Das sagenhafte Kloster Hagen

Nichts beflügelt die Fantasie mehr, als das, was nicht mehr da ist. Herrlich spekulieren lässt sich immer genau so lange, bis der Zufall oder systematische Nachforschungen durch handfeste Fakten so manch schöne Geschichte zum Märchen werden lassen.

Ist es nun beim Kloster Hagen so weit?

Seit Ende März widmete sich eine Grabung knapp vier Kilometer südlich von Lorsch im Kreis Bergstraße, westlich des heutigen Weschnitzverlaufes, der Suche nach einer dort vermuteten Kirche und eines weiteren Steinbaus, deren Fundamente heute die einzigen Überreste einer hier einst bestehenden Anlage sind. Mitarbeiter der Außenstelle Darmstadt der hessenARCHÄOLOGIE (Landesamt für Denkmalpflege Hessen) und Studierende der Universität Heidelberg untersuchten hier in drei kleinere Flächen der Anlage.

Grabung Kloster Hagen bei Lorsch im April 2024
Ausgrabung Kloster Hagen, © Dr. Roland Prien, hessenARCHÄOLOGIE

Das Kloster Hagen war weniger bedeutend und ist viel weniger bekannt als das heutige UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Lorsch, das neben seiner berühmten Königshalle, einem wunderschönen karolingischen Bau in perfektem Erhaltungszustand (wenn auch noch immer in Unkenntnis seiner Funktion), auch nicht mehr viel Sichtbares aufzuweisen hat.

Es ist überliefert, dass es zu diesem Lorscher Kloster ein viel kleineres Gründungskloster gegeben hat, das im 19. Jahrhundert und bis in die 1930er Jahre häufig an dem Ort der aktuellen Grabung vermutet wurde. Inzwischen sind die Reste dieses Vorgängerbaus aber an einer viel dichter beim Kloster Lorsch liegenden Stelle nachgewiesen worden.

Doch gab es seit dem 12. Jahrhundert schriftliche Hinweise auf ein Kloster Hagen, dessen Ort allerdings ungewiss blieb. Letztlich waren es Zufallsfunde von Schatzsuchern, die darauf hinwiesen, dass auf den Feldern nahe der Weschnitz einst bedeutende Gebäude gestanden haben mussten.

Schatzsucher und Altertumsforscher

Nach Raubgrabungen im 18. Jahrhundert, die schon mehrere Bestattungen aufgedeckt haben sollen, wurde die Anlage bei einer Grabung durch Heinrich Gieß im Jahr 1904, im Auftrag des Wormser Altertumsvereins, zumindest in Teilen erfasst, wenn auch schlecht dokumentiert und fragwürdig gedeutet. Auch er stieß auf Bestattungen im Umfeld des Steinbaus, den er für römisch hielt. Anliegen seiner Grabung war es aber vor allem, an diesem Ort das aus den Quellen bekannte Kloster Hagen nachzuweisen.

Seit dieser Grabung unterlag das Gelände einer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung bis 1983, als man beim Pflügen auf Mauerwerksreste stieß. Eine Georadarprospektion im Jahr 2007 zeigte den Grundriss einer Kirchenanlage und bestätigte die von Giess 1904 angefertigten Pläne.

Neue Grabung nach 120 Jahren

Die neue Grabung untersuchte, ob es zu dem bekannten romanischen, als Kirche zu deutenden Bau eine frühere Phase gab. Auch wurde ein Teil eines südlich davon gelegenen Steinbaus untersucht. Hier konnten neben dem Gebäude insgesamt zwölf Bestattungen geborgen werden. Klar ist offenbar bereits kurz nach dem Ende der Ausgrabung, dass das südliche Gebäude nicht, wie von Gieß angenommen, ein römischer, sondern ein mittelalterlicher Steinbau ist.

Die nachgewiesenen mittelalterlichen Bestattungen werden als geeignet angesehen, Gebäude und Friedhof näher zu datieren und deren Funktion besser zu fassen.

“Im Abgleich zwischen den Erkenntnissen der archäologischen Ausgrabungen und der historischen Überlieferung wird im Rahmen der weiteren Forschung zu prüfen sein, ob es sich bei dem nachgewiesenen Bau tatsächlich um einen Bestandteil des überlieferten Klosters Hagen handelt.
Die Ergebnisse der Ausgrabungen bringen die Forschung einen entscheidenden Schritt näher an die Beantwortung der Frage, ob sich die Existenz des Klosters nach 120 Jahren endlich belegen lässt oder eine andere Nutzung des Platzes an der Weschnitz im hohen Mittelalter in Betracht kommt”, heißt es in einer Pressemitteilung des Landesamts für Denkmalpflege Hessen, hessenARCHÄOLOGIE, Außenstelle Darmstadt.

Die archäologischen Untersuchungen sind Bestandteil eines Projektes zur Erforschung der historischen Bedeutung der Weschnitz im Mittelalter, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Der angenommene Klosterstandort wird als wichtig für das Verständnis der Bedeutung des Flusses für die Menschen und seiner Nutzung angesehen.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

4 Kommentare

  1. Das Gebiet um Lorsch gehört zu dem landschaftlich schönen Teil Deutschlands.
    Der Blick nach Osten zeigt den Melibokus einem Berg des Odenwaldes.Im Odenwald an einer Quelle soll Siegfried im Blute eines Drachen gebadet haben.
    Und wer genug vom Blut hat, der begebe sich an die Bergstraße, die wohl beeindruckenste Straße Deutschlands während der Mandelblüte.

    Frau Bambach, man kann ruhig Werbung machen für dieses Gebiet, manche behaupten, hier wächst der beste Spargel, noch besser als der von Schwetzigen aus dem benachbarten Baden-Württemberg. Ja, und jetzt kommt noch das Frauenkloster Hagen, die wussten damals schon, wie romantisch es hier im Frühling ist.

    Aber, das Rheintal war auch Durchzugsgebiet für die zahllosen Armeen, die von Nord nach Süd gezogen sind. Und irgendwann wird halt das Kloster diesem Ansturm nicht standgehalten haben. Man kann nur hoffen, dass die Frauen nicht auch Opfer gworden sind.

  2. ergänzend und anregend,
    Das gezeigte Foto von der Ausgrabung zeigt ja den Verlauf einer Mauer.
    Die meisten Kirchengebäude waren “geostet”, d.h. in Ost-West Richtung gebaut.
    Wenn die zu sehende Mauer ein Teil einer kirchlichen Anlage war, dann zeigt sie entweder in Ost-West Richtung oder in Nord-Süd Richtung und zwar genau. Damals hat man nur rechtwinklig gebaut.
    Zweitens sollte man den Sand direkt an der “Mauer” auf Farbpigmente untersuchen. Im Mittelalter wurden die Kirchenwände mit Fresken bemalt.
    Und drittens, wenn das Kloster durch einen Brand oder sonstige Kriegszerstörungen zum Opfer gefallen ist, sollten sich Gegenstände, Bruchstücke
    finden lassen.
    Frau Bambach, verwenden die Ausgräber auch Metallsuchgeräte ?

  3. Nur zur Ergänzung:
    “Mittels biogeochemischer Isotopenmethoden werden in der Rechtsmedizin vorwiegend unbekannte Tote untersucht, um Informationen über ihre geografische Herkunft und Aufenthaltsorte im Laufe ihres Lebens zu gewinnen.”

    Das geht auch bei gefundenen Steinen, man kann feststellen woher die Steine kommen. Dann könnte man untersuchen , ob die Steine im Kloster Lorsch die gleiche Herkunft haben wie die Steine beim vermuteten “Kloster Hagen”.

    Und dann wird die Miss Marple in uns aktiv, die vermutet, wenn die Steine gleicher Herkunft sind, dann hat man aus den behauenen Feldsteinen des ehemaligen Klosters Hagen das Kloster Lorsch gebaut.

    Usw. usw. Und dann muss die lokale Presse aus ihrem Schlaf erweckt werden, die das Thema auf die 1. Seite setzt.

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