IQ über die ISS

BLOG: Zündspannung

Blick über den Plasmarand
Zündspannung

Die Wissenschaftssendung IQ des Bayrischen Rundfunks hat den letzten Shuttleflug als Anlass genommen, über die Internationale Raumstation zu berichten – ein Bericht, der mich wirklich geärgert hat, denn es wird behauptet, dass keine Forschung durchgeführt würde, die nicht direkt der Raumfahrt zugute kommt. Ob die Forschung, die stattfindet, den hohen Preis der ISS wert ist, darüber kann man sich streiten – doch dass überhaupt Forschung durchgeführt wird, ist eine unbestreitbare Tatsache. Ich habe daher den folgenden ‘Leser’brief geschrieben:

Sehr geehrte Damen und Herren,

 
ich bin eine Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching bei München. Ich habe Ihre IQ-Sendung als Podcast abonniert und höre sie normalerweise sehr gerne. Leider hat Ihr Beitrag zu der Internationalen Raumstation vom 8.7. [1] nicht Ihrem normalen Standard entsprochen. Sie behaupten beispielsweise: "Doch über wenn auch respektable Anfänge ist das wissenschaftliche Experimentieren nicht hinaus gekommen. Es kam und kommt meist nur der Raumfahrt zugute. Experimente in und mit der Schwerelosigkeit waren, wie sich rasch herausgestellte, für Industrie und Forschungsinstitute viel zu teuer, zu aufwendig und zu langwierig." Dies ist einfach nicht wahr.
 
Die Komplexe Plasma-Gruppe am MPE, der ich angehöre, führt seit 2001 sehr erfolgreich Experimente auf der ISS durch. Wir betreiben gemeinsam mit unserem russischen Partnerinstitut JIHT das vom DLR und Roscosmos geförderte Plasmakristall-Projekt mit den Laboratorien PK-3 Nefedov und PK-3 Plus auf der ISS. Wir haben viele Publikationen und spannenden Ergebnissen erzielt. Auch die internationale Kooperation, in unserem Fall mit den Russen, klappt hervorragend, anders als Sie in Ihrem Beitrag implizieren.
 
Neben Ergebnissen zur ‘reinen’ Physik ist die Gruppe am MPE auch dabei, Ergebnisse aus der Grundlagenforschung auf Anwendungen in der Medizin zu übertragen. Darüber wurde übrigens in Ihrer Sendung unter dem interessanten Schlagwort ‘Astrophysik und Medizin – Wenn Grundlagenforschung auf Wirklichkeit trifft’ vor kurzem (4.7.) [2] berichtet.
 
Es gibt auch weitere spannende Experimente auf der Raumstation, wie man durch eine kurze Internetrecherche herausfinden kann. Im Moment findet zudem gerade die Konferenz ‘ International Symposium on Physical Sciences in Space’ in Bonn statt [3], wo viele Ergebnisse von Experimenten vorgestellt werden. Schon die frei im Internet verfügbare Liste der Beiträge liefert einen Überblick darüber, was für Forschung auf der ISS möglich ist. Bitte behaupten Sie nicht einfach unreflektiert, dass es keine wissenschaftliche Experimente gäbe. Gerade eine Wissenschaftssendung sollte eigentlich hohen Standards entsprechen, die eine ausgibige Recherche voraussetzen.
 
Falls Sie weitere Informationen zu unserem Experiment wünschen, schauen Sie sich doch unsere Webseite [4] an, oder kontaktieren Sie uns direkt. Sie können uns auch gerne einmal in Garching besuchen, der Weg ist ja nicht weit.  
 
Mit freundlichen Grüßen,
 
Mierk Anne Schwabe
 
PS: Ich werde diese Mail auch in meinem Blog [5] veröffentlichen.
 

[1] http://www.br-online.de/bayern2/iq-wissenschaft-und-forschung/iq-magazin-shuttle-praeimplantationsdiagnostik-ID1309950270175.xml

[2] http://www.br-online.de/bayern2/iq-wissenschaft-und-forschung/reizdarm-carsharing-astrophysik-ID1309423138648.xml
[3]  http://www.congrex.nl/11A02/
[4] http://www.mpe.mpg.de/theory/plasma-crystal/aktuell.html
[5] http://www.wissenslogs.de/wblogs/blog/zundspannung/
 
 
 Nun bin ich gespannt, ob eine Antwort kommt.

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Erhöht man die Spannung zwischen zwei Elektroden, die ein Gas umgeben, beginnt das Gas irgendwann zu leuchten: Freie Elektronen im Gas haben genug Energie, um die Gasteilchen zu ionisieren und noch mehr Elektronen aus den Atomen zu schlagen. Ein Plasma wurde gezündet, die Zündspannung ist erreicht. Gibt man nun noch zusätzlich Mikrometer große Teilchen in das Plasma, erhält man ein sogenanntes "Komplexes Plasma", mit dem ich mich zunächst als Doktorand und Post-Doc am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und nun an der University of California in Berkeley beschäftige. In diesem Blog möchte ich sowie ein wenig Einblick in den Alltag im Forschungsinstitut bieten, als auch über den (Plasma)-Rand hinaus blicken. Mierk Schwabe

4 Kommentare

  1. Differenzieren

    Du solltest aber schon sagen, dass die Redakteure nach dem, was du da zitierst, immerhin das Wort “meist” benutzt haben: “kam und kommt meist nur der Raumfahrt zugute”. Das lässt du in deiner Zusammenfassung im ersten Absatz und am Ende des Briefes (“behaupten Sie nicht einfach”) einfach weg, und das ist natürlich auch nicht in Ordnung – damit argumentierst du weitgehend mit einem Strohmann.

    Und auch dein Gegenargument kann und sollte aus diesem Grunde nicht einfach in einem Gegenbeispiel und einem Verweis auf “viele Ergebnisse” bestehen, sondern tiefer gehen: Wie ist es denn nun mit den Experimenten auf der ISS – wieviele davon befassen sich mit Leben (menschliche Physiologie, Tiermodelle, Grundlagen) in der Schwerelosigkeit, also einem Thema das, soweit ich sehen kann, tatsächlich vor allem der Vorbereitung künftiger bemannter Missionen dient? Bei welchen der Experimente zur Physik, Chemie, Materialforschung geht es ebenfalls um Fragen, die vor allem für die Raumfahrt wichtig sind? Welche anderen Experimente gibt es, die keinen Bezug zur Raumfahrt haben, und wie ist das Zahlenverhältnis zu den Raumfahrtexperimenten?

    Und: Musste man die nicht-Raumfahrt-Experimente wirklich auf der ISS machen, oder hätte man die auch in einem Fallturm bzw. in eigenen Kleinmissionen durchführen können? Insbesondere angesichts der doch wohl beträchtlichen Kosten, die auf jedes dieser Experimente entfallen?

    Das wäre doch mal einen größeren Blogeintrag wert…

  2. Das Wörtchen meist

    Danke für den Beitrag, Markus. In dem Zitat steht aber auch ‘Experimente in und mit der Schwerelosigkeit waren, wie sich rasch herausgestellte, für Industrie und Forschungsinstitute viel zu teuer, zu aufwendig und zu langwierig.’ Da steht kein ‘meist’, sondern das ist eine absolute Aussage. Den Satz mit dem Meist habe ich so interpretiert, als würde ‘die Raumfahrt’ für sich selbst forschen und mehr nicht.

    Du hast natürlich Recht, eine genaue Analyse der vielen Experimente, die auf der ISS stattfinden, wäre sehr interessant. Ich habe dafür aber leider in absehbarer Zukunft keine Zeit, der Aufwand, das wirklich systematisch zu betreiben, und sich nicht nur die von Dir kritisierten Beispiele rauszupicken, übersteigt den Aufwand, den ich für das Hobby Blog im Moment treiben will/kann. Wäre ein spannendes Thema für einen Wissenschaftsjournalisten, finde ich.

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