Warum sterben kalifornische Meerotter an Toxoplasmose?

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Die Strandung von vier toten Meerottern (Enhydra lutris nereis, Unterart: Südlicher Meerotter) an der US-Pazifikküste Kaliforniens gibt Anlass zur Sorge: Vier der flauschigen Meeressäuger waren zwischen Februar 2020 und März 2022 an einer ungewöhnlichen schweren Form der Toxoplasmose verendet und tot angespült worden. Toxoplasmose wird durch den mikroskopisch kleinen Parasiten Toxoplasma gondii verursacht.

Dieser Erreger kommt bei Seeottern häufig vor und führt manchmal zum Tod. Aber dass gesunde Otter schnell daran sterben, sei ungewöhnlich: „Ich habe 25 Jahre lang Toxoplasma-Infektionen bei Seeottern untersucht – noch nie habe ich so schwere Läsionen oder eine so hohe Parasitenzahl gesehen“ erklärte die Tierärztin Dr. Melissa Miller vom California Department auf Fisch and Wildlife gegenüber der Presse. Sie ist Hauptautorin einer aktuellen Publikation mit den Untersuchungsergebnissen: Melissa Ann Miller, Cara A. Newberry, et al: „Newly detected, virulent Toxoplasma gondii COUG strain causing fatal steatitis and toxoplasmosis in southern sea otters (Enhydra lutris nereis)“, Frontiers in Marine Science (2023).

Seeotter beim Knacken einer Muschel (Júlio Reis (User:Tintazul); Wikipedia; CC BY-SA 2.5)

COUGar schlägt zu – ein in Kalifornien neuer Toxoplasmose-Stamm

Toxoplasma gondii ist ein weit verbreiteter Parasit, er infiziert etwa Wild- und Hauskatzen sowie Wölfe. Der Parasit bzw. seine Eier werden mit dem Kot ausgeschieden und dann mit der Nahrung von anderen Tieren aufgenommen oder durch den Verzehr von infiziertem Fleisch. Gerade über Hauskatzen infizieren sich häufig auch Menschen. Bei gesunden Erwachsenen treten nur selten Symptome auf, allerdings kann dieser Parasit Fehlgeburten und neurologische Erkrankungen verursachen. Die Mikroorganismen befallen meist besonders stark das Gehirn und führen dadurch zu Verhaltensänderungen ihres Wirts: Katzen und Wölfe sind dann viel mutiger und risikofreudiger. Bei Grauwölfen führt dies offenbar dazu, dass vom Parasiten befallene Individuen häufiger zum Leittier aufsteigen, da sie furchtloser sind als gesunde Wölfe. Dass Parasiten signifikante Verhaltensänderungen hervorrufen, ist nicht neu und weit verbreitet.
Auch bei Seeottern ist Toxoplasma weit verbreitet, verursacht aber bei gesunden Tieren normalerweise nur geringe Symptome.

Die vier in dieser Studie beschriebenen Seeotter hatten jedoch ungewöhnliche und gravierende Symptome: Sie litten an schwerer Steatitis, einer Entzündung des Körperfetts. Starke Steatitis ist bei Seeottern ein sehr überraschender Befund bei einer Toxoplasmose-Infektion.
Mikroskopische Gewebeanalysen hatten bestätigt, dass Toxoplasma tatsächlich die Todesursache war. Ungewöhnlich war, dass die Parasitenanzahl im gesamten Körper mit Ausnahme das Gehirns sehr hoch war, normalerweise ist gerade das Gehirn besonders stark befallen. DNA-Tests des Erregers identifizierten in diesen vier Fällen einen seltenen Toxoplasma-Stamm namens COUG, der 1995 erstmals bei kanadischen Berglöwen gefunden wurde (COUG steht für cougar, wie der Berglöwe im Amerikanischen genannt wird). Die großen Katzen waren untersucht worden, nachdem in der Region abnorm viele Menschen mit Toxoplasmose infiziert waren.
Bei Meerottern, anderen aquatischen Säugern oder Meeresvögeln oder überhaupt in der kalifornischen Küstenumgebung war das Auftreten von COUG jetzt ein überraschender Befund.

Drei der Kadaver waren an einem insgesamt nur 26 km langen Küstenabschnitt angespült worden, also nahe beieinander. Alle vier sind in Zeiten starker Regenfälle aufgetaucht. Starker Regen, so die Wissenschaftler, kann schnell hohe Lasten an Schadstoffen und Krankheitskeimen ins Meer spülen, so könnte der Keim möglicherweise von Hauskatzen-Kot voller Toxoplasma-Eier vom Land ins Meer gespült worden sein. Unklar bleibt, ob sich die drei Otter am gleichen Ort infiziert haben.
Über den Weg des Erregers von Kanada bis nach Kalifornien ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nichts bekannt. Es ist auch nicht bekannt, wie sich dieser ungewöhnliche Toxoplasma stammen auf Menschen oder andere Tiere auswirken könnte. Bisher wurden noch keine COUG-Infektionen bei Menschen gemeldet, es könnte aber aufgrund fehlender Symptome eine hohe Dunkelziffer geben.

Life Cyclce of Toxoplasma (Wikipedia: CC BY-SA 4.0))

Miller und ihre KollegInnen sind besorgt, da Toxoplasma jedes warmblütige Tier infizieren kann. So könnte es zu weiteren Ansteckungen bei anderen Tieren und Menschen kommen, die dieselbe Umgebung oder dieselben Nahrungsressourcen teilen: „Das Auftreten dieser tödlichen Toxoplasma an der kalifornischen Küste ist vor allem aus zwei Gründen besorgniserregend: Erstens wegen möglicher Auswirkungen auf die Gesundheit der Population dieser bedrohten Tierart und zweitens, weil dieser Parasit auch die Gesundheit anderer Tiere beeinträchtigen könnte“ erklärte Dr. Devinn M. Sinnott(University of California Davis (UCD)). Über die Meeres-Nahrungsketten könnte er auch in Seafood gelangen und auf den Tellern von menschlichen Konsumenten landen. Vor allem rohe, ungekochte Muscheln, Venusmuscheln, Austern und Krabben bergen ein Risiko.
Jedenfalls, so die Autoren der Studie, sollten in Kalifornien im Moment Mediziner und Wissenschaftler die Augen offenhalten, wenn sie mit Toxoplasma-Infektionen bei Menschen oder Tieren zu tun haben oder Kadaver auffinden.

Jäger und Gejagte

Sea Otter Mom with Two Pups, Morro Bay, CA 16april2007. (Photo by Mike Baird; Wikipedia; CC BY 2.0)

Für die pazifischen Meerotter ist das eine ziemlich schlechte Nachricht.
Nach ihrer Entdeckung durch den deutschen Forscher Georg Wilhelm Steller 1741 (Expedition mit Vitus Bering) waren sie bis 1911 durch die Pelzjagd auf ihre flauschigen dichten Felle an den Rand der Ausrottung bejagt worden, heute stehen sie unter strengem Schutz.
Im Nordpazifik gibt es drei Unterarten Meerotter: Der nördliche pazifische Meerotter (Enhydra lutris kenyoni), den Steller auf der Bering-Insel gesehen hatte, ist mit bis zu 1,50 m Länge und 45 kg Gewicht der größte, die Unterart vor Kalifornien, E. l. nereis, ist mit bis zu 1,20 m und 23 kg Gewicht etwas kleiner.
Mit ihren runden Köpfen, dem flauschigen Fell und ihrem possierlichen Verhalten sind Otter der flauschgewordenen Publikumslieblinge jedes Aquariums und an den Küsten. Als wendige Schwimmer leben sie in Wäldern und tauchen dort geschickt nach Muscheln und Krebsen. Zum Fressen lassen sie sich auf dem Rücken liegend von den Meeresströmungen treiben, die gepanzerte Beute auf dem Bauch. Mit einem Stein zerschlagen sie dann geschickt die Panzer ihrer ertauchten Leckerbissen und genießen das leckere Innenleben. Ihre Jungen tragen die Mütter genauso auf dem Bauch (wie auf einem Mutterschiff), die Kleinen müssen das Tauchen erst lernen. Zum Schlafen verankern sich Otter mit Tang, damit sie nicht davon treiben.

Seeotter sind die größten Marderartigen (Mustelidae). Ihre Vorderpfoten sind klein, die Hinterbeine setzen weiter hinten am Körper an und haben große Pfoten, deren Zehen mit Schwimmhäuten verbunden sind. Der beim Seeotter runde und zum Ende hin spitz auslaufende Schwanz ist beim Meerotter abgeflacht und stumpfer endend. Dadurch ähnelt der Meerotter in seinen Bewegungsabläufen an Land und im Wasser schon eher Ohrenrobben wie Seelöwen, eine konvergente Entwicklung der beiden ins Wasser zurückgegangen Carnivoren. Allerdings sind nur Robben die voll aquatische Gruppe der Raubtiere (Carnivora), sie sind Pinnipedia, Flossenfüßer. Robben halten sich mit ihrer Fettschicht im kalten Wasser warm, während Otter keine Fettschicht ansetzen, sondern ein extrem dichtes Fell haben.
Als Wächter der pazifischen Kelpwälder und Seegraswiesen sind Meerotter eine Schlüsselart für die nordpazifischen Meeres-Ökosysteme; gerade die Tangwälder haben eine ähnlich hohe Biodiversität wie Regenwälder.
Sie fressen nämlich besonders gern Seeigel. Und die Leibspeise der stacheligen gepanzerten Wirbellosen sind die großen Seetange – treten Seeigel in Massen auf, können sie den Unterwasser-Dschungeln schwere Fraßschäden zufügen. Durch ihre Außenhaut sind diese runden Stachelhäuter gegen viele Freßfeinde gut geschützt. Otter hingegen „pflücken“ Seeigel geschickt aus dem Tangwald und zertrümmern dann mit einem Stein die Schale.
Das zweite Lieblingsmenu der Otter sind Krabben: Krabben fressen Meeresschnecken, die Algen vom Seegras raspeln. Wenn die Anzahl der Krabben sinkt, steigt die Schnecken-Population und pflegt das Seegras vorm Algenrasen. Dann kann das Seegras (Eelgrass) blühen und gedeihen. In den Seegras-Beständen verstecken sich gern Jungfische, auch der Nachwuchs von begehrten Speisefischen. So bewahren Meerotter Fisch-Kinderstuben.
Aber die kalifornischen Meeresjäger werden oft selbst zur Beute hungriger Weiße Haie.
Sowie sie sich aus Buchten und Kelpwäldern heraustrauen, geraten die Meeressäuger in die Jagdgebiete der großen Raubfische.

Als immer mehr Otter mit Haibissen gefunden wurden, machten sich Jerry Moxley vom Monterey Bay Aquarium und seine Kollegen auf die Suche nach dem Grund. Eigentlich stehen Otter nämlich gar nicht auf der den Speiseplan der Großen Weißen Haie. Die Knorpelfische brauchen eine kalorienreiche Nahrung wie die Robben mit ihrer dicken Fettschicht, die Ottern fehlt. Tatsächlich sahen viele der Bisse so aus, als ob der Hai nur probiert hat. Und nachdem er das Maul voll Fell hatte, statt einer Fettschicht, wieder von dieser Beute abließ. Leider waren auch diese Probierbisse für die Otter meistens tödlich.
Die Forscher fanden schließlich heraus, dass die Haiangriffe vor allem im Sommer stattfanden, wenn die Robben ihren Nachwuchs hatten. Dann patrouillierten die Haie vor der Küste, um sich eine tollpatschige Jungrobbe zu schnappen.
Außerdem starben vor allem männliche und junge Otter. Junge Otter und Männchen haben einen stärkeren Trieb zur Exploration, sie machen sich eher auf die Suche nach neuen Nahrungsgründen und erkunden weitere Areale außerhalb ihres bekannten Habitats. Dabei geraten sie aus ihrem geschützten Lebensraum nahe Monterey Bay schnell in die Jagdgründe der Großen Weißen Haie.
Da die Seeotter-Population steigt, suchen sich auch mehr Jungtiere und Männchen neue Reviere. Die Felsküsten Kaliforniens mit ihren Kelpwäldern sind ausgezeichnete Otterlebensräume und bieten auch Schutz vor Haiangriffen. Der Weg in neue Reviere in anderen Buchten führt allerdings meist durch das Hai-Jagdrevier.
Auch wenn die kalifornische Seeotter-Population wächst – neben den Weißen Haien könnte ein neuer tödlicher Parasit könnte eine große Bedrohung sein. Darum hoffen die Otterschützer, dass Toxoplasma sich nicht weit verbreiten wird.


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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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