Die Hidschra

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Geschichte und Gegenwart
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Die Auswanderung (arab. Hidschra) von Mekka nach Medina im Jahre 622 gilt als eines der wichtigsten Ereignisse im Leben Muhammads. 610 zum Propheten berufen, wirkte er zwölf Jahre lang in Mekka und hatte in der Führungsschicht Mekkas schon früh seinen Gegenspieler gefunden. Nur an einen einzigen statt an Hunderte von Göttern, die man selbst schaffen und verkaufen konnte, zu glauben, wurde vor allem von den reichen Mekkanern als eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedrohung ihrer eigenen Interessen empfunden. Muhammad wurde zum Staatsfeind erklärt und seine Anhänger, die bis dahin überwiegend aus ärmeren Verhältnissen oder seinem Bekanntenkreis kamen, wurden verfolgt, gefoltert und teilweise auch ermordet. Den Schwächsten unter ihnen riet Muhammad schon 615, Mekka zu verlassen und nach Abessinien zu gehen, wo ihnen der dortige christliche Machthaber Asyl gewährte. Auch Muhammad selbst soll immer wieder Angriffen ausgesetzt worden sein, doch diese hielten sich im Vergleich zu den Attacken gegen seine Anhänger noch in Grenzen. Schließlich genoss er den Schutz seines Onkels Abu Talib, der in Mekka auch unter den mächtigen Stammesführern hoch angesehen war. Im Jahre 619 verstarben sowohl Abu Talib als auch Muhammads geliebte Gattin Chadidscha, die Zeit ihres Lebens die einzige Frau an seiner Seite war und als erste an seine Botschaft geglaubt hatte. Damit hatte Muhammad im sogenannten „Jahr der Trauer“ nicht nur zwei ihm sehr wichtige Menschen in seinem Leben verloren, sondern auch seinen Rückhalt in Mekka. Und obwohl Muhammads Anhängerschaft längst nicht mehr nur aus Armen und Entrechteten bestand, sondern inzwischen auch bekannte Persönlichkeiten wie die beiden späteren Kalifen Umar b. al-Chattab (reg. 634-44) oder Uthman b. ´Affan (644-56) dazu gehörten, folgten drei sehr schwere und harte Jahre für die Muslime. Das Blatt wendete sich schließlich, als eine Delegation der beiden im etwa 350 km entfernt gelegenen Medina lebenden arabischen Stämme Aus und Chazradsch, die um 621 im geheimen den Islam angenommen haben sollen, Muhammad aufsuchte und ihm anbot, gemeinsam mit seiner Gefolgschaft zu ihnen überzusiedeln.

Und so geschah es denn auch. Die Überlieferungen schildern die Ereignisse in etwa wie folgt: In kleinen Gruppen zogen die Muslime Richtung Medina aus, mit der Hoffnung, dort ein ruhigeres Leben zu führen und ihre neue Religion ohne Furcht um ihr Leben praktizieren zu können. Diese Auswanderungswelle blieb den heidnischen Mekkanern nicht lange verborgen und bereitete ihnen große Sorgen. Medina lag nämlich auf dem Weg nach Damaskus, welches eines ihrer wichtigsten Handelsziele darstellte. Wollte man zukünftig also Damaskus erreichen, musste man zunächst an der Stadt vorbeiziehen, in der die von ihnen verfolgten und vertriebenen Muslime lebten.

Da Muhammad sich noch in Mekka befand, schmiedete man einen Plan, um sich seiner endgültig zu entledigen. Der Plan sah vor, dass jede Sippe einen starken jungen Mann aus ihren Reihen auswählte, die Muhammad gemeinsam töten sollten, so dass sein Blut auf alle Sippen verteilt sein würde.

Doch der Anschlag scheiterte. Als die jungen Männer nämlich nachts in Muhammads Haus eindrangen, fanden sie dort seinen Vetter Ali (reg. 656-61) vor, der bereit gewesen sein soll, anstelle Muhammads getötet zu werden.

Muhammad entkam also und er verließ mit Abu Bakr (reg. 632-34), einem seiner engsten Gefährten, die Stadt. Da sie sich sicher waren, dass die Mekkaner sie verfolgen würden, zogen sie nicht sofort in Richtung Medina, sondern suchten Schutz in einer Höhle auf einem Berg, der auf dem Weg in den Jemen lag. Trotz dieser List konnten die Mekkaner ihren Spuren bis zur Höhle folgen. Wie der Koran schildert, soll Muhammad in diesem Moment zu Abu Bakr gesagt haben: „Sei nicht traurig! Siehe, Gott ist mit uns.“ (Sure 9,40)

Daraufhin sollen göttliche Wunder ihren Lauf genommen haben, denn die Verfolger blieben vor der Höhle stehen und waren alle der Meinung, dass niemand darin sein konnte. Und so machten sie sich auf, um woanders nach den beiden zu suchen.

Muhammad und Abu Bakr eilten dann zum Höhleneingang und sahen dort einen hohen Akazienbaum, der am Morgen noch nicht da gewesen sein soll. Außerdem soll eine Spinne ihr Netz zwischen dem Baum und der Höhlenwand gespannt haben, das man hätte zerstören müssen, um in die Höhle zu gelangen. Des Weiteren soll eine Taube am Eingang ihr Nest gebaut haben. All dies waren für die Mekkaner Beweise dafür, dass sich niemand in der Höhle aufhalten konnte.

Damit waren die beiden Männer also gerettet und sie konnten nun endlich nach Medina weiterziehen, wo sie der Überlieferung nach am 24. September 622 ankamen. Jetzt erst bekam Medina, das bis dato noch Yathrib hieß, den Namen Madinat an-Nabi (die Stadt des Propheten), wurde aber bald nur noch abkürzend Madina (die Stadt) genannt.

Muhammads Eintreffen in Medina markiert einen entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben und in der Geschichte des Islam im Allgemeinen. Von nun an kann man vom ersten muslimischen Gemeinwesen (umma) sprechen, welches sich aus einheimischen zum Islam konvertierten Medinensern und ausgewanderten muslimischen Mekkanern zusammensetzte und deren Leitung Muhammad oblag.

Die Bedeutung dieses Ereignisses lässt sich auch daran erkennen, dass die Tradition die Suren des Koran, in mekkanische (610-22 entstanden) und medinensiche (622-32 entstanden) Suren aufteilt.

Auch die islamische Zeitrechnung (arab. Hidschri, abgeleitet von Hidschra) richtet sich danach. Der Kalif Umar erklärte in seiner Herrschaftszeit das Jahr der Auswanderung zum Ausgangspunkt (Jahr 1) der islamischen Zeitrechnung.

Die Auswanderung nach Medina fiel Muhammad aber nicht leicht, wie an folgender Überlieferung deutlich wird: Als er Mekkas Grenzen überschritten hatte, soll er sich nochmals umgedreht und gesagt haben: „Auf Gottes Erde bis du mir der liebste Platz und bist du Gott der liebste Platz; und hätte mein Volk mich nicht vertrieben, so hätte ich dich nie verlassen.“

Trotz dieser Worte und obwohl er immer wieder betont haben soll, dass Mekka seine Heimat sei, blieb er auch nach der Einnahme Mekkas durch die Muslime im Jahre 630 bis zu seinem Tod zwei Jahre später in Medina leben. Dort liegt Muhammad auch begraben.

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Hussein Hamdan M.A., geb. 1979 studierte Islam- und Religionswissenschaft sowie Irankunde in Tübingen und schloss sein Studium 2007 mit einem Magister ab. Anschließend folgte, ebenfalls an der Universität Tübingen, die Doktorarbeit über das Wirken der Azhar-Universität im christlichen-islamischen Dialog, die im März 2013 abgeschlossen wurde. Hussein Hamdan war die ersten beiden Jahre seiner Promotion Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, ehe er 2009 für zwei Jahre Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für interkulturelle Kommunikation in Heidelberg wurde. Dort verfasste er u.a. den Band „Muslime in Deutschland. Geschichte, Gegenwart und Chancen“. Aktuell ist er an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart angestellt und für das Projekt „Gesellschaft gemeinsam gestalten – Junge Muslime als Partner“ verantwortlich. Hussein Hamdan ist Autor und Sprecher der Kolumne „Islam in Deutschland“ (SWR) und Referent zu diversen Themen des Islam. Seine Schwerpunkte sind Muslime in Deutschland, Interreligiöser Dialog, Humor im Islam sowie Einführungen in die Grundlagen, Quellen und Geschichte des Islam. Zudem ist er Mitglied des Runden Tischs Islam von Integrationsministerin Bilkay Öney in Baden-Württemberg. Hamdan hat sich in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen des interreligiösen und interkulturellen Dialogs engagiert. Von 2004-2007 moderierte er in Tübingen den Arabisch-Amerikanischen Dialog. Aktuell ist er Vorstandsmitglied des Bendorfer Forums.

3 Kommentare

  1. Trotz dieser Worte und obwohl er immer wieder betont haben soll, dass Mekka seine Heimat sei, blieb er auch nach der Einnahme Mekkas durch die Muslime im Jahre 630 bis zu seinem Tod zwei Jahre später in Medina leben. Dort liegt Muhammad auch begraben.

    Warum eigentlich? Das ist doch im Grunde recht untypisch. Man sollte meinen, dass er als Prophet am Heiligtum hätte residieren sollen.

  2. @Lars Fischer

    Über die Motive, die Muhammad dazu bewegt haben, auch nach der Eroberung Mekkas weiterhin in Medina zu bleiben gibt es, soweit ich weiss, in der islamischen Tradition keine eindeutigen Überlieferungen. Man kann also, was diese Frage angeht, nur Vermutungen anstellen. Ein Anhaltspunkt könnten die Überlieferungen sein, die davon berichten, dass dem Propheten die Ansar, also die medinensischen “Gastgeber”, sehr am Herzen gelegen haben sollen. Vielleicht wollte der Prophet dadurch die Dankbarkeit seinen “Gastgebern” gegenüber noch bekräftigen, indem er auch weiterhin bei ihnen blieb.
    Vielleicht hat das Fernsein des Propheten vom Heiligtum aber auch etwas mit dem Ritus der Pilgerfahrt zu tun: eine Pilgerfahrt macht erst dann richtig Sinn, wenn man einen weiteren Weg zurückzulegen hat. Vielleicht ist es ja gerade die Entfernung, die ein Heiligtum zu dem macht, was es ist.
    Letzten Endes kann man über die Motive Muhammads aber nur spekulieren.

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