Olga steigt um

BLOG: Das Sabbatical

Abenteuer Auszeit
Das Sabbatical

Es war Liebe auf den ersten Blick zwischen Olga Khuen und der peruanischen Stadt Cusco. “Ich stand vor der Kathedrale und habe vor Freude geweint”, erzählt sie heute, drei Jahre später. “Endlich zuhause”. Dieses Gefühl stellte sich bei der in Rumänien geborenen deutschen Unternehmensberaterin, die zuletzt in Hamburg und Berlin gelebt hatte, zum ersten Mal in ihrem Leben ein. Dabei war sie eigentlich völlig erschöpft vor ihrer Auszeit in Südamerika. “Kiste oder Klapse”, so bringt sie lakonisch ihr damaliges Lebensgefühl auf den Punkt. Das hat sich völlig verändert. Heute sprüht sie vor Energie, Tatkraft und Lebensfreude und ist Deutschlehrerin geworden am Nabel der Welt der Inkas, in Cusco eben.

P1040971Nein, naive Aussteigerin ist Olga keineswegs. Noch immer plant sie strategisch und analysiert selbstkritisch. Doch ein Stück weit ist sie Peruanerin geworden, mit der gleichen Offenheit, Gelassenheit sowie der Bereitschaft zum Teilen. Das Lebensgefühl könnte elementar genannt werden. Essen, Trinken, Gemeinschaft ist wichtig, ein Dach über dem Kopf auch. Viel mehr kann und muss man nicht erwarten. Das hat Nachteile, aber auch Vorteile. Beispielsweise, dass “mit ganz wenig schon ein Leuchten in den Augen erzeugt werden kann”, beschreibt das die spätberufene Cuscqueña.

Dazu kommt die ständige Präsenz von Kunst und Kultur. Nicht umsonst ist Cusco der Touristenmagnet in Peru. Die Inkas und ihre Lebenswelt sind omnipräsent und bestimmen das Lebensgefühl. Dass am 1. August Pachamama, der Mutter Erde, gedacht wird, und wie dabei der Ausgleich zwischen weiblichen und männlichem Prinzip, Geben und Nehmen hergestellt wird, ist Olga ebenso geläufig, wie die Geschichte der verschiedenen Kultstätten rund um Cusco.IMG_1713Sie liebt und achtet sie wie die karge Natur, die dem Regen zu Beginn des Jahres jedes Stückchen Wachstum abringt. Eigentlich zog es die Mutter zweier Töchter in den Dreißigern in ihrer Lebenskrise nach Afrika. Doch das Projekt zerschlug sich und daraus wurden vier Monate Freiwilligenarbeit in Peru. Kühler Kopf, der sie auch ist, verordnete sich Olga von Deutschland aus nach der ersten Euphorie eine zweite Reise, um die Faszination auf den Prüfstand zu stellen. Peru bestand. Doch wovon leben? Unernehmensberaterin fiel flach. Trotz dem Talent, dass ihr Sprachen zufliegen, fehlte ihr der Einblick ind Ökonomie und Geschäftsgebaren des Landes. “Außerdem”, so sagt sie, “hatte ich die Schnauze voll vom Kosten sparen und Produktivität steigern”.

Da kam das Fernstudium des Goethe-Instituts in Deutsch als Fremdsprache gerade recht. Obwohl die letzte Prüfung noch aussteht, gibt es die Lehrerin Olga Khuen schon. Von Montag bis Freitag unterrichtet sie ihre Schüler. Ein Sprung ins kalte Wasser, der gut ging. Deutschunterricht boomt in Lateinamerika. Ob Reiseführer, die sich im harten Konkurrenzkampf Vorteile versprechen, Strafrechtler, die deutsche Gesetze im Original lesen möchten oder Kinder, deren Eltern Wert auf Sprachen legen – das Klientel ist bunt wie das Leben und eine pädagogische Herausforderung.

Daneben knüpfte die Neubürgerin ein dichtes Netz an Freundschaften und ehrenamtlicher Aktivität. Das “Casa Mantay” und sein Förderverein (http://www.mantay-peru.de/) sind derzeitiges Hauptprojekt. Das ist ein Heim für ungewollt schwanger gewordene Mädchen und ihre Kinder. Ein großes und weitgehend tabuisiertes Problem in Peru. Olga und ihre Mitstreiterinnen wollen allen eine Perspektive geben, deshalb gibt es Schul- und Berufsausbildung für die Mütter und Betreuung für die Kleinsten. Die ehemalige Unternehmensberaterin macht auch hier Nägel mit Köpfen, managt die Internetseite und die Verwaltung des Vereins und aquiriert Geld. Doch damit nicht genug: Wer sie nach den weiteren Zielen fragt, erhält sofort eine Antwort. Die mangelnde Lesekultur ist ihr ins Auge gefallen. Eine mobile Bibliothek, das wäre ein Traum, den sie gerne noch in Cusco zur Wirklichkeit verhelfen würde.

Und wie hat das alles angefangen, dass sie alles hinter sich lassen konnte, was das Leben des deutschen Normalbürgers so ausmacht? “Der Jakobsweg war es”, sagt sie und die Locken um ihr Gesicht hüpfen. Da ist sie erstmals ins Blaue aufgebrochen und alleine losgezogen. “Und ich habe erfahren, wie viele Dinge genau so passieren, wie ich sie brauche, nicht wie ich sie will oder wie ich sie mir wünsche, sondern es geht einfach immer irgendwie weiter”. Dieses Wissen trägt sie, hat eine innere Sicherheit entstehen lassen, die sich dem “Diktat des Geldes” nicht mehr beugen mag.

Die Reaktion darauf fiel unterschiedlich aus, selbst bei den eigenen Kindern. Zwischen Bewunderung und Unverständnis schwankt alles, aber immer mit dem Bekenntnis “Ich könnte das nicht”. Die Europäer haben verlernt, im Moment zu leben, lautet die Analyse. “Doch wäre es eine Alternative gewesen mit 60 Jahren einen Herzinfarkt zu bekommen?” Trotz allem ist ihr Zukunft nicht gleichgültig. Die könnte sogar eine als Lehrerin in Deutschland sein – denn Menschen mit Auslandserfahrung, die Deutsch lehren, sind gefragt. “Und es gibt ja auch viele ältere Leute, die gerne Spanisch lernen möchten”, ergänzt sie. Die in Peru erworbenen Toleranz dürfte ihr zupass kommen. Was hat sich sonst noch verändert? “Ich bin viel mehr bei mir selbst und weniger von außen beeinflusst”, führt sie an. Ein funktionierendes Teilchen zu sein, ist nicht mehr wichtig. “Die Welt dreht sich auch ohne mich”, sagt Olga Khuen und die Lachfältchen um ihre Augen tanzen.

 

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

1 Kommentar

  1. Ja, das ist Olga wie sie leibt und lebt, ganz und gar authentisch. Ein gelungenes Porträt! Gut, dass es das Internet gibt, denn es stellt stantepede Nähe her. Die räumliche Entfernung spielt dabei überhaupt keine Rolle 😉

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