Lederschildkröte in der Nordsee

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Vor Büsum hat die Besatzung eines Tonnenlegers den Kadaver einer riesigen Lederschildkröte (Dermochelys coriacea) entdeckt und an Land gebracht. Ein ungewöhnlicher Fund, denn die Tiere sind nur selten in der flachen deutschen Nordsee unterwegs.

Auf diesem Bild sieht man ganz gut, dass das Tier schon etwas länger tot ist.

Lederschildkrötenpanzer werden bis zu 2,5 Meter lang, von der Schwanz- bis zur Schnauzenspitze erreichen sie fast 3 Meter. Ihren Namen haben sie von ihrem ungewöhnlichen Panzer, der kein starrer, mit Hornplatten (Schildpatt) besetzer Knochenpanzer ist. Stattdessen besteht er aus einer dünnen Knorpelschicht mit eingelagerten Knochenplättchen, überzogen von einer dicken ledrigen Haut.

Sie schwimmen bis zu 35 km/h schnell und halten damit den Rekord unter heutigen Meeresreptilien. Zusätzlich nutzen sie gern Strömungen als Turboantrieb. Sie leben meist in tropischen und subtropischen Gewässern, rudern aber mit kräftigen Flossenschlägen mit dem warmen Golfstrom bis in arktische Gewässer. Auch wenn sie die warme Strömung nutzen, haben sie mit ihrer Größe, dem Gewicht (bis über 700 Kilogramm) und der dicken Fettschicht keine Probleme mit niedrigeren Wassertemperaturen.
Diese Meeresreptilien sind heute einzigartig, sie sind Relikte wärmerer Ozeane, in denen keine Meeressäuger, sondern gewaltige Echsen die Meere beherrschten. Mit den anderen Meeresschildkröten sind sie nur entfernt verwandt.

Sie hat stärkere Hochseeanpassungen als die anderen Meeresschildkröten wie die hydrodynamische Form, sehr lange Paddel, eine Schwimmhaut zwischen Schwanz und Hinterbeinen sowie einen flexiblen Brustkorb. Dadurch kann sie sehr tief einatmen und die Lungen für tiefe Tauchgänge füllen: Dabei schlägt sie beim Abtauchen zunächst mit kraftvollen Schlägen ihrer Schwimmflossen, und taucht so ca. einen halben Meter pro Sekunde. Danach werden ihre Schwimmbewegungen gemächlicher, bis sie schließlich völlig anstrengungslos immer weiter hinabgleitet. “Dies liegt daran, dass sich ihr Lungenvolumen bei zunehmender Wassertiefe so stark verringert, dass sie insgesamt ein größeres spezifisches Gewicht als das umgebende Wasser haben. Bis zu 80 Prozent ihrer Tauchstrecke können sie auf diese Art zurücklegen. Ist ihre Lunge kollabiert, können sie dann ausschließlich auf die Sauerstoffvorräte in Blut und Muskeln zurückgreifen.” Ein Exemplar tauchte immerhin 1186 Meter tief und 86.5 Minuten lang.

Woran die Büsumer Lederschildkröte nun gestorben ist und weitere Geheimnisse werden die WissenschaftlerInnen der Tierärztlichen Hochschule Hannover dem toten Tier bei der Nekropsie entlocken. Die auf den Photos sichtbaren äußeren Verletzungen könnten durch eine Kollision mit einem Schiff entstanden sein, ob das die Todesursache war oder postmortal entstand, ist noch unklar.
Lederschildkröten haben zwar nur wenige natürlich Feinde, sind aber unseren Kunststoffen gegenüber hilflos: Sie verwickeln sich in unzerreißbaren Fischereileinen und Netzen und ersticken oder schnüren sich Hals oder Flossen ein. Plastikmüll wie Tüten ähneln stark der Schildkröten-Leibspeise Quallen, so dass viele der bedrohten Meeresreptilien dies zu fressen versuchen und daran langsam sterben.
Die Nesselgifte der Quallen machen dne Schildkröten übrigens gar nichts aus, sie naschen sogar die für Menschen extrem gefährlichen Portugiesischen Galeeren.
Wie sie davon satt werden, hatte Mike James (Dalhousie University, Canada) analysiert.

Leatherback turtle feeding on jellyfish near Karanju Island, Marovo Lagoon outer edge, Solomon Islands. 30th November 2010. (Andy Lewis)

Auch sie kommen zur Eiablage an Land, die Bebauung von immer mehr Schildkrötenstränden und andere menschliche Aktivitäten setzen auch diesen Relikten aus der Erdgeschichte sehr zu – ihre Entstehung reicht wohl 100 Millionen Jahre zurück.

Species At Risk In Atlantic Canada – Leatherback Sea Turtles (Canada Science and Technology Museum)

Ein Blick in den Rachen hat mich zum Staunen gebracht: Lederschildkröten haben keine Kauplatten zum Zerdrücken der Beute, sondern spitze, zahnähnliche Höcker und scharfkantige Kiefer, mit denen sie ihre glibbrige Beute wie Quallen und Salpen gut schnappen können. Zusätzliche nach hinten weisende hornige Stacheln in Mund und Schlund halten die Beute unentrinnbar fest.
Die jetzt in Büsum gefundene Lederschildkröte ist von ihrem Weg im Golfstrom etwas abgekommen, Strandungen sind etwa an der schottischen Küste häufiger. Dennoch gelangen sie manchmal bis in die flachen Randmeere des Atlantiks, im Meeresmuseum Stralsund ist sogar ein in der Ostsee gestrandetes Exemplar ausgestellt – in dessen Schlund hatte ich hineingeschaut.
Hier sind Bilder der Schlundstacheln zu sehen.

Lederschildkröten haben aufgrund ihrer Größe, Panzerung und Beißkraft nur wenige natürliche Feinde wie große Haie, gegen kleinere Haie und sogar Boote können sie sich energisch zur Wehr setzen und mit harten Kiefern fest zuschnappen.


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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

4 Kommentare

  1. Ich hatte gelesen, dass eine tote Lederschildkröte an der Nordseeküste aufgefischt wurde und überlegt, ob ich den Artikel verlinken sollte. Das hat sich jetzt erledigt. 🙂

    Aber jetzt habe ich wieder etwas gelernt, nämlich dass die Lederschildkröte nur eine entfernte Verwandtschaft zu den anderen rezenten Arten der Meeresschildkröten aufweist. Der englische Wikipedia-Artikel zu den Dermochelyidae ordnet stattdessen ihre nächsten ausgestorbenen Verwandten in die Kreide bzw. das Paläozän ein. Die Zeiten der meeresbewohnenden Riesenschildkröten wie z.B. Archelon.

    Faszinierend.

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