Pflanzlicher Durchbruch in der Willensforschung oder: die Kraft der Klivie

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Immer wieder diskutieren Philosophen, Neurowissenschaftler und Politiker über eines der wichtigsten Güter der Menschen: Freiheit – vor allem die des Willens. Neueste Befunde einer privaten Zufallsforschung bezeugen nun: auch die Pflanzenwelt kann einen Beitrag dazu leisten.

Bis vor Kurzem dachte ich, das dunkelgrüne Gewächs, das seinen monströsen Blätterschweif großzügig auf meinem Fensterbrett verbreitet, sei eine Pflanze. Genauer – vermutete ich – wisse es das Buch Wohnen mit Blumen von Margot Schubert und Rob Herwig (BLV Verlagsgesellschaft 1982), das ich nach Jahren der Verwesung im Bücherregal meiner Mutter erst von einer zentimeterdicken Staubschicht befreien musste: „Die Gattung Clivia hat drei Arten, die alle in Südafrika beheimatet sind. In gärtnerischer Kultur ist lediglich Clivia miniata, die man im Gebiet von Natal an Hängen und in Gebirgstälern findet…“. Um drei Arten mehr bereichert die die Enzyklopädie 2.0 die Klivie und schlaumeiert die „Familie der Amaryllisgewächse (Amaryllidaceae)“ dazu. Das folgende Bild zeigt die Pflanze im Normalzustand (gemessen an langjährigen Erfahrung und dem Vergleich mit botanischer Literatur):

Klivie im Normalzustand. Quelle: Kalleo Pe, CC-BY-NC-ND.

Quelle: Leonie Seng.

 

Mag alles sein, doch meine jüngsten Erfahrungen belegen, dass es mit einer botanischen Erklärung des Gewächses nicht getan ist. Denn meine Klivie ist keine gewöhnliche Pflanze, sondern ein Wesen mit einer ausgeprägten Willenskraft. Was mich zu dieser Annahme treibt, ist weder botanische Expertise, noch überdimensionales Sendungsbedürfnis. Schlicht der gute alte Sehsinn brachte mich zu dieser Erkenntnis, als ich neulich einen feuchten Erdhaufen unter dem Fenstersims entdeckte. Ich wunderte mich zwar kurz, doch dann dachte ich nicht weiter darüber nach, kehrte auf und wischte weg. Gerade als ich mich aber vom Boden wieder aufrichteten wollte, erstreckte sich vor mir eine Szene, die meinem bisherigen Verständnis von Botanik gehörig den Kampf ansagte: Scherben, Erde überall auf und hinter dem Sims. Die Wurzeln der Klivie hatten sich durch eine satte, zwei Zentimeter dicke Tonschicht gebissen und räkelten sich nun geradezu schamlos in der offensichtlich mühevoll erkämpften Freiheit. Die folgenden Fotos zeugen von dem Ausmaß:

  Pflanzliche Wilenskraft. Quelle: Kalleo Pe, CC-BY-NC-ND.

Quelle: Leonie Seng.

Der Freiheitsdrang der Klivie

 Quelle: Kalleo Pe.


Nach dieser Erfahrung klingt die Beschreibung „Perle aus Südafrika“ auf der deutschen Internetseite der Südafrikanischen Kliviengesellschaft geradezu lächerlich. Zwar hat mich die
Pflanze bisher regelmäßig mit prächtigen Blütenständen beschert (wie auf Bild 1 gut zu erkennen ist), allerdings spricht die Farbe orange bis rot in der Natur auch für sich: Achtung, Gefahr! In meiner gärtnerischen Naivität habe ich dieses Signal nie als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen, auch nachdem die (aus verschiedenen Nachschlagewerken gemittelte) normale Größe von 60 Zentimetern längst überschritten war. Mittlerweile dürfte das pflanzliche Wesen ein stolzes Volumen von fast zwei Kubikmetern erreicht haben. Bei einer Höhe von 3 Metern werde ich den Zoo benachrichtigen oder den Kammerjäger – oder besser die Medien? Dann werden wir Top-Star der neuen Sendung: Deutschland sucht die Super-Pflanze.

Pflanzliche Willenskraft

Mancherorts wird die Klivie als „ideale Zimmerpflanze“ beschrieben. Unter ideal verstehe ich allerdings anderes als die subtile Übernahme einer bescheidenen Studenten-Residenz. Darum kann ich mich auch der von den Autoren in Wohnen mit Blumen beschriebenen „manchmal geäußerten Sorge“ partout nicht anschließen, „eine Klivie [könnte; LS] nach der Blüte eingehen“. Vielmehr habe ich gute Gründe zu vermuten, dass ich die erste sein werde, die eingeht, wenn das so weiter geht. Denn nur eine Pflanze mit großer Willens-, das heißt Lebenskraft ist zu so einer Aktion fähig.

Nach einer Theorie des Philosophen und Arzts Albert Schweitzer, haben alle Lebewesen einen Willen zum Leben – Lebewesen sind für Schweitzer fast alles Belebte: vom Menschen über die Ameise bis zum Torfmoos. Demnach soll alles, was lebt, das Leben der anderen respektieren wie das eigene. Jedes Wesen sei schließlich „Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will“. Ich finde, meine Klivie könnte ruhig ein bisschen mehr Ehrfurcht vor meinem Leben haben!

Links:

Südafrikanische Klivien-Gesellschaft (engl.)

Albert-Schweitzer-Stiftung: Ehrfurcht vor dem Leben

 

P.s.:

Vorerst hat sich die Klivie mit einem neuen Topf und frischer Erde zufrieden gegeben. Nachts höre ich sie manchmal genüsslich schmatzen, dann kuschle ich mich noch tiefer in meine Decke und hoffe, dass sie ihre Wurzeln bei sich behält.

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Bachelor-Studium "Philosophie, Neurowissenschaften und Kognition" in Magdeburg. Master-Studium "Philosophie" und "Ethik der Textkulturen" in Erlangen. Freie Kultur- und Wissenschaftsjournalistin: Hörfunk, Print, Online. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung Philosophie, Fachbereich Medienethik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

8 Kommentare

  1. Warum nur …

    … geht mir jetzt die Titelmelodie von “Little Shop of Horrors” durch den Kopf? *g*

    Interessant wäre doch mal, dieser Klivie eine Venusfliegenfalle zur Seite zu stellen. Vielleicht entwickelt sich da eine Freundschaft? ^^ *flitz*

  2. Witz

    Sie haben auf die Pflanze reagiert – mir fällt dazu ein Ostfriesenwitz ein:

    Ein Ostfriese geht in den Aquarienbereich vom Zoo. Dort sieht er, wie ein junger Mann mit dem Finger an der Scheibe entlang fährt – und innen folgt ein Fisch diesem Finger. Der Ostfriese frägt: ´Was machen Sie da?´ – darauf der Mann: ´Ich bin Student. Das ist ein Experiment zur Verhaltensforschung: die überlegene Art zwingt der unterlegenen Art ihren Willen auf; deshalb folgt der Fisch meinem Finger´.
    Bald danach geht der Student weg. Als er nach kurzer Zeit wieder zurückkommt, sieht er wie der Ostfriese vor dem Auarium steht und wortlos immer wieder den Mund auf und zu macht.

  3. Die fremde Kreatur

    Unerwartete Lebensregungen einer fremden Kreatur – und jede nicht-vertraute Kreatur ist zuerst einmal fremd – können etwas Bedrohliches an sich haben.

    Teilen von Wissen und Nichtwissen mit Anderen und Sorge tragen zur Kreatur erzeugt dann Verständnis oder lässt sogar etwas wie Liebe aufkeimen. Auch das Web hilft weiter: Für jede neue Erfahrung/Enttäuschung gibt es ja inzwischen ein Forum.
    Auf der Seite klivie (clivia miniata), riemenblatt tauschen sich die Klivienumsorger beispielsweise so aus:
    martin: Meine Klivie scheint sehr vermehrungs-freudig zu sein
    Roli: Jedoch wurde [die Klivie] seit Jahren nicht mehr umgetopft, der Wurzelballen ragt schon so weit heraus, dass das gießen mittlerweile sehr mühsam ist.
    frau doctor: aber manchmal sind zimmerpflanzen auch recht eigenwillige persönchens …

    … und schon gehört man zum Kreis der Klivienumsorger.

  4. Pflanzensorge

    Danke für die Anregungen. Ich muss sagen, ich zähle mich gern zu den Klivienumsorgern. Meine Erfahrung ist dabei, dass die Menschen sich (natürlich) oft viel zu viele Sorgen um ihre Pflänzchen machen. Täten sie dies nicht, würde die ein oder andere vielleicht besser gedeihen. Habe ich mich also möglicherweise zu wenig um meine Pflanze gekümmert, ihr damit zu viel Entfaltungsspielraum gewidmet? Und selbst wenn dem so ist, es sei ihr gegönnt 🙂

  5. NIchts ist verletzt

    Für ein Zitat mit Namensangabe ist ganz sicher keine Genehmigung nötig. Wer etwas veröffentlicht, muss auch damit leben, zitiert zu werden.

  6. To Him-Who-Must-Not-Be-Named

    Ja, da haben Sie wohl völlig recht! Etwas zu publizieren und dann irgendwo ein Zitat oder auch nur eine Erwähnung dieses Werkes wiederzufinden, ist schon übel!1Elf! Empfohlen werden? Bekannt werden? Nein, wo hat man denn sowas schon gehört? Das geht ja nun wirklich gar nicht! Deshalb gehen die meisten Wissenschaftler auch rechtlich dagegen vor, wenn sie z.B. in Doktorarbeiten genannt werden, oder?

    Um ganz sicher zu gehen, daß einem als Autor sowas nicht passiert, sollte man seine Werke ausschließlich im Geheimen publizieren und dann die ganze Auflage umgehend einstampfen.

    Im Internet empfiehlt sich aus technischen Gründen entweder die umgehende Löschung dessen, was man eben geschrieben hat, oder aber ein Passwortschutz.

    Abschließend lege ich Ihnen folgendes ans Herz: http://dejure.org/gesetze/UrhG/51.html (Und das berühmte Dieter-Nuhr-Zitat bzgl. Ahnung und so… ^^)

  7. Privatpersonen

    …. haben im Gegensatz zu Personen des öffentlichen Interesse ein Recht am eigenen Bild.

    Das Recht am eigenen Wort verlieren hingegen alle mit der Veröffentlichung desselben.

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