Über Zitronenfalter und Nachwuchswissenschaftler – und was dies mit Personalentwicklung zu tun hat
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“Wer glaubt, dass Nachwuchswissenschaftler nur der Nachwuchs für die Wissenschaft sein wollen, der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen falten will” – so fasste kürzlich eine Kollegin als Fazit zusammen, was ich ihr von einer neuen Stifterverbands-Studie erzählte. Überrascht hat sie weniger, dass nur eine Minderheit letztlich eine Professur erhält; das hatte sich schon herumgesprochen. Neu ist vielmehr, dass nur eine Minderheit Wissenschaft noch als berufliches Ziel verfolgt.
Tatsächlich streben im Zeitvergleich laut der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie immer weniger Nachwuchswissenschaftler eine wissenschaftliche Laufbahn an. Nur noch 45 Prozent des wissenschaftlichen Nachwuchses geben aktuell an, dass sie auch noch in zehn Jahren in wissenschaftlichen Einrichtungen arbeiten wollen. Im Jahr 2012 waren es noch 53 Prozent. Die von Stifterverband und DZHW durchgeführte Studie “Personalentwicklung für den Wissenschaftlichen Nachwuchs 2016” zeigt, dass inzwischen die Mehrheit der befragten Nachwuchswissenschaftler (55 Prozent) eine Karriere in der Wirtschaft bevorzugt. Befragt wurden hierzu – neben den Wissenschaftseinrichtungen selbst – über 3.000 Nachwuchswissenschaftler; nicht nur Doktoranden und Postdoktoranden, sondern auch Nachwuchsgruppenleiter, Habilitanden und Juniorprofessoren. Gründe zu gehen gibt es viele: Die Hauptgründe, warum immer mehr Nachwuchswissenschaftler der Wissenschaft den Rücken kehren, sind unbefristete Verträge, interessante Aufgaben und bessere Bezahlung. Eine große Mehrheit (70 Prozent) bemängelt die schlechten Beschäftigungsperspektiven in der Wissenschaft und schätzt die höhere Beschäftigungssicherheit in der Wirtschaft. 66 Prozent haben aber auch Lust auf neue Erfahrungen und 62 Prozent reizen die besseren Verdienstmöglichkeiten.
Hochschulen stehen damit in der Personalentwicklung vor neuen Herausforderungen. Zum einen benötigen diejenigen, die in die Wirtschaft gehen wollen, eine bessere berufliche Orientierung und überfachliche Qualifikationen. Zum anderen sind nachhaltige Karrierewege in der Wissenschaft auszubauen, um die besten Nachwuchswissenschaftler künftig halten zu können. Hochschulen und wissenschaftliche Forschungseinrichtungen bieten zwar oft bereits Tenure-Regelungen für Juniorprofessuren und z.T. auch für Nachwuchsgruppenleiter an. Allerdings sind dies bislang überwiegend unverbindliche Tenure-Option-Regelungen, nach denen man auch bei positiver Evaluation eben nicht verbindlich entfristet wird. Hier sollten dringend stärker berechenbare Karrierewege mittels “echten Tenure-Track-Regelungen” geschaffen werden, um wieder als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. So ist dies laut Verwaltungsvereinbarung der GWK auch für den sogenannten “Nachwuchs-Pakt” der Bundesregierung als Fördervoraussetzung vorgesehen, aber die detaillierten Regelungen der Förderausschreibung werden derzeit erst erarbeitet. Die Herausforderung gilt allerdings nicht nur für Karrierewege zur Professur. Stärker noch gilt dies für Karrierewege in der Wissenschaft neben der Professur, für die mit der beschlossenen Förderinitiative maximal 15 Prozent der Nachwuchspakt-Gelder einzusetzen möglich sind. Angesichts der Studie erscheint dies deutlich zu wenig: Denn demnach sehen inzwischen selbst die Nachwuchswissenschaftler, die in der Wissenschaft bleiben wollen, häufiger ihr Ziel in einer Tätigkeit als Wissenschaftler/in ohne Professur.
Bisher ist über alle Personalkategorien hinweg nach den Angaben der Hochschulen in der Studie nur ein geringer Anteil der Arbeitsverträge an Hochschulen entfristet: rund ein Viertel in der Forschung (26 Prozent), ein Drittel in der Lehre (33 Prozent) und rund die Hälfte im Wissenschaftsmanagement (48 Prozent). Die wissenschaftlichen Einrichtungen planen den Anteil der unbefristeten Stellen in den nächsten drei Jahren zwar moderat aber spürbar zu erhöhen: im Forschungsbereich auf 30 Prozent, in der Lehre auf rund 40 Prozent und im Wissenschaftsmanagement auf 63 Prozent.
Interessant ist auch ein weiteres Ergebnis: In der besseren Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie sehen Hochschulen ein großes Potenzial, um im Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen zu können. Immerhin geben 44 Prozent des wissenschaftlichen Nachwuchses mangelnde Familienfreundlichkeit als Grund an, die Wissenschaft verlassen zu wollen. Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfahren daher im Rahmen der strategischen Personalgewinnung – neben einer verstärkten Gewinnung von Frauen und von Personal aus dem Ausland – seitens der Leitungen der Wissenschaftseinrichtungen eine hohe Priorität. Knackpunkt hierbei wird daher in den nächsten Jahren die Umsetzung in konkrete Maßnahmen sein, wofür die detaillierten Ergebnisse der Studie ebenfalls Ansatzpunkte bieten.
Im Einzelnen können die Ergebnisse der Studie nachgelesen werden unter: www.researchgate.net/publication/303946305, es gibt dort auch eine Kurzzusammenfassung und viele Abbildungen.
Komplette Quellenangaben zur Studie: Krempkow, René/ Sembritzki, Thorben/ Schürmann, Ramona/ Winde, Mathias, 2016: Personalentwicklung für den wissenschaftlichen Nachwuchs 2016. Bedarf, Angebote und Perspektiven – eine empirische Bestandsaufnahme im Zeitvergleich. Berlin: Stifterverband (Hg.).
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