Science Slam im Lido Berlin

BLOG: Science@Stage

Wissenschaft im Rampenlicht
Science@Stage

Science Slam heißt: Wissenschaftler stellen ihre Forschungsergebnisse auf unterhaltsame Weise vor. Jeder, der etwas zu erzählen hat, kann – ohne Gage selbstverständlich – auftreten, und es gibt nur eine Regel: Es darf nicht länger als 10min dauern. Am 3.6. war es im Lido in Berlin mal wieder soweit.

Der Lido selbst war wegen des guten Wetters an diesem Abend leider nur spärlich befüllt, da nur etwa 150 Zuschauer die Darbietungen verfolgten. Für diese geringe Zuschauerzahl aber ist der Raum im Lido eindeutig zu groß, so daß Slammer und Publikum letztlich entrückt sind: Es herrschte kaum Kontakt und die eigentlich bei jedem Slam intendierte Interaktion war nicht möglich, da die Slammer auf einer Theaterbühne standen, hoch über und weit entfernt vom Publikum. Dieser Effekt tritt aber wohl immer auf – unabhängig davon, wie voll es wirklich ist. Die halbe Höhe der Bühne und die halbe Fläche hätten die Stimmung sicher gehoben.
Die Slammer selbst kamen dieses Mal aus der gesamten Republik und nur drei Slammer kamen aus Berlin. Hier hatte sich die Organisatorin viel Mühe gegeben, ihr line-up zu komplettieren. Mit sechs Vortragenden waren der Slam gut bestückt und wesentlich mehr Themen kann man als Zuschauer auch an einem abend kaum aufnehmen. Alle Slammer waren männlich. Das Publikum hätte sich jedoch eine andere Verteilung gewünscht, aber das weibliche Hamburger Duo aus Organisatorin Julia Offe und Moderatorin Friederike Moldenhauer kann Frauen natürlich nicht zwingen, ihre Arbeiten auf der Bühne zu präsentieren. Die Riege der Slammer war mit Felix Büsching von der TU Braunschweig und Andre Lampe von der Uni Bielefeld recht professionell besetzt. Felix Büsching hat schon in Braunschweig Erfahrungen im Science Slam gesammelt und Andre Lampe nennt die Poetry Slam Bühne seit 4 Jahren sein zu Hause. Doch im Science Slam ist wie im Poetry Slam alles möglich und das Rennen machte dieses Mal Fabian Hemmert in der Rolle des underdog mit einem Vortrag ohne elektronische Hilfsmittel über die Rolle des Ulmensterbens für die Entwicklung unserer Zivilisation – ein für mein Verständnis völlig zu Recht abgeräumter Titel für eine tolle live-performance!
Für die Beurteilung der Slams haben sich die Organisatoren eines Punktesystems bedient:. Vor dem Slam wurden einige Personen aus dem Publikum ausgewählt und mit Nummerntafeln von 1 bis 10 ausgestattet. Die Juroren, die sich am Beginn der Veranstaltung freiwillig anboten, diskutierten dann mit ihrem direkten Umkreis den Vortrag unter verschiedenen Aspekten wie Inhalt, Verständlichkeit und Unterhaltungsfaktor, die zu Beginn der Verantstaltung auch erklärt wurden. Warum jedoch Friederike Moldenhauer ihre Erklärung nach der Bekanntgabe der ausschließlich männlichen Slammerbesetzung mit sexistischen Sprüchen wie “Wer den Vortrag noch einmal als Gute-Nacht-Geschichte hören möchte oder den Slammer gleich mit ins Bett nehmen will, sollte eine 10 geben.” garnierte, blieb ein Rätsel: Die Slammerriege verdrehte dabei nur geschlossen die Augen und das Publikum erstarrte zu eisigem Schweigen. In Sachen Moderation gibt es hier offenbar noch Verbesserungspotential, da durch die während der zweiminütigen Beratungsphase eingeblendete Fahrstuhlmusik der Slam störende Längen bekam, in denen der Rest des Publikums unmißverständlich außen vor blieb. Entsprechend machte sich durch das zähe Prozedere spätestens nach dem dritten Slam ein wenig Langeweile breit und konsequenterweise kamen nicht alle Zuschauer nach der Halbzeitpause auch zum Slam zurück. Auf Nachfrage der Moderatorin wurden nach jedem Vortrag Nummern entsprechend der Bewertung in die Luft gehalten und zu einer Endnote addiert. Je nach Fülle des Raums sind dabei vielleicht 10% des Publikums in die Bewertung involviert, und je voller es ist, desto weniger findet sich die Gesamtheit der Zuschauer in der Bewertung wieder. Der demokratische Aspekt jeder Slam-Veranstaltung ging dadurch irgendwie verloren und die Publikumsrolle war nicht mehr erkennbar.
Erfreulich war die Atmosphäre aber unter den Slammern, die mit derjenigen unter den Poetry-Slammern vergleichbar ist: Es gab keinerlei persönliche Konkurrenz, wer gewinnt, scheint unerheblich zu sein. Die Mitslammer wurden beklatscht, bejubelt oder getröstet, wenn das Publikum mal etwas weniger Begeisterung zeigte. Insgesamt herrschte ein offener Teamgeist und ein Interesse an den Themen der Kollegen, die definitiv etwas ganz Besonderes sind und nur an der Uni Cambridge habe ich gleichviel Freude auf einem Haufen gesehen, an wildfremde Menschen die eigenen Ideen zu verschenken – ein Verständnis von academia, das wir ansonsten mit der Lupe in der deutschen Forschungslandschaft suchen können.
Insgesamt steht die Science-Slam-Kultur wohl noch am Anfang. Und obwohl der Geist des Slams die Wissenschaftler offenbar schon ergriffen hat, stecken Moderations- und Veranstaltungskonzepte ebenso noch ein wenig in den Kinderschuhen wie die Standards bei der Präsentation. Insbesondere gibt es noch keine systematischen Konzepte, wie der notorische Konflikt zwischen Wissenschaft und Unterhaltung seriös gelöst werden kann. Das ist wohl auch der Hauptgrund, warum die Suche nach Slammern im Moment noch schwierig ist und ich wünsche dem Konzept des Science Slams ebensoviele gute Ideen, wie man sie bei den Veranstaltungen auf der Bühne sehen und hören kann.

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das blog: Es gibt Ideen und Konzepte philosophischer Provenienz, die unser Verständnis von der Welt, auf die wir beschränkt sind, konstituieren: Aristoteles z.B. war der erste, der auf die Idee kam, Fragen nach der Identität von Gegenständen systematisch dadurch zu beantworten, daß er die Mengen der Eigenschaften dieser Gegenstände abglich. Heute scheint uns seine Idee so selbstverständlich zu sein, daß uns das Theoretische an ihr kaum einleuchten will. Doch wie würde unsere Physik, die Wechsel- wirkungen zwischen verschiedenen Teilchen in Termen von Eigenschaften dieser Teilchen analysiert, ohne Aristoteles Idee wohl heute aussehen? Ganz analog gibt es viele Fragen nach den Folgen neu aufkommender naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für unser Selbstverständnis als Personen z.B.: 1) ''Haben wir wirklich einen freien Willen oder müssen wir uns angesichts der Tatsache, daß mentale Aktivität einen physiologischen Träger zu haben scheint, damit begnügen, im übertragenen Sinne nur Gast im eigenen Haus zu sein?'' 2) ''Wenn Bewußtsein durch neuronale Aktivität zustande kommt, warum beziehen sich unsere Gedanken und Gefühle nicht z.B. auf Axone, Dendriten oder C-Fasern, sondern z.B. auf bürgerliche Gegenstände wir Tische, Reißverschlüsse oder Goldhamsterlaufräder?'' 3) "Reicht die Prinzipien der Evolution bis in unsere Psyche hinein oder ist das Reich des Geistes von ihnen unabhängig?" Die Ansichten darüber, was von Philosophen unter diesen Umständen erwartet werden sollte, divergieren. Nach meiner Meinung sollten sie diejenigen begrifflichen Rätsel lösen, die die betreffende Kultur gerade interessieren. Entsprechend verfolgt dieser weblog "On Mirrors, Myths and Mutinies" die philosophischen Zutaten, auf die unsere alltägliche, kognitive und mentale Aktivität zurückgreift, unter zwei Aspekten: a) Neurophilosophie - dieser blog will dazu beitragen, Reichweite und Bedeutung neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse für alte und neue philosophische Rätsel korrekt einzuschätzen. b) Philosophie der Psychologie - es geht hier auch darum, Mythen über die immaterielle und scheinbar historisch invariante, psychische Natur der menschlichen Spezies zurückzudrängen. Insbesondere interessiert mich die Analyse der Alltagspsychologie. Und last not least will dieses blog seine Leser dazu zu ermutigen, selbst den philosophischen Untiefen unseres Geistes nachzugehen. Daher sind Gastbeiträge in diesem blog jederzeit willkommen. Schreiben Sie einfach eine email an: mindatwork.blog at googlemail dot com. Autoren von Gastbeiträgen werden immer namentlich am Ende des jeweiligen posts vorgestellt. Kommentarregeln: Beleidigungen von Kommentatoren werden ohne Ankündigung von mir gelöscht. Das Gleiche gilt für Kommentare mit religiösem Inhalt und sonstigen spam. der Autor: Elmar Diederichs studierte Physik, Philosophie und Jura an der Georg-August-Universität Göttingen und promovierte in Mathematik an der Freien Universität Berlin. Im Moment forscht er am Weierstraß-Institut in Berlin und am Department of Statistics der UC Berkeley (CA). copyright: Alle posts dieses blogs stehen unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 3.0, http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/ .

9 Kommentare

  1. Als Organisatorin bin ich dankbar für jede Kritik. Ich werde die Verbesserungsvorschläge bei den nächsten Science Slams im Lido berücksichtigen.

    Damit der unbefangene Leser die Kritik besser einordnen kann, hier noch zwei Hinweise:
    Der Autor veranstaltet selbst auch einen Science Slam in Berlin.

    Und bei der Veranstaltung im Lido landete er mit seiner Präsentation abgeschlagen auf dem letzten Platz.

  2. Und bei der Veranstaltung im Lido landete er mit seiner Präsentation abgeschlagen auf dem letzten Platz.

    Na, so groß scheint die Dankbarkeit bezüglich der Kritik nicht zu sein.

  3. @Julia Offe: recht durchsichtiges Verhalten

    “Der Autor veranstaltet selbst auch einen Science Slam in Berlin.”

    Leider muß ich dich da korrigieren: Ich veranstalte keinen science slam in Berlin. Welcher sollte das auch sein? Der zweite Science Slam in Berlin wird von Gregor Büning veranstaltet, der zwar hier auch bloggt, aber genau aus diesem Grund nicht über deine Veranstaltung berichtet hat: Unvoreingenommenheit ist für blogger schon ziemlich wichtig.

    Richtig ist, daß ich gelegentlich als science slammer auftrete. Aber wie du sicher weißt, vergibt das Publikum die Noten, nicht der Veranstalter. Daß du hier suggerierst, ich würde mich bei den Veranstaltern revanchieren wollen, ist daher eher … nun ja … fernliegend.

    “Und bei der Veranstaltung im Lido landete er mit seiner Präsentation abgeschlagen auf dem letzten Platz.”

    Das ist richtig. Mein Vortrag zur Philosophie der Mathematik kam beim Publikum nicht wirklich an. Aber die Bewertung ist beim science slam kein geringeres Problem als beim poetry slam – was auch alle wissen.

    Unabhängig davon kann ich an dieser Stelle nur wiederholen, was ich schon Markus Weißkopf geantwortet habe: Ich habe noch nie einen science oder poetry slammer kennengelernt, der heiß darauf war, ein Gewinner zu sein. Die Szene funktioniert wirklich anders und es wundert mich ein bißchen, daß du das nicht zu wissen scheinst. Im übrigen liegt mein Ehrgeiz eher in meinem Beruf.

    Aber es freut mich natürlich, daß du deine Konzepte überdenken und damit dem Science Slam einen Gefallen tun willst. Denn Science Slam ist noch zu neu in Berlin, als daß das Publikum nach Veranstaltern trennen würde. Das Schicksal beider slam-Veranstaltungen in Berlin ist im Moment dasselbe: Der Erfolg bzw. Mißerfolg des einen nützt bzw. schadet dem anderen.

    Das solltest du eigentlich ebenfalls wissen, so daß ich mir – folgte man deiner Linie – hier selbst schaden würde. Aber das ist natürlich Quatsch. Wer Fehler macht, sollte nicht zögern, sich zu verbessern. Und Frauen, die sich durch ihre eigene Leistung gekränkt fühlen, bilden da keine Ausnahme.

  4. Bewertung

    Ja, die liebe Bewertung ist ein Thema für sich. Wir haben uns gestern auch noch darüber ausgetauscht (bei sehr netter Runde mit fast allen Teilnehmern nach dem Deutschlandslam) und sind auch zu keinem “perfekten” System gekommen. Neben Applausmessung und Wertungskarten, gibt es noch die Möglichkeit am Ende Kügelchen in verschiedene Eimer zu werfen etc. Jedes System hat so seine Tücken: Ich möchte zum Beispiel nicht der Moderator sein, der dann bestimmen muss, welcher Applaus nun der lauteste oder längste war. Weiter bleibt die Frage, ob das dann demokratischer ist?

  5. @Markus: Bewertung

    “Jedes System hat so seine Tücken: Ich möchte zum Beispiel nicht der Moderator sein, der dann bestimmen muss, welcher Applaus nun der lauteste oder längste war.”

    Völlig richtig – ein wichtiger Punkt. An dieser Stelle könnten Veranstalter sicher noch konzeptionell etwas verbessern. Eine Patentlösung habe ich leider auch nicht.

    Jedenfalls kann ich dir schon einmal zum gelungenen Deutschland-Slam gestern abend in Braunschweig gratulieren. 🙂

  6. hmmm…

    Ich würde gerne kurz meinen Senf dazu geben.

    Ich muss sagen, dass ich diesen Artikel wirklich unpassend finde, denn mir hat die Veranstaltung im Lido gefallen, genau so wie ich nicht fand, dass die Moderatorin sexistisch gewesen ist. Zwar durfte ich mich am Ende über den zweiten Platz freuen, aber ich denke, dass diese Veranstaltung in diesem Nachbericht unverdient schlecht weg gekommen ist.

    Über Bewertungssysteme kann man sich in der Tat zanken bis der Arzt kommt, aber auch an dieser Stelle muss ich sagen, dass zwar das verwendete System im Lido ein paar Schwächen hatte, aber ich würde sagen das es schon eine gute Lösung für den Abend war. Das Zuschauer gegangen sind, kann ich jetzt nicht bestätigen. Ein viel bemühtes Zitat aus dem Poetry Slam lautet: “Slam ist gemein und ungerecht”. Daher sollte man eine Veranstaltung dieser Art auf keinen Fall am Bewertungssystem messen.

    Ich hätte im übrigen nicht vermutet das du dich mit diesem Beitrag irgendwie revanchieren willst, aber dass du einer der Teilnehmer gewesen bist, ist ja eigentlich für den Leser eine nicht unwichtige Info.

  7. @Andre: vollständig

    “aber dass du einer der Teilnehmer gewesen bist, ist ja eigentlich für den Leser eine nicht unwichtige Info.”

    Es wäre sicher noch besser, wenn du ergänzen würdest, in welcher Hinsicht diese Info für den Leser nicht unwichtig ist.

    @all: Da ich der Besitzer dieses blogs bin, wäre es für mich ein Handgriff, Kommentare, die mir nicht in den Kram passen, zu löschen. Aber wie man sieht, geht es mir nicht um eine Instrumentalisierung dieses blogs.

    Insofern ist Andres Kommentar, gerade weil er eine andere Ansicht vertritt, hier genau richtig.

  8. Vervollständigung

    Das Vervollständige ich gerne.

    Wenn ich einen Nachbericht zu irgend einer Veranstaltung lese, dann gehe ich in der Regel davon aus, dass der Berichtende im Publikum gesessen hat, und daher seinen Blick von außen auf die Veranstaltung geworfen hat.

    Lese ich einen Nachbericht von jemandem der sagt, er hätte im Wettbewerb an der Veranstaltung teil genommen, kann ich den Bericht besser einordnen. So wird zB klarer wie Äußerungen der Moderation dich betreffen, das du engeren Kontakt zu den Teilnehmern hattest und wie du das Bewertungssystem wahrgenommen hast.

    So würde man es doch auch bei einem Bericht von einem 4x400m Staffellauf als wichtig erachten, wenn der Berichtende erwähnt, dass er mitgelaufen ist, und so einen genaueren Blick auf den Wettbewerb werfen konnte. Zugegeben, dieses Beispiel hinkt, aber ich hoffe es verdeutlicht meinen Punkt.

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