas sinnvolles zu investieren. Die Nachuntersuchung ergab ja, dass die gesamte Verschuldung der Dokumenta 14 auf die Investitionen der Dokumenta in die Zweitausstellung in der Partnerstadt Athen zurückgeht. Die NZZ vom 27.09.2017 schreibt im Artikel Der Kasseler Kunst-Scherbehaufen dazu:

    Andere spekulieren, ob die Geschäftsführerin die Öffentlichkeit bewusst getäuscht hat oder ob sie womöglich selber zu den Getäuschten gehört. Nicht nur notorische Wutbürger befassen sich mit der Frage, ob Adam Szymczyk sich bereichert oder Verwandte und Freunde begünstigt habe. Es gibt Gerüchte, wonach er als neuer Chef des EMST im Gespräch sei.

    Wer die Verhältnisse in Südosteuropa kennt, fragt sich, in welchem Umfang Schmiergelder an griechische Behörden gezahlt werden mussten und wie die Documenta derartige Ausgaben deklarierte.

    Vielleicht aber war das ja das eigentliche Kunstprojekt der Dokumenta 14: Von Athen lernen indem man selbst genau so betrügt wie das heutige Athen betrogen hat. Vielleicht verachtet ja der Macher der Dokumenta 14 in Wirklichkeit die moderne Kunstwelt und mit der Dokumenta 14 und den verluderten Geldern zeigt er seine Verachtung und hat sich zudem noch bereichert. So wie das eben auch das moderne Athen, mindestens ein paar Figuren aus dem modernen Athen, auf Kosten anderer gemacht haben.
    Das wäre doch eine wirklich innovative und einzigartige Dokumenta, wenn das bewusst so eingefäldelt worden wäre.

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