Möglichkeiten und Grenzen des Wissenschaftsmanagements: Vorstellung eines Themenheftes
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Das Wissenschafts- und Hochschulmanagement ist ein relativ junges Berufsfeld, das etwa seit Beginn dieses Jahrtausends für die Verbesserung der Aufgabenerfüllung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen geschaffen wurde. Sowohl die Bezeichnung des Berufsfeldes als auch die Eingrenzung der in ihm Tätigen und der von ihnen benötigten Kompetenzen befinden sich noch fortlaufend in der (Weiter-)Entwicklung. Kürzlich hat die Mitgliedergruppe der Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zusammen mit der Jungen Akademie in ihren Leitlinien für unbefristete Stellen an Universitäten neben der Professur das Stellenprofil ‚Academic Manager‘ als Ziel formuliert – neben ‚Lecturer‘ und ‚Researcher‘. Daher könnte es nützlich sein, sich genauer mit Möglichkeiten und Grenzen des Wissenschaftsmanagements zu befassen.
Eine ähnliche Bezeichnung hatte bereits Deem (2006) für in diesem Berufsfeld Tätige mit dem Begriff ‚managerial academics‘ vorgeschlagen (vgl. ausführlich Krempkow et al. 2023, S. 32ff., 45ff.). In den 2010er Jahren wurde zudem der Begriff ‚Hochschulprofessionelle‘ in die Diskussion eingebracht (Kehm et al. 2010; Schneijderberg et al. 2013), der sich aber nicht durchsetzen konnte. Spätestens mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Hochschulgovernance (WR 2018) ist im Berufsfeld der Begriff ‚Wissenschaftsmanagement‘ etabliert, den auch das Netzwerk Wissenschaftsmanagement als Interessenorganisation der im Feld Tätigen seit 2011 verwendet (Netzwerk Wissenschaftsmanagement 2024), und den wir im Folgenden erweitert als ‚Hochschul- und Wissenschaftsmanagement‘ (HWM) gebrauchen. Ein zentrales Merkmal zur Definition der Berufsgruppe der im HWM Tätigen ist in jedem Fall – unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung – die Verortung an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Verwaltung. Tätigkeiten innerhalb des HWM beziehen sich dementsprechend sowohl auf die Verwaltung und Organisation von Hochschulen als auch auf die Steuerung und Koordination wissenschaftlicher Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene. Aus den vorhandenen empirischen Studien zum Thema lassen sich entsprechend zentrale Qualifikations- und Kompetenzanforderungen für eine erfolgreiche Tätigkeit zur Unterstützung der Wissenschaft ableiten. Diese umfassen neben fachlichen Kompetenzen insbesondere auch Management- sowie generische und digitale Kompetenzen (Rathke et al. 2023).
Allerdings ist es nach wie vor nicht durchgängig üblich, Qualifikations- und Kompetenzanforderungen im HWM zu thematisieren und damit die wichtigen Aufgaben in diesem Bereich sichtbar und für Entwicklungsansätze zugänglich zu machen. So greifen unter anderem die oben erwähnten HRK-Leitlinien für das Stellenprofil ‚Academic Manager‘ bekannte Beschreibungen der Kompetenzen im HWM nicht auf, während für das Profil ‚Lecturer‘ die Mindestanforderungen „Abschluss einer hochschuldidaktischen Weiterbildung“ (HRK 2024) und für das Profil ‚Researcher‘ „in der Regel eine mindestens zweijährige Postdocphase“ (ebd.) ausformuliert werden. Für eine weitere Professionalisierung des HWM wäre eine Formulierung von zumindest wünschenswerten Qualifikationen und Kompetenzen hingegen nützlich (vgl. z.B. Janson & Ziegele 2021), die darüber hinaus der weiteren Profilierung und Schärfung des Rollenverständnisses im Wissenschaftsmanagement dienen können. Hier setzen die verschiedenen Beiträge des Themenschwerpunktheftes an, die ich nachfolgend zusammenfassend vorstelle.[i]
Der Beitrag Kompetenzanforderungen im Wissenschaftsmanagement von Sophie Ellermann, Rebecca Lembke, Dominic Platen und Jennifer Radwitz zielt im ersten Schritt auf die Erhebung von Kompetenzanforderungen in Stellenausschreibungen zum Hochschul- und Wissenschaftsmanagement ab, um diese im zweiten Schritt mit Befragungsergebnissen von Berufstätigen in den Vergleich zu setzen. Mit dieser Kombination von qualitativ-inhaltsanalytischem und quantitativ-befragenden Vorgehen gehen die Autor:innen in Form einer Pilotierung für künftige größere Erhebungen der Frage nach, welche Kompetenzen sich charakteristisch für unterschiedliche Positionsbezeichnungen im HWM herausstellen lassen, sowie, ob diese sich im Abgleich zwischen präskriptiven Stellenausschreibungen und selbst wahrgenommen Rollen- und Kompetenzanforderungen von im HWM Tätigen widerspiegeln. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass Stellenausschreibungen im HWM nach wie vor relativ unspezifisch formuliert werden, während im HWM Tätige selbst sehr gut die spezifischen Anforderungen ihrer Tätigkeiten benennen können. Anhand der übereinstimmend häufig genannten Kompetenzen schlussfolgern die Autor:innen, dass sich im HWM Beschäftige tendenziell eher als Wissenschaftsmanager:innen und/oder Verwaltungspersonal verstehen, und weniger als Wissenschaftler:innen. Der Mehrwert der Arbeit von Ellermann et al. liegt genau in der Erkenntnis, dass die Rekrutierungspraxis für Positionen im HWM den konkreten Tätigkeiten nur unzureichend Rechnung trägt. Während im HWM-Beschäftigte selbst relativ spezifisch auskunftsfähig über ihre Tätigkeiten und die dafür nötigen Kompetenzen sind, bildet sich dies in Stellenanzeigen nur ungenau ab. Hier lässt sich über die Interpretation der Ergebnisse durch die Autor:innen hinaus darüber spekulieren, inwiefern die mangelnde Genauigkeit von Stellenausschreibungen einem Mangel an Bewusstheit im System selbst entspricht, wer genau und mit welchen Anforderungen dem HWM angehört.
Der Beitrag Hochschul- und Wissenschaftsmanager:innen: Eine kategoriengeleitete Überprüfung von Selbstzuschreibungen von Michael Krauß, Noé Michael und Florian Horstmann greift diese Fragestellung auf, indem er die Möglichkeit zur kritischen Überprüfung der Selbstidentifikation von Beschäftigten als Tätige im HWM untersucht. Anhand eines literaturbasierten Kategoriensystems analysieren die Autoren die Interviewaussagen von drei persönlichen Referent:innen der Hochschulleitung im Bereich Forschung dahingehend, inwiefern deren Tätigkeit als HWM angesehen werden kann. Im Sinne einer Validierungsstudie zeigt sich hier, dass die zur Definition von HWM angelegten Kategorien geeignet sind, selbstidentifizierte Tätigkeiten im HWM literaturbasiert als solche zu klassifizieren. Das Kategorienschema war darüber hinaus in der Lage, Variationen in der Intensität zu erkennen, mit dem die drei Befragten Tätigkeiten im Sinne des HWM ausführen – sowohl in Überschneidung mit Verwaltungs- als auch mit selbstbestimmten (Forschungs-)Tätigkeiten. Die Bedeutung der Arbeit von Krauß et al. liegt in der Erarbeitung von Kategorien zur Beschreibung der Zugehörigkeit zum HWM, sowie in der Überprüfung und Validierung derselben. Es ist zugleich aufschluss- und hilfreich, anhand dieses Vorgehens zwischen einer Tätigkeit „im HWM“ und einer Tätigkeit „als HWM’ler“ zu differenzieren. Aufgrund der Anlage der zugrunde gelegten Kategorien muss hier allerdings einschränkend erwähnt werden, dass eine solche Tätigkeit beispielsweise durch klare Einbindung in hierarchische Strukturen gekennzeichnet ist, welches ggf. eine Engführung darstellt, wie der nächste Beitrag beleuchtet.
Die Frage nach der Aufgabenübernahme im HWM bzw. als HWM‘ler rahmt ebenso den Beitrag Plötzlich Führungskraft. Relevanzeinschätzung von Führungskompetenzen durch neue wissenschaftliche Führungskräfte von Sandra Stelzer und Antonia Scholkmann, jedoch unter einer anderen Perspektive. Er richtet den Fokus auf Personen – hier: Professor:innen und andere Wissenschaftler:innen mit Leitungsfunktion – die aufgrund ihres akademischen Karrierewegs neu mit Führungs- und Managementaufgaben betraut sind. In einer convenience-sampling Befragung mit n=44 Teilnehmenden wurde hier erhoben, welche Relevanz neu berufene Professor:innen einer Auswahl von Führungskompetenzen vor der Aufgabenübernahme zuschrieben und wie sich dieses Relevanzzuschreibungen auf der neu angetretenen wissenschaftlichen Führungsposition veränderten. Die Untersuchung zeigte, dass die Befragten überfachliche Führungs- und Managementkompetenzen als signifikant relevanter für ihre neu angetretene wissenschaftliche Führungsposition einschätzen als für eine frühere Position ohne Führungsverantwortung, sowie, dass die Relevanz von nicht-fachlichen Führungskompetenzen vor der Übernahme der Führungsposition teilweise unterschätzt wurde. Die Autorinnen schlagen zur Integration und als Basis weiterer Forschung ein Führungskompetenzmodell für wissenschaftliche Führungskräfte vor. Für das HWM aufschlussreich ist der Beitrag von Stelzer und Scholkmann dahingehend, dass sowohl die als relevant erwarteten als auch die in der Realität als relevant wahrgenommenen Kompetenzen bei der Übernahme einer Professur außerhalb des fachlich-methodischen Kompetenzbereichs lagen. Obgleich diese nicht mit einem genuin HWM-bezogenen Modell erhoben wurden, zeigte sich in der Studie doch, dass auch neuberufene Professor:innen hinsichtlich ihres Anforderungsspektrums zum Teil zur Gruppe der Wissenschaftsmanager:innen gezählt werden können. Dieses Ergebnis gibt Anlass zur Überlegung, ob gemeinsamen Fortbildungsangebote sowohl für wissenschaftliche Manager:innen als auch für HWM’ler verstärkt angeboten werden könnten. Weitere Forschung wäre wünschenswert, um die tatsächliche Schnittmenge sowie system- und organisationsbedingte Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen klarer herauszuarbeiten.
Der Beitrag Leistungsbewertung und -kriterien bei Berufungsverfahren unter Berücksichtigung weiblicher Karrierewege von Marion Pohlner und Ekaterina Voigt fokussiert schließlich ebenfalls die Ebene der Professur und der auf ihr gestellten Anforderungen. Er stellt am Beispiel einer norddeutschen Universität Kriterien zur Leistungsbewertung in Berufungsverfahren und deren Wichtigkeit vor. Davon ausgehend nähern sich die Autorinnen der Frage an, wie durch Veränderungen im Berufungsmanagement als ein Spezialgebiet des HWM der Anteil der Professorinnen in der betreffenden Universität erhöht werden könnte. Sie wählen hierfür – ergänzend zur schriftlichen Dokumentation der Verfahrensweisen des Berufungsmanagements – die Methode qualitativer Interviews mit (Junior-)Professorinnen. Die Interviews werteten sie mittels qualitativer Inhaltsanalyse aus und schlagen basierend auf den Ergebnissen als Handlungsempfehlung u.a. eine klare(re) Definition der Leistungskriterien bereits zu Beginn der Berufungsverfahren vor. Darüber hinaus empfehlen sie eine stärkere Gewichtung qualitativer Kriterien (z.B. auch darzulegen, welche der Publikationen nach eigener Einschätzung am wichtigsten sind und warum), sowie Interviewfragen zum Führungsstil. Der Mehrwert des Beitrags von Pohlner und Voigt liegt darin, dass die Autorinnen in strukturierter Weise eine Herausforderung aus der Hochschulpraxis aufgreifen, einordnen und anschließend aufzeigen, wie eine empirische Erhebung für das Erarbeiten von Lösungsmöglichkeiten von Nutzen sein kann. Zugleich gehen sie in den aufgezeigten Optionen auch über die ihre Empirie hinaus und diskutieren Möglichkeiten und Grenzen z.B. von Teilzeitprofessuren für erweiterte Rekrutierungspotentiale.
Die Herausgeber:innen[ii] hoffen, mit den Beiträgen Impulse für die weitere Diskussion in Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen zu bieten.
Das Themenheft der Zeitschrift Qualität in der Wissenschaft – QiW, Heft 2/2024, ist erschienen: Universitätsverlag Webler, Bielefeld (ISSN 1860-3041) und kann als Einzelheft, im Abonnement, oder auch in Form von Einzelbeiträgen /digital) bezogen werden über: https://www.universitaetsverlagwebler.de/qiw.
Literatur:
Banscherus, U. (2024): Personalentwicklung für Beschäftigte in wissenschaftsunterstützenden Bereichen als blinder Fleck der Hochschulentwicklung. Endgültig angenommen zur Veröffentlichung in: Zeitschrift für Hochschulentwicklung – ZFHE 19(4).
Deem, R. (2006): Changing Research Perspectives on the Management of Higher Education: Can Research Permeate the Activities of Manager-Academics?, in: Higher Education Quarterly 60(3), S. 203-228.
Janson, K. & Ziegele, F. (2021): Empfehlungen für die Personalentwicklung – Wie die Personalentwicklung im Wissenschaftsmanagement verbessert werden kann: Acht Vorschläge aus dem Projekt KaWuM, in: DUZ Wissenschaft & Management 10, S. 43-46.
Kehm, B., Merkator, N. & Schneijderberg, C. (2010): Hochschulprofessionelle?! Die unbekannten Wesen, in: Zeitschrift für Hochschulentwicklung 5(4), S. 23-39.
Krempkow, R., Janson, K., Harris-Huemmert, S., Rathke, J., Höhle, E. & Hölscher, M. (2023): Berufsfeld Wissenschaftsmanagement, Bielefeld: Universitätsverlag Webler. DOI: 10.53183/9783946017301
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Netzwerk Wissenschaftsmanagement (2024): Online verfügbar in URL: https://netzwerk-wissenschaftsmanagement.de (letzter Zugriff: 28.11.2024).
Rathke, J., Krempkow, R. & Janson, K. (2023): What Competences We Need for HE Managers: Results from the German Mixed Methods Project KaWuM, in: Broucker, B., Milsom, C., Calleja, J., & O´Hara, M. (eds.): Accelerating the Future of Higher Education, Amsterdam: Brill, pp. 132–154. DOI: 10.1163/9789004680371_009
Schneijderberg, C., Merkator, N., Teichler, U. & Kehm, B. M. (Hg.) (2013): Verwaltung war gestern? Neue Hochschulprofessionen und die Gestaltung von Studium und Lehre, Frankfurt a.M.: Campus.
Wissenschaftsrat (2018): Empfehlungen zur Hochschulgovernance. Drs. 7328-18. Hannover.
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[i] Die Beiträge entstanden im Kontext des Moduls „Grundlagen des Hochschul- und Wissenschaftsmanagements“ im Studiengang Bildungs- und Wissenschaftsmanagement der Universität Oldenburg. Wir danken den Autor:innen herzlich, dass sie ihre Arbeiten für dieses Themenschwerpunktheft noch einmal überarbeitet und zur Verfügung gestellt haben. Darüber hinaus danke ich meinen ehemaligen Kolleg*innen im Verbundprojekt “KaWuM”, in dem wesentliche Vorarbeiten entstanden, auf denen hier mit aufgebaut werden konnte.
[ii] Dies Themenheft wird von René Krempkow und Antonia Scholkmann als geschäftsführende Hrsg. verantwortet.