Der Cookiecutter-Hai – ein Gebiss, (wie) zum Kekse ausstechen

Isistius ist ein kleiner Hai mit großen Ambitionen. Im Gegensatz zu seinen größeren Cousins, die ganze Fische verschlingen oder zumindest große Teile davon abbeißen, hat er eine ganz andere Strategie zur Nahrungsaufnahme: Er stanzt ein kreisrundes Stückchen Gewebe aus einem lebenden Tier heraus. Die Beute überlebt und schwimmt einfach weiter. Um bei nächster Gelegenheit wieder zu einem „Häppchen“ zu werden.

Isistius brasiliensis (Quelle: Wikipedia: “Gefangener Zigarrenhai mit Bleistift als Referenzobjekt”, NOAA Observer Project

Der deutsche Name “Zigarrenhai” bezieht sich auf die Körperform und die bräunliche Färbung. Sein englischer Name „Cookiecutter“-Shark, also „Keksausstecher“-Hai, passt aber viel besser: Sein „Stanzbiss“ ist nämlich das wichtigste, weil ungewöhnlichste Merkmal.
Im Oberkiefer sitzen feine, nadelförmige Zähne, die Zähne des Unterkiefers sind enorm vergrößert. “Zur Nahrungsaufnahme schwimmt ein Zigarrenhai vermutlich auf den angelockten, vermeintlichen Räuber zu, saugt sich mit dem dafür entwickelten Kiefer- und Schlundapparat mit Unterdruck an und kerbt in einer Drehbewegung des ganzen Körpers mit den kräftigen Zähnen des Unterkiefers ein tiefes Loch in die Haut seines Opfers, womit er ein rundliches Stück Fleisch herausschneidet (Abb. 8) und die typischen, kreisförmigen und kraterartigen Wunden hinterlässt (Abb. 7).“ (Zidowitz, s. u.).

Zigarrenhai von vorne mit geöffnetem Maul
Ansicht von vorne mit geöffnetem Maul (Wikipedia: “Isistius brasiliensis” front view NOAA)

Haps – der kinetische Kiefer der Knorpelfische

Der Mechanismus des Unterkiefer-Vorschiebens beim Zubeißen ist ein typisches Hai-Ding: Ihre Mundöffnung liegt immer auf der Körperunterseite (stark unterständiges Maul), zum Zubeißen schieben sie den Unterkiefer weit nach vorn, so dass die “Nasenspitze” regelrecht hochgeklappt wird. Ihre Schädel sind kinetisch: Der Oberkiefer (Palatoquadratum) ist nicht fest mit der Hirnkapsel (Neurocranium) verwachsen, sondern über einen beweglichen Hyoidbogen (umgebildeter Kiemenbogen, bei Säugetieren das heutige Zungenbein) gelenkig verbunden. Wer mehr über diese seltsame Anatomie des Knorpelfischkiefers und -kopfes wissen möchte, wird in diesem sehr guten Video fündig.

So knabbert der Cookiecutter gern an Walen, Robben, Thunfischen, anderen Haien und anderen dicken und großen Fischen. „Selbst in den Sonardomen von Atom-U-Booten fanden sich Bissspuren dieser Haie. Neben dieser parasitären Ernährungsweise ernähren sie sich aber auch von kleineren Krabben, Tintenfischen und Fischen, die sie im Ganzen verschlingen.“ schreibt Heike Zidowitz (s. u.)
Dieses Video zeigt ausgezeichnete Aufnahmen des kleinen Hais aus allen Perspektiven, seinen blutenden Opfer und ab ca Minute 4 auch die angebissenen U-Boote. Der Cookiecutter hatte schwere Schäden an außen gelegenen Kabeln an 30 U-Booten verursacht, die zunächst eine neue Anti-U-Boot-Geheimwaffe befürchten ließen.

Die kleinen, braunen Haie der Gattung Isistius leben zwischen 0 und 3500 Metern Tiefe. Meist nur 50 Zentimeter lang verstecken sie sich tagsüber in der Meerestiefe unter 1000 Metern. Ihre grünen Leuchtorgane am Bauch dürften der Tarnung dienen (Countershading), sie sind die stärksten Leuchtorgane bei Haien und glimmern bis zu drei Stunden nach dem Fang weiter.
Nachts steigen die hungrigen Haie mit der großen Vertikalwanderung der Meerestiere an die Oberfläche auf und gehen dann in 90 Metern Tiefe auf Nahrungssuche, dort fressen sie kleine Wirbellose oder stanzen sich ein Häppchen aus einem größeren Tier. Dabei verstecken sie sich gern in Schwärmen von aufgestiegenen Tintenfischen, die ebenfalls Leuchtorgane haben – so sind die kleinen Haie perfekt getarnt.

Ganz viel mehr über den Cookiecutter-Hai ist in „Zur Biologie der Gattung der Zigarrenhaie Isistius spp.“ (Elasmoskop, 2003) der Hai-Expertin Heike Zidowitz zu lesen. Oder hier und hier (ausgezeichneter Wikipedia-Artikel). Dieses Video zeigt den kleinen Hai , seinen fiesen Kiefer – der an Alien erinnert – und die tiefen blutenden Wunden seiner Opfer.

… weiblicher See-Elefant mit den charakteristischen Bissen eines Zigarrenhais
… weiblicher See-Elefant mit den charakteristischen Bissen eines Zigarrenhais (Wikipedia: “Elephant seal cookiecutter shark bites” Jerry Kirkhart)

2009 hatte ein solcher Hai einen nächtlichen Schwimmer zwischen Hawaii und Maui, attackiert. Der Biß war nicht nur sehr schmerzhaft und ein Riesenschreck, sondern brauchte wegen des tiefen Lochs auch die Kunst eines plastischen Chirurgen.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

16 Kommentare

  1. Das ist (wieder einmal) ein Meeresbewohner, der sehr gut in die Story eines B-SciFi/Horrorfilms passen würde:
    Ein US-amerikanisches Atom-Uboot hat einen Notruf ausgestrahlt. Als die Rettungsmannschaft eintrifft und das Wrack in ihrem Rettungsuboot begutachtet, bemerken sie tausende seltsame Bisspuren und Löcher im Stahl des Druckkörpers. Was könnte das verursacht haben?
    Plötzlich setzt dramatische Musik ein und Schwärme von kleinen fiesen Fischen (Cookiecuttern) verdunkeln den Bildschirm. Werden die Protagonisten sich ihnen erwehren können? Wer kommt um, wer überlebt? 😀

  2. Hui, dieser MiniHai scheint ja für UBoote das zu sein, was ein Marder für Kraftfahrzeuge ist…

    Schöner Text über kaum bekannte Wesen!

  3. Pur gibt es von Win7/FF aus gesehen ‘kein Kontakt’, wenn ich es mit dem wayback-üblichen Sternchen zu jenem aufhübsche, gibts ein ‘Fail with status: 498 No Reason Phrase’ ein blöder FehlerText, aber hilfreich, denn..

    ..jetzt weiß ichs: about:config/network.http.sendRefererHeader steht bei mir auf 0 (niemals nich!), für wayback brauchts ne 2 (der RefererHeader ist immer und überall). Aber mach ich nur für wayback, mal schauen, obs da ein automagisches addon gibt…

    • @rolak: Ich habe keine Ahnung, wovon Du redest. Hoffe aber, dass es jetzt klappt : )
      Ich hatte die url extra noch ausprobiert. Aber manchmal hängt so etwas ja wirklich von den Einstellungen ab

  4. Die Ernährungsweise erinnert mich etwas an Neunaugen, auch wenn diese gar keine Kiefer haben. Lassen sich denn die entstehenden Wunden eindeutig voneinander abgrenzen?

  5. An Pottwalen wurden solche Narben als Abwehrspuren von Tintenfischen gedeutet und aus der Größe auf bislang unbekannte Riesenkalmare geschlossen. Sind die Fraßspuren dieses Hais eindeutig von Verletzungen durch Saugnäpfe unterscheidbar?

  6. Das Bild wo man das Maul von vorn sieht löst bei mir Kopfkino über ein erstes Date des Grauens aus 😉 Dann lieber Zwiebelatem…

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