Island – Countdown zum Vulkanausbruch?

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Der Untergrund auf der isländischen Halbinsel Reykjanes grummelt es, Erdbebenserien versetzen die Einwohner seit Wochen in Angst und weisen auf einen möglichen nahenden Vulkanausbruch hin.
Die Isländische Wetterbehörde (Veðurstofa Íslands , Icelandic Met Service), die auch für Vulkan- und Erdbeben-Monitoring zuständig ist, hatte die starke Zunahme der Beben ständig verfolgt und hielt jetzt einen Vulkanausbruch in naher Zukunft für so wahrscheinlich, dass in der Nacht vom 10. auf den 11. November die fast 4000 BewohnerInnen der Fischereistadt Grindavik vorsichtshalber evakuiert wurden.

(Quelle: Nachrichtendienst X, einst als Twitter bekannt und geschätzt)

Photos aus der Gegend zeigen, wie die Beben auf der Erdoberfläche Klüfte gerissen haben. Dabei wurden vor allem Straßen und Häuser aus Stein beschädigt, während Holzhäuser eher standhielten und als Ganzes wackelten. Auf jeden Fall wäre eine Evakuierung zu einem späteren Zeitpunkt bei noch stärkerer Zerstörung der Infrastruktur schwieriger gewesen. In einigen Bereichen waren Elektrizität und heisses Wasser ausgefallen bzw. aus Sicherheitsgründen vorsorglich abgestellt worden.
Die Anwohner in den gefährdeten Gebieten waren seit einigen Tagen bereits vorgewarnt gewesen, dass es möglicherweise zu einer schnellen Evakuierung kommen können. Am Wochenende war es soweit: Die Einwohner mussten beim Anklopfen der Zivilschutz-Kräfte an ihre Türen sehr schnell packen und mitkommen, jeder Haushalt hatte nur 5 Minuten Zeit und sich auch daran gehalten.
Die Evakuierten wurden dann zunächst in der Hallgrímskirkja (isländisch: Kirche Hallgrímurs) in der Hauptstadt Reykjavík empfangen. Diese evangelisch-lutherische Pfarrkirche der Isländischen Staatskirche ist nicht nur das größte Kirchengebäude, sondern auch das sechstgrößte Bauwerk des Landes, bietet also so viel Platz wie ein Gemeindesaal. Neben den Geistlichen begrüßte dort auch der isländische Präsident Guðni Th. Jóhannesson die Gäste: “We hope for the best, but prepare for the worst that the wild forces of nature can do to us.” Außerdem lobte er die Evakuierten für ihre Disziplin, dankte den Wissenschaftlern und Zivilschutz-Kräften für ihre Arbeit und versicherte allen die volle Unterstützung der Regierung, falls es zum Ausbruch kommen sollte.
Am 13.11. haben die seismischen Aktivitäten abgenommen, allerdings kann niemand abschätzen, wie sich die geologische Situation jetzt weiterentwickeln wird.

11. Nov. 2023: Magmatunnel unter Grindavik

Die vulkanische Aktivität geht vom Vulkansystem Svartsengi aus, auf der Halbinsel Reykjanes. Dort brodelt es im Untergrund auch in tektonisch ruhigen Zeiten ausreichend, um damit ein geothermales Kraftwerk zu betreiben, das die Umgebung mit Strom und heißem Wasser versorgt. Jetzt sind die Kraftwerksmitarbeiter ebenfalls evakuiert worden.
Seit dem Juli 2023 mutmaßten manche Ortskundige, dass vielleicht wieder eine größere Eruption bevorstehen könne. Seit 2021 nehmen dort seismische Bewegungen zu, mit kleinen Lava-Eruptionen, wie Catharine Fulton am 23. Juli 2023 auf Grapevine Rekjkavik schrieb: “Anders als der berüchtigte Ausbruch des Eyjafjallajökull im April 2010, der dicke Wolken vulkanischer Asche hoch in die Atmosphäre schleuderte und zum Flugverbot in ganz Europa führte, erwies sich der Ausbruch des Geldingadalsgos im Jahr 2021 nicht nur als reisefreundlich, sondern auch als Tourismusmagnet und zog so viele Besucher an, wie zuletzt vor der Pandemie. TouristInnen kehrten zurück, wie Motten zum Licht. Es zog auch Isländer an, ein Viertel der Bevölkerung unternahm in den ersten zwei Monaten des Ausbruchs eine Wanderung zur Ausbruchsstelle.”

Seit dem 25.10.2023 rief der seismische Schwarm Hunderte Beben pro Tag hervor, das stärkste erreichte immerhin 5,0 auf der Richter-Skala. Die stärkeren Beben waren auch in weiterer Entfernung hinweg zu spüren.
Satelliten-Daten haben die Aufwölbung eines Magma-Tunnels gezeigt: Der Tunnel ist etwa 15 Kilometer lang, sein höchster Punkt liegt unter Grindavik. Die Ausdehnung der Magma macht eine vulkanische Eruption immer wahrscheinlicher, allerdings bleiben Zeitpunkt, genauer Ort und Intensität des Ausbruchs ungewiss.

Neben dem Monitoring der WissenschaftlerInnen mit vielen seismischen Stationen, Satellitendaten und anderen Quellen schaltet auch das isländische Fernsehen Live-Kameras auf die tektonisch aktiven Bereiche, z. B. hier:

Evakuierung der Tiere

Gerade Haustiere und einige Schafe sind bereits mitevakuiert worden, wie der isländische Rundfunk Fréttastofa RÚV berichtete:

Übersetzung: “Bilder aus dem Bezirk Þórkátlustað, dem östlichsten Bezirk von Grindavík, an dessen Rand die Bewohner Zutritt hatten, um Habseligkeiten und Tiere abzuholen. Den Bewohnern wurden 5 Minuten Zeit gegeben.”
(Quelle: Nachrichtendienst X, einst als Twitter bekannt und geschätzt)

Auf Baðsvällir fing ein Rettungshelfer eine freilaufende schwarze Katze ein, die die Feuerwehr dann in Verwahrung nahm, um sie der Tierrettung Dýrfinna zu übergeben. Ohne Markierung aber mit rosa Halsband konnte sie schnell mit ihrer Familie wiedervereinigt werden (Information von X, da es ein Privataccount ist, werde ich den hier nicht öffentlich teilen. Aber die hinter Katzenkorb-Gittern sitzende Mieze sieht ziemlich sauer aus).

Mittlerweile hat die Dýrfinna Tierrettung eine Menge zurückgelassener Tiere eingesammelt udn in Sicherheit gebracht: 49 Katzen, vier Hamster, 90 Brieftauben, außerdem Schafe, Frösche und Papageien.

(Quelle: Nachrichtendienst X, einst als Twitter bekannt und geschätzt)

Unterwegs mit dem Vulkanologen Þorvaldur Þórðarson

Catharine Fulton (The Grapevine Reykjavik) hatte am 8. November gemeinsam mit dem Vulkanologen Þorvaldur Þórðarson das Gelände außerhalb Grindavíks erkundet. Der Vulkanexperte hat dabei erklärt, was da genau vor sich geht: “Volcano Watch 2023: What The Heck Is Happening By The Blue Lagoon?”
Die Blaue Lagune ist eine Touristenattraktion vor der feurigen Halbinsel, von der die Touristen bereits geflohen sind.

Zum Weiterlesen:

Die IMO (Icelandic Met Service) hat ausgezeichnete Zusammenfassungen der geologischen Vorgänge und zeigt auf Graphiken, wie sich die Erde dort bewegt. Hier gibt es tägliche Updates zu den seismischen Schwärmen.

RÚV, The Icelandic National Broadcasting Service informiert im Liveblog und mit vielen Artikeln auch in Englisch über die aktuellen Vorgänge.


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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

9 Kommentare

  1. Die Anwohner in den gefährdeten Gebieten waren seit einigen Tagen bereits vorgewarnt gewesen, dass es möglicherweise zu einer schnellen Evakuierung kommen können. Am Wochenende war es soweit: Die Einwohner mussten beim Anklopfen der Zivilschutz-Kräfte an ihre Türen sehr schnell packen und mitkommen, jeder Haushalt hatte nur 5 Minuten Zeit und sich auch daran gehalten.

    Gedankenexperiment: Die 4000 Bewohner der Gegend sind Deutsche. Dann wäre wahrscheinlich folgendes Szenario eingetreten.

    Die Hälfte der Einwohner hätte sich vorbereitet und wäre mit dem passenden Gepäck fertig zur Evakuierung gewesen.

    Weitere 20 % hätten eine längere Diskussion mit dem Zivilschutz begonnen, ob die Evakuierung wirklich notwendig ist

    Den nächsten 20 % wäre erschrocken eingefallen, dass sie nicht alles erforderlich gepackt haben und hätten dann um mehr Zeit gebeten.

    Die letzten 10 % hätten die Aufforderung zur Evakuierung evakuiert, um schließlich von Polizeikräften mit mehr oder minder sanftem Druck aus den Häusern entfernt werden zu müssen. 🙂

    • Korrektur: Die letzten 10 % hätten die Aufforderung zur Evakuierung ignoriert, um schließlich von Polizeikräften mit mehr oder minder sanftem Druck aus den Häusern entfernt werden zu müssen.

    • @RPGNo1: Genau das habe ich auch gedacht : )))) Aber ich wollte wertschätzend schreiben und habe darum das positive Verhalten der Isländer hervorgehoben. Ich fand das “Packen in 5 Minuten” echt sportlich. Gut gefallen hat mir auch der Community-Gedanke mit dem freundlichen Empfang in der Kirche. In einigen norwegischen Küstenstädtchen habe ich kleine Kirchen kennengelernt, die auch als Gemeinde-Versammlungsraum benutzt wurden – meist in historischer Zeit, bei Sturm. Dort kamen alle zusammen und hofften auf die sichere Rückkehr der Fischer und anderer Seeleute. Vielleicht ist das typisch für entlegene Orte, wo Menschen auf sich selbst gestellt, im Kampf mit den Naturgewalten.

  2. Hoffen wir, dass es glimpflich für die Isländer ausgeht.

    PS: Irgendwas ist in diesem Satz verloren gegangen:
    “Seit dem 25.10.2023 rief der seismischen Schwarms Hunderte Beben pro Tag hervor”

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