Abgekupfert oder …
BLOG: Con Text
Zur Abwechslung mal wieder in der Hamburger Kunsthalle gewesen, die ein wenig an Ihrer Dauerausstellung schraubt. Dabei fielen mir zum ersten Mal vier Gemälde auf, die in Paaren aufgehängt sind [und das, meine ich, auch früher schon waren]:
Armand Guillaumin & Paul Cezanne
Paul Kayser & Albert Marquet
Im zweiten Beispiel wird nahezu derselbe Blick mit 15 Jahren Unterschied gemalt: Am Baumwall. Die Inspiration ist deutlich, beide Maler kannten sich, haben auch zusammen gemalt. Eine wunderbare, ungeplante Serie. Geschichte in Kunst.
Etwas anders sieht das bei Cezanne und Guillaumin aus. Das Motiv ist nicht nur ähnlich, es ist identisch, nur der Stil unterscheidet die Bilder. Das Guillaumin ist mit 1874 angegeben, Cezanne hat sein Gemälde, lt. Beschreibung, zwischen 1873 und 1875 gemalt.
Es besteht somit die Möglichkeit, dass beide nebeneinander standen und das Motiv gleichzeitig festhielten. Oder einer hat vom anderen abgekupfert. Wesentlich auch dann: Es ist der persönliche Stil, nicht das festgehaltene Objekt, das geschützt wird. Oder sollten wir einen der beiden als [schlechten] Kopisten und Copyright-Verletzer betrachten?
Auch in der Literatur gibt es reichlich Inspiration und Kopie. Manche Schriftsteller nehmen ganze Absätze und wandeln sie sprachlich nur leicht um, damit sie in den eigenen Stil passen, z.B. Karl May, dessen Landschafts- und Kulturbeschreibungen praktisch durchweg aus Büchern anderer Autoren, echter Reisender stammen. Er ist da nie allein gewesen. William Shakespeare besorgte sich seine Plots fast immer aus anderen Quellen als seinem eigenen Geist.
Kaum ein Literat gibt dabei seine Quellen preis, schon gar nicht im Werk selbst mit Notenapparat und Bibliografie – ausser diese sind Stilmittel, um einen Effekt hervorzubringen, z.B. eine gewisse Autorität vorzugaukeln. Letzteres hat beispielsweise George MacDonald Fraser in seiner Flashman-Reihe getan. Die Bücher sind ausgegeben als reale Memoiren eines realen viktorianischen Helden, die der wirkliche Autor – GMF – nur behutsam editiert und mit Hintergrundinformationen angereichert hat.
Plagiieren in der Kunst ist schwer zu greifen. Hier kommt es immer auf den eigenen Stil an, mit dem ein Thema bearbeitet wird. Schauen wir die Gemälde oben an, müssen wir sehen, dass jeder Maler seine eigene Interpretation der Szene produziert. Mal mit deutlichem [zeitlichen] Abstand eine historische Perspektive hinzufügend. Im anderen Fall eher zufällig eine Aussage über Realität, die dem Auge des Betrachters unterworfen ist, treffend.
Auch bei Wortkünstlern besteht die Originalität nicht in der Wahl von Plot, Erzählung oder Figuren, sondern in deren Anordnung und Umsetzung, in ihrer Perspektive, mit der sie all das bearbeiten. Im besten Falle gelingt ein ausserordentlicher Beitrag, im schlechtesten nur ein billiger Abklatsch, für den sich niemand interessiert.
Für die Filmfreunde: Remake, oder wie man heute in den Marketing-Abteilungen lieber verlauten lässt: Reimagining, ist nicht per se schlecht. Herzogs Nosferatu ist nicht schlechter als Murnaus original, wiederum eine Adaption von Bram Stokers Epistolar Dracula. Vergleichen Sie Scorseses The Deaprted mit Wai Keung Laus Internal Affairs. Howarad Hawks’ Scarface und Brian de Palmas Scarface. Oder gar Howard Hawks’ Rio Bravo und sein eigenes Remake El Dorado.
Bei wissenschaftlicher Arbeit sieht das ganze selbstverständlich anders aus. Man steht zwar auf den Schultern von Riesen, aber dies muss man dann auch bei passender Gelegenheit, also in seiner eigenen Arbeit, benennen. In der Wissenschaft geht es nicht um Stil, sondern Ideen. Da Ideen an sich nicht schützbar sind, muss man wenigstens sagen, von wem man sie hat und wie man darauf aufbaut.
Hinweis: Der Beginn dieses Beitrags wurde vor einiegen Woche bereits bei DH² Publishing veröffentlicht.