Völlig losgelöst

BLOG: Zündspannung

Blick über den Plasmarand
Zündspannung

Der erste Parabelflug ist geschafft!

Aber von Anfang an. Gestern nachmittag fand die Sicherheitsbelehrung statt. Dort wurde das Parabelflug-Manöver genau erklärt, verschiedene Sicherheitsaspekte erläutert, medizinische Infos gegeben und alle Experimente kurz vorgestellt. Außerdem wurde uns gesagt, dass ein Sturm aufzog und es deshalb nicht sicher sei, ob wir überhaupt fliegen können.

Nach einer sehr windigen Nacht sind wir Flieger dann heute morgen gegen halb Acht bei Novespace angekommen (die Nicht-Flieger schon früher, um die Pumpen am Experiment anzuschalten). Dort haben wir die freudige Nachricht bekommen, dass der Flug stattfindet, da der Sturm mittlerweile weitergezogen war. Alle, die mitfliegen sollten, haben sich dann in die aushängende Liste eingetragen. Danach haben wir noch etwas bei der Vorbereitung des Experiments geholfen (was der Rest unserer Truppe aber super unter Kontrolle hatte) und sind dann in die blauen feuerfesten Overalls des DLR geschlüpft.

Wer wollte, konnte sich vom Fliegerarzt Scopolamin gegen Reisekrankheit abholen, entweder in Tablettenform oder als Injektion. Ich habe mich auf Empfehlung meiner Kollegen für die Tablette entschieden, aber die meisten der Mitfliegenden haben die Spritze genommen, denke ich.

Der A300-Zero-G ist gegen halb 10 dann gestartet. Hier haben wir schon den ersten Unterschied zu einem normalen Flugzeug gespürt – der Aufstiegswinkel des Flugzeugs war wesentlich steiler als der eines Vekehrsflugzeugs.

Nach wenigen Minuten durften wir dann aufstehen und unser Experiment anwerfen. Wir haben die Checkliste abgearbeitet, vor allem möglichst schnell wieder angefangen zu pumpen, um ein gutes Vakuum zu bekommen. Der Zero-G flog unterdessen weiter zur Bretagne, um dort über dem Atlantik die Parabeln zu beginnen.

Nach kurzer Zeit kam dann bereits die Durchsage, dass die erste Parabel bevorstünde. Wir haben noch schnell die letzten Parameter eingestellt, die Videokamera an der gegenüberliegenden Wand befestigt, um uns während den Parabeln aufzunehmen, und dann unsere Positionen eingenommen: Wir waren zu dritt bei unserem Experiment, einer hat den Kamerarechner bedient, jemand anders die Einstellungen kontrolliert und gegebenenfalls die Parameter bei der nächsten Parabel angepasst und jemand drittes (heute ich) hat den Experimentrechner bedient.

Zunächst sollte ich nur bei der "One Minute" Ansage – eine Minute vor Beginn des Steigflugs – unsere Prozedur starten, die einige Einstellungen machen würde und dann von allein pausieren, und dann bei Beginn der Parabel die Prozedur weiterlaufen lassen.

Die One Minute Ansage kam schnell, aber erwartet, und so war der Beginn kein Problem. Als nächstes wurde runtergezählt bis zum "Pull Up", wenn der Pilot das Flugzeug in den steilen Flug nach oben ziehen würde, bei dem alle mit der 1.8fachen Erdbeschleunigung auf den Boden gepresst wurden. Kurz vor dem Pull-Up habe ich mich auf den Boden gelegt, wie es empfohlen wird, und den Kopf während der Pull-Up-Phase möglichst still gehalten. Ich merkte, wie ich dann nach unten gepresst wurde, was ich aber nicht als sehr unangenehm empfand.

Interessanterweise spürt man den Steigungswinkel des Flugzeugs kaum, man wird so stark auf den Boden gedrückt, dass man nicht zur Seite wegruschen kann. Der Pilot zählte die Winkel des Flugzeugs ab – 30, 40 – und dann kam bereits "Injection", der Beginn der ersten Parabel. Ich habe die Prozedur weiterlaufen lassen, mich gleichzeitig aufgerichtet – und fand mich plötzlich einen Meter über dem Boden wieder!

Anscheinend war meine Befestigung am Gurt nicht genug gewesen, und es hatte auch eine leichte Beschleunigung nach oben gegeben, da die Parabel nicht perfekt war. Nach einigen Schrecksekunden hat mir dann jemand von den Sicherheitsleuten geholfen, und ich war wieder am Boden. Wenigstens hatte ich noch alles bedient, so dass das Experiment in dieser Parabel nicht gescheitert war, dachte ich – allerdings hatte mein Kollege am Kamerarechner das Problem, dass er in der Schwerelosigkeit auf Teufel komm raus nicht mehr an die Tastatur kam, und so kombiniert war unsere erste Parabel also im Chaos geendet.

Na ja, die erste Parabel war sowieso als Übungsparabel gedacht. Nach kurzen 22 Sekunden zog der Pilot das Flugzeug nach oben, was wieder 20 Sekunden fast doppelte Schwerkraft bedeutete, und dann war kurz Pause. Bei der nächsten war ich besser angegurtet und mein Kollege näher an der Kontrolltastatur für den Kamerarechner, und alles lief nach Plan, wir haben gute Aufnahmen gemacht.

Bei den späteren Parabeln haben wir dann auch je nach Bild mehr oder weniger Teilchen einstreuen können und wirklich interaktiv reagieren können, genau wie es gedacht war. Die Hardware hat ebenfalls ohne Probleme funktioniert, auch unser Hochgeschwindigkeitsdatenerfassungssystem, das etwas difizil sein kann.

Parabelflugteam Fast - PK-3 Plus Tag 1Wir hatten auch alle das Glück, dass niemandem von uns schlecht wurde, und so konnten wir die Schwerelosigkeit sogar etwas genießen – wobei wir leider keine Zeit hatten, in die "Free Float" Area zu gehen, wo man schweben darf, sondern alle Hände voll mit unserem Experiment zu tun hatten. Auch die Nebenwirkungen des Scopolamins hielten sich in Grenzen – ich hatte einen recht trockenen Mund, aber dagegen half Kaugummikauen recht gut. Nach dem Flug wurde ich dann allerdings ziemlich müde – aber während des Flugs kein Problem, da war ich wohl aufgeregt genug.

Die Schwerelosigkeit ist ein Erlebnis für sich. Man hat keinerlei Stütze mehr, sondern schwebt einfach mittem im Raum. Es fühlt sich keinesfalls so an, als würde man in einem Flugzeug stürzen. Wenn man einen Gegenstand loslässt, hängt er vor einem herum – bzw. je nachdem, wie gut die Parabel geflogen wurde, kann er auch schon mal wegdriften. Wirklich vollkommen ungewohnt, seltsam – und doch toll.

Wir hatten einen kleinen Stoffdelphin mit, der vor uns an das Rack gebunden war und vor uns schwebte – diesen Delphin konnte man mit einem leichter Puster an oben wegkatapultieren. Auch der Stift an unserem Klemmbrett z.B. schwebte einfach so vor uns herum (war natürlich auch angebunden, sonst wäre er sofort verschwunden gewesen).

Die 31 Parabeln gingen im Nu vorüber. Ich darf morgen wieder mitfliegen und hoffe, dann vielleicht die Gelegenheit zu haben, einmal zur Free Float Zone zu gehen und dort wirklich frei im Raum zu schweben. Mal sehen, ob die Experimente morgen das zulassen. Hauptsächlich hoffe ich, dass die Experimente morgen wieder gut klappen (besonders, da ich einen Teil davon geplant habe und gerne für meine Doktorarbeit verwenden möchte), und dass alles so gut läuft wie heute.

Update: Das Foto zeigt das Flugteam von Fast PK-3 Plus vom ersten Tag nach dem Flug vor dem A300-Zero-G: Ralf Heidemann, Michael Kretschmer und mich.

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Erhöht man die Spannung zwischen zwei Elektroden, die ein Gas umgeben, beginnt das Gas irgendwann zu leuchten: Freie Elektronen im Gas haben genug Energie, um die Gasteilchen zu ionisieren und noch mehr Elektronen aus den Atomen zu schlagen. Ein Plasma wurde gezündet, die Zündspannung ist erreicht. Gibt man nun noch zusätzlich Mikrometer große Teilchen in das Plasma, erhält man ein sogenanntes "Komplexes Plasma", mit dem ich mich zunächst als Doktorand und Post-Doc am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und nun an der University of California in Berkeley beschäftige. In diesem Blog möchte ich sowie ein wenig Einblick in den Alltag im Forschungsinstitut bieten, als auch über den (Plasma)-Rand hinaus blicken. Mierk Schwabe

2 Kommentare

  1. Ich bin dagegen, daß Du morgen Zeit für die Free Float Zone hast, schließlich darf Forschen niemals Spaß machen oder gar zum Vergnügen werden. 😉

    Interessanter Bericht. Da hätte ich auch mal Lust zu. Ich stelle mich auch an die Tastatur vom Kamerarechner, das würde ich auch noch hinbekommen.

    Bei den WISSENSlogs hat sich auch was getan, Du hast nun einen “Plasma”-Kollegen hier.

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