Konferenztod in Venedig
BLOG: KlimaLounge
Ich komme gerade von einigen Tagen in Venedig auf Einladung der UNESCO zurück. Venedig ist immer wieder bezaubernd – die Hintergründe dieser Reise sind dagegen wenig erfreulich.
Doch fangen wir am Anfang der Geschichte an. Seit mehr als einem Jahr hat das ortsansässige UNESCO-Büro zusammen mit der Stadt Venedig auf eine große Konferenz zur Zukunft Venedigs hingearbeitet. Zur Vorbereitung gehörte zum Beispiel eine Reihe thematischer Workshops (bei einem davon, zum Meeresspiegel, sprach ich vor einem Jahr).
In diesen Tagen sollte die Konferenz stattfinden. 66 internationale Experten sollten zu einem breiten Spektrum an Themen sprechen, Flüge und Hotels waren gebucht, Vorträge vorbereitet und sogar ein eigenes klassisches Konzert für die Konferenzteilnehmer im berühmten Teatro La Fenice organisiert.
Am 31. Oktober, keine zwei Wochen vor Konferenzbeginn, bekam ich eine kurze Mail von der UNESCO: die Konferenz sei auf unbestimmte Zeit verschoben, "due to unforeseen circumstances, beyond our control". Etwas Vergleichbares ist mir in über zwanzig Jahren als regelmäßiger Teilnehmer an wissenschaftlichen Konferenzen niemals passiert. Was war geschehen?
Zuerst vermutete ich, es könne mit der gerade gefällten Entscheidung der UNESCO-Mitgliedstaaten zur Aufnahme von Palästina zusammen hängen, in deren Folge die USA ihre Beiträge verweigern und die UNESCO erhebliche Budgetkürzungen verkraften muss. Doch weit gefehlt – es wäre ja auch unsinnig, so kurzfristig eine Konferenz zu stoppen, wenn man einen großen Teil der Kosten dafür nun nutzlos abschreiben muss.
Aus italienischen Zeitungsberichten und einer Reihe von Gesprächen mit Personen nah am Geschehen ergibt sich mir das folgende Bild – allerdings ohne Gewähr, ich bin kein Journalist, der dies richtig recherchieren und belegen könnte. Geben wir dem Folgenden also vorsichtshalber den Status von nicht unbegründeten Vermutungen.
Der Tod dieser für sie missliebigen Konferenz war eine der letzten Taten der Berlusconi-Regierung, wobei vor allem die Interessen des Consorzio Venezia Nuova ein Rolle gespielt haben sollen, das derzeit im MOSE-Projekt große Flutbarrieren für Venedig baut. Das hoch umstrittene MOSE-Projekt gehört zu den größten öffentlichen Bauprojekten Italiens und wird gegen das Votum der Kommune Venedig (bemerkenswert angesichts der ständigen Hochwasserprobleme in der Stadt) und des italienischen Umweltministeriums gebaut – eine Art italienisches Stuttgart 21.
Anscheinend hat nun Renato Brunetta, der italienische Minister für öffentliche Verwaltung, bei der UNESCO-Zentrale in Paris interveniert und Druck ausgeübt, dass die Konferenz gestoppt werden muss. Dieser Druck ist insofern wirkungsvoll, als das ortsansässige UNESCO-Büro von der Finanzierung durch die italienische Regierung abhängig ist. Möglicherweise hat auch eine Rolle gespielt, dass UNESCO-Vizedirektor Francesco Bandarin sechs Jahre lang als Direktor des MOSE-Konsortiums tätig war. Brunetta wiederum ist als dezidierter MOSE-Befürworter schon zweimal an den Wählern gescheitert bei dem Versuch, Bürgermeister von Venedig zu werden.
Acqua Alta (Hochwasser) in Venedig. (Foto: S.R.)
Auslöser von Brunettas Hau-Ruck-Aktion soll gewesen sein, dass bei der geplanten UNESCO-Konferenz auch Gegner des MOSE-Projekts sprechen sollten. Obwohl der Bau von MOSE schon weit fortgeschritten ist, ist MOSE anscheinend in einer sensiblen Phase: die Finanzierung für den Weiterbau ist nicht gesichert, ein spezielles Gesetz für Venedig (wo es unter anderem um diese Finanzierungsfragen gehen soll) wird gerade erörtert, Italien hat Finanzprobleme, und in dieser Situation fürchtete man offenbar eine offene wissenschaftliche Diskussion über Sinn oder Unsinn des MOSE-Projekts (worüber ich mir übrigens selbst keine fundierte Meinung zutraue).
Schon vor einigen Wochen hat das MOSE-Konsortium eine Gegenkonferenz in Venedig organisiert, bei der die Teilnehmer luxuriös im Hilton untergebracht waren, ausgiebig die MOSE-Baustellen gezeigt und offenbar die Vorteile von MOSE in leuchtenden Farben geschildert bekamen. Unabhängige Teilnehmer berichteten, sie hätten sich für eine Propaganda-Konferenz missbraucht gefühlt.
Von der geplanten großen UNESCO-Konferenz dagegen blieb am Ende nur ein Workshop in kleiner Runde übrig – und ein schönes Konzert im La Fenice, das wir als Ehrengäste in der königlichen Loge genießen konnten. Die Mitarbeiter des UNESCO-Büros in Venedig standen in diesen Tagen noch sichtlich unter Schock, nachdem sie monatelang mit zahlreichen nächtlichen und sonntäglichen Überstunden alles organisiert hatten, was nun durch Intervention "höherer Mächte" in einen Scherbenhaufen verwandelt wurde. Der freie wissenschaftliche Austausch geriet unter die Räder von Politik und Wirtschaftsinteressen.
Noch ein Hinweis: in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift mare wird ein Artikel von mir zum Thema Acqua Alta erscheinen: zum Problem der immer häufigeren Hochwasser, zum Meeresspiegelanstieg und der Zukunft Venedigs. Ab Ende November am Kiosk.
Hannu Raittila: Canale Grande, der Ing.
Die Irrationalität solcher Sitzungen übersteigt jede Vorstellungskraft. Das Sekretariat, in das wir geraten sind,
diskutiert seit Tagen darüber, wo die Besprechungen in Zukunft stattfinden sollen.
An dieser Frage entzünden sich endlose Streitereien. Man kann nur erahnen was sich dahinter verbirgt:
Intrigen, Kommunalpolitik, nationale Politik, Europapolitik…
Der Dozenz versucht ihm einzuhämmern, nicht die Schwierigkeiten der Wasserbebauung stellten das eigentliche Problem dar, sondern die administrativen Rahmenbedingungen des Unternehmens.
!!!
Der verantwortungsbewusste und praktisch denkende Marrasjärvi kann überhaupt nicht begreifen, dass er ungefähr
der einzige Mensch in der ganzen Stadt sein soll, der sich dafür interessiert, Venedig über Wasser zu halten…
!!!
Das Los einer eingleisigen Ingenieursseele: Ein Mensch, der sich bloss an konkreten Fakten und ihrer Umsetzung orientiert,
fällt hier zwischen die Praxis und das sich über sie erhebende komplizierte, aber unsichtbare Spiel der Kulturen” (Canal Grande)
http://ed.iiQii.de/…nk/HannuRaittila_eeva_fi_001
So ernst steht es um unseren Willen zur Weltrettung:
http://ed.iiQii.de/…Stryi_Hipp_ise_fraunhofer_de
Sonderbericht des IPCC ?
Mich würde eine Expertenmeinung zum Sonderbericht des Weltklimarats IPCC in Kampala allerdings wesentlich “brennender” interessieren…
Danke !
… aber ansonsten immer Super-Themen in diesem Blog.
Viele Grüße
Toni
[Antwort: Wollen wir machen, war nur bislang keine Zeit dafür. Auf Realclimate finden Sie schon einen Kommentar. Stefan Rahmstorf]