Blasen und Tropfen sind typische Flüssigkeitseffekte.

Dass diese Phänomene auch in anderen Systemen auftreten, mag auf den ersten Blick überraschen. Wir haben sie jedoch unter ganz bestimmten Umständen auch in unseren komplexen Plasmen beobachtet—ein Phänomen, das wir diese Woche in der Zeitschrift Physical Review Letters publiziert haben, und das es sogar auf das Titelblatt geschafft hat!

Aus diesem Anlass beende ich meine doktorarbeits-erzwungene Stille hier jetzt endlich. Wie schon des Öfteren hier im Blog berichtet, besteht ein sogenanntes komplexes Plasma aus einem ionisierten Gas, in dem sich zusätzliche Teilchen befinden, die meistens um ein paar Tausendstel Millimeter groß sind (und damit riesig im Vergleich mit den anderen Teilchen im Plasma, den Ionen, Atomen und Elektronen).
Normalerweise werden diese Teilchen von der Schwerkraft nach unten gezogen, so dass sie sich im unteren Bereich der Plasmakammer ansammeln. Dem kann man entgehen, indem man Experimente in der Schwerelosigkeit durchführt—wie auch schon häufiger hier erwähnt. Oder man übt eine zusätzliche Kraft auf die Teilchen nach oben aus, um sie in den Hauptteil des Plasmas zu heben. Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist es, die untere Platte der Experimentkammer zu heizen. Dann besteht ein Temperaturunterschied zwischen der oberen und der unteren Platte, was wiederum zu einer Kraft auf die Teilchen führt, der sogenannten Thermophorese. Diese Kraft kompensiert die Schwerkraft, die auf die Plastikteilchen wirkt. Das komplexe Plasma sieht dann ganz ähnlich aus wie bei einem entsprechenden Versuch auf der Internationalen Raumstation in echter Schwerelosigkeit. Besonders auffällig ist eine große, teilchenfreie Region in der Mitte der Teilchenwolke—das sogenannte Void.
Abb.: Teilchenblase – M. Kretschmer Unter bestimmten Bedingungen entstehen am unteren Rand dieses Voids unter Schwerkraftsbedingungen neuartige Phänomene: Es
bilden sich Blasen, die nach oben in das Void hinein „explodieren“, wie auf dem Bild rechts gezeigt. Ebenfalls entstehen Tropfen wie der auf dem Titelbild gezeigte. Dabei strömen einzelne Teilchen nach oben in das Void hinein. Ein weiteres Phänomen sind Spitzen, die sich in der Teilchenwolke am unteren Rand bilden und nach oben zeigen. Diese Kegel erinnern an sogenannte „Taylor-Kegel“, die in Flüssigkeiten unter dem Einfluss eines elektrischen Felds und der Oberflächenspannung entstehen.
Wie das Titelbild zeigt, waren die Tropfen dabei völlig unabhängig von dem Rest der Teilchenwolke. Die Illustration entstand mithilfe eines tomographischen Verfahrens. Es nimmt den Tropfen in vertikalen Schnitten auf, die dann zu einem dreidimensionalen Bild kombiniert werden.
In unserem Paper haben wir gezeigt, dass all diese Effekte nicht von normaler Konvektion verursacht werden können, die z.B. in Luft in der Nähe von Wohnungsheizungen entsteht—dafür ist unser Druck zu niedrig. Was vorstellbar wäre, ist ein sogenannter „Kriech-Effekt“. Dieser Effekt tritt desto stärker auf, je niedriger der Gasdruck ist. Er entsteht immer dann, wenn entlang einer Oberfläche in einem Gas ein Temperaturunterschied besteht, und bewirkt, dass sich die Gasatome in Richtung der warmen Seite entlang der Oberfläche bewegen.
Abb.: Wirbelbewegung Obwohl die Tropfen und Blasen jeweils nur aus wenigen Hundert Teilchen bestehen, zeigen sie viele typische Flüssigkeitseffekte. Die Teilchenbewegung innerhalb der Tropfen verläuft in Wirbeln wie bei Wassertropfen in einem Luftstrom, und es gibt viele Hinweise auf Oberflächenspannung. Anders als bei Wassermolekülen können in komplexen Plasmen jedoch alle einzelnen Teilchen beobachtet und genau untersucht werden. Dies macht komplexe Plasmen zu so guten Modellsystemen zur dynamischen Untersuchung solcher Phänomene.
Schwabe, M., Rubin-Zuzic, M., Zhdanov, S., Ivlev, A., Thomas, H., & Morfill, G. (2009). Formation of Bubbles, Blobs, and Surface Cusps in Complex Plasmas Physical Review Letters, 102 (25) DOI: 10.1103/PhysRevLett.102.255005
Off topic: Vorstellungsprobleme
Hallo Mierk Schwabe,
ich gehe davon aus, dass der zweite Hauptsatz der Thermodynamik richtig ist.
Leider verstehe ich dennoch nicht, warum ein Knudsen-Gas im Gravitationsfeld oben nicht kühler als unten ist.
Die Fragestellung:
http://www.e-stories.de/…geschichten.phtml?23801
oder hier:
http://members.chello.at/….bednarik/PEMOZWAR.txt
Die Antwort:
Hier (in Kapitel 2.3 Entropie und Gravitation, ab Text-Seite 25) ist ein vermutlich physikalisch korrekter Artikel, der die Diskussion zwischen Maxwell und Loschmidt über den nicht vorhandenen Temperaturgradienten in Gassäulen genauer beschreibt.
http://www.wias-berlin.de/…ias_preprints_330.pdf
Leider findet in diesem Artikel die sicher richtige Begründung nur mit Hilfe von Gleichungen statt.
Gleichungen beschreiben das Verhalten der Moleküle, aber sie verursachen es nicht.
Ich frage mich deshalb, wodurch dieses Verhalten der Moleküle in der physikalischen Realität bewirkt wird.
Auch ein Stein fällt nicht deshalb hinunter, weil v = g * t und s = ( g / 2 ) * t^2 beträgt, sondern weil er mit der Masse der Erde irgendwie wechselwirkt.
Nach dem menschlichen Hausverstand müssten die Moleküle eigentlich oben langsamer als unten sein.
Mit Dank im Voraus für die Antwort,
und mit freundlichen Grüssen,
Karl Bednarik.
Ideales Gas im Gravitationsfeld
Hallo Karl Bednarik,
wenn Sie annehmen, dass ein Gas im Gravitionsfeld oben kühler ist als unten, gehen Sie vermutlich von der folgenden Vorstellung aus: Jedes Atom/Molekül des Gases verliert Energie, wenn es sich nach oben bewegt, und daher sinkt auch die Temperatur jedes Teilchens. Das stimmt auch!
Nur ist die Temperatur des Gases ein gemittelter Wert. Um sie zu erhalten, muss man die mittlere kinetische Energie berechnen. Die Anzahl der Teilchen, die sich weiter oben befinden, ist dabei nicht dieselbe wie die weiter unten, so dass die mittlere kinetische Energie durchaus dieselbe bleiben kann.
Um herauszubekommen, wie genau sich diese mittlere kinetische Energie nun verhält, braucht man allerdings durchaus Mathematik. Die Verteilung der Geschwindigkeiten der Teilchen, d.h. wie viele Teilchen welche Geschwindigkeit haben, ist durch die sogenannten Maxwell’sche Verteilungsfunktion gegeben. Diese Verteilung hängt exponentiell von der kinetischen Energie ab. Das heißt, eine Reduktion der kinetischen Energie, wie sie mit der Höhe auftritt, führt nur zu einer Proportionalitätskonstante, aber keiner Änderung der Geschwindigkeitswerte. Diese Proportionalitätskonstante gibt dann an, wie sich die Dichte der Teilchen mit der Höhe ändert.
Bei grosser freier Weglänge
Hallo Mierk Schwabe,
danke für Ihre Antwort.
Nur noch eine letzte Frage:
Wenn der Gasdruck so niedrig ist, dass die freie Weglänge grösser als die Höhe des Behälters ist, dann ist die Wechselwirkung zwischen den Gasmolekülen viel geringer als bei höherem Druck.
Bei sehr geringem Druck kann man jedes Gasmolekül als für sich alleine betrachten.
Wenn im Grenzfall nur ein einziges Molekül im Behälter wäre, dann wäre seine kinetische Energie die mittlere kinetische Energie.
Dieses Molekül würde mit der Decke langsamer als mit dem Boden des Behälters kollidieren, was einem Wärmetransport von oben nach unten entsprechen würde.
Das würde aber den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verletzen.
Gelten die Gleichungen der Gaskinetik auch noch in diesem Falle?
Mit Dank im Voraus für die Antwort,
und mit freundlichen Grüssen,
Karl Bednarik.
Re: große freie Weglänge
Hallo nochmal,
bei einer so großen freien Weglänge gibt es doch keine Unterschiede in der Teilchentemperatur oben und unten. Diese Unterschiede gibt es erst auf Größenskalen, die größer sind als die mittlere freie Weglänge.
Viele Grüße!