Warten auf seltene Nova

Die Nachrichten sind voll davon – schon seit Monaten: man braucht seit ca. Februar nur auf dem Smartphone versehentlich zu den Nachrichten zu wischen und schon erzählt irgendwer, dass wir bald eine Nova sehen. Vom Münchner Merkur bis zur BBC sind alle dabei, Spektrum hat auch gerade berichtet. 

In der Nuss-Schale

Ein Nova-Ausbruch ist eine Oberflächeneruption auf einem Stern in einem kataklysmischen Doppelsternsystem. Das sind Sternsysteme, bei denen die beiden Sterne dermaßen eng umeinander laufen, dass Materie vom Hauptstern (Donor) auf den Begleiter überströmt. Der Donor kann dabei ein roter Riesenstern sein, aber er kann auch ein gelber Hauptreihenstern oder selbst ein Weißer Zwerg sein. In den meisten Fällen handelt es sich bei dem empfangenden und gelegentlich ausbrechenden “Stern” um einen Weißen Zwerg, also dem Überrest eines sonnenähnlichen Sterns (d.h. eigentlich selbst kein Stern mehr, weil er keine Energie mehr durch Kernfusion im Innern gewinnt). Über verschiedene Typen von Novae hatte ich vor ~3.5 Jahren einmal im Haus der Astronomie vorgetragen. In den meisten Fällen kennen wir von diesen kataklysmischen (oder symbiotischen) Systemen höchstens einen Ausbruch als klassische Nova. Es gibt aber 30 Sterne (Stand 5. Mai 2024), die als “rekurrente” Nova bekannt sind oder als eine solche verdächtigt werden; zwölf davon außerhalb der Milchstraße (Galaxis), acht unsicher. 

Wir haben also nur zehn Objekte dieses Typs, die wir näher studieren können, um weitere statistische Aussagen über ihr Verhalten – und eben Vorhersagen machen zu können! 

In der Astronomie nutzt man zur Klassifikation zunächst einmal die offensichtlichen Eigenschaften von einem System. Im Fall unserer rekurrenten Novae wäre das etwa die Umlaufzeit (Periodendauer) Porb, die Amplitude A bei Eruption, die Wiederholzeit τr und die Abklingzeit t3 vom Maximum um 3 mag. Die Periodendauer hängt von der Größe des Hauptsterns (Donor) ab: bei einem kleinen Donor muss der umlaufende Zwergstern näher dran sein, damit Materie überströmen kann und daher hat er wegen der Keplerschen Gesetze eine kürzere Periodendauer. 

Charakterisierung der zehn bekannten rekurrenten Novae: Bei T Pyx-Sternen läuft der ausbrechende Stern um einen Zwergstern (blau), bei U Sco-Typen um einen Hauptreihenstern (gelb) und bei T CrB-Typen um einen roten Riesen.
Charakterisierung des Nova-Verhaltens: Abklingzeit bei Novae aus T CrB-Typen ist relativ kurz, d.h. der “neue Stern” ist nur wenige Tage freiäugig sichtbar. Die Amplitude scheint (im Vgl zu den anderen Systemen) eher im unteren möglichen Bereich zu liegen, aber mit einem Ausbruch um 6 bis 9 mag liegt ein Stern, der normalerweise 10 mag hat, sicher im Bereich für freiäugige Sichtbarkeit. Rechts ist dargestellt, wie stark die Amplitude des Maximums bei den einzelnen Sternsystemen variiert: es hängt nicht vom Sterntyp ab und kann erheblich (um bis zu 4 mag) vom Median-Mittel (also dem häufigsten Fall) abweichen.

(Alle Diagramme von mir, früher veröffentlicht in Research-Papern.)

Abbildung in meiner Abhandlung zu Hipparchs Himmelsglobus (Springer 2017). Hier habe ich den Stern T CrB als Beispielobjekt gewählt für Sterne, die m.E. unberechtigterweise im Yale Bright Star Catalog stehen.

Was wissen wir über T CrB?

So weit so gut. Das Problem ist nur, dass die oben genannten Fakten aus einer relativ kleinen Stichprobenmenge gewonnen sind. Während man für die meisten Infos über Sterne, ihre Entwicklungsstufen etc., die man aus Hertzsprung-Russel-Diagrammen ableitet, millionen/ milliarden… von Sterndaten hat, haben wir eben nur ca. zehn rekurrente Novae in der Milchstraße. Die paar weiteren, kürzlich entdeckten in der LMC und im Andromedagalaxie könnten andere Eigenschaften haben und werden daher nicht in die Statistik einbezogen. Diese Statistik steht also – im Vergleich zu anderen astronomischen Daten – auf recht wackeligen Füßen. 

Jetzt wird uns in der Presse immer erzählt, dass der letzte Ausbruch von T CrB etwa 80 Jahre her ist, d.h. 1946 stattgefunden hat. Denken wir mal scharf nach, wie viele Survey-Programme und systematisch den Himmel überwachenden Beobachtungsprogramme es am Ende des Zweiten Weltkriegs gegeben hat, fällt uns nicht viel ein. Damals gab es jedenfalls noch keine Satellitenteleskope und die Kultur der beobachtenden Astronomie bestand im Wesentlichen aus einzelnen Sternguckern, die “auf gut Glück” beim Betrachten ihrer Lieblingsobjekte auch mal einen ausbrechenden Stern hätten finden können. 

Vor dem Zweiten Weltkrieg war das nicht anders. Also woher kennt man dann die Rekurrenzdauer? 

Am 12. Mai 1866 haben mindestens drei Beobachter als erste an dieser Himmelsstelle einen Stern beobachtet (PDF). Der Direktor der Sternwarte Athen, Hr Schmidt, sah den Stern mit 5 mag während eines Himmelssurveys zwischen 20:30 und 21:45 (Lokalzeit). In der selben Nacht meldete auch John Birmingham in Tuam, Irland, den Stern und W. J. Lynn vom Londoner Greenwich Observatory sah das Objekt etwas später (zwischen 23:30 und 23:45) auf dem Weg (nicht aus einer Sternwarte) sogar freiäugig, denn es sei bereits so hell wie der Hauptstern des Sternbilds (2.2 mag) gewesen. Die Beobachter sind sich einig, dass es in dieser Himmelsgegend nahe dem galaktischen Pol, wo es nur wenige helle Sterne gibt, die Form des Sternbilds “gestört”/ “verzerrt” hat (wie sie sagen). Die Nova war also definitiv auffallend und konnte mit einem Stern von 9.5 mag in der Bonner Durchmusterung identifiziert werden. Damit war klar: dieser “neue Stern” ist ein Ausbruch eines bekannten. 

Der amerikanische Veränderlichen-Katalog vermerkt nur lapidar die halbe Wahrheit: 
Discovered on 1866 May 12 by John Birmingham. First nova to be identified with an existing star (BD +26°2765, 9.5 mag). Second known eruption detected independently by Norman F. H. Knight (1946 Feb. 9.25 UT) and Armin Joseph Deutsch (Feb. 9.35 UT).” 

Damals – 1866 – wusste man noch nicht einmal, wie Sterne funktionieren bzw. woher die Sonne ihre Energie bekommt, geschweige denn, wie sich Sterne entwickeln oder warum manche von ihnen ihre Helligkeit ändern. Man sah es, zeichnete die Beobachtung auf – und verstand es (noch) nicht. 

Erst im Jahr 1946 wurde der nächste helle Ausbruch gesehen und in der Zeit dazwischen hat offenbar (fast) niemand diesen Stern angeschaut – zumindest sind keine Beobachtungsdaten im Datenarchiv (aber die Lichtkurve beginnt auch 1866 erst nach dem Abklingen (bei 7 mag). 

Lichtkurve aus dem AAVSO-Datenarchiv für Veränderlichen Sternen

Fazit:

Wir haben von dem Stern, dessen Ausbruch wir jetzt erwarten, sage und schreibe zwei Datenpunkte (Nova-Lichtkurven). Eine davon vor Erfindung der elektrischen Photometrie (Potsdam, 1913), d.h. allein auf den Schätzungen von erfahrenen Beobachtern beruhend: ein gut funktionierendes Verfahren (wie kürzlich auch eine JugendForscht-Sieger-Arbeit wieder zeigte), aber eben nicht mit der gleichen Messmethode wie wir es heute machen.

Auf dieser Basis machen wir nun eine Vorhersage. (Naja, … und dem Wissen über ca. drei ähnliche Sterne, nämlich die anderen drei rekurrenten Novae vom T CrB-Typ.)

Wider jeglicher Lehre jedes Physik-Grundpraktikums (bzw. irgendeines Laborpraktikums) bleibt uns nichts anderes übrig als Messungen zu vergleichen, von denen uns die Schulphysik lehrt, dass sie nicht vergleichbar sind. So läuft das nunmal in der Astronomie … 

Drei der anderen Sternsysteme der T CrB-Klasse brechen teilweise etwas häufiger aus: alle 20 bis 30 Jahre, so dass es nicht komplett als Orakel gelten mag, was die Presse uns über den bevorstehenden Ausbruch mitteilt. Wir vermuten, dass der Stern beim Ausbruch etwa die Helligkeit (3 bis 2 mag) des Polarsterns bzw. des Hauptsterns eines Sternbilds (alf CrB, Alphecca) haben wird, weil das bei beiden belegten Beobachtungen der Fall war. Viele (50%) rekurrente Novae brechen immer mit der gleichen Helligkeit aus – aber die Spitzenhelligkeit kann auch variieren (die anderen 50%). Daher ist es nicht ganz auszuschließen, dass der Stern T CrB bei seinem bevorstehenden Ausbruch nicht ganz so hell wird wie letztes Mal (z.B. nur 4 mag oder gar nur 6 mag) oder dass er sogar noch heller wird (bis zu Arktur-Helligkeit): Wissen können wir es erst, wenn wir es sehen

Das zeigt, dass hier wirklich noch viel zu lernen ist! 

Jeder weitere Datenpunkt (von Ihnen!) ist wichtig – bitte helfen Sie gerne mit, diese faszinierenden Tierchen am Himmel künftig besser zu verstehen. 

Stadthimmel durch leichte Wolken mit Smartphone (freihändig) – das ist so, wie Sie das vllt auch sehen. Die Nova wäre in diesem Bild vom 4. Mai 2024 “unter” dem bogenförmigen Sternbild (Nördliche Krone = CrB): Das Bild ist ein animiertes GIF; wenn Sie aufs Bild klicken, wird es im Browser einzeln dargestellt und blinkt die Sternbild-Strichfiguren ein.
Foto des Sternbilds vom 05.05. 2024 (Canon EOS 600D)

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

5 Kommentare

  1. Susanne M. Hoffmann schrieb (06. Mai 2024):
    > […] die Wiederholrate τ_r […]

    Gebräuchliche Symbole für Rate sind allerdings eher “f” oder “𝜈”.

    Das Symbol “τ” bzw. “𝜏” wird dagegen für Dauer benutzt; einschl. für Periodendauer;
    wobei die (durchschnittliche) Wiederholungsrate bekanntlich als der Kehrwert der entsprechenden (durchschnittlichen) Periodendauer von bestimmtem (mehr oder weniger genau periodisch) wiederholtem Auftreten definiert ist.

    Nicht ganz unpassend dazu lautet die Achsen-Beschriftung in drei der obigen Diagramme “𝜏_r in yr”.

    (Der Artikel, der offenbar eine Quelle der betreffenden zehn Werte von Periodendauern ist, tabelliert diese wiederum als »recurrence periods […] P_rec [ years ]«, vgl. https://arxiv.org/pdf/1912.13209 Tab. 1.)

    p.s. — SciLogs-Kommentar-HTML-Test:

    “&tau;<sub>r</sub>” wird dargestellt als: “τr”.

    • derlei Aussagen sind alberne Besserwisserei, die nichts weiter heißen als “ich hab das gelesen” oder sogar “ich kann Sie nicht leiden”; beides überflüssige Mitteilungen, aber danke für die Beteiligung.

      Erstens ist es prinzipiell egal, wie man etwas nennt (ich könnte auch eine Periodendauer A nennen: das würde zwar alle verwirren, aber es ist nicht verboten – und ich vermute, in irgendeiner Sprache der Welt fängt das Wort für sie mit “a” an). zweitens gibt es verschiedene Konventionen: Die Physik nennt Periodendauern “T”, die Astronomie “P” – die Physik u.a. NaWi nutzen lux/lumen, die Astronomie “mag”…

      “Offenbar benutzen Astronomen furchtbar gern komische Merksprüche.” (OBAFGKM) Einfach weil sie können. Das ist eine der Kernaussagen des Posts: Astronomie ist keine Physik (auch die sog. Astrophysik bürstet die normale Physik oft genug gegen den Strich), sie nutzt sie nur. Ebenso wie Astronomie auch andere Wissenschaften nutzt: das macht sie gerade so ein faszinierendes Fach (und ist & war der Grund für mich, sie zu studieren): weil Astronomie eben so viel mehr ist als Physik, sondern auch Mathematik, Chemie, Geschichts- und Kulturwiss., Geowiss., Informatik… nutzt. Alle mit eigenen Konventionen, was Astronomie naturgemäß zu Multikulti macht.

  2. Im Journal Journal for the History of Astronomy, 2023, vol. 54, pp. 436-455, gab es einen Artikel “The recurrent nova T CrB had prior eruptions observed near December 1787 and October 1217 AD”. Wir haben also wohl mehr als nur zwei Datenpunkte? Ok, damals wurden keine Lichtkurven aufgenommen, aber zumindest wissen wir, dass es zu diesen Zeitpunkten Nova-Ausbrüche gab.

    • Ich kenne diese Ideen und war auch selbst bei einem solchen Artikel beteiligt. Ich glaube es aber nicht. Im Gegenteil lesen nach meiner Meinung lesen hier viel in ein historische Daten hinein, weil sie diese Daten nicht verstehen. Das kann ich hier leider nicht vertiefen, weil es großteils unpublizierte Forschung ist. Ich kann aber darauf verweisen, dass ich in meinen astrophysikalischen Artikeln stets predigte, dass die Input-Daten aus der Geschichte eigentlich nicht zuverlässig sind (zumindest nicht so, wie Astrophysiker glauben) und häufig auch die Zuordnungen unsicher ist. Zudem predigte ich auch, dass mir in Ermangelung von systematisch studierten historischen Daten nichts anderes übrig bleibt, als (damals) zunächst nur die astrophysikseitige Methode zu entwickeln.

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