Durch welches Wollen bestimme ich meinen Willen, wenn dieser “frei” wäre?

BLOG: WIRKLICHKEIT

Hirnforschung & Theologie
WIRKLICHKEIT

Die Frage nach der Willensfreiheit ist ein zentrales Fokusthema für die öffentliche Diskussion um die Hirnforschung und sie bietet immer wieder Anlass für aufgeregte Debatten. Hier soll kurz diskutiert werden, warum die Vorstellung eines “freien” Willens, der erst noch durch mich bestimmt werden müsste, bevor er handlungswirksam werden kann, absurd ist.

Sind wir frei? Ja, wenn und insofern wir unter Freiheit das alltägliche Phänomen verstehen, dass wir unsere Handlungsintentionen fast immer realisieren können: Niemand hindert uns, jetzt eine Tasse Kaffee zu trinken – und wir trinken sie wunschgemäß. Niemand zwingt uns, jetzt diesen Blogbeitrag zu schreiben – und ich schreibe ihn meinen eigenen Handlungsabsichten gemäß. Die Übereinstimmung von Intention und nachfolgenden Handlungen (bzw. Bewegungen meines Körpers) gibt mir das Gefühl, dass ich es bin, der da handelt, und dass dieser Körper mein eigener Körper ist, weil er meinen Absichten “gehorcht”. (Bei einem einfach-fokalen epileptischen Anfall sähe das anders aus; da macht der Körper, was er will.) Für viele meiner Bewegungen und Handlungen habe ich keine expliziten Absichten im Vorfeld bewusst erlebt; aber sie entsprechen im Prinzip meinen Absichten, und “mein System” lässt diese Bewegungen ganz in meinem Sinne zu, auch ohne bewussten “Befehl”. Das Konzept von Freiheit als die Möglichkeit und Fähigkeit, eigene Absichten und Vorstellungen ohne Zwang und ohne Behinderung verwirklichen zu können, wäre auch bereits eine gute konzeptuelle Basis für einen politischen Freiheitsbegriff.

Meine Freiheit endet an der Grenze meiner Fähigkeiten: Ich bin zum Beispiel nicht frei, aus dem Stand einen Salto zu springen, selbst wenn ich das unbedingt wollte; ebenso bin ich nicht frei, mir einen Rolls Royce zu kaufen, weil mir die Mittel dazu fehlen. Ein Heroinsüchtiger ist nicht frei, je nach Lust und Laune auf seine Droge zu verzichten, weil dies ebenso außerhalb seiner Fähigkeiten liegt, wie ich beispielsweise nicht zwei Minuten die Luft anhalten kann. Vielleicht können ich und der Heroinsüchtige durch eine Art Training die erforderliche Fähigkeit erlangen; dann wären wir irgendwann auch in der Lage, unseren Wunsch, Heroin wegzulassen oder eine Zeitlang nicht zu atmen, zu realisieren.

Aber wo kommt jetzt der Wille ins Spiel? Solange wir ungehindert Absichten in die Tat umsetzen können, spüren wir nicht besonders viel vom Willen. Man könnte den Vorgang zwar abstrakt so beschreiben – Wille ist der Übergang von einer Handlungsvorstellung in eine tatsächliche Handlung – aber hier müsste man jede Art von Substanziierung des Willens unbedingt vermeiden; es wäre einfach ein Vorgang, der oft nicht einmal bewusst erlebt wird. Der Wille ist keine Instanz, er ist auch nicht das eigentliche Subjekt von Handlungen oder Entscheidungen: das bin immer noch ich selbst!

Den Willen spüren wir vor allem, wenn es Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer Absicht gibt, sei es aufgrund äußerer oder innerer Hindernisse (einschl. begrenzter Fähigkeiten); die Erfahrung des Wollens ist in der Regel die Erfahrung einer nicht leicht zu überwindenden Diskrepanz von Absicht bzw. Wunsch und Realität. Da sich die Absicht gerade nicht schnell umsetzen lässt und zum Beispiel ein Aufschub unumgänglich ist, spüren wir diese Absicht als Absicht umso stärker. Ebenso spüren wir die Liebe – hier verstanden als ein Wollen und Begehren des Anderen – viel intensiver in Zeiten der Abwesenheit der Geliebten, also in Zeiten der Frustration ebendieses Willens. Aus diesem Grunde ist es auch kein Wunder, dass intensivem Wollen fast immer auch eine konflikthafte Ambivalenz anhaftet und wir uns zwischen irgendwas entscheiden müssen, aber nicht können. Auch an Leistungsgrenzen kommt der Wille ins Spiel, weil hier die Alternative “Durchhalten oder Aufgeben” im Raum steht und die Aufrechterhaltung der Absicht und des Versuchs seiner Realisierung gegen die leichtere Variante des Aufgebens eine deutlich spürbare Anstrengung erfordert. (Hierzu kann man alles Wissenswerte in Roy Baumeisters “Willpower” nachlesen.)

Was aber soll es bedeuten, dass dieser Wille nun frei ist oder frei sein soll? Mir scheint, dass hier eine Analogie im Raume schwebt: die unterschwellige Werbung oder Suggestion, die mich – aus vermeintlich freien Stücken – zu Handlungen verleitet, die aber eigentlich jemand anderes von mir will. Ich wähne mich zwar subjektiv frei – stehe objektiv aber unter dem handlungsentscheidenden Einfluss von Faktoren, die meiner Kenntnis und Kontrolle völlig entzogen sind. Im oben genannten Sinne wäre ich dann immer noch frei: ich tue ja, was ich will – aber dass ich überhaupt wollte, was ich dann auch getan habe, das hatte Ursachen außerhalb meiner Person, das wurde mir subtil aufgedrängt. Als Verführter erliege ich der Illusion eigener Autorenschaft; die eigentlich kausal wirksamen Faktoren bleiben mir aber verborgen. Es ist keine Frage, dass es solche Fälle auch im Alltag gibt; in sozialpsychologischen Experimenten werden fast immer verborgene Faktoren handlungswirksam, ohne dass die Probanden es bemerken.

Zu dieser Analogie nun aber zunächst einige Anmerkungen:

  • Selbst wenn ich ohne mein Wissen zu Handlungen verleitet wurde, kann ich mit ihnen einverstanden gewesen sein, sodass meine Freiheit nicht notwendig und in allen Fällen ausgeschaltet war: Es wäre zumindest denkbar, dass ich meine Handlungen immer noch als meine Handlungen akzeptiere und verantworten will, auch wenn mir der suggestive Faktor später bekannt wird; ich akzeptiere sozusagen im Nachhinein die Manipulation. Uns ist durchaus bewusst, dass Werbung uns unterschwellig bei Kaufentscheidungen beeinflusst; das stellt aber nicht prinzipiell in Frage, dass wir eigene Kaufentscheidungen treffen und auch verantworten müssen. In anderen Fällen würde ich mich dagegen vielleicht massiv betrogen fühlen und ich würde mich dann auch weigern, Verantwortung für meine Handlungen zu übernehmen.
  • Hirnfaktoren können meines Erachtens jedoch nicht in Analogie zu unterschwelliger Werbung verstanden werden. Denn wenn mein Gehirn nicht meine Absichten beeinflussen würde, dann hätte ich keinesfalls andere, oder gar meine ureigenen unverfälschten Absichten, sondern dann hätte ich gar keine Absichten mehr. Ohne Hirn ist alles nichts. Die Hirnprozesse sind meiner Entscheidungsfindung nicht äußerlich, sondern sie sind ein Faktor, der ihnen zuinnerst eignet. Solange es mein eigenes Gehirn ist, das entscheidet, ist noch lange nicht gesagt, dass nicht ich selbst diese Entscheidung getroffen habe, weil es ja immerhin mein eigenes Gehirn ist: mein Gehirn ist mir selbst gegenüber kein äußerer Faktor, sondern es eignet mir zuinnerst. Das gilt leider auch dann, wenn es mal ganz anders tickt als ich es von ihm gewohnt bin (z.B. bei einer Hirnerkrankung).
  • So wie sich fast alle unsere Handlungen an die Umgebung richten, werden auch unsere Absichten von der Situation beeinflusst und sogar weitgehend von ihr kontrolliert, weil in bestimmten Situationen nur bestimmte Verhaltensweisen passen, andere aber völlig fehl am Platze wären und uns auch gar nicht einfallen würden. Natürlich gilt dies auch und gerade für die soziale Dimension einer Situation: In vielfältiger Weise berücksichtigen wir bei der Handlungsplanung und -ausführung die potentiellen Reaktionen der anderen. Die Vorstellung einer gänzlich autonomen, ausschließlich aus dem eigenen Inneren geborenen Handlung, ist absurd – eine solche Handlung wäre ja wahrscheinlich völlig sinnlos, es fehlte ihr jeglicher Bezug zu der (sozialen) Situation.

Nehmen wir nun doch einmal an, dieser ominöse Wille wäre “frei”. Das hieße, dass ich auch der Urheber meines handlungsleitenden Willens bin und nichts und niemand “von außen” diesen Willen fremdbestimmt. Es liegt also an mir, meinen jetzt noch unbestimmten Willen im Hinblick auf die nachfolgende Handlung erst noch zu bestimmen. Das stelle ich mir jetzt einmal konkret vor: Ich stehe also da, vor mir mein freier Wille, der noch gar nichts will, und dem ich jetzt mitteilen muss, was er wollen soll. Ich überlege also: Was soll mein Wille wollen? Was will ich denn gern, das er wollen soll? Und während ich so darüber nachdenke und mir erste Ideen kommen, was ich denn so wollen könnte, frage ich mich auf einmal: Wenn ich will, dass mein Wille XYZ wollen soll – kann ich dann sicher sein, dass nicht wiederum dieser Wille, etwas bestimmtes wollen zu wollen, seinerseits von einer mir äußeren Größe bereits festgelegt war? Durch wen oder was wird der Wille bestimmt, der will, was ich wollen soll?

Wenn wir auch noch im Vorfeld des Wollens einen Entscheidungsprozess installieren – und was anderes sollte denn mit dem Begriff der Willensfreiheit gemeint sein wenn nicht die Freiheit zu wählen, ob und was wir wollen – dann laufen wir unvermeidlich in einen infiniten Regress des Wollens des Wollens des Wollens des Wollens usw. Zu fordern, dass ein sinnvoller Freiheitsbegriff beinhaltet, dass auch der Wille seinerseits noch frei bestimmt werden kann, erscheint mir aus diesem Grunde absurd. Diese Vorstellung verfehlt auch die Phänomenologie des Wollens, welches uns und unsere Handlungen zuallererst festlegt (wenn es denn wirkliches und nicht bloß ausgedachtes Wollen ist) und der nicht leicht zu ändern ist, selbst wenn wir lieber etwas anderes wollen wollen würden. Anders formuliert: Der Versuch, meine Absichten absichtlich zu haben, führt notwendig in einen infiniten Regress.

Wenn ich mir eine Handlung zuschreiben können will, dann darf sie zudem nicht “aus dem Nichts” kommen oder “vom Himmel fallen”, sondern sie muss um eine selbst-bestimmte Handlung sein zu können, durch meine vorausgegangene Lebensgeschichte – also die Geschichte meiner eigenen früheren Handlungen, Erfahrungen, Gedanken, Einsichten, Erinnerungen usw. – bestimmt sein. Diesen autobiographischen Zusammenhang herzustellen (zu konstruieren) ist gerade der Sinn des Begründens einer Handlung – und in einer solchen Begründung könnte auch der Bruch mit meiner Geschichte eine Rolle spielen. Natürlich können wir uns in einzelnen Fällen entschließen, auf eine begründete Entscheidung zu verzichten und z.B. das Los entscheiden zu lassen, ob wir nun Mathematik oder Sinologie studieren werden; aber das würde nur zeigen, dass es uns eben letztlich völlig egal erschien, ob es das eine oder das andere Fach wird – und diese Einschätzung und die Entscheidung, das Los zu werfen, wären ihrerseits wieder begründungsbedürftige und auch begründungsfähige Entscheidungen. Das Begründen expliziert den von uns wahrgenommenen Zusammenhang zwischen eigener Absicht und eigener Handlung; wo uns selbst eine Handlung begründet erscheint, erfahren wir uns als frei – trotz vielfältiger innerer und äußerer Faktoren, die unsere Möglichkeiten einschränken. Eine eigene freie Entscheidung zu treffen, setzt nicht einmal notwendig eine Wahl zwischen Alternativen voraus: Für manch einen stand von Kindesbeinen an fest, dass er eines Tages Pilot sein würde, und die Realisierung dieses Traums wäre der Inbegriff seiner Freiheit. Dass die faszinierenden Flugzeugmodelle im Bastelkeller seines Großvaters, die er schon als Kind bewunderte, für diesen Wunsch unterbewusst eine entscheidende Rolle gespielt haben mögen, tut dieser Freiheit keinerlei Abbruch.

Hirnforscher fordern immer wieder einmal, dass wir unser Strafrechtssystem über den Haufen werfen müssen, weil die diesem System zugrundeliegende Freiheitsintuition mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr vereinbar sei. Hierzu sei zunächst angemerkt, dass die Hirnforscher diesen Gedanken im positiven Fall des Lobs meistens nicht besonders ernst nehmen und immer gerne bereit sind, sich ihre eigenen Forschungsleistungen in Form von Preisen und Preisgeldern persönlich zuschreiben zu lassen – aber sei’s drum. Im Falle einer Straftat entscheidet die Gesellschaft, ob wir den Täter als unbewussten Bioautomaten betrachten wollen oder als eine Person, die ihre eigenen Absichten verfolgt und durch Handlungen realisiert in dem Wissen, sich dafür vor Dritten verantworten zu müssen. Einen Bioroboter, der Schaden angerichtet hat, würden wir einfach abschalten, wegsperren, ihm den Stecker ziehen; das würden wir auch vorher nicht lang und breit bei Gericht mit ihm diskutieren wollen. Und wenn wir uns, wie von Hirnforschern vorgeschlagen, auf eine “rein naturwissenschaftliche Weltbetrachtung” beschränken, dann gäbe es nur noch reine leere Fakten: Nach Kontraktion eines Zeigefingers am Abzug, hat die Explosion in der Pistole die Kugel durch den Pistolenlauf in Richtung des Herzens des späteren Opfers beschleunigt, hier zunächst die Haut und dann das ein oder andere Blutgefäß aufgerissen, was schließlich dazu geführt hat, dass die Herzfunktion zum Erliegen kam; einige Minuten später setzte dann erst die Atmung aus und dann die Verwesung ein, usw. “Rein naturwissenschaftlich betrachtet” gibt es nie und nimmer einen Grund zu irgendeiner Empörung, es gibt keine Straftaten, keine Moral und keine moralische Verantwortung und natürlich auch keinen Grund für Lob und Strafe. Die Welt als große wabernde Atomwolke betrachtet ist moralisch vollkommen leer, ihre reine Faktizität wäre völlig belanglos. Naturwissenschaftler können selbst gerne versuchen, ihr Leben in einer “rein naturwissenschaftlichen Perspektive” zu leben – es wird ihnen nicht gelingen, und andere Leute sollten auf diese pseudogebildete neunmalkluge Rhetorik nicht reinfallen.

Die Lebenswelt mit ihrer psychosozialen und auch moralischen Realität emergiert auf ihren materiellen Voraussetzungen, welche natürlich gar nicht zu bestreiten sind; sie hat aber ihre eigenen erstaunlichen Qualitäten und Eigenschaften, auf die wir uns im Alltag sehr sinnvoll beziehen, u.a. in dem Konzept der Freiheit. Im Hinblick auf die Opfer von Straftaten und auch im Hinblick auf den Täter ist es ein Akt der Menschlichkeit, die personale Würde aller Beteiligten ernst zu nehmen und Handlungen in moralischen und rechtlichen Kategorien zu beurteilen, statt sie als bloß faktische Bewegungen von Materie (was sie selbstredend immer auch sind) “zu entschuldigen”. Wir kennen zudem Faktoren, die tatsächlich die personalen Fähigkeiten beeinträchtigen oder sogar ausschalten können – sehr starke Affekte zum Beispiel oder auch Alkohol und Drogen – und wir haben Wege gefunden, dies bei der Suche nach einem gerechten Urteil zu berücksichtigen. Wir berücksichtigen auch sehr ungünstige biographische Prägungen, sprich: das Fehlen sozialer und emotionaler Fähigkeiten und die damit einhergehende Einengung personaler Freiheit und Verantwortung. Einschränkungen der Schuldfähigkeit sind Einschränkungen der Absichtlichkeit der Tat (einschließlich ihrer Folgen); rechtsmedizinische einschließlich neurologischer und psychiatrischer Fakten können bei der Einschätzung der Schuld- und Zurechnungsfähigkeit eines Täters hochrelevant sein. Ansonsten aber ist “die Hirnforschung” in diesem Bereich (und in vielen anderen “Anwendungsbereichen” unserer Lebenswelt) komplett irrelevant, insofern sie die relevante lebensweltliche (psychosoziale) Ebene verfehlt. Besonders absurd ist die Forderung, dass Freiheit und Verantwortlichkeit nur dann bestehen würden, wenn wir unsere handlungsleitenden Absichten absichtlich haben könnten (siehe oben). Die Absichtlichkeit der Tat macht sie bzw. den Täter strafwürdig.

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Geboren 1967 in Emsdetten/Westfalen. Diplom kath. Theologie 1993, Psychologie 1997, beides an der Universität in Bonn. Nach einem Jahr am Leipziger Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung (1997-98) bin ich seit Oktober 1998 klinischer Neuropsychologe an der Universitätsklinik für Epileptologie in Bonn. Ich wurde an der Universität Bielefeld promoviert (2004) und habe mich 2015 an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn habilitiert (Venia legendi für das Fach Neuropsychologie). Klinisch bin ich seit vielen Jahren für den kinderneuropsychologischen Bereich unserer Klinik zuständig; mit erwachsenen Patientinnen und Patienten, die von einer schwerbehandelbaren Epilepsie oder von psychogenen nichtepileptischen Anfällen betroffen sind, führe ich häufig Gespräche zur Krankheitsbewältigung. Meine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den Bereichen klinische Neuropsychologie (z.B. postoperativer kognitiver Outcome nach Epilepsiechirurgie im Kindesalter) und Verhaltensmedizin (z.B. Depression bei Epilepsie, Anfallsdokumentation). Ich habe mich immer wieder intensiv mit den philosophischen und theologischen Implikationen der modernen Hirnforschung beschäftigt (vgl. mein früheres Blog WIRKLICHKEIT Theologie & Hirnforschung), eine Thematik, die auch heute noch stark in meine Lehrveranstaltungen sowie meine öffentliche Vortragstätigkeit einfließt.

171 Kommentare

  1. Wenn die unsinnige Sichtweise verbreitet wird, dass Straftäter eigentlich unschuldig sind, weil das Gehirn bestimmt was sie tun – dann sollte man auch Gesetzgebern, Richtern, Polizisten und Gefängnisaufsehern zugestehen, dass auch deren Gehirn bestimmt was sie tun. Wer ´Gerechtigkeit´ will, muss allen Gehirnen gleiche Rechte zugestehen.

    Sachliche Wissenschaft zeigt aber, dass wir bis unmittelbar vor der Ausführung einer geplanten Handlung in der Lage sind, diese zu ändern:
    http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-19660-2015-12-21.html ´Wie frei ist unser Wille?´
    http://www.spektrum.de/news/unser-wille-ist-doch-nicht-so-unfrei/1397002
    http://www.sciencedaily.com/releases/2016/01/160104130826.htm ´The brain computer duel: Do we have free will?´

  2. Danke für den anregenden Beitrag!

    Sie schreiben:

    »Im Falle einer Straftat entscheidet die Gesellschaft, ob wir den Täter als unbewussten Bioautomaten betrachten wollen oder als eine Person, die ihre eigenen Absichten verfolgt und durch Handlungen realisiert in dem Wissen, sich dafür vor Dritten verantworten zu müssen.«

    .
    Der „unbewusste Bioautomat“ soll offenbar in den Vorstellungen mancher Hirnforscher existieren. „Bioautomat“ mag ja noch angehen, aber „unbewusst“ ist dieser Automat sicherlich für keinen der gemeinten Hirnforscher.

    »Die Lebenswelt mit ihrer psychosozialen und auch moralischen Realität emergiert auf ihren materiellen Voraussetzungen, welche natürlich gar nicht zu bestreiten sind; sie hat aber ihre eigenen erstaunlichen Qualitäten und Eigenschaften, auf die wir uns im Alltag sehr sinnvoll beziehen, u.a. in dem Konzept der Freiheit.«

    .
    Die Freiheit und damit auch die moralische Schuld als hilfreiches, psychosoziales Konstrukt bzw. Konzept zu betrachten, dagegen hätten die meisten Hirnforscher sicherlich nichts einzuwenden.

    Wohl eher dagegen, dass diese Freiheit- und Schuld-Konzepte auf ihren materiellen Voraussetzungen „emergieren“.

  3. Herr Hoppe, ich bin mehr als erstaunt:
    Einerseits legen Sie dar, dass der Mensch nicht über einen freien Willen verfügt, (diese Ansicht teile ich).
    Andererseits aber sind Sie der Meinung, dass ” “die Hirnforschung” in diesem Bereich (Strafrecht) und in vielen anderen “Anwendungsbereichen” unserer Lebenswelt komplett irrelevant (sei), insofern sie die relevante lebensweltliche (psychosoziale) Ebene verfehlt. ”
    Denn “die Lebenswelt mit ihrer psychosozialen und auch moralischen Realität” emergiere auf ihren materiellen Voraussetzungen, sie habe aber” ihre eigenen erstaunlichen Qualitäten und Eigenschaften, auf die wir uns im Alltag sehr sinnvoll beziehen, u.a. in dem Konzept der Freiheit.”
    Sie bescheinigen der Lebenswelt, “Qualitäten und Eigenschaften” – wie das Konzept der Freiheit zu besitzen. Das Konzept der Freiheit ist aber mit den Erkenntnissen der Hirnforschung – es gibt keine Freiheit des Willens – unvereinbar.

    Mehr Unlogik als in dem, was Sie hier darlegen, ist ja kaum möglich:

    Schuld im strafrechtlichen Sinne bedeutet Vorwerfbarkeit, der Straftäter hätte auch anders handeln können, als er gehandelt hat.
    Wenn die Hirnforschung feststellt, dass der Mensch über keinen freien Willen verfügt, bedeutet dies, dass kein Mensch hätte anders handeln können, als er zu einem bestimmten Zeitpunkt t0 gehandelt hat : Kein Mörder, kein Dieb, kein Betrüger hatte die Möglichkeit, anders zu handeln als er zum Zeitpunkt der Tatbegehung – des Mordes, des Diebstahls, des Betrugs, handelte.

    Sie können nicht einerseits dem Freien Willen das Wort reden, andererseits aber auf der Beibehaltung des Strafrechts und den ihm zugrunde liegenden, falschen moralischen Annahmen beharren.

  4. @KRichard

    »Sachliche Wissenschaft zeigt aber, dass wir bis unmittelbar vor der Ausführung einer geplanten Handlung in der Lage sind, diese zu ändern:«

    Die Frage ist aber doch, wie dieser Entschluss, eine geplante Handlung zu stoppen, zustande kommt, wirklich „frei“ oder eben bedingt.

  5. Nein, die Hirnforschung ändert gar nichts, wenn sie sagt, das momentane Handeln sei unfrei, weil hirnkontrolliert und damit letztlich chemisch/physikalisch kontrolliert. Denn das ist auch ohne Hirnforschung eine vernünftige Annahme. Dennoch kann es bei einer kriminellen Tat wie einem Mord Freiheit geben. Dann nämlich, wenn dem Mörder bewusst ist, was seine Handlung für sein Opfer und die Gesellschaft bedeutet und er es trotzdem tut, weil ihm das Ergebnis wichtiger als die Tat und ihre Bedeutung ist. Ein solcher Mörder weiss dann auch, dass er dafür, falls erwischt, bestraft wird. Unfrei wäre der Mörder nur, wenn er solche Überlegungen gar nicht kennt, so etwas – wohl wieder kognitiv bedingt – gar nicht erleben und durchdenken kann. Dies zu (Zitat) “Kein Mörder, kein Dieb, kein Betrüger hatte die Möglichkeit, anders zu handeln als er zum Zeitpunkt der Tatbegehung – des Mordes, des Diebstahls, des Betrugs, handelte.”

  6. @Balanus:
    Ja, es herrscht unter Hirnforschern ein Epiphänomenalismus vor. Ich plädiere für einen Emergentismus, der Phänomene auf komplexeren Systemebenen, die auf der Ebene ihrer Konstituenten noch nicht angetroffen werden, ernst nimmt und wissenschaftlich erforscht. Da Systeme als Ganze kausal wirksam werden, partizipieren die emergenten Eigenschaften an der kausalen Rolle ihrer physiologischen Konstituenten.

  7. @sherfolder:
    Bitte genauer lesen. Während ich für Freiheit plädiere und mein Verständnis davon auch anhand diverser Beispiele erläutere, lehne ich den Begriff der Willensfreiheit aus konzeptuellen Gründen ab (infiniter Regress). Wir bestrafen den Täter dafür, dass er eine bestimmte schädliche und ungesetzliche Handlung zur Realisierung bestimmter bewusst erlebter Absichten ausgeführt hat – ob er anders konnte, ist irrelevant.

  8. “Dennoch kann es bei einer kriminellen Tat wie einem Mord Freiheit geben. Dann nämlich, wenn dem Mörder bewusst ist, was seine Handlung für sein Opfer und die Gesellschaft bedeutet und er es trotzdem tut, weil ihm das Ergebnis wichtiger als die Tat und ihre Bedeutung ist. Ein solcher Mörder weiss dann auch, dass er dafür, falls erwischt, bestraft wird”

    Nein, Ihre Überlegungen sind aus folgenden Gründen nicht zutreffend:
    Denn ob dem Mörder “bewusst” ist, was seine Handlung für die Gesellschaft bedeutet
    (dass die Tat für das Opfer den Tod bedeutet, darüber kann man ja nun als Mörder nicht nicht bewusst sein … )
    und er sich trotzdem für die Tat entscheidet, – das hat ja kein Täter in der Hand, genau darüber kann er nicht “frei entscheiden” wie viel Bewusstsein, Nachdenken, Reflexion, hinsichtlich seiner Tat und ihrer Auswirkungen ihm möglich ist. Wenn er die Tat ausführte, dann hat er es getan, da er im Zeitpunkt nicht anders handeln konnte. Er konnte sich nicht dagegen entscheiden, weil er keinen freien Willen besitzt.

  9. ” Wir bestrafen den Täter dafür, dass er eine bestimmte schädliche und ungesetzliche Handlung zur Realisierung bestimmter bewusst erlebter Absichten ausgeführt hat – ob er anders konnte, ist irrelevant.”

    Herr Hoppe, mit dieser Aussage stehen Sie vollkommen im Widerspruch zur herrschenden Lehre im Strafrecht, die in der Dogmatik sowohl was die Strafbarkeit einer Tat, als auch was das Strafmaß anbelangt ausschließlich darauf abstellt, ob der Täter auch hätte anders handeln können.

    Wenn der Täter nicht hätte anders handeln können, dann handelte der Täter nach
    § 20 STGB ohne Schuld. Was folgt ist die Unterbringung gemäß §§ 63, 64 STGB.

    Nach den Erkenntnissen der Hirnforschung konnte kein Straftäter anders handeln – was sind die Konsequenzen: Schließung der Gefängnisse und Maßregelvollzug für alle?

  10. @sherfolder:
    Nein, da steht nicht, was Sie – und manche Hirnforscher – behaupten.

    §20 StGB sagt: “Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.”

    Da steht also nicht, dass man anders hätte handeln können müssen, um schuldfähig sein zu können. Und schon gar nicht steht da, dass man absichtlich eine andere Absicht hätte haben können müssen, um schuldfähig bzw. frei zu sein (sh. infiniter Regress im Blogpost). Die Einschränkungen der Schuldfähigkeit/Zurechnungsfähigkeit sind Einschränkungen der Absichtlichkeit der Tat; ist diese gegeben, ist der Täter schuldfähig.

  11. Ja sherfolder, ein überhöhter Freiheitsbegriff, der etwa die Freiheit zur Freiheit beinhaltet, ist ein Widerspruch in sich selbst. Es sind einfachere Freiheiten, die im Leben und in der Justiz eine Rolle spielen. Wer mündig und urteilsfähig ist, der besitzt die nötigen Freiheiten um auch verantwortlich zu sein. Zur Urteilsfähigkeit gehört die Fähigkeit einschätzen zu können, was eine Tat bewirken kann und was es für Alternativen zur Tat/Handlung gibt. Freiheit in ihrem absoluten Sinne braucht es dazu nicht.

  12. Unser Strafrecht unterscheidet ganz klar, ob jemand in der Lage ist, zu verstehen was er tut – oder nicht.
    Ist Einsichts-/Urteilsfähigkeit vorhanden, erfolgt im Falle einer Straftat eine angemessene Verurteilung.
    Ist keine Einsichtsfähigkeit vorhanden, wird keine Strafe ausgesprochen. (Wenn diese Person aber andere Menschen gefährden könnte – kann diese Person in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden. Hier steht das Recht anderer Personen auf Unversehrtheit im Vordergrund.)
    Bei Wikipedia [Kenneth Parks] finden Sie einen Bericht über einen Kanadier, der als Schlafwandler einen Doppelmord verübte und wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde.

  13. “Da steht also nicht, dass man anders hätte handeln können müssen, um schuldfähig sein zu können. Und schon gar nicht steht da, dass man absichtlich eine andere Absicht hätte haben können müssen, um schuldfähig bzw. frei zu sein”

    Und ob das da steht, Christian Hoppe: Zwar nicht explizit im Wortlaut, aber implizit, als dahinter stehendes Konzept einer Auffassung über eine dem Menschen gegebene Freiheit der Willensbildung :
    § 20 STGB : “Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen ( …. ) einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.”

    “Nach dieser Einsicht zu handeln”, bedeutet: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es bestimmte, als seelisch abartig bezeichnete Menschen gibt, die durch ihre seelische “Abartigkeit” daran gehindert sind, sich trotz ihrer Einsicht in die Rechtswidrigkeit einer Tat, dieser Tatbegehung zu widersetzen.
    Allen anderen Menschen jedoch, die nicht unter die Definition einer solchen, im Gesetzestext nicht näher definierten seelischen Abartigkeit fallen, attestiert der Gesetzgeber automatisch die Fähigkeit, sich rechtskonform zu verhalten.
    Jeder als geistig/seelisch gesund gedachte Mensch ist nach Auffassung des Gesetzes fähig, sich rechtskonform zu verhalten und von rechtswidrigen Taten Abstand zu nehmen, sofern er nur die Einsichtsfähigkeit in die Rechtswidrigkeit der jeweiligen Tat habe.
    Der Mensch kann sich gegen das Unrecht entscheiden und er hätte sich zum Zeitpunkt der Tat gegen diese entscheiden können – an exakt jener Textstelle des § 20 (“… oder nach dieser Einsicht zu handeln” ) tritt die dahinter stehende Auffassung vom Anders-Handeln-Können zu Tage.

  14. @sherfolder:

    Nein, ganz sicher geht es nicht um die Freiheit der Willensbildung (eine absurde Vorstellung), sondern um die Fähigkeit, Handlungsimpulse trotz besserer Einsicht in die Unrechtmäßigkeit der Tat wirksam zu unterdrücken; hier handelt also jemand im Grunde gegen seine eigentliche Absicht und kann nicht anders (z.B. im Affekt) und diesen Umstand berücksichtigen wir in der Urteilsfindung. Dies ist jedoch nur sehr selten der Fall. Selbst der Psychopath tötet am Ende absichtlich, er kämpft nicht gegen einen inneren, ihn fremdbestimmenden Zwang an – und entsprechend zeigt er später auch keine Reue über seine Tat (vielleicht hat er sogar Lust dabei empfunden). Die Strafwürdigkeit und -fähigkeit wird durch den schlüssigen Zusammenhang von Absicht und Tat begründet – anders als nach eigener Absicht handeln zu können oder gar andere Absichten absichtlich generieren zu können, ist hier eine völlig irrelevante Forderung an den zugrunde gelegten Freiheitsbegriff.

    Vermutlich werden wir uns hier nicht einigen.

  15. Klar ist Einsichts-/Urteilsfähigkeit Voraussetzung für Straffähigkeit. Anders formuliert: Nur ein Mensch, der normal funktioniert, kann für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden. Andernfalls gehört er zu einer anderen Kategorie. Oder noch technischer, funktionaler und als Analogie: Ein selbstfahrendes Auto muss bestimmte Fähigkeiten mitbringen, damit es das Prädikat “Full Driving Automation” (keinerlei menschlicher Eingriff nötig um von A nach B zu kommen) erhalten kann
    Ein Mensch, der einsichtsfähig/urteilsfähig ist, gehört ebenfalls in eine Kategorie, in die Kategorie von Personen nämlich, die verantwortlich für ihre Taten ist. Mit freiem Willen hat das sehr wenig zu tun. Das will die Analogie mit dem selbstfahrenden Auto gerade zeigen.

  16. @Hoppe
    “Nein, ganz sicher geht es nicht um die Freiheit der Willensbildung (eine absurde Vorstellung)”

    Es soll nicht um die Freiheit der Willensbildung gehen?
    Aber genau davon handeln doch die §§ 20, 21 STGB, in welchen alle diejenigen Ausnahmetatbestände für schuldhaftes Handeln aufgelistet werden, in denen die freie Willensbildung (sich nämlich gegen das Unrecht der Tat – trotz Einsicht-
    entscheiden zu können,) als unmöglich bzw. als beeinträchtigt angesehen wird.

    “sondern um die Fähigkeit, Handlungsimpulse trotz besserer Einsicht in die Unrechtmäßigkeit der Tat wirksam zu unterdrücken; hier handelt also jemand im Grunde gegen seine eigentliche Absicht und kann nicht anders (z.B. im Affekt) ”

    Nimmt man die Schlussfolgerungen der Hirnforschung ernst, dann konnte niemand anders; nicht der Affekttäter, nicht der psychopathische Täter, nicht der Mörder, nicht der Vergewaltiger.
    Das sind bitteren, aber unausweichlichen Konsequenzen aus der Akzeptanz der Annahme, dass es einen freien Willen nicht gibt.

    “Selbst der Psychopath tötet am Ende absichtlich, er kämpft nicht gegen einen inneren, ihn fremdbestimmenden Zwang an – und entsprechend zeigt er später auch keine Reue über seine Tat (vielleicht hat er sogar Lust dabei empfunden). ”

    Zur “Absichtlichkeit ” : wenn der Psychopath keine Reue über seine Tat zeigt, dann deshalb, weil er nicht fähig ist, Reue zu zeigen. Diese Unfähigkeit zur Reue macht ihn ja zum Psychopathen. aber man kann ihm diese genauso wenig vorwerfen, wie man dem Affekttäter seine Affekttat vorwerfen kann.

  17. Die Frage der Willensfreiheit wird immer wieder – wenn nicht ganz falsch verstanden – so doch schief aufgefasst. Damit ist gemeint, dass das „Wollensereignis“ versucht wird, in einen Kausalzusammenhang zu stellen, (Deterministen), oder es gegebenenfalls (Behaupter des freien Willens) durch Behauptung eines voraussetzungslosen Punkts daraus zu befreien (aber es auch erstmal darin eingebettet gesehen zu haben).

    Der Fehler besteht in meinen Augen hier darin, dass Kausalität eine Kategorie ist, die nur im Bereich der materiellen Dinge eine Anwendung hat, nicht aber im Bereich des Mentalen.

    Dazu zähle ich neben dem Denken das Fühlen, das Wahrnehmen, das Leben als solches. Und diese Angelegenheiten sind durch die Bank teleologischer Natur (für Kantianer: oder man kann nicht anders, als sie so aufzufassen).

    Wo wir gerade bei Kant sind: Der hat festgestellt, dass Kausalität eine Kategorie ist, mit der unser Erkenntnisapparat ausgestattet ist, und die wir spontan auf die äußeren (!) Gegenstände anwenden. Man könnte sie als ein Geschenk der Natur auffassen, durch das sie uns gestattet, die materiellen Dinge zu manipulieren, als Korrelat zu unseren Händen.

    Nun ist aber keineswegs gesagt, dass alles auf der Welt, also auch das Nichtmaterielle, der Kausalität unterliegt. Und genau dies ist eben der Fall im Bereich des Mentalen. Das Mentale, wie alles Lebendige, ist gekennzeichnet durch Spontaneität und nicht durch Kausalität. In der Tat gibt es Beeinflussung, und es gibt Süchte – stofflicher oder rein psychischer Art – aber Süchte würden wir ja auch als Störungen bezeichnen. Dass der Begriff Spontaneität kein Verlegenheitskonzept ist, lässt sich schön mit der Erfindung von Witzen oder von Musik u.v.a. erklären. Nun ist da vielleicht immer auch eine Erfahrung und ein Training mit im Spiel, aber niemals ausschließlich. Es muss ein spontanes Element geben, das aus den Tiefen auftaucht, und das keine Vorgeschichte im Sinne einer Herleitbarkeit hat.

    Ich selbst zum Beispiel kann ziemlich schlagfertig sein, wenn ich in passender Stimmung bin. Und in dieser Stimmung ist es mir schon oft vorgekommen, dass, wenn mich etwa auf der Straße jemand blöd anmacht, passende Sätze aus mir herauspurzeln, und mein Bewusstsein erst während des Sprechens mit der Feststellung hinterherkommt, was ich da gerade von mir gebe. Das ist übrigens alles andere als ein Kontrollverlust, mir hat da noch nie irgendetwas leidgetan. Es war immer genau das, was ich sagen wollte, nur schneller.

    Für das Thema Freiheit bedeutet das, dass sie im Bereich der menschlichen Entscheidung gar kein Antagonist der Kausalität, also des Determinismus ist, weil dies die Anwendungsbereiche der Kategorien falsch auffasst.

    Die Fixierung der Hirnforschung und der Materialisten auf die These, dass das Mentale sozusagen ein Effekt des Materiellen ist, scheitert schlicht und einfach immer wieder logisch an der Inkommensurabilität einer teleologischen und kausalen Ordnung. Das scheint seltsamerweise heute niemand mehr zu begreifen. Der große Logiker und Mathematiker Leibniz hat es begriffen und mit einer durchaus abenteuerlichen metaphysischen Theorie versucht, das Problem zu lösen. Zumindest erkennt man an dem spekulativen Aufwand, wie ernst er es genommen hat. Heute meint man, man könne es durch Weglassen erledigen. Das ist ein Irrtum. Bis zu dem Tag, an dem die Hirnforschung begreift, dass hier ein logisches Problem vorliegt, und es löst, kann man jegliche Behauptung, das Mentale sei „emergent“ oder „supervenient“ auf dem materiellen Gehirn, getrost als Unsinn abtun und ignorieren.

    Herr Hoppe hat ja ziemlich treffend den Unfug der Hirnforscher dargestellt, die da in unserem Strafrecht herumpfuschen woll(t)en – gemeint sind natürlich Roth und Singer wenn ich mich recht erinnere, auch Markowitsch – findet aber selbst nicht aus der naturalistischen Zwickmühle heraus, wie er Verantwortlichkeit und durchgängige Kausalität miteinander in Einklang bringen könnte.

    Vielleicht habe ich ein paar Anregungen beisteuern können.

  18. @ Christian Hoppe

    “Ich plädiere für einen Emergentismus, der Phänomene auf komplexeren Systemebenen, die auf der Ebene ihrer Konstituenten noch nicht angetroffen werden, ernst nimmt und wissenschaftlich erforscht. Da Systeme als Ganze kausal wirksam werden, partizipieren die emergenten Eigenschaften an der kausalen Rolle ihrer physiologischen Konstituenten.”

    Ich weiß nicht, wie oft – unter anderem von Chrys und von mir selbst – referiert wurde, dass es sich bei „Emergenz“ nur um einen Wechsel der Beschreibungsebenen handelt, und nicht um ein seltsam zauberhaftes Ereignis der Welt da draußen. Der Philosoph Peter Janich war einer der hartnäckigsten Analytiker dieses Selbstbetrugskonzepts, das ein Paradebeispiel für Externalisierung abgibt. (Leider ist ein hochinteressanter Text von ihm („Emergenz – Lückenbüßergott für Natur- und Geisteswissenschaften“ aus dem Steiner Verlag anscheinend nicht mehr erhältlich.)

    Es wäre schon etwas gewonnen, wenn Sie zu meinen Bemerkungen zur logischen Inkommensurabilität des zweifellos teleologisch organisierten Willens und der kausal organisierten Materie des Gehirns einmal Stellung nehmen könnten.

    Diesen Einwand habe ich schon oft angebracht, und es ermüdet auch ein bisschen, aber noch NIE habe ich eine Antwort bekommen, dabei müsste es für jeden logisch denkenden Menschen ein glasklarer Fall sein. Sollte ich mich irren: Bitte! Widerlegen Sie Leibniz und meine Wenigkeit.

    Ihr letzter Satz ist in seiner verschrobenen Suggestivität schon fast merkelwürdig (ok, das war jetzt gemein, aber es musste raus, Sie wissen, Unfreiheit und so.)

  19. Durch das UNEIGENNÜTZIGE Wollen, denn Mensch ist vom Ursprung her nicht auf das Ich / “Individualbewusstsein” begrenzt, sondern bedeutet ALLE ZUSAMMEN. Ich behaupte aus (bestimmter) Erfahrung: Wenn Mensch Vernunft, Begabung und Verantwortungsbewusstsein nicht mehr im Wettbewerb betreibt, befriedet er sein Bewusstsein zu Möglichkeiten in geistig-heilendem Selbst- und Massenbewusstsein, was Kräfte freisetzt, die bisher nur erahnt und SCHEINBAR unerklärlich sind – vor dem Freien Willen, steht das Schicksal / die Vorsehung / die “göttliche Sicherung” (damit meine ich nicht die heuchlerisch-verlogene UNWAHRHEIT der Kirchen und ihre “Geistlichen”, oder irgendeinen esoterischen Mikrokosmos!).

  20. Ich denke es bleibt trotz der falschen Formatierung ersichtlich, was Zitat und was Kommentar ist.

  21. Zusatz: … das Schicksal / Vorsehung / die “göttliche Sicherung”, die GEMEINSAM überwunden werden muss!

  22. @ sherfolder

    „Denn ob dem Mörder “bewusst” ist, was seine Handlung für die Gesellschaft bedeutet
    (dass die Tat für das Opfer den Tod bedeutet, darüber kann man ja nun als Mörder nicht nicht bewusst sein … )
    und er sich trotzdem für die Tat entscheidet, – das hat ja kein Täter in der Hand, genau darüber kann er nicht “frei entscheiden” wie viel Bewusstsein, Nachdenken, Reflexion, hinsichtlich seiner Tat und ihrer Auswirkungen ihm möglich ist.“

    Was ist denn in Ihrer Sicht „Bewusstsein, Nachdenken, Reflexion“ anderes als eine elaborierte Form der Konditionierung?

    Oder machen Sie Unterschiede zwischen den Menschen derart, dass diese nur zum Teil zum Bewusstsein und zur Verantwortlichkeit auftauchen?

    Dann würden Sie übrigens konform gehen mit einer neuen Sicht der Dinge seitens unserer
    Rechtsprechung

    „Allerdings habe die Kammer Zweifel, dass der Angeklagte die Niedrigkeit seiner Beweggründe auch erkannt habe.“

    Es gibt bei uns also bereits Fälle, dass jemand aus Gründen einer anderen kulturellen Konditionierung die Möglichkeit abgesprochen wird, das Merkmal des Mords nach hiesigen Kriterien zu erfüllen. Wenn da nicht die Einfluss dieser deterministischen Ideologie am Werk ist…

  23. Wenn GRUNDSÄTZLICH alles Allen gehören darf, so dass “Wer soll das bezahlen” und “Arbeit macht frei” nicht mehr …, MUSS AUCH die Strafgesetzgebung PRINZIPIELL eine ganz andere / gerechtere sein!? 😎

  24. @Christian Hoppe // 2. August 2017 @ 14:05

    »Ja, es herrscht unter Hirnforschern ein Epiphänomenalismus vor. Ich plädiere für einen Emergentismus, der Phänomene auf komplexeren Systemebenen, die auf der Ebene ihrer Konstituenten noch nicht angetroffen werden, ernst nimmt und wissenschaftlich erforscht.«

    Statt von „emergenten“ Eigenschaften würde ich hier lieber von Systemeigenschaften sprechen, und egal, wie komplex ein materielles System auch sein mag, „Freiheit“ kann niemals zu den Systemeigenschaften gehören, eben weil „Freiheit“ als Konzept oder Idee in eine ganz andere, nicht-materielle Kategorie fällt.

    Dass viele Hirnforscher „Freiheit“ für ein Epiphänomen halten, ist mir noch nicht aufgefallen. Meines Wissens geht es bei den sogenannten Epiphänomenen eher darum, dass man irgendwie mit den „mentalen“ Hirnzuständen umgehen muss, und wohl auch mit dem rätselhaften phänomenalen Erleben. Da könnte ein „Epiphänomenalismus“ durchaus seine Berechtigung haben.

    Bei Ihrer Debatte mit @sherholder zur Frage der strafrechtlichen Schuld neige ich eher @sherholders Auffassung zu. Das Strafrecht setzt m. E. eine prinzipielle Handlungsfreiheit (und damit wohl auch Willens- bzw. Entscheidungsfreiheit) schlicht voraus. Wie allerdings diese Freiheiten sich mit den elektrophysiologischen Vorgängen in einem Körperorgan vereinbaren lassen, ist die große Frage. Ich meine, gar nicht.

    Es ist, denke ich, so, wie Sie es im letzten Absatz vor dem (überraschenden) Auftauchen der Hirnforscher schreiben:

    »Wenn ich mir eine Handlung zuschreiben können will, dann darf sie zudem nicht “aus dem Nichts” kommen oder “vom Himmel fallen”, sondern sie muss um eine selbst-bestimmte Handlung sein zu können, durch meine vorausgegangene Lebensgeschichte – also die Geschichte meiner eigenen früheren Handlungen, Erfahrungen, Gedanken, Einsichten, Erinnerungen usw. – bestimmt sein. «

    (Hvm)

    Mehr als selbstbestimmtes Handeln und Wollen ist nicht, und es reicht ja auch völlig hin. Zumindest, soweit es ums Strafrecht geht. Lediglich die moralische Schuld hat nach meinem Dafürhalten noch ein Problem, denn die ist wirklich auf Freiheit im starken Wortsinne angewiesen.

  25. @Balanus

    “… eben weil “Freiheit” als Konzept oder Idee in eine ganz andere, nicht-materielle Kategorie fällt.”

    Tja, bei den Tieren eben wohl 😎

  26. Experimente zeigten, dass eine bereits getroffene Entscheidung bis unmittelbar vor der Ausführung noch geändert werden kann. D.h. eine freie Willensentscheidung ist bis zu diesem Zeitpunkt möglich.

    Wenn man aber wissen will, WIE eine Willensentscheidung entsteht, dann müsste man sich damit beschäftigen, wie/welche Aktivitäten im Gehirn ablaufen – damit DENKEN/KREATIVITÄT möglich wird.
    Beispiele:
    der Zustand des Gehirns vor einem neuen Reiz, entscheidet wie dieser dann verarbeitet wird = PRIMING. D.h. ein identischer Reiz kann zu verscheidenen Ergebnissen führen.
    Die Reizverarbeitung des Gehirns lässt sich als Ergebnis simpler Mustervergleichsaktivitäten mit einfachen Regeln beschreiben

    Bevor man also die Idee eines ´freien Willens´ diskutiert, sollte man erst grundlegende Hausaufgaben machen.

  27. fegalo,
    die These, dass das Mentale sozusagen ein Effekt des Materiellen ist, das ist die Lieblingsbehauptung des Materialismus.
    Religiöses Verhalten, bis hin zur Selbstaufgabe beweist das Gegenteil.

    Schuldfähigkeit muss im Spannungsfeld zwischen “Wollen können” und “Wollen sollen” bleiben.

  28. Eine richtig spannende Diskussion. Vielen Dank! Nur schnell eine erste Frage dazu: In dem Artikel wird immer wieder von dem ICH gesprochen. In welchem Gehirnlappen oder wo im Menschen oder sonstwo in seiner Außenwelt ‘versteckt’ sich dieses eigentlich? Mit Descartes kommen wir da wohl nicht weiter. Steiner war mit seinem ‘Bologna-Vortrag’ vielleicht schon näher dran. Das hilft dann auch bei der Frage nach der Wahrnehmung und Bewegung und welchem Willen. Würde dazu gern einen nächsten Artikel lesen. Vielen Dank!

  29. @fegalo:
    Ich habe in einem früheren Beitrag ebenfalls ein epistemisches Verständnis von Emergenz vertreten und lehne jede Substanzialisierung von Bewusstsein aus empirischen und konzeptuellen Gründen ab, also auch eine emergentistische.

  30. @fegalo:
    Es ist unstrittig, dass Lernen (Konditionierung u.ä.) unsere Absichten und Handlungen beeinflusst – wo ist das Problem in Bezug auf Straffähigkeit?

    Sollte jemand nachweislich absolut gar nicht gelernt haben, dass er eine andere Person nicht töten darf, oder sollte ihm sogar seitens seiner Kultur vermittelt worden sein, dass es unter bestimmten Umständen moralisch geboten ist zu töten, ist seine Handlung selbstverständlich auch rechtlich anderes zu beurteilen. Wenn dies in der Urteilsbegründung mit “Unkenntnis des Unrechtscharakters der Tat” gemeint war, dann ist das zwar ein sehr bitterer Einzelfall, juristisch jedoch vermutlich korrekt (bin da absolut kein Experte!).

  31. @Balanus:
    Emergenz, System, Mer(e)ologie – ganz wie Sie wollen. Ich vertrat in früheren Beiträgen einen epistemischen (also nicht ontologischen) Emergentismus: je nach “Zoom” des Beobachters erkennt er bestimmte Eigenschaften (oder nicht).

    Epiphänomenalismus wollte ich in Bezug auf Bewusstsein und psychische Phänomene insgesamt verstanden wissen; dies impliziert aber subjektiv erlebte Entscheidungsprozesse. Hirnforscher neigen dazu diesen Phänomenen jede kausale Rolle abzusprechen. Eine Einwirkung reinen Geistes auf Materie ist tatsächlich nicht vorstellbar. Aber wie im merkel-esken Satz meines Blogposts geschrieben, partizipieren diese vermeintlich subjektiven emergenten (systemischen) Phänomene an der kausalen Rolle des Gesamtsystems, in dem sie auftauchen; sie lassen sich faktisch auch nicht wegdenken, ohne dass sich dadurch zugleich die zugrunde liegenden materiellen Vorgänge ändern würden.

  32. @Balanus: “Das Strafrecht setzt m. E. eine prinzipielle Handlungsfreiheit (und damit wohl auch Willens- bzw. Entscheidungsfreiheit) schlicht voraus. Wie allerdings diese Freiheiten sich mit den elektrophysiologischen Vorgängen in einem Körperorgan vereinbaren lassen, ist die große Frage. Ich meine, gar nicht.”

    Das Strafrecht macht die Strafwürdigkeit abhängig von dem Vorgang, dass Absichten in die Tat umgesetzt wurden, im Wissen um die Strafwürdigkeit der Tat; dies könnten wir als Freiheit bezeichnen (Kongruenz von Intention und Handlung als normale Alltagserfahrung). Willensfreiheit würde höchstens bemüht, wenn die Möglichkeit einer subtilen Manipulation von außen diskutiert wird (z.B. Mord unter Hypnose) – aber ganz sicher nicht als die hier immer wieder von Kommentatoren geforderte Fähigkeiten, absichtlich Absichten zu haben, oder seinen Willen willentlich zu bestimmen, was auch absurd wäre.

  33. Das Ich – gibt es nicht. Sie sagen “Ich” und zeigen auf sich – nicht auf Ihr Gehirn, sondern auf sich insgesamt (z.B. tippen Sie dabei auf Ihre Brust). Jede Substanzialisierung des Ich – jenseits der korrekten Verwendung in 1. Person Singular – ist ein Pseudoproblem; ein substanzialisiertes Ich (Bewusstsein, Seele) kann es nicht geben, weil ich dann stets und ausnahmslos bei Bewusstsein wäre, was aber nicht der Fall ist. Die Fähigkeiten, die mir ein Leben als Person ermöglich und die psychische Phänomene wie Denken, Empfinden, Fühlen, Erinnern usw. ermöglichen, beruhen auf hinreichend intakten Hirnfunktionen und gehen mit diesen unter, bei Hirnerkrankungen, im Tod. Natürlich kann daher auch “das Ich” nicht auf den Organismus einwirken – da es ja ein Ich außerhalb dieses Organismus ja gar nicht gibt.

  34. Bravo! Die Kommentare (ich hab’ nur ein paar überflogen) zeigen allerdings, dass viele Leute ihr Argument nicht verstanden haben, vermutlich auch, weil viel Überflüssiges im Beitrag steht.

    Was bedeutet “Willensfreiheit”? Wann ist mein Wille “frei”? Wenn ich wollen kann, was ich will. Wann kann ich wollen, was ich will? ..

    Der Begriff ist unsinnig und deshalb ist es auch sinnlos, zu fragen, ob es “Willensfreiheit” gibt oder nicht.

  35. @fegalo

    Es gibt keinen Widerspruch zwischen der kausalen Ordnung und der teleonomischen in der Biologie und vielleicht der teleologischen (intentionalen) in der Psychologie. Der Zuwachs an Fähigkeiten und neuartigen Phänomenen bei immer komplexerer Organisation von Materie (angefangen vom Atom über das Molekül usw.) kann gar nicht geleugnet werden – auch die Abhängigkeit dieser Fähigkeiten und Phänomene von der jeweiligen materiellen Organisation ist evident, natürlich auch im Falle psychischer Phänomene.

    Beispiel: Sobald Sie optische Signale aus Ihrer Umgebung sinnvoll verarbeiten können, also ein Auge und ein Sehsystem haben, ermöglicht Ihnen dieser Fernsinn eine Vorhersage in der Zeit, über den Gegenwartsmoment, in dem Sie jetzt gerade dies sehen, hinaus: Wenn ich weiterginge, dann liefe ich in etwa 2 Sekunden gegen eine Wand; wenn ich in die andere Richtung gehe, kann ich durch eine offene Tür hinaus gehen, was definitiv eine bessere Idee ist. Man hat jetzt entdeckt, dass bereits bestimmte Einzeller (!) lichtsensitive molekulare Funktionseinheiten auf Ihrer Außenhülle haben. In einem absolut fundamentalen Sinne verfügen diese damit über die Möglichkeit, zeitlich ausgedehnte Vorgänge und sogar Möglichkeiten (!) zu antizipieren und diese gegenwärtig-räumlich in ihrem jetzigen Zustand zu repräsentieren. Es ist dann unproblematisch, dass diese Informationen auch das Verhalten beeinflussen, sodass dieses Verhalten intentional wirkt (und auch wirklich zielführend ist!), obwohl hier immer “nur” Biochemie im Hier und Jetzt abläuft.

    Es ist unstrittig, dass die kognitiven Fähigkeiten beim Menschen gegenüber Einzellern exorbitant gesteigert sind und dass infolge dieser Fähigkeiten psychische Phänomene wie Denken, Erinnern etc. auftreten. Es gibt keinen einzigen prinzipiellen (logischen) Grund, warum dies einem materiellen System nicht möglich sein sollte – und dualistische Erklärungen scheiden aus empirischen und konzeptuellen Gründen aus (das habe ich ja früher bereits lang und breit argumentiert).

    Einige tappen immer wieder in dieselben pseuoplausiblen substanzialisierenden “Intuitionen”, beim Bewusstsein, beim Willen, und nur deswegen erscheinen ihnen die Probleme prinzipiell unlösbar – und nicht nur offen, was sie tatsächlich noch sind.

  36. Sie haben Recht. Doppelt. Damit, dass Kommentatoren nur selten auf die Argumente in dem geposteten Text eingehen. Und damit, dass ich mein Kernargument durch zu viel Drumherum vielleicht unnötig verschleiert habe.

  37. Das ICH, mein Ich, dein ich …, gibt es nicht?? Na, dann mal los! Auf die Kommentare aller Beteiligten zu dieser Bemerkung bin ich wirklich gespannt. Wenn das so ist, um irgendwo zu beginnen, warum sprechen Sie dann in Ihrem Artikel immer wieder davon. Wenn es kein Ich gibt, sollte Ihr Artikel dann ehrlicherweise neu geschrieben werden. Von Ihrem Ich, von wem sonst, oder? Wünsche viel Erfolg!

  38. Wo spreche ich (korrekte Verwendung) von dem Ich (falsche Verwendung)?

  39. @ Christian Hoppe
    “Wir bestrafen den Täter dafür, dass er eine bestimmte schädliche und ungesetzliche Handlung zur Realisierung bestimmter bewusst erlebter Absichten ausgeführt hat – ob er anders konnte, ist irrelevant.”

    Diese Aussage, “ob er anders konnte, ist irrelevant” ist so etwas von falsch, so vollkommen falsch, es sträuben sich einem die Nackenhaare.
    Diese Aussage zeigt: Sie wissen eigentlich nichts aus der Strafrechtsdogmatik, was Sie jedoch nicht daran hindert – noch dazu im Pluralis majestatis, hier solche unrichtigen Behauptungen aufzustellen.
    Ich hatte dieses Zitat ja weiter oben schon einmal gebracht, Sie sind aber in Ihrer Antwort auf meine Argumentation gar nicht eingegangen, deswegen will ich jetzt noch einmal ins Detail gehen, in der Hoffnung, dass Sie Ihren grundlegenden Irrtum doch noch erkennen:
    Im deutschen Strafrecht wird nur derjenige Täter bestraft, der die rechtswidrige Tat schuldhaft beging.
    Was ist unter Schuld zu verstehen?

    Schuld bedeutet die Vorwerfbarkeit eines Verhaltens.
    Schuld ist außerdem die Grundlage für die Zumessung der Strafe (§ 49 STGB)

    Vorwerfbarkeit bedeutet, dass der Täter rechtswidrig gehandelt hat, obwohl er nach seinen Fähigkeiten in der Lage war, sich von der im Tatbestand normierten Pflicht zu rechtmäßigem Verhalten leiten zu lassen.

    Akzeptiert man jedoch, dass es keine Willensfreiheit gibt, dann war grundsätzlich kein einziger Täter zum Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung in der Lage, sich rechtmäßig zu verhalten.

    Ihre Annahme, um Willensfreiheit ginge es im Strafrecht höchstens bei der
    Möglichkeit einer subtilen Manipulation von außen, geht so weit an der Sache vorbei, wie nur möglich,
    Für Juristen ist die Diskussion um die Bejahung oder Verneinung eben nicht überflüssig oder irrelevant, da man weiß, dass das gesamte Strafrecht neu konzipiert werden müsste, setzte sich die Annahme der Illusion der Willensfreiheit in der Rechtswissenschaft durch.

    Noch ist das Bild des in freier Verantwortung handelnden Menschen vorherrschend:
    Ich zitiere den Strafrechtler Hans Joachim Hirsch, Verfasser einer Kommentarreihe zum Strafgesetzbuch:

    “Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, dass er sich nicht rechtmäßig verhalten […] hat, obwohl es ihm nach menschlichem Selbstverständnis
    möglich war, sich für das Recht zu entscheiden. ”

    Sich für das Recht zu entscheiden – diese Entscheidung aber war in der ex post Betrachtung keinem Täter möglich – sehen Sie nun den Widerspruch zu Ihren Ausführungen, in denen Sie die Meinung vertraten, ob der Täter anders konnte, sei irrelevant?

    Die Verneinung eines freien Willens führt zur Verneinung jeglicher Schuld.

    Und damit ist das gesamte deutsche Strafrecht hinfällig, denn die Strafe richtet sich nach der Schuld des Täters, gibt es keine Schuld mehr, dann wird ein neues Strafrecht benötigt.

  40. Sie gehen nicht auf mein Argument ein, dass die Forderung, der Wille müsse seinerseits noch bestimmt werden, absurd ist, dass mithin der Begriff der Willensfreiheit sinnlos ist – und folglich so etwas auch nicht existieren kann aus rein begrifflichen Gründen.

    Was immer der Strafrechtler kommentiert: der Gesetzestext argumentiert nicht auf der Basis eines Szenarios des zum gleichen Zeitpunkt auch Anders könnens – und das wäre natürlich auch sinnlos. Wenn ich die Absicht hege und aufrecht erhalte, jemanden umzubringen, wie sollte ich denn dann anders können, wenn sich mir die Gelegenheit zur Tat bietet? Dem Gesetzestext reicht es, dass Sie nicht im Affekt gehandelt haben und dass Sie im Prinzip wissen, dass Sie Unrecht tun. Er verlangt aber nicht absurderweise, seine Absichten absichtlich festzulegen – wir haben eben bestimmte Absichten (und die ganze Lebensgeschichte kann hier reinspielen) und wir haben ein gewisses Wissen über Recht und Unrecht. Wenn wir in voller Absicht Unrecht tun, werden wir bestraft. Die von Ihnen und Hirnforschern und dem von Ihnen zitierten Rechtstheoretiker formulierten weiteren Forderungen an das Vorliegen von Freiheit, Verantwortlichkeit und Schuldfähigkeit sind wie gezeigt begrifflich absurd (infiniter Regress) und daher irrelevant.

    Ich habe ja gar nichts dagegen, die Schicksalshaftigkeit einer Tat dem Täter zugute zu halten und ich bin völlig offen für eine Diskussion darüber, wie weit Strafe überhaupt den Zwecken dient, die die Gesellschaft damit kostenintensiv verfolgt – aber ich bestreite aus den genannten Gründen, dass der Begriff der Freiheit, Verantwortlichkeit, Strafmündigkeit u.ä. davon abhängt, dass wir auch unseren Willen nochmals frei bestimmen bzw. unsere Absichten absichtliche wählen können müssen. Das ist eine sinnlose Forderung und dass die logischerweise nicht erfüllt werden kann, ist absolut kein Grund, diese Begriffe zu verwerfen.

  41. Darf ich bitte nochmal auf ihre Bemerkung ‘Wo spreche ich …’ zurückkommen? Sie weichen m.E. mit dieser Bemerkung der Frage aus. Natürlich gibt es das ICH, z.B. als Thema der Weltliteratur und der Philosophien in vielen Kulturen, oder? Aber, um mich auf Ihr ‘Wo spreche ich’ zu beschränken, und das war doch die Frage, was meinen Sie damit, wenn Sie den Begriff ‘ich’ verwenden? Ich glaub, dass bei einer Diskussion über den ‘Willen’ dem Ich-Begriff eine zentrale Bedeutung zukommt und schon deshalb von Ihnen, so oder so, dazu etwas mehr gesagt werden kann. Sich der Diskussion zu stellen und nicht auszuweichen, kann für alle Beteiligten sehr aufschlussreich werden. Ich freue mich bereits auf Ihren ergänzenden Artikel dazu. Vielen Dank.

  42. @all

    Die moralische Empörung, die auch den Wunsch nach Bestrafung motiviert, bezieht sich genau auf die Absichtlichkeit der Tat, deren Unrechtscharakter dem Täter zudem bekannt war. Es ist exakt die Absichtlichkeit, die eine Tat von einem Unfall, einem Reflex oder einer unter Zwang (Hypnose, Erpressung) ausgeführten Tat unterscheidet. Selbst bei Unfällen infolge von Unaufmerksamkeit usw. bestrafen wir den Täter; mindestens wird er für den Schaden haftbar gemacht und er muss ein Bußgeld zahlen. Aber wenn eine Tat erkennbar geplant und in voller Absicht ausgeführt wurde, verstehen wir keinen Spaß mehr. Der Eindruck der Absichtlichkeit kann durch den Tathergang noch verstärkt werden (z.B. Brutalität, Niedertracht, Hinterhältigkeit u.ä. bei Mord). Vielleicht waren sogar niedrige Beweggründe handlungsleitend (z.B. Tötung einer Person, um ihr 50€ klauen zu können). Es ist diese besondere Konstellation – volle Absicht, gefühlskalte Planung, sadistische Lust am Schädigen, keinerlei Reue im Nachhinein und Verachtung für das Gesetz -, die uns maximal empört. Zugespitzt könnte man vielleicht formulieren: Wir bestrafen den Täter für seine (bzw. wegen seiner) Absicht und natürlich für die daraus folgende absichtsvolle Straftat.

    Dass jemand, der eine entsprechende Absicht hegt, zum Zeitpunkt der Tat nicht auf einmal anders handeln kann, erscheint mir trivial: Aufgrund welcher anderen Absicht, die er gerade ja gar nicht hat, hätte er denn seine Handlung unterbrechen oder durch eine andere Handlung ersetzen können? Das kann niemand! Diese Forderung bzw. das ganze Szenario des Anders könnens zum Tatzeitpunkt erscheint mir daher absurd.

    Grundsätzlich jedoch setzt der Gesetzgeber voraus, dass Erwachsene unter normalen Umständen wissen, was erlaubt ist und was nicht, und dass sie sich an Regeln halten wollen und können – wie sie das machen, interessiert den Gesetzgeber dabei nicht. Der Gesetzgeber schreibt Erwachsenen also unter normalen Umständen die Fähigkeit zu einem gesetzeskonformen Absichtenmanagement zu, näherin die Fähigkeit, aufkeimende gesetzeswidrige Handlungsabsichten kontrollieren zu können und nicht zur Handlung kommen zu lassen. Andernfalls droht er mit Strafe und hofft, dass eine glaubwürdige Strafandrohung das Absichtenmanagement in die gewünschte Richtung beeinflusst.

    Schicksalshaft und tatsächlich durch den Täter letztlich nicht frei beeinflussbar ist die Tatsache, dass er überhaupt eine gesetzwidrige Absicht in handlungswirksamer Intensität entwickeln konnte und alle Gegenfaktoren letztlich unwirksam blieben – einschließlich der ihm bekannten Strafandrohung. Möglicherweise haben @sherholder, @Balanus und die erwähnten Hirnforscher Recht, dass der Staat die Fähigkeit zu einem gesetzeskonformen Absichtenmanagement bei Menschen, die kriminell werden, überschätzt und dass er von ihnen etwas fordert, was – zumindest im aktuellen Tatzusammenhang – außerhalb ihrer Möglichkeiten lag. Das wäre kritisch zu diskutieren. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass viele Täter einräumen werden, dass sie sich an irgendeinem Punkt bewusst entschieden haben, das Risiko einzugehen und geplant gesetzeswidrig zu handeln in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden. Und auch der Fall des Täters, der sich später selbst freiwillig stellt und die Verantwortung für seine Tat übernehmen will, wäre einzubeziehen: Bestätigt er nicht die Annahme des Gesetzgebers, dass wir in der Lage sind, unsere Absichten zu managen?

    Ich meine, dass eine mögliche Überschätzung der Fähigkeit zum gesetzeskonformen Absichtenmanagement im Vorfeld einer geplanten Tat an der Strafwürdigkeit ebendieser absichtsvoll begangenen Straftat nichts ändert. Dies muss auch aus der Sicht der Opfer gesagt werden, deren Anspruch auf “Gerechtigkeit” hier relevant ist. (Sie überlassen im modernen Rechtsstaat die Bestrafung ja dem Staat.) Die gesetzliche Strafandrohung, die das Absichtenmanagement potentieller Straftäter in die gewünschte Richtung beeinflussen soll, bleibt zudem nur glaubwürdig, wenn ein relevantes Entdeckungsrisiko besteht und die angekündigte Strafe bei Entdeckung auch tatsächlich verhängt wird. Wo dies nicht der Fall ist – z.B. geringe Aufklärungsrate bei Einbrüchen oder die teilweise laxe Rechtssprechung im Jugendstrafrecht -, häufen sich die entsprechenden Straftaten, was indirekt eine gewisse Wirksamkeit der Strafandrohung beweist.

    Konsequenz meiner Überlegungen wäre also nicht, das Strafrecht über den Haufen zu werfen, sondern über Möglichkeiten nachzudenken, wie man das Absichtenmanagement (die Selbststeuerung) von (gefährdeten) Personen nachhaltig verbessern kann. Ich bin gerade nicht auf dem Laufenden über die tatsächlich erreichten Ergebnisse, aber konzeptuell zeigt z.B. das Pädophilie-Projekt der Charité in diese Richtung: Nicht zum Täter werden trotz entsprechender, kaum kontrollierbarer Handlungsimpulse.

  43. Sicher ist Willensfreiheit ein missverständlicher Begriff und eine „Freiheit, das Wollen zu wollen“ regressiv und widersprüchlich.

    Aber warum muss die Freiheit unbedingt im Bewusstsein liegen?

    Im strikt deterministischen Uhrwerkuniversum, wo der Laplacesche Dämon auch die Zukunft kennt, ist alles festgelegt und jegliche Freiheit illusionär.
    Wenn es dagegen indeterministische Bereiche gibt, zum Beispiel die Freiheit des Zerfallszeitpunktes des Uranatoms (keine absolute, sondern eine probabilistische), dann fällt damit die fatalistische Idee vom Uhrwerkuniversum flach.

    Angenommen, es gäbe im Gehirn ein neuronales Grundrauschen und Signale werden nicht mit hundertprozentiger Sicherheit, sondern mit einem kleinen Schuss Zufall weitergeleitet.
    Dann könnte aus demselben Ausgangszustand jedesmal eine unterschiedliche Entwicklung resultieren, gleich zuerst, aber mit der Zeit zunehmende Abweichungen zeigend.

    Der bewusste Wille kommt aus dem Unbewussten (Unterbewussten?).
    Wenn dort, und sei es auch nur selten, gewürfelt wird, dann gibt es dort Freiheitsgrade und Spontaneität (für Kohärenz und Konsistenz sorgen sowohl das Gesetz der großen Zahl als auch selbstverstärkende Rückkoppelungen).

    Sobald aber das Ergebnis im Bewusstsein als Wollen erlebt wird, sind die Würfel bereits gefallen und haben das Ergebnis auf ihre Weise determiniert.
    Insofern macht es keinen Sinn, auf der Ebene des bewussten Wollens nochmals eine Entscheidungsinstanz zu fordern, um die Freiheit zu retten.

    Wie sich aber nun Quantenindeterminismus in Entscheidungsfreiheit übersetzt, hat mehr mit der Theorie komplexer Systeme zu tun (zirkuläre Kausalität). Darüber wissen wir im Falle des Gehirns noch nicht genug.

  44. Es besteht gar keine Notwendigkeit, psychologische Phänomene und Begriffe auf der elementarphysikalischen Ebene zu reformulieren. Indeterminismus wird hier Freiheit auch nie “garantieren” können. Die Rede von Freiheit setzt Bewusstsein voraus – Handlungen von Schlafwandlern oder Epilepsiepatienten im Anfall schreiben wir keine Freiheit zu. Bewusstsein tritt aber nur zeitweise unter sehr speziellen neurophysiologischen Voraussetzungen auf – nur die sind hier also physikalisch relevant. Der Alltagsbegriff von Freiheit besteht einfach in der Kongruenz von erlebter Absicht und erfolgter Handlung bei Abwesenheit von Zwang oder Behinderung. Dieses Phänomem tritt in einer physischen Wirklichkeit auf, die auf elementarer Ebene nur Notwendigkeit und Zufall kennt – und ist mithin mit dieser Wirklichkeit kompatibel (auch wenn wir es noch nicht verstehen). Die Forderung des Anderskönnens oder gar der willentlichen Bestimmung des eigenen Wollens und der absichtlichen Festlegung der eigenen Absichten erscheinen mir absurd; sie können eine Ablehnung des Begriffs der Freiheit meines Erachtens daher nicht begründen.

  45. @Hoppe: „Die Forderung des Anderskönnens…”

    Ich stimme Ihnen zu, dass die zu nichts führt, aber die Behauptung des Nichtanderskönnens aufgrund eines strikten physikalischen Determinismus auf allen Ebenen entwertet nicht nur den Freiheitsbegriff, sondern auch den der Absicht, weil die Handlungsfolge nicht wegen, sondern trotz einer Absicht eintritt, es ist nämlich immer der Urknall schuld.

    Man muss daher erstmal den Determinismus schwächen, will man die Absichten (Teleologie) stark machen.

  46. TATSÄCHLICH ist Das ICH eine Illusion, die AUCH durch den WIDERWILLEN das da eine schöpferisch-fusionierende Kraft IST, die die “höchstpersönlichen” Gehirnfunktionen klein, unbedeutend und OHNE wirken lassen. 😎

    Ein Dilemma 😎

  47. @Heinz Gerd:
    1) Ein Quantenindeterminismus bringt den Zufall ins Spiel. Mehr Zufall bedeutet aber nicht mehr Freiheit
    2) Sie fordern oder liebäugeln mit einer totalen, blickwinkelunabhängigen Freiheit, also damit, dass es Freiheit auch ausserhalb des Einzel-Bewusstseins, ausserhalb der subjektiven Perspektive gibt. Sie nehmen also den Standpunkt “Gottes”, den Standpunkt des alles Überblickenden ein und fürchten aus diesem Blickwinkel sei alles determiniert und keine Person habe eine freie Wahl.

    bei 2) müssen sie aber bedenken, dass es einen solchen alles überblickenden Standpunkt gar nicht gibt. Keine Person, kein System hat den totalen Überblick.

    Letztlich gilt: Für sie als handelndes Subjekt ist letztlich das entscheidend, was sie zum Handeln oder auch nicht Handeln veranlässt. Mit mehr Wissen können sie eventuell “besser” Handeln. Aber sie kommen nicht darum, ihr Handeln als ihr eigenes Handeln aufgrund ihrer eigenen Absicht aufzufassen. Tun sie das nicht, indem sie sich als Spielball von externen Gesetzmässigkeiten sehen, dann geben sie ihre Personalität auf. Wer aber seine Personalität aufgibt, der gibt sich selber auf.
    Aber es stimmt: Man kommt eventuell in ein Dilemma, wenn man zuviel (oder falsch) über die wahren Verhältnisse in dieser Welt nachdenkt.

  48. @Holzherr:
    Selbstverständlich bin ich immer für mein eigenes Handeln verantwortlich.

    Eigentlich möchte ich nur eine andere Definition von Willensfreiheit vorschlagen:
    Nicht die von Hoppe zu recht als unsinnig beschriebene Fähigkeit, anders zu wollen als man will, sondern echte Spontaneität als Freiheit des Unbewussten, unvorhersehbare neue Willensinhalte ins Bewusstsein zu hieven.

    Und ohne ein Quäntchen Zufall wäre die Spontaneität nicht echt.

    Auf der psychischen Ebene geht es um Freiheit vs. Zwang (Schicksal), was etwas ganz anderes ist als der Gegensatz vom Determinismus klassischer Physik zu den Indeterminismen der Thermodynamik oder Quantenphysik.
    Aber das lässt sich meiner Ansicht nach durch eine Emergenztheorie verbinden, auch wenn wir noch keine entsprechend leistungsfähige haben.

    Nur das Ansinnen reduktionistischer Hirnforscher, das Psychische auf deterministisch Physikalisches zurückführen zu können und damit auch gleich die Fragen der Moral umgehen zu können, ist nicht hinnehmbar.

  49. @ Christian Hoppe

     „Sollte jemand nachweislich absolut gar nicht gelernt haben, dass er eine andere Person nicht töten darf, oder sollte ihm sogar seitens seiner Kultur vermittelt worden sein, dass es unter bestimmten Umständen moralisch geboten ist zu töten, ist seine Handlung selbstverständlich auch rechtlich anderes zu beurteilen.“

    Mit Sicherheit nicht. Auf dem deutschen Boden gilt die deutsche Rechtsordnung. Und hier gibt es den Rechtsgrundsatz: Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.

    Unser Rechtssystem sieht nicht vor, dass Menschen je nach ihrer Sozialisierung verschiedenes Recht erfahren. Das würde ja darauf hinauslaufen, dass die Gebildeten grundsätzlich höhere Strafen bekommen müssten, weil sie ja viel besser das Unrecht ihrer Taten einzusehen imstande sind. Das ist absurd.

    Man muss auch nicht „lernen“, dass man niemanden tötet. Wer das nicht von allein weiß, der befindet sich unterhalb der Schwelle zum Menschen. Das nehme ich auch niemandem ab.

  50. @ Christian Hoppe

    „Es gibt keinen Widerspruch zwischen der kausalen Ordnung und der teleonomischen in der Biologie und vielleicht der teleologischen (intentionalen) in der Psychologie.“

    Entweder begreifen Sie immer noch nicht das logische Problem oder Sie weichen aus.

    Ich lasse es an dieser Stelle dahingestellt sein, ob die biologische Sphäre teleonomisch oder teleologisch zu begreifen ist. Das soll hier nicht das Thema sein. Aber spätestens beim eigenen Handeln will keiner mehr teleonomisch interpretiert werden.

    Was Leibniz (und nicht nur er) erkannt hatte, war Folgendes:

    Ein materieller Prozess in der Natur – also zum Beispiel die Bewegung eines lebendigen Körpers – ist bereits vollständig determiniert durch Naturgesetze und kausale Mechanismen.

    Gleichwohl finden wir am materiellen lebendigen Wesen ein Streben vor, unabweisbar bei uns selbst. Es lässt sich gar nicht bestreiten, dass meine Entscheidung, mein Wille, mein Einfall der Grund ist für die Bewegung meiner Körperteile, aber die ist eben intentional, die Bewegung erfolgt, einfach gesprochen, aus Gründen, nicht aus Ursachen.

    Wenn wir beides gleichzeitig akzeptieren, hätten wir dann zwei parallele je hinreichende Ursachen für denselben Vorgang. Das ist natürlich theoretisch inakzeptabel.

    Ich nehme Ihren Kommentar in der Form wahr, dass Sie sich um dieses Problem herumdrücken oder es ignorieren wollen oder im schlimmsten Fall nicht begreifen, wie so viele das tun.

    Nur: Sie werden es nicht los, noch sonst jemand.

    Jede Theorie zum Thema, die das nicht aufgreift und löst, darf man als sinnlos und gescheitert betrachten.

    Tatsächlich können Sie auch die gesamte Uneinsichtigkeit in das zwangsläufige Scheitern der KI innerhalb der ganzen Branche genau an diesem Punkt festmachen: Man verweigert sich der simplen logischen Einsicht, dass Intentionalität sich nicht aus Kausalität konstruieren lässt.
    (Ist das echt so schwer?)

    Das Problem liegt also in unserem Kopf, in den uns von der Natur vorgegebenen Strukturen, die Welt zu interpretieren. Es ist unsicher, in welchem Maße wir die überschreiten können. Kant hat da einen enormen Schritt an Einsicht in unser Erkenntnisvermögen gemacht. Aber seine Lehren sind schon wieder dabei, vergessen zu werden.

  51. @ Heinz Gerd

    “die Fragen der Moral umgehen zu können, ist nicht hinnehmbar.”

    Ganz recht, aber warum Sie den Determinismus schwächen wollen, ist mir nicht klar. Sehen Sie es doch mal so: Gerade in einem determinierten Weltenlauf erhält die Moral ihren festen Platz in der Geschichte und Werte können dort nicht der Beliebigkeit anheimfallen.

    “Selbstverständlich bin ich immer für mein eigenes Handeln verantwortlich.”

    Die aktuelle Rechtsprechung geht vom Gegenteil aus. Sie könnten natürlich sagen, z.B. in volltrunkenem Zustand, das bin nicht ich, oder das sind dann keine Handlungen mehr, aber alles in allem, so glaube ich, Sie überschätzen sich.

    Verantwortung ist eine Zuschreibung, eine Zuschreibung anderer – oder auch von einem selbst – aufgrund von mangelnder, selbst in einer determinierten Welt prinzipiell nicht zu gewinnender Kenntnis.

    Klar, es gibt andere Ansichten.

    “Er [Ludwig Wittgenstein] begrüßte mich einmal mit der Frage: »Weshalb sagen die Leute, es wäre ganz natürlich, zu denken, dass die Sonne die Erde umläuft, statt dass sich die Erde um ihre eigene Achse dreht?« Ich antwortete: »Ich vermute, weil es so aussieht, als würde sich die Sonne um die Erde bewegen.« »Nun«, fragte er, »wie hätte es denn ausgesehen, wenn es so ausgesehen hätte, als würde sich die Erde um ihre Achse drehen?«”

    (Elizabeth Anscombe, An Introduction to Wittgenstein´s Tractatus; zitiert nach Thomas Metzinger, Der Ego-Tunnel)

    Letztlich dreht sich alles um einen selbst (nicht nur im volltrunkenen Zustand), wir wollen frei und verantwortlich sein, deshalb sind wir es.

  52. Herr Hoppe,

    verstehe ich Sie richtig, dass Sie zwar den Begriff „Willensfreiheit“ aus den von Ihnen genannten Gründen für absurd halten, aber gleichwohl darauf bestehen, dass es Handlungsfreiheit gibt? (Handlung verstanden als eine durch einen bewussten Willensakt herbeigeführte Aktivität.)

    Bei der Verteidigung der sogenannten Willensfreiheit geht es meines Wissens vor allem darum, wie dieser Willensakt, der einer willentlichen Handlung notwendig vorausgehen muss, zustande kommt: ist er durch neuronale Vorgänge vollständig determiniert oder eben nur teilweise. Ersteres wird von den Verteidigern bestritten, letzteres wird wohl zugestanden.

    @fegalo schreibt völlig zu Recht:

    »Man verweigert sich der simplen logischen Einsicht, dass Intentionalität sich nicht aus Kausalität konstruieren lässt.«

    Aus einem Organ, das allein nach deterministischen und indeterministischen Gesetzmäßigkeiten funktioniert, können keine Intentionen emergieren. Absichten liegen auf einer ganz anderen Beschreibungsebene, wir sprechen, so meine ich, eben von Absichten und zielgerichtetem Streben, weil wir es so an uns selbst erleben und empfinden und es uns völlig unbegreiflich bleibt, wie blinde neuronale Prozesse zu Aktivitäten führen können, die uns als absichtsvolle Handlungen erscheinen.

    Kurzum, wenn der Begriff ‚Willensfreiheit‘ in die Tonne getreten und stattdessen von (mehr oder weniger frei gewählten) ‚Absichten‘ gesprochen wird, ist in der Sache nicht viel gewonnen, eigentlich gar nichts.

  53. @Balanus: Intentionalität ist auch in einem deterministischen System möglich und die Aussage “Intentionalität lässt sich nicht aus Kausalität konstruieren ist irreführend.« Irreführend, weil Intentionalität Rationalität voraussetzt und Rationalität nicht ohne Reflexion möglich ist. Reflexion wiederum setzt Erleben, Erinnern und Schlussfolgern voraus. Mit andern Worten: Kausalität, aufgefasst als simple Actio/Reactio genügt tatsächlich nicht um eine Absicht auszubilden, es braucht eine komplexere Verarbeitung in der auch das Gedächtnis und die Schlussfolgerungen wichtig sind. Doch: Eine Intention kann auch ein Computerprogramm entwickeln, selbst wenn es nur die Aufgabe hat, eine Antarktisstation über den Winter zu bringen. Es kann zum Beispiel zum Schluss kommen, dass Heizagregat Nr.2 hochgefahren werden muss, weil sonst die Temperaturen in Wohncontainer Nr.2 unter eine kritische Schwelle fallen. Meistens ist so etwas fest einprogrammiert, womit es dann schwer dällt von Intention zu reden, es ist aber auch denkbar, dass der Computer nur mit Regeln und Grenzwerten arbeitet und ständig überprüft ob alle Grenzwerte eingehalten werden und gegebenenfalls gewisse Regeln aktiviert werden müssen. Ein derartiges regelbasiertes Computersystem ist schon viel näher an der menschlichen Rationalität und Intentionalität als ein fest über Routinen Programmiertes. Es gibt ganz offensichtlich einen fliessenden Übergang zwischen einem konditionierten System und einem intentionalen System und selbst ein von Algorithmen kontrolliertes System System kann als intentional imponieren, obwohl es letzlich rein deterministisch operiert. Determinismus bedeutet eben nicht Automatismus, sondern es bedeutet nur, dass bei gegebenen Daten als Input, der Output betechenbar und im Prinzip bekannt ist.

  54. Freiheit habe ich in dem Maße, wie ich meine Absichten in die Tat umsetzen kann – das ist die Alltagserfahrung.
    Handlungsfreiheit fokussiert auf dem Aspekt der Umsetzbarkeit unter den gegebgenen äußeren Umständen; ich meine jedoch dass der Zusammenhang Absicht-Tat entscheidend ist (der impliziert dann Handlungsfreiheit).
    Wird von Willensfreiheit gesprochen, steht die Frage im Raum, wie komme ich eigentlich zu meinen Absichten? Wenn ich unterschwellig von Dritten manipuliert wurde oder den Entschluss zur Tat infolge einer Erpressung gefasst habe, war ich in meiner Willensbildung sicher nicht frei – ich habe gar nicht mehr meine eigenen Absichten verfolgt, im Falle der unterschwelligen Manipulation ohne es bemerkt zu haben. Hirnprozesse sind die notwendige Voraussetzung der Intentionsbildung; es ist daher sinnlos, sie als äußere Kraft zu betrachten und mit Dritten zu vergleichen, die mich von außen mit ihren eigenen Absichten manipulieren (sh. Blogpost).
    Meine eigenen Absichten erklären sich mir selbst durch meine Lebensgeschichte, meine Motive usw. und ich erfahre sie so auch als meine eigene Absicht, nicht als aufgezwungen. Frei wollen kann ich jedoch nicht was ich will, Absichten können nicht ihrerseits absichtlich bestimmt werden (infiniter Regress) – dies ist eine sinnlose Forderung an den Freiheitsbegriff. D.h. ich bin nicht der Autor meiner Absichten, sondern mit den Absichten, die ich habe, werde ich zum Autor meiner Handlungen. Wir durchlaufen ein Absichtenmanagement, müssen ambivalente Handlungsziele aufklären (entscheiden), berücksichtigen antizipierte Folgen usw. Dieser Prozess genügt dem Strafrecht, eine absichtlich begangene Tat für strafwürdig zu halten – und das entspricht auch unserem Rechtsempfinden. Dass hier jedoch schicksalshaft unglückliche Konstellationen dazu führen können, dass ich überhaupt kriminelle Absichten handlungswirksam verfolge, wäre zu berücksichtigen; das derzeitige Strafrecht kümmert sich nicht um diesen Aspekt, vielleicht wird das zu Recht von manchen Hirnforschern angemahnt.

  55. @Joker: “Verantwortung ist eine Zuschreibung…”

    Genau. Die muss ich selber vornehmen, will ich kein Feigling sein (“Ich war’s nicht, sondern der Alkohol, die Gene, die Gesellschaft, das Schicksal…) bzw. eine unvollständige Persönlichkeit.
    Wer beobachtet hat, wie manche Personen bewusst nicht trinken, um den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit zu vermeiden, kann das auch begreifen.
    Wer diese Zuschreibung verweigert, erkennt seinen Selbstwert nicht und kann dann auch den Selbstwerten der anderen nicht gerecht werden, mit der Gefahr, einem Wertrelativismus zu verfallen.

    Aber gibt es auch eine wissenschaftliche Erklärung für das Phänomen der Selbstverantwortlichkeit ?
    Ich meine, die Systemtheorie kann zeigen, dass zyklische Kausalität eine Form der Selbstdetermination ist bzw. ermöglicht. Es gibt aber wohl kein einfaches Modell, was verständlich macht, wie ein Tiergehirn das aktuell vollbringt.
    Jedenfalls sind höhere Organismen Agenten, die spontan entscheiden können.
    Keine noch so genaue Kenntnis aller Faktoren würde ermöglichen, die Kausalität nach außen abzuleiten.

    In einem strikt determinierten Kosmos aber brauche ich mir gar keine Gedanken um das Wie zu machen, weil alle Kausalketten zu Gott oder zum Urknall zurückgehen und damit jegliches Verantwortungskonzept zurückgewiesen werden kann.

  56. “… war ich in meiner Willen sicher nicht frei”

    Gäbe es das ICH nicht, würden WIR sicher nicht im Imperialismus “zusammen” leben / würden die Nachfahren dieser … nicht mehr einfach ERBEN was …!? 😎

    Nichts gehört dem “Einzelnen” allein! Sogar, oder besonders, die Gedanken nicht, weil auch diese immer abhängig von Geist und Gemeinschaft geprägt wachsen – den Geist können wir sicher nicht ändern, aber die Gemeinschaft!?

  57. hto,
    ….nichts gehört dem Einzelnen allein,
    das ist eine kluge Einsicht, weil es betont, dass ein Einzelmensch gar nicht überlebensfähig wäre.
    Wir orientieren uns im Denken und im Handeln an den Mitmenschen , anders geht es gar nicht.
    Schon Sprache funktioniert nur , wenn mindestens zwei Menschen vorhanden sind.
    Ob wir den Geist nicht ändern können, das weiß ich allerdings nicht.

  58. @ fegalo, @ Balanus, @ Martin Holzherr

    Betr.: Intentionalität

    Sicher kann man den Begriff Intentionalität auch so verwenden, wie das von Euch hier gemacht wird, im engen Zusammenhang mit Intention und Absicht, aber es ist ungewohnt. In philosophischen Kontexten – hier handelt es sich doch um einen solchen, oder? – hat er eine andere, zentrale Bedeutung.

    Bitte nehmt Rücksicht, auch in Gedenken an Brentano, wenn es nicht Eure Intention ist, weiter Verwirrung zu stiften.

  59. @ Heinz Gerd

    “In einem strikt determinierten Kosmos [kann] jegliches Verantwortungskonzept zurückgewiesen werden”

    Wie das? Sie scheinen einen sehr voraussetzungsreichen Begriff von Verantwortung zu vertreten, ich nicht. Daher lässt sich ein solches Konzept bei mir auch nichts so einfach zurückweisen.

    Was sagt die aktuelle geisteswissenschaftliche Forschung:

    “Normative Ordnungen werden dabei als „Rechtfertigungsordnungen“ verstanden, die historisch gegründet sind und auf „Rechtfertigungsnarrativen“ beruhen.” Quelle: Exzellenzcluster

    Ob die Welt deterministisch oder chaotisch ist, spielt dabei kaum eine Rolle – und ein freier Wille kommt zunächst nur in einigen Narrativen vor, nicht in allen.

  60. Die Rede vom freien Willen zielt emphatisch auf die Absichtlichkeit einer Handlung und kann im Sinne negativer Freiheit, also als Abwesenheit von Zwang oder Manipulation durchaus sinnvoll verstanden werden. Als positive Willensfreiheit wäre jedoch die Fähigkeit zu verstehen, sein Wollen zu wollen oder absichtlich bestimmte Absichten zu haben – was absurd erscheint.

  61. “Möglicherweise haben @sherholder, @Balanus und die erwähnten Hirnforscher Recht, dass der Staat die Fähigkeit zu einem gesetzeskonformen Absichtenmanagement bei Menschen, die kriminell werden, überschätzt ”

    Die Fähigkeit zu einem gesetzeskonformen Absichtenmanagement werde “überschätzt”?
    Wie kann etwas überschätzt werden, das insofern gar nicht existiert, da ausnahmslos jegliche Fähigkeit zu einem Absichtsmanagement zu jedem Zeitpunkt deterministischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt und eben nicht willkürlich beeinflussbar ist?
    Kann man die “Fähigkeit” zu einer spezifischen Herzschlagrate, oder einem spezifischen Muster einer Stoffwechselaktivität unter körperlicher Aktivität eines Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt t “überschätzen”?
    Sie ist vollkommen determiniert.
    Ebenso verhält es sich mit der Fähigkeit zum Absichtenmanagement.
    Denn wie die Fähigkeit bei jedem einzelnen Individuum beschaffen ist, kriminelle Impulse, die bei ihm zu einem bestimmten Zeitpunkt auftreten, zu unterdrücken, ihnen zu widerstreben oder ihnen aber nachzugeben und sie in einer Straftat zu verwirklichen, darauf hat kein Mensch Einfluss.

    Sie liegen ja vollkommen richtig, wenn Sie schreiben:
    “Schicksalshaft und tatsächlich durch den Täter letztlich nicht frei beeinflussbar ist die Tatsache, dass er überhaupt eine gesetzwidrige Absicht in handlungswirksamer Intensität entwickeln konnte und alle Gegenfaktoren letztlich unwirksam blieben – einschließlich der ihm bekannten Strafandrohung.

    Und man könnte Ihren Satz so zusammenfassen und umformulieren:
    Die jeweilige, individuelle Fähigkeit zum Absichtsmanagment ist schicksalhaft und durch den Täter letztlich nicht frei beeinflussbar

    Absichtenmanagment – da haben Sie ein Ersatzwort geschaffen, das im Grunde doch nur das umschreibt, wovon der Begriff der Willensfreiheit eigentlich handelt, auch wenn er in der wortwörtlichen Bedeutung keinen Sinn ergibt (infiniter Regress).

  62. “Sie gehen nicht auf mein Argument ein, dass die Forderung, der Wille müsse seinerseits noch bestimmt werden, absurd ist, dass mithin der Begriff der Willensfreiheit sinnlos ist – und folglich so etwas auch nicht existieren kann aus rein begrifflichen Gründen.”

    Warum soll ich denn auf ein Argument von Ihnen eingehen, mit dem ich vollkommen übereinstimme? Dass “die Forderung, der Wille müsse seinerseits noch bestimmt werden, absurd ist, dass mithin der Begriff der Willensfreiheit sinnlos ist – und folglich so etwas auch nicht existieren kann aus rein begrifflichen Gründen” – davon müssen Sie mich doch nicht überzeugen. Aber um mich geht es hier in der Diskussion nicht.

    Wie hoch aber schätzen Sie den Anteil unter den Juristen, die ebenfalls der Auffassung sind, dass der Begriff der Willensfreiheit eigentlich sinnlos ist, 2% , vielleicht 4 % ? Oder sind es Null? Und wie hoch ist der Anteil in der Gesamtbevölkerung; 3 oder sind es 6 Prozent?
    Man darf also davon ausgehen, dass mehr als 90 Prozent unter den Staatsanwälten und Richtern der Meinung sind, der Begriff des freien Willens sei sinnvoll.
    Die Juristen klagen an und urteilen auf der Basis fehlerhafter Annahmen zur generellen Befähigung des Menschen, einen “freien” Willen auszubilden.
    Diese Tatsache muss in den Fokus der Diskussion gerückt werden

    “Der Gesetzestext argumentiert nicht auf der Basis eines Szenarios des zum gleichen Zeitpunkt auch Anders könnens – und das wäre natürlich auch sinnlos. Wenn ich die Absicht hege und aufrecht erhalte, jemanden umzubringen, wie sollte ich denn dann anders können, wenn sich mir die Gelegenheit zur Tat bietet? ”

    Doch, es ist genau so, § 20 STGB unterstellt genau das und argumentiert auf der Basis, die Sie für unmöglich halten, dass nämlich jeder, der nicht an einer krankhaften seelischen Störung oder seelischen Abartigkeit leidet, sich dann auch jederzeit den Normen entsprechend zu verhalten in der Lage ist.
    Wird jemand geistig gesund eingeschätzt so, so wird ihm die grundsätzliche Fähigkeit unterstellt, von seinen kriminellen Impulsen Abstand zu nehmen, es wird als ausreichend angesehen, dass der Täter weiß, dass seine Tat strafbewehrt bzw. unrechtmäßig ist.
    Es gibt für diese Annahme einen Rechtsbegriff im Strafrecht: Die Steuerungsfähigkeit.
    Diese wird zB in Fällen von Psychose, Alkoholismus (Delir) verneint.
    In allen anderen Fällen aber nimmt der Gesetzgeber einfach an und unterstellt, dass jeder Täter jederzeit von seinen kriminellen Intentionen zurücktreten könne. Egal ob einen Tag oder zwei Stunden oder 2 Sekunden vor der Tatbegehung, darauf kommt es nicht an, wichtig ist nur, dass der Täter nicht einen der Schuldausschließungs, (nach 20 STGB) – bzw. Schuldminderungsgründe (nach 21 STGB) aufweist.

  63. Einen Dissens werden wir wohl nicht ausräumen können: Man kann eine absichtlich durchgeführte Handlung durchaus strafwürdig finden und auch tatsächlich bestrafen, unabhängig davon wie die handlungsleitende Absicht letztlich zustande gekommen ist. Argumente dafür wären z.B. die Wiederherstellung der “Gerechtigkeit” aus der Perspektive der Opfer, das allgemeine Rechtsempfinden (einschl. der Wahrnehmung, dass wir unsere Absichten und Handlungsimpulse managen können und daher verantworten müssen) und die Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen Strafandrohung, die grundsätzlich (nicht im akuten Tatgeschehen) durchaus Wirkung zeigt.

    Sie vertreten einen konsequenten Determinismus. Absichten treten hier zwar auf, sind aber letztlich – als Teil der Kausalkette oder deren “subjektives” Epiphänomen – irrelevant: die wabernde Atomwolke schiebt sich vorwärts durch die Zeit. Es macht in dieser Perspektive letztlich keinen Unterschied, ob sich ein Schuss aus einer Pistole aus Versehen gelöst hat (Unfall) oder ob absichtlich, vielleicht sogar mit sadistischer Lust, abgedrückt wurde (Mord) – auf einer grundlegenden Ebene sind alle Vorgänge letztlich “Unfälle”.

    Denkt man Ihren Gedanken allerdings weiter, fragt man sich, warum wir dann überhaupt noch andere psychische Phänomene in diesem Zusammenhang ernst nehmen und darauf juristisch antworten sollten: die moralische Empörung über einen Mord ist doch ebenfalls nur ein determiniertes Epiphänomen ohne kausale Relevanz, der Tod ist ein materieller Zerfall ohne jede Bedeutung, ebenso Ihr Wunsch, Täter vor einer neurophilosophisch nicht gerechtfertigten Strafe schützen zu wollen. Warum sollten wir ausschließlich beim Täter die Psyche für letztlich wirkungslos und irrelevant erachten?

    Wir könnten uns Ihnen anschließen und uns entscheiden, die psychische Ebene für ein letztlich irrelevantes Epiphänomen zu halten – wir müssen uns nur klar sein, dass dies konsequenterweise in einen moralischen Nihilismus und Fatalismus führen würde: jeder Anspruch auf Bedeutung wäre illusionär, im Grunde gäbe es dann nur noch Automatismen. – Vielleicht verhält es sich so.

  64. @ Joker

    „Sicher kann man den Begriff Intentionalität auch so verwenden, wie das von Euch hier ge-macht wird, im engen Zusammenhang mit Intention und Absicht, aber es ist ungewohnt. In philosophischen Kontexten – hier handelt es sich doch um einen solchen, oder? – hat er eine andere, zentrale Bedeutung.
    Bitte nehmt Rücksicht, auch in Gedenken an Brentano, wenn es nicht Eure Intention ist, wei-ter Verwirrung zu stiften.“

    Ich muss Dein Ansinnen leider abweisen. Ich brauche den Begriff, und er ist auch in philosophischen Zusammenhang vollkommen legitim. Brentano hätte bestimmt ein Einsehen und wurde zugeben, dass er kein Patent auf seine Bedeutung besitzt.

    Das ist in der Philosophie auch kein Einzelfall. Denken Sie doch mal, welch unterschiedliche Bedeutungen der Begriff „Idee“ bei Platon, Aristoteles, Hume, Hegel, Fichte etc. hat.

  65. @ Christian Hoppe

    Negative Freiheit kann sinnvoll verstanden werden, positive Willensfreiheit erscheint absurd. – Sie sprechen mir aus der Seele.

    “Die menschliche Freiheit besteht lediglich darin, daß sich die Menschen ihres Wollens bewußt und der Ursachen, von denen sie bestimmt werden, unbewußt sind.”
    (Spinoza, Die Ethik; zitiert nach Marc-Antoine Mathieu, OTTO)

  66. @sherholder // 4. August 2017 @ 12:20

    »Sie [die Stoffwechselaktivitä] ist vollkommen determiniert.
    Ebenso verhält es sich mit der Fähigkeit zum Absichtenmanagement.
    «

    Ich denke, das bestreitet Christian Hoppe gar nicht, dass die neuronalen Aktivitäten naturgesetzlich ablaufen (deterministisch und indeterministisch, je nachdem). Und bei einer hinreichend komplexen neuronalen Verschaltung können eben Phänomene resultieren, die auf einem anderen Beschreibungsniveau als „Absichten“ bezeichnet werden. Auch wenn die neuronalen Prozesse naturgesetzlich ablaufen, das, was dabei genau herauskommt, ist nicht im Voraus festgelegt.

    Wenn Hoppe schreibt: „Meine eigenen Absichten erklären sich mir selbst durch meine Lebensgeschichte, meine Motive usw.“, dann verstehe ich das so, dass in punkto „Absichtenmanagement“ keine absurden Freiheitsannahmen gemacht werden.

  67. ” , dann verstehe ich das so, dass in punkto „Absichtenmanagement“ keine absurden Freiheitsannahmen gemacht werden.”

    Ja – aber wie das Ergebnis des Absichtenmanagements zu einem bestimmten Zeitpunkt ausfiel – ganz egal, ob 2 Tage, 2 Stunden oder 2 Sekunden vor einer geplanten Tat, unterliegt immer deterministischen (evtl. auch indeterministischen) Prozessen,auf die kein Mensch willkürlich Einfluss nehmen kann.
    Ich zitiere hier einmal Heinz Gerd, der das weiter oben sehr gut auf den Punkt gebracht hat:
    “Sobald aber das Ergebnis im Bewusstsein als Wollen erlebt wird, sind die Würfel bereits gefallen und haben das Ergebnis auf ihre Weise determiniert.
    Insofern macht es keinen Sinn, auf der Ebene des bewussten Wollens nochmals eine Entscheidungsinstanz zu fordern, um die Freiheit zu retten.”

  68. Das Strafrecht ist letzlich eine moderne gesellschaftlich geschaffene Institution, die aber eine Basis in der Anthropologie hat. Vorläufer eines Strafrechts in der Form von Regeln, die Miglieder einer menschlichen Gemeinschaft einhalten müssen, lassen sich bis zu den Anfängen der Menschheitsgeschichte zurückverfolgen. Keine Philosophie des freien Willens kann etwas fordern, was sich in einer menschlichen Gemeinschaft nicht umsetzen lässt oder was beim Versuch der Umsetzung die menschliche Gesellschaft dehumanisiert. Diese Gefahr besteht nämlich und wird ja mit der Todesstrafe, der lebenslangen Einkerkerung oder in Speziafällen mit der (chemischen) Kastration auch begangen, denn wer tot oder für immer eingesperrt ist, kann keine Straftaten mehr begehen und um sein Absichtsmanagement muss man sich nicht mehr kümmern. Die Bestrafung und das Strafrecht geht davon aus, dass ein (potentieller) Straftäter bei seinen Absichten und Handlungen auch gesellschaftliche Sanktionen mit einbezieht. Mit anderen Worten: wichtiger als die realen Begründungen (die eventuell von einem geschönten Menschenbild ausgehen) für Strafe und Strafandrohung ist ihre gesellschaftliche Notwendigkeit und sind die Erfahrungen, die die Menschheit damit und mit Alternativen gemacht hat.
    Hirnforscher können augrund ihrer Forschung durchaus Änderungen im Strafrecht oder der Beurteilung und Behandlung von Straftätern fordern, sie können aber nicht aufgrund einer behaupteten Einsicht in die Formung von Intentionen, die gesamte Praxis auf den Kopf stellen, zumal möglicherweise nicht die Praxis, sondern nur deren Begründung durch die Erkenntnisse der Kognitionsforscher in Frage gestellt wird.

  69. @sherfolder // 5. August 2017 @ 12:13

    » …das Ergebnis des Absichtenmanagements […], unterliegt immer deterministischen (evtl. auch indeterministischen) Prozessen,auf die kein Mensch willkürlich Einfluss nehmen kann. «

    Nun ja, was heißt „willkürlich Einfluss nehmen“? Es genügt doch, dass das geschieht, was der Mensch wollte. Zum Beispiel Ihr Kommentar. Den haben Sie doch genau so gewollt, wie er ausgefallen ist, vermute ich mal.

    Was spielt es für eine Rolle, wenn Handlungsabsichten eine Zehntelsekunde oder so später bewusst werden, als sie faktisch neuronal „entschieden“ bzw. „beschlossen“ wurden. Durch die ausgeprägte, neuronal realisierte „Bewusstseinsschleife“ (Sie wissen, was gemeint ist) verfügt der (gesunde) Mensch über eine ganz andere Kontrolle über seine Aktivitäten, als das bei einem nichtmenschlichen Organismus typischerweise der Fall ist.

    Ich glaube, man muss sich einfach klar machen, dass das bewusste Ich oder Selbst sozusagen „identisch“ ist mit den funktionalen Zuständen des Gehirns.

  70. @sherfolder // 5. August 2017 @ 12:13

    » …das Ergebnis des Absichtenmanagements […], unterliegt immer deterministischen (evtl. auch indeterministischen) Prozessen,auf die kein Mensch willkürlich Einfluss nehmen kann. «
    Ja, wobei aber auch die Aussage “Intentionalität lässt sich nicht aus Kausalität konstruieren .« eine gewisse Berechtigung hat. Denn: Menschliche Intentionen passieren immer in einer Landschaft, einer Landschaft, zu der all meine Erfahrungen und all mein Wissen gehört. Auch die Antizipationsfähigkeit gehört dazu: Ich kenne die Konsequenzen meiner Handlung oder ahne sie mindestens. Volle Schuldfähigkeit liegt bei einer kriminellen Handlung nun genau dann vor, wenn es diese Landschaft und diese Antizipationsfähigkeit in mir gibt und ich trotzdem kriminell handle. Wenn man nicht von Handlungs-Freiheit reden will, so kann man doch von bewusster, informierter Handlung sprechen. Das ist der entscheidende Punkt.

  71. @ Balanus
    “Was spielt es für eine Rolle, wenn Handlungsabsichten eine Zehntelsekunde oder so später bewusst werden, als sie faktisch neuronal „entschieden“ bzw. „beschlossen“ wurden. ”

    Ich bin überzeugt, dass es eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, dass Handlungsabsichten erst ca. eine Zehntelsekunde später bewusst werden.
    Wie kurz dieser Zeitabschnitt auch immer sein mag, entscheidend ist, dass das Ergebnis der neuronalen Aktivität grundsätzlich feststeht, bevor es ins Bewusstsein eintritt.
    Ihr bewusstes Ich ist ja nur ein erheblich verkleinerter Teilausschnitt Ihres neuronalen-Gesamtsystems und ich glaube deshalb auch nicht, dass wie Sie annehmen, das “bewusste Ich oder Selbst sozusagen „identisch“ ist mit den funktionalen Zuständen des Gehirns. ”
    Das bewusste Ich ist höchstens zu einem kleinen Teil identisch mit dem funktionalen Zustand des Gehirns, denn es weiß schließlich nur sehr viel weniger von sich, als das Gesamtsystem von ihm “weiß”.

    Sie verfügen über praktisch kein tatsächliches Wissen darüber, was genau für das konkrete Ergebnis Ihres Absichtenmanagements verantwortlich war. Sie können Gründe angeben, Vermutungen anstellen.

    Was Sie aber niemals in Erfahrung bringen werden, ist, was letztlich tatsächlich ausschlaggebend war, welche Nervenzellverbände in Ihrem Abwägungsprozess z.B warum “schwiegen”, und welche Zellverbände sich stattdessen im Neuronenfeuer warum durchsetzen konnten. Das bleibt Ihnen verschlossen.
    Ihr bewusstes Ich ist sozusagen immer unter-informiert, das Unterbewusstsein gewährt ihm nur einen minimalen und massiv eingeschränkten Zugang zu sich selbst; aus gutem Grund: Sie müssten sonst fortwährend eine Überlastungsanzeige schalten …. .
    Mein Fazit: Ihr bewusstes Ich befindet sich größtenteils in Unwissenheit darüber, was das Ergebnis des neuronalen Abwägungsmanagements beeinflusst hat. Es besitzt deshalb auch nur eine eingeschränkte Kompetenz, um über sich und seine Motive Auskunft zu geben.

    Das Bewusstsein muss mit dem Ergebnis vorlieb nehmen, das ihm das Unterbewusstsein präsentiert. Und das tut es auch brav, es bleibt ihm ja keine andere Wahl: Also findet es immer Gründe, um sich für Taten zu erklären und zu rechtfertigen, zu denen es durch neuronale Aktivitäten veranlasst wurde, auf die es selbst keinen Einfluss hatte.
    Unser bewusstes Ich hängt wie eine Marionette an den Fäden des jeweiligen neuronalen Zustandes.

  72. @ Martin Holzherr
    ” wobei aber auch die Aussage “Intentionalität lässt sich nicht aus Kausalität konstruieren .« eine gewisse Berechtigung hat. ”

    Nein, das sehe ich nicht, dass es für eine solche Annahme eine “gewisse Berechtigung” geben könnte.
    Alle Intentionalität ist selbstverständlich theoretisch prinzipiell kausal konstruierbar, wie weit man damit kommt, steht aufgrund der Komplexität und der Unüberschaubarkeit aller beteiligten, einflussnehmenden Faktoren auf einem anderen Blatt.

    “Denn: Menschliche Intentionen passieren immer in einer Landschaft, einer Landschaft, zu der all meine Erfahrungen und all mein Wissen gehört. Auch die Antizipationsfähigkeit gehört dazu: Ich kenne die Konsequenzen meiner Handlung oder ahne sie mindestens. Volle Schuldfähigkeit liegt bei einer kriminellen Handlung nun genau dann vor, wenn es diese Landschaft und diese Antizipationsfähigkeit in mir gibt und ich trotzdem kriminell handle.”

    Da liegen Sie mit Ihrer Ansicht völlig d’accord zur Auffassung der herrschenden Strafrechtslehre, die auch der Meinung ist, dass es genüge, dass der Täter vom Unrechtscharakter seiner Tat wusste, um ihm (bei Ausschluss von psychischen Krankheiten), Schuldfähigkeit zu attestieren, ich würde eher sagen, unterzuschieben …

    Antizipationsfähigkeit betrifft doch letztlich den Komplex Absichtenmanagement, er gehört meines Erachtens notwendig zu diesem.
    Als ich diese Wortneuschöpfung Christian Hoppes vom Absichtenmanagement hier zum ersten Mal las, war ich zunächst der Meinung, dieser Begriff sei nichts anderes als das, wovon der Begriff Willensfreiheit und die mit ihm geführte Diskussion eigentlich handelt, im Grunde also nur eine Umschreibung, mehr nicht.
    Inzwischen gefällt mir “Absichtenmanagement” aber richtig gut, da er positiv und präzisierend formuliert, um was es hier geht.
    Und die Antizipationsfähigkeit lässt sich umstandslos als Teilfähigkeit des Absichtenmanagements beschreiben, sie unterliegt in gleicher Weise vollständig der neuronalen Aktivität.
    Einen Satz weiter oben, den ich in Abänderung einer Aussage von Ch. Hoppe umformulierte, kann ich, Ihren Einwand aufgreifend, hier problemlos wie folgt erweitern:
    Die jeweilige, individuelle Fähigkeit zum Absichtsmanagment und damit auch zur Antizipation ist schicksalhaft und durch den Täter letztlich nicht frei beeinflussbar.

  73. @sherholder // 5. August 2017 @ 23:14

    »Unser bewusstes Ich hängt wie eine Marionette an den Fäden des jeweiligen neuronalen Zustandes.«

    Ich denke, Sie sehen die Rolle der neuronalen Netzwerke, die wir kurz „Bewusstsein“ nennen, viel zu passiv. Dank des Bewusstseins wissen wir, was wir tun, können unsere Absichten abwägen und bewerten, bevor es dann zur Ausführung der Handlung kommt. Das ist entscheidend dafür, dass Sie z. B. einen sinnvollen Kommentar schreiben können. Sie werden ja wohl kaum behaupten, Sie hätten nicht gewusst, was Sie da schreiben. Nein, Sie haben ihn bewusst genau so und nicht anders verfasst.

    Was natürlich nicht bedeutet, dass hier letztlich Ihr „Geist“ die Tasten gedrückt hätte. Was wir bewusst erleben, d. h., was uns im Bewusstsein „aufscheint“, das kann nicht kausal wirksam werden.

    Worauf wir allerdings keinen Einfluss haben, im Gegensatz zu unseren gewollten Handlungen, ist das „Bewertungssystem“, unsere Neigungen, Wünsche, Motive. Wir können es uns z. B. nicht aussuchen, welches Geschlecht wir anziehend finden. Oder was wir überhaupt attraktiv, schön oder hässlich, gut oder böse finden.

    Und da stellt sich nach meinem Empfinden die Frage nach der moralischen Schuld. Die strafrechtliche Schuld mag sich zunächst allein an der Tat orientieren, aber für das Strafmaß spielt wohl auch die moralische Schuld eine Rolle. Aber wie weit ist ein Mensch für die Verfasstheit seines Moralempfindens bzw. seine Empathiefähigkeit selbst verantwortlich, also so verantwortlich, wie er es dank seines Bewusstseins für seine gewollten Handlungen ist?

  74. Balanus,
    …..Aber wie weit ist ein Mensch für die Verfasstheit seines Moralempfindens bzw. seine Empathiefähigkeit selbst verantwortlich, also so verantwortlich, wie er es dank seines Bewusstseins für seine gewollten Handlungen ist?

    Das ist ja wohl die Frage aller Fragen.
    Ich würde es so sehen. Der Mensch orientiert sich ja nicht nur auf Grund seiner eigenen Ansichten und Absichten, sondern auch am Verhalten der Anderen. und wenn jemand weiß, dass es ihm an Empfindsamkeit fehlt, dann achtet er besonders auf die Reaktionen anderer.
    Wenn ihm das aber auch egal ist, dann kann man das als asozial bezeichnen. Schuld im moralischen Sinne ist er dann nicht, er ist eben asozial.

  75. @bote 17

    Die asoziale “Moral” beginnt mit der “Ordnung” / dem “Wertesystem”, des “freiheitlichen” Wettbewerbs im imperialistisch-faschistischen “Recht des Stärkeren”!

    Es ist auch lustig, wie hier im Scilogs der “Tanz um den heißen Brei” betrieben wird!? 😎

  76. @ Holzherr

    „Eine Intention kann auch ein Computerprogramm entwickeln, selbst wenn es nur die Aufgabe hat, eine Antarktisstation über den Winter zu bringen.“

    Das ist eben Quatsch. Obwohl Sie es nachfolgend einschränken, ist dieser Satz komplett falsch. Ein Computerprogramm kennt nur ein wenn-dann, niemals ein um-zu. So einfach.

  77. “wenn-dann / um-zu” – WENN heute einer noch den Sozialismus als machbar …, DANN setzt sofort die Intention der gebildeten Suppenkaspermentalität des “braven” Bürgers ein, UM den Schutz der “Individualbewussten Absicherung” ZU gewährleisten, von WOLLEN darf da bloss nicht die … 😎

  78. hto,
    ……freier Wettbewerb,
    du hast Recht, das ist nur eine Umschreibung für das Recht des Stärkeren.
    Für die Entwicklungsländer ist das fatal, für uns wird es auch fatal, nur etwas später.

  79. @ Balanus

    „Was natürlich nicht bedeutet, dass hier letztlich Ihr „Geist“ die Tasten gedrückt hätte. Was wir bewusst erleben, d. h., was uns im Bewusstsein „aufscheint“, das kann nicht kausal wirksam werden.“

    Ja wer drückt denn die Tasten? Worauf soll das hinauslaufen? Wenn wir wirklich etwas „meinen“ mit unseren Aussagen, dann findet das doch im Bewusstsein statt, oder nicht? Wenn Sie das bestreiten, und das Bewusstsein für ein Epiphänomen ausgeben, dann müssen Sie eine andere (materielle?) Instanz behaupten, in der das Meinen eigentlich stattfindet. Aber da kommen Sie nicht weit.
    Ich denke, wir sollten aufhören, uns selbst zu täuschen, indem wir das Leib-Seele-Problem irgendwie rhetorisch für gelöst betrachten oder für nichtexistent erklären oder für irrelevant.
    Da wir es nicht lösen können, müssen wir es stehen lassen als einen Beleg, dass unsere Erkenntnisfähigkeit nicht dafür eingerichtet ist, die Beschaffenheit der ganzen Welt zu rekonstruieren, sondern nur dafür, uns in ihr zurechtzufinden.

    „Aber wie weit ist ein Mensch für die Verfasstheit seines Moralempfindens bzw. seine Empathiefähigkeit selbst verantwortlich, also so verantwortlich, wie er es dank seines Bewusstseins für seine gewollten Handlungen ist?“

    Ohne eine gewisse moralische Unterfütterung im Volk würde sich eine (Straf-)rechtsordnung vermutlich nicht durchsetzen lassen, dennoch darf jedem zugemutet werden, sich an die Gesetze zu halten, auch wenn er die moralische Verwerflichkeit einer Straftat nicht unmittelbar empfindet. Ein verbreitetes Beispiel ist die Steuerhinterziehung. Auch ansonsten hochmoralische Menschen haben eventuell wenig moralische Skrupel, wenn sie gefahrlos Steuern hinterziehen können. Das geht los mit der schwarz arbeitenden Putzfrau.

  80. @fegalo, Zitat: “Ein Computerprogramm kennt nur ein wenn-dann, niemals ein um-zu. “ Ein Computerprogramm kann die Heizung einschalten um zu verhindern, dass die Temperatur zu tief fällt. Ein regelbasiertes System – etwas was es schon als Computerprogramme gibt – ist also bereits in der Nähe der menschlichen Intentionen. Ein regelbasiertes System berücksichtigt Daten und wendet darauf Regeln an. Weiter ausgebaut kann ein automatisch operierendes System anhand der sich änderden Daten ein inneres Modell aufbauen und vielleicht auch einmal Schlussfolgerungen ziehen wie etwa “Falls es weitere 10 Tage so kalt bleibt geht mir der Treibstoff aus, ein Versorgungschiff benötigt aber 5 Tage bis hierher, also muss ich in spätestens 5 Tagen eine Nachricht an das Versorgungsschiff absetzen” Die künstliche Intelligenz geht in diese Richtung und irgendwann wird man Absichten von Programmen kaum noch von Absichten von Menschen unterscheiden können.

  81. @ sherfolder

    „Alle Intentionalität ist selbstverständlich theoretisch prinzipiell kausal konstruierbar, wie weit man damit kommt, steht aufgrund der Komplexität und der Unüberschaubarkeit aller beteiligten, einflussnehmenden Faktoren auf einem anderen Blatt.“

    Mit Verlaub, das ist völliger Unfug. Es sieht so aus, als hätten Sie das Problem gar nicht erfasst. Aus dem Wenn-dann der Kausalität können Sie niemals das Um-zu der Intention konstruieren. Die Zielgerichtetheit von Raketen beispielsweise ist rein kausal verursacht, und funktioniert nur so lange, wie in der Kausalkette nichts „dazwischenkommt“. Denn wenn ein Sandkörnchen ins Getriebe gerät, und der Kausalprozess eine Störung erfährt, geht der ganze Prozess in die Irre.

    Bei einer echten Intention ist das ganz anders: Wenn etwas schiefgeht, dann sucht man sich neue Wege, weil es eine Intention auf ein Ziel gibt.

    Das ist ein kategorialer Unterschied.

    Die pseudointentionalen Programme haben diese Eigenschaft nur deshalb, weil real intentionale Programmierer sie so gebaut haben. Die Intentionalität ist also niemals die Eigenschaft eines des Programms, sondern immer die des Programmierers. Programme sind stets nur kausale Mechanismen ohne Ziel und Zweck.

  82. @ Holzherr

    „Ein Computerprogramm kann die Heizung einschalten um zu verhindern, dass die Temperatur zu tief fällt.“

    Bin ich hier im Kindergarten? Ein Computerprogramm will doch nichts verhindern! Es funktioniert einfach und arbeitet mechanisch eine Befehlskette ab. Die Zwecke des „UM-ZU“ liegen komplett jenseits des Programms als Programm und liegen einzig im intentional strukturierten Geist des Programmierers oder dessen Auftraggebers.

    Ist das echt so schwierig?

  83. @ Hoppe
    “Sie vertreten einen konsequenten Determinismus. Absichten treten hier zwar auf, sind aber letztlich – als Teil der Kausalkette oder deren “subjektives” Epiphänomen – irrelevant: die wabernde Atomwolke schiebt sich vorwärts durch die Zeit. Es macht in dieser Perspektive letztlich keinen Unterschied, ob sich ein Schuss aus einer Pistole aus Versehen gelöst hat (Unfall) oder ob absichtlich, vielleicht sogar mit sadistischer Lust, abgedrückt wurde (Mord) – auf einer grundlegenden Ebene sind alle Vorgänge letztlich “Unfälle”.”

    Da haben Sie den Kern meiner Überzeugung ziemlich genau erfasst.

  84. Ich bin einigermaßen irritiert, um nicht zu sagen: entsetzt, über die hier verbreitete Unfähigkeit, die logische Inkommensurabilität bei der Erklärung von kausalem und zielgerichteten Prozessen zu erfassen.

    Einem unvoreingenommenen Menschen kann man dies innerhalb von 10 Minuten begreiflich machen, und er lässt sich sein Lebtag nicht mehr mit rhetorischen Tricks diesbezüglich aufs Kreuz legen.

    Was ich dagegen hier erlebe, ist ein argumentatives Sich-Winden, Ausweichen, Negieren, Ignorieren, Verdrehen, Nicht-Verstehen-Wollen seitens vieler Kommentatoren einschließlich des Bloghosts in dieser Sache, was erkennbar einer positiven Voreingenommenheit gegenüber einem metaphysischen Materialismus geschuldet ist: Man drückt sich vor den logisch absurden Konsequenzen dieser Position oder phantasiert zukünftige Lösungen.

    Es gibt Bereiche der Wissenschaftstheorie, in denen die logische Situation bereits glasklar erarbeitet ist. Wir reden hier also nicht von fegalos Privatansichten, sondern von logischen Tatbeständen. Ich habe schon oftmals auf Leibniz verwiesen, der diese Dinge bereits vor 300 Jahren ausgebreitet hat. Alle Bemühungen, aus Kausalität, also aus materiellen Prozessen, Intentionalität, Bewusstsein etc. abzuleiten oder zu rekonstruieren, scheitern bereits auf der logischen Ebene.

    Am dämlichsten ist hierbei der Versuch, den Verstand des Gegenübers damit zu vernebeln, indem man auf eine angebliche „hinreichende Komplexität“ verweist, ab welcher aus der Materie ein Bewusstsein hervorspringt.

    Diese Komplexität wird immer so vorgestellt, dass sie einerseits so komplex ist, dass kein Mensch sie je kapiert, aber ausreichend dafür, dass daraus ein Bewusstsein etc . emergiert.

    Was für ein faules Ei!

    Liebe Materialisten: Ihr seid auf dem falschen Dampfer. Mein Vorschlag ist: Anstatt sich auf eine Position zu versteifen, die in logische Absurditäten führt, und Euch zu den unredlichsten Argumenten zwingt, sollten wir die theoretischen Probleme lieber locker im Raum stehen lassen und in aller Ruhe begutachten. So lernen wir vielleicht nicht viel mehr über die Welt, aber über uns.

  85. @Hoppe

    „Einen Dissens werden wir wohl nicht ausräumen können: Man kann eine absichtlich durchgeführte Handlung durchaus strafwürdig finden und auch tatsächlich bestrafen, unabhängig davon, wie die handlungsleitende Absicht letztlich zustande gekommen ist. Argumente dafür wären z.B. die Wiederherstellung der “Gerechtigkeit” aus der Perspektive der Opfer, das allgemeine Rechtsempfinden (einschl. der Wahrnehmung, dass wir unsere Absichten und Handlungsimpulse managen können und daher verantworten müssen) und die Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen Strafandrohung, die grundsätzlich (nicht im akuten Tatgeschehen) durchaus Wirkung zeigt.“

    Sie irren, Herr Hoppe, es gibt hier keinen Dissens: Selbstverständlich muss man rechtswidrige Taten bestrafen. Auch wenn das gegenwärtige Strafrecht auf einem falschen Menschenbild beruht, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als auf dieses, von falschen Annahmen geprägte Strafrechtssystem zurückzugreifen. Denn besser ein fehlerbehaftetes Strafsystem als ein fehlendes.
    In der langfristigen Perspektive aber muss sich die Rechtswissenschaft selbstverständlich darum bemühen, die Grundlagen, auf denen das Strafrecht beruht, den Erkenntnissen der Hirnforschung anzupassen, will sie nicht vollständig veralteten Theorien verhaftet bleiben und gleichzeitig für sich in Anspruch nehmen, Wissenschaft zu sein.
    Prognostizieren lässt sich auf jeden Fall, dass, wenn einmal eine solche Neuausrichtung entlang den Ergebnissen der Hirnforschung in der Strafrechtslehre erfolgen sollte, es eine Abwendung vom Prinzip Schuld, hin zu dem Prinzip Gefährlichkeit geben wird. Das wird auch deshalb nicht besonders schwierig sein, da das Kriterium der Gefährlichkeit bereits implizit in der jetzigen Schuldsystematik enthalten ist.
    Als Beispiel diene der Mordparagraph, § 211 STGB:
    „Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
    heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
    um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
    einen Menschen tötet.

    Alle genannten Täter-Motive, welche einen Totschlag zu einem Mord qualifizieren, kann man auch so kategorisieren, dass es solche sind, durch welche dem Einzelnen infolge der Perfidie der Tatbegehung (heimtückisch, grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln) die größte Gefahr und der Gesellschaft die tiefste Erschütterung ihres Vertrauens in den inneren Zusammenhalt droht, wenn Einzelne bereit sind, wegen niedrigster Beweggründe buchstäblich über Leichen zu gehen.

  86. @ Hoppe Forts.
    Streifen wir nun im Lichte der Erkenntnisse der Hirnforschung die über dem § 211 liegende Haut aus individueller Schuld ab , dann haben die aufgelisteten Tötungsmotive und Begehungsweisen nichts von ihrer Schrecklichkeit für den Einzelnen und die Gesellschaft verloren.
    Die Empörung ist nicht deshalb geringer, da man weiß, dass der Täter nicht anders hatte handeln können.
    Wenn besonders grausam und perfide begangene Taten jedesmal eine so große Empörung hervorrufen, dann deshalb, weil diese Empörung eine Art gesellschaftlicher Immunantwort auf besonders bedrohliche Individuen in ihrem Innern darstellt.
    Würde man jene hochgefährlichen Individuen straflos lassen, sie wären in der Lage, den inneren Zusammenhalt einer Gemeinschaft in kürzester Zeit zu zerstören.
    Sämtliche Strafrechtssysteme, angefangen beim 5. Gebot „ Du sollst nicht töten“ lassen sich als institutionalisierte und damit langfristig wirksame Immunantwort auf auf solche Bedrohungen Einzelner verstehen.

  87. fegalo,
    …….was ein Computerprogramm kann,
    sei doch ein wenig nachsichtig mit deinen Kommentatorfreunden. Das sind doch allers nur Redegewohnheiten. wir können schon unterscheiden zwischen Fakten und deren Deutung.

  88. Jeder Mensch will leben. Es gibt also einen elementaren Willen, ohne den das Leben nicht existieren würde. Das heißt, die Willensfreiheit bezieht sich nicht darauf, ob man einen Willen hat, sondern welchen man hat. Das mag trivial erscheinen, ist aber nicht ohne Bedeutung, denn die ganze Evolution beruht auf dem Willen zum Leben.

    Der Wille ist in aller Regel sehr abstrakt, erst die Entscheidungsfreiheit und die Handlungsfreiheit, bzw. die Möglichkeiten dazu, machen aus einem Willen ein entsprechendes Handeln. Der Wille kann oftmals auf verschiedenen Wegen, d.h. durch unterschiedliche Taten, realisiert werden, was dann auch strafrechtlich relevant sein kann. Nicht der Mord an sich ist der Wille des Täters, sondern seine Auswirkungen für ihn, während das Wissen oder die Erwartungen darüber die Tat begründen.

    Bezüglich der Emergenz gehe ich mit der Ansicht von Christian Hoppe konform. Emergenz bezieht sich auf die Phänomene der Welt, nicht auf die “Dinge-an-sich”. Es gibt keine neuen Eigenschaften, die auf höheren Ebenen entstehen würden. Die Kräfte der Physik sind antagonistisch, d.h. anziehend und abstoßend, und sie überlagern sich zu resultierenden Kräften. Daraus entsteht eine quasi unendliche Vielfalt von Phänomenen und eine komplexe Welt mit Gleichgewichtszuständen über längere Zeiträume, wie z.B. persistente, materielle Körper, angefangen bei den Atomen, oder die Bahn der Erde um die Sonne.

    Der Determinismus in der Welt ist eine Illusion. Das zeigt die Quantenphysik, das zeigt auch die klassische Physik mit der Nichtlinearität der physikalischen Wirkungen. Naturgesetze sind starke Vereinfachungen der Wirklichkeit. Körper haben Ausdehnungen unterschiedlicher Zusammensetzung, deshalb können sie nicht als Punkte betrachtet werden. Die Komplexität der Welt ist für den Menschen unbeherrschbar, nur durch Aggregation, Idealisierung und Approximation können pragmatische Lösungen gefunden werden.

    Die Antimaterialisten erkennen ihre eigenen Irrtümer nicht und erschöpfen sich in selbstgefälligen Klugscheißereien. Sie begnügen sich mit ihrer Wortakrobatik, die sich ewig im Kreis dreht. Jede Form von Teleologie ist eine Fiktion aus der phänomenalen Selbstdeutung des Menschen. Dass unser Tun als zweckmäßig, absichtlich und zielgerichtet erscheint, das ist eine Tautologie, es hat daher keine Bedeutung für die Erklärung der Quellen von Bewusstsein und Verhalten. Die Erfahrungen und das Wissen, d.h. die Erinnerungen sowie die Erwartungen, leiten wesentlich unser Wollen, unsere Entscheidungen und unser Handeln hinsichtlich der Lebensplanung und -gestaltung. Die Erinnerungen als Wissen sind wie die vorausgehenden Wahrnehmungen neurobiologisch realisiert. Es gibt keinen Umweg oder Ausweg an der Biologie vorbei, außer phantasievolle, aber letztlich bedeutungslose Begriffsschöpfungen!

  89. @ bote17


    …….was ein Computerprogramm kann,
    sei doch ein wenig nachsichtig mit deinen Kommentatorfreunden. Das sind doch allers nur Redegewohnheiten. wir können schon unterscheiden zwischen Fakten und deren Deutung.“

    Nix da! Hier ist der Versuch deutlich erkennbar, den Unterschied zwischen Kausalität und echter Intentionalität zu übertünchen. „Ihr“ – wer auch immer damit gemeint ist- erkennt die Unterscheidung offensichtlich nicht, bzw. weigert Euch aus ideologischen Gründen, den Unterschied anzuerkennen.

    Bitte liefern!!

  90. @fegalo: (Zitat) “Ein Computerprogramm will doch nichts verhindern! “ Mit Computerprogramm meine ich hier nicht ein Programm um eine bestimmte Aufgabe zu erledigen, wie etwa die Aufgabe ein Heizsystem zu regeln, sondern vielmehr die gesamte Software eines Roboters oder Computers mit dem ich ähnlich wie mit einem Mensch verkehren kann: Ich erkär ihm die Situation, er begleitet mich und lernt dabei und schliesslich entscheidet und handelt er selber und entwickelt eigene Intentionen. So etwas ist möglich und wir sind nicht mehr weit entfernt davon.
    Intentionalität gibt es übrigens auch bei Tieren (Zitat):
    “Entgegen früheren Ergebnissen legen eine Reihe empirischer Befunde aus den letzten Jahren nahe, dass auch Schimpansen über einfache Formen von Intentionalität zweiter Ordnung verfügen: Erstens hat eine Reihe von Studien gezeigt, dass Schimpansen in stark kompetitiven Situationen verstehen, was andere Individuen wahrnehmen können und was nicht, selbst wenn das von ihrer eigenen Wahrnehmungsperspektive abweicht (so genannter „Ebene 1 Perspektivwechsel“; vgl. Hare u. a. 2000, 2001). Zweitens legt eine Reihe neuerer Studien nahe, dass Schimpansen und andere Menschenaffen nicht nur Verhalten beobachten, sondern auch in einfacher Weise die intentionale Struktur von Handlungen verstehen: So differenzieren sie in ähnlicher Weise wie 9 Monate alte Kinder zwischen oberfächlich ähnlichen Verhaltensweisen, die unterschiedliche intentionale Handlungen konstituieren, und reagieren jeweils differenziell angemessen (Behne u. a. 2005a; Call u. a. 2004). Ferner legen manche (von Menschen aufgezogene) Schimpansen Fähigkeiten der systematischen und rationalen Imitation an den Tag (Tomasello u. Carpenter 2005; Buttelmann u. a. 2007).”

  91. @sherfolder, @fegalo: Intentionalität setzt mentale Zustände, Erinnerungen an Erfahrungen und Erlerntes und Schlussfolgerungsfähigkeit voraus. Das kann es deswegen nur in einem komplexen System wie bei höheren Tieren oder bei künstlichen, neuronal inspierten Systemen geben. Von einer simplen Kausalität etwa in der Form, “herunterrollender Stein stupst anderen Stein” sind wir in so einem komplexen neuronalen System weit entfernt, selbst wenn ein solches zu Intentionen fähiges System (welches sich selbst als Subjekt begreift), deterministisch bestimmt ist. Das erkennen wir gut in der menschlichen Gesellschaft, die auf einer gewissen Ebene unberechenbar erscheint, andererseits aber die immer wieder gleichen Grundphänomene (Gruppenprozesse etc) zeigt und wiederholt – ganz so wie man es bei chaotischen Prozessen erwarten würde, wobei chaotische Prozesse typischerweise komplexe Systeme sind. Nun, im Hirn und in der Gesellschaft gibt es chaotische Prozesse und das bedeutet auch, dass es keine simplen Kausalitäten gibt – mindestens was die chaotischen Anteile angeht.
    Chaos ist übrigens auch in einem deterministischen System möglich. Determinismus bedeutet also nicht, dass alles vorausbechenbar ist, denn Vorgänge in einem deterministischen Chaos sind nicht vorausberechenbar (wohl aber statistischen Analysen zufänglich). Theoretisch wäre vieles vorausberechenbar, praktisch aber nicht. Konkret gilt das auch für jede Person und für sehr viele gesellschaftliche Prozesse und natürlich auch für Intentionen.
    Damit bin ich wieder bei der eingangs gegenenen Erklärung, warum Intentionen zwar in einem deterministisch gesteuerten neuronalen System möglich sind und warum sie trotzdem nicht Resultate von simplen Kausalketten sind.

  92. Die Zeit in der die Welt vom Menschen her und seinem Geist erklärt wurde, die Zeit des Idealismus also, in der die physikalische Welt nur als Objekt für das Bewusstsein oder im Bewusstsein existiert oder in sich selbst geistig beschaffen ist, diese Zeit ist schon lange vorbei. Unter anderem weil die Sonderstellung des Menschen im Tierreich aufgeweicht wurde und sich klar herausgeschält hat, dass der Mensch ein Produkt der Evolution ist und er vieles aus dem Tierreich geerbt hat, was sich auch daran erkennen lässt, dass es ein Kontinuum von geistigen Leistungen höherer Tiere bis zu denen des Menschen gibt. Idealisten und Dualisten sprechen in der Regel Tieren höheren Verstand und eine Seele ab und gestehen Tieren auch keine Intentionen zu. Die Ansicht Tiere seien Automaten, gehörten also zur materiellen Welt und nur Menschen verfügten über einen Geist ist heute kaum noch haltbar. Vielmehr gilt: Wenn Tiere Automaten sind, dann ist es auch der Mensch und umgekehrt, wenn der Mensch kein Automat ist, dann sind es auch die höheren Tiere nicht.
    Es gibt einen eindeutigen Pfad von sehr einfachen Tieren zu höheren und schliesslich zum Menschen. Es wird auch einen Pfad von simlen menschengemachten Automaten zu menschenähnlichen Robotern geben. Das zeichnet sich gerade ab.

  93. @fegalo;
    Ihre Forderung zu liefern, ist reine Demagogie, denn Sie können selber nichts liefern und Sie verstehen nicht im Ansatz, was die Naturwissenschaft längst geliefert hat. Da helfen auch Ihre banalen Klugscheißereien von Wissenschaftstheorie nicht weiter.

    Man kommt nur weiter, wenn man Brücken bauen kann zwischen der Sprache der Philosophie/Psychologie und der Sprache der Biologie bis zur Physik. Was genau bedeutet es, einen Willen oder eine Absicht zu haben? Die Empfindungen von Hunger oder Kälte sind uns unangenehm, deshalb wollen wir sie vermeiden oder abstellen. Das besorgen zunächst die Eltern für uns und daher wissen wir, wie man es macht. Die Empfindungen beruhen auf dem Vorhandensein und der Funktion der Sinnesorgane und Sinnesnerven. Das Gedächtnis sorgt dafür, dass wir das Erlernte nicht wieder vergessen.

    Ein Neurotransmitter, genauso wie ein Hormon oder ein Enzym, “erkennt” seinen spezifischen Rezeptor. Der Rezeptor ist ein Molekül in der Zellmembran. Das heißt, es wird chemisch ein Vergleich angestellt und eine “Entscheidung” getroffen. Trifft der Neurotransmitter auf einen passenden Rezeptor, dann wird durch elektrochemische Reaktionen in der postsynaptischen Nervenzelle ein Aktionspotential als Fortpflanzung des Nervensignals erzeugt, oder es wird intern eine Signalkette (second messenger) bis zur Regulation oder Expression von Genen ausgelöst.

    Der Organismus ist ein kybernetisches System von Wahrnehmen und Handeln als Wirkungskreise. Schon Jakob von Uexküll hat darüber geschrieben, als Merkwelt und Wirkwelt, die wechselseitig im Zusammenhang stehen. Es handelt sich dabei aber nicht um Regelkreise, das ist ein wesentlicher Unterschied zur technischen Kybernetik.

    Man kann topdown und bottomup vermittelnde Brücken bilden zwischen der chemischen (“Molekül”), der funktionalen (“Transmitter”, “Signal”) und der psychologischen (“Entscheidung”) Beschreibungsebene. Die Begriffe sind nur Stellvertreter für komplizierte Vorgänge, deren Verstehen und Akzeptanz das nötige Fachwissen voraussetzt. Die ewig wiederholte Forderung “bitte liefern” ist also völlig sinnlos, weil Ihnen offensichtlich jedes Fachwissen fehlt.

  94. @sherfolder, @Hoppe: Auch wenn (Zitat Hoppe) “der Staat die Fähigkeit zu einem gesetzeskonformen Absichtenmanagement bei Menschen, die kriminell werden, überschätzt” oder gar gelten sollte, was @sherfolder schreibt: “Die jeweilige, individuelle Fähigkeit zum Absichtsmanagment ist schicksalhaft und durch den Täter letztlich nicht frei beeinflussbar”, so gilt doch ebenso, dass auch die Justiz mit ihren Richtern den gleichen Prozessen unterworfen ist wie der Angeklagte, der Kriminelle.

    Würden Richter und die Juristik überhaupt sich der Meinung @sherfolders anschliessen, wäre es naheliegend, dass man einen Täter nicht mehr mit einer Strafe auf den richtigen Weg zurückzuführen versucht, sondern, sobald dies möglich wird, den Täter umprogrammiert (evtl. durch Hirnimplantat etc), denn damit könnte man das weitere Absichtenmanagement eventuell weit deutlicher in Richtung “korrektes Verhalten” korrigieren.

    Dagegen spricht
    1) dass dies ein potenziell entpersonalisierender Eingriff ist, ein Eingriff der den Täter als bewusst handelndes Wesen nicht mehr ernst nimmt.
    2) dass letztlich Symmetrie zwischen den Personen in der Justiz, die über den Täter urteilen und dem Täter selbst herrscht. Alle Menschen – auch die Richter -, unterliegen den gleichen Zwängen und Freiheiten.

    So weit ich mich erinnere wurde von einzelnen Hirnforschern, die eine ähnliche Haltung wie @sherfolder einnahmen, gefordert, die Bestrafung abzuschaffen und durch eine “Korrektur” (falls möglich) zu ersetzen. Dies wäre in meinen Augen jedoch schlimmer als der heutige Zustand.

  95. @ Martin Holzherr

    Sie verlinken den Begriff ‘Intentionen’ auf den Wikipedia-Artikel ‘Intentionalität’, dem ich entnehme:

    “Der Begriff der Intentionalität ist ein philosophischer Fachterminus und weder mit dem alltäglichen Begriff der Intention als Absicht, noch mit dem semantischen Begriff der Intension gleichbedeutend.”

    Ich schließe daraus, Sie sind verwirrt oder haben die Intention, zu verwirren.

  96. Hier soll kurz diskutiert werden, warum die Vorstellung eines “freien” Willens, der erst noch durch mich bestimmt werden müsste, bevor er handlungswirksam werden kann, absurd ist.

    Wäre der Wille nicht frei, könnte der hier gemeinte Primat in (iterierenden) Kooperationssituationen nicht optimal handeln, Stich- und Fachwort : Nash-Equilibrium.

    Dieses spieltheoretisch einwandfrei festgestellte (“bewiesene”) Equilibrium veranlasst Spielteilnehmer, die aus den hier gemeinten Primaten bestehen dürfen, aber auch aus “Bots” [1], in ein und derselben Spielsituation (die in Spielen eben so festgestellt werden kann, vs. in der Natur, dort ist dies “nicht wirklich” möglich, die Analogie bleibt aber solid) anders zu handeln.
    Konkretes Beispiel aus dem Poker-Spiel : Der Spieler B ist auf Aktion des Spielers A gezwungen (!) oft zu würfeln, also bspw. im Verhältnis 8:1:1 die Bet des Gegners zu callen, zu raisen (“zu erhöhen”) oder zu folden (“zu passen”).
    Im Geschäftsleben greift “Nash” ebenso, das wirtschaftliche Leben ähnelt teils verblüffend dem Poker-Spiel, nicht etwa Brettspielen mit umfänglich bereit stehender Information, das Poker-Spiel ist ein Spiel mit unvollständiger Information.


    Ansonsten -Dr. Webbaer weiß nicht so genau, wie Sie es meinen, Herr Dr. Hoppe-
    müssen Sie unbedingt die von Ihnen genutzte Definition des sogenannten Freien Willens beibringen, gerne auch ganz oben in Ihrer Nachricht, damit weiter mit Ihnen verhandelt werden kann.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    “Bots” haben hier tatsächlich ein Problem, denn ihnen steht kein Zufallsgenerator zur Hand, die Mathematik kann keine Zufallsgeneratoren erstellen, weil sie nicht denkbar (!) sind. * – “Bots” greifen insofern, zumindest zur Initialisierung ihrer Zufallsgeneratoren (die keine sozusagen echten Zufallsgeneratoren sind) auf die Physik zurück, fragen bspw. die Nachkommastellen der CPU-Wärme ab, um zu intialisieren.

    *
    Hier beißen Sie sich ein wenig, woll?!, Herr Dr. Hoppe?
    Der Indeterminismus ist nicht denkbar für den Menschen.

  97. “Von einer simplen Kausalität etwa in der Form, “herunterrollender Stein stupst anderen Stein” sind wir in so einem komplexen neuronalen System weit entfernt,…”

    Von “simpler Kausalität” hatte ich aber nirgends etwas geschrieben,
    Ich schrieb dass ” Intentionalität selbstverständlich theoretisch (!) prinzipiell kausal konstruierbar (sei), wie weit man damit komme, stehe aber “aufgrund der Komplexität und der Unüberschaubarkeit aller beteiligten, einflussnehmenden Faktoren auf einem anderen Blatt. ”

    Intentionalität setzt mentale Zustände, Erinnerungen an Erfahrungen und Erlerntes und Schlussfolgerungsfähigkeit voraus. Das kann es deswegen nur in einem komplexen System wie bei höheren Tieren oder bei künstlichen, neuronal inspirierten Systemen geben. “

    Auf einer basalen Ebene zeigen selbst Pflanzen intentionales Verhalten, wenn sie zB ihre Zweige dem Licht zuwenden und in Richtung des Lichts weiterwachsen.

    Erinnerungen an Erfahrungen, Gedächtnis und Lernen hat Eric Kandel bereits an einer Meeresschnecke nachgewiesen, einem Lebewesen, das nun ganz bestimmt nicht zu den höher entwickelten Tieren gezählt wird.

  98. Bonuskommentar hierzu :

    Die Absichtlichkeit der Tat macht sie bzw. den Täter strafwürdig.

    Sie widersprechen hier dankenswerterweise bestimmten Hirnforschern, die dies anders sehen, letztlich fatalistisch / nihilistisch argumentieren, nochmals : Vielen Dank!

    Ansonsten besteht ein Gag ja auch darin, dass gerade dann, wenn der Täter, der Mörder beispielsweise, sozusagen durch die deterministischen Vorgaben der Welt zu seiner Tat gezwungen wäre, er sozusagen noch strenger zu bestrafen wäre – um den deterministischen Weltapparat (einen solchen gibt es aus Sicht der Skeptiker nicht, denn aus seiner Sicht kann über die(se) Welt nur gewusst werden, dass sie nicht umfänglich indeterministisch, nicht “chaotisch” ist) i.p. Leben bestmöglich aufrecht zu erhalten.
    Ursisch-zynisch formuliert wäre ein angemessen hohes Strafmaß dann determiniert.

  99. Bonuskommentar hierzu :

    Die Absichtlichkeit der Tat macht sie bzw. den Täter strafwürdig.

    Sie widersprechen hier dankenswerterweise bestimmten Hirnforschern, die dies anders sehen, letztlich fatalistisch / nihilistisch argumentieren, nochmals : Vielen Dank!

    Ansonsten besteht ein Gag ja auch darin, dass gerade dann, wenn der Täter, der Mörder beispielsweise, sozusagen durch die deterministischen Vorgaben der Welt zu seiner Tat gezwungen wäre, er sozusagen noch strenger zu bestrafen wäre – um den deterministischen Weltapparat (einen solchen gibt es aus Sicht der Skeptiker nicht, denn aus seiner Sicht kann über die(se) Welt nur gewusst werden, dass sie nicht umfänglich indeterministisch, nicht “chaotisch” ist) i.p. Leben bestmöglich aufrecht zu erhalten.
    Ursisch-zynisch formuliert wäre ein angemessen hohes Strafmaß dann determiniert.

    PS: Zweiter Versuch, also SPAM war nicht beabsichtigt, vielleicht klappt’s ja diesmal.
    Ihnen alles Gute! Weiterhin die Ohren steif halten!

  100. @ anton reutlinger

    An @fegalo gerichtet schreiben Sie,

    “Ihre Forderung zu liefern, ist reine Demagogie, denn Sie können selber nichts liefern und Sie verstehen nicht im Ansatz, was die Naturwissenschaft längst geliefert hat.”

    Ihre weiteren Ausführungen lassen in meinen Augen vermuten, dass eher Sie es sind, der wohl Schwierigkeiten damit hat, zu verstehen was die Naturwissenschaft längst geliefert hat, was sie noch nicht geliefert hat und was sie nie liefern kann.

    “Der Organismus ist ein kybernetisches System”

    Ist er das – und ist er nur das?

    “Man kann topdown und bottomup vermittelnde Brücken bilden”

    Kann man das? Zumindest sind viele solcher Brückengesetze noch nicht formuliert.

  101. @Joker;
    Was Sie von der Naturwissenschaft alles erwarten, das weiß ich nicht. Beispielsweise kann sie die Funktionsweise des Auges erklären, das ist schon eine ganze Menge und bildet eine Brücke zwischen der Physik und der Psychologie des Sehens.

    Niemand kann ernsthaft erwarten, dass die Naturwissenschaft auch das letzte Geheimnis lüften kann, z.B. die Qualia. Das ist aber auch nicht notwendig, wenn sie zumindest die Prinzipien der biotischen Natur erklären kann, die für das Leben typisch sind, wie das Prinzip des Sehens und anderer Sinnesvermögen, oder das Prinzip des Gedächtnisses. Wenn Wahrnehmung, Gedächtnis und Motorik auf naturwissenschaftliche Weise erklärbar sind, dann gibt es keine Begründung für die Annahme metaphysischer Erklärungsversuche, für die es keinerlei Indizien, sondern nur ideologische Wurzeln aus vorwissenschaftlicher Zeit gibt.

  102. @ Hoppe
    „Hirnforscher fordern immer wieder einmal, dass wir unser Strafrechtssystem über den Haufen werfen müssen, weil die diesem System zugrundeliegende Freiheitsintuition mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr vereinbar sei. (…) “Rein naturwissenschaftlich betrachtet” gibt es nie und nimmer einen Grund zu irgendeiner Empörung, es gibt keine Straftaten, keine Moral und keine moralische Verantwortung und natürlich auch keinen Grund für Lob und Strafe. Die Welt als große wabernde Atomwolke betrachtet ist moralisch vollkommen leer, ihre reine Faktizität wäre völlig belanglos. Naturwissenschaftler können selbst gerne versuchen, ihr Leben in einer “rein naturwissenschaftlichen Perspektive” zu leben – es wird ihnen nicht gelingen, und andere Leute sollten auf diese pseudogebildete neunmalkluge Rhetorik nicht reinfallen.“

    Das ist nun wirklich eine groteske Verzerrung dessen, was die Hirnforscher an Forderungen an die Strafrechtswissenschaft herangetragen haben.
    Denn ganz gewiss hegte niemand die Vorstellung, der Mensch solle fortan nur noch „rein wissenschaftlich“, also möglicherweise nur noch von in der Grundlagenforschung der Physik Chemie oder Biologie tätigen Wissenschaftlern analysiert, beschrieben und als solches „Atomwesen“ behandelt werden.
    Um was es den Hirnforschern ging und geht, ist die Anpassung des überholten Menschenbildes, das in der Strafrechtsdogmatik immer noch herrscht. Wenn der Mensch über keinen freien Willen verfügt, dann muss die Strafrechtslehre das berücksichtigen und neue Entwürfe finden, die dem Rechnung tragen, denn die Jurisprudenz steht nicht außerhalb der Gesellschaft, sie selbst muss sich mit den Erkenntnissen der Zeit weiterentwickeln.

    Dass es “rein naturwissenschaftlich betrachtet” nie und nimmer einen Grund zu irgendeiner Empörung, dass es keine Straftaten, keine Moral (…) und natürlich auch keinen Grund für Lob und Strafe ist eine irrige Schlussfolgerung.
    Denn „wissenschaftlich“ betrachtet, ist der Mensch ein Lebewesen, das aus der Evolution hervorgegangen und das darauf ausgerichtet ist, sein Überleben zu sichern, sich fortzupflanzen und deshalb Bedürfnisse nach Nahrungserwerb, Revierverteidigung, Partnersuche, Brutpflege etc. entwickelt hat.
    Zu sagen, „wissenschaftlich gäbe es nie und nimmer einen Grund zu irgendeiner Empörung“ das führt nun wirklich ins Absurde
    Natürlich gibt es eine wissenschaftliche Erklärung: Empörung über Straftaten dient dem Zusammenhalt, der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung, Empörung dient dem Überleben, dem besseren Überleben, sie steht am Anfang jeder Moral und jedes Strafsystems.

  103. @Joker;
    Darüber, dass der lebende Organismus ein kybernetisches System ist, kann kein Zweifel bestehen. Wir machen zielgerichtete oder zweckmäßige Hand- und Fingerbewegungen, wir beobachten sie und korrigieren sie im Sinne eines Regelungssystems. Der aufrechte Gang hat die Hände zu vielseitigen Werkzeugen gemacht und das Gehirn durch die visuelle Rückkopplung massiv gefördert. Natürlich ist der Organismus nicht nur ein kybernetisches System, das sind nur Bezeichnungen für Analogien.

    Ich bin vorsichtig, den lebenden Organismus überhaupt als System zu bezeichnen, weil jede Analogie auch zu Missverständnissen führen kann, wenn sie zu weit gefasst wird. Ein Organismus ist nicht wie ein technisches System planmäßig und zweckmäßig konstruiert, sondern von der Evolution bestimmt, mit Zufälligkeiten, Redundanzen und “Fehlern”, die man beim Menschen als “Behinderungen” oder Erbkrankheiten betrachtet.

  104. @ Kommentatorenkollege ‘sherfolder’ :

    Um was es den Hirnforschern ging und geht, ist die Anpassung des überholten Menschenbildes, das in der Strafrechtsdogmatik immer noch herrscht. Wenn der Mensch über keinen freien Willen verfügt, dann muss die Strafrechtslehre das berücksichtigen und neue Entwürfe finden, die dem Rechnung tragen, denn die Jurisprudenz steht nicht außerhalb der Gesellschaft, sie selbst muss sich mit den Erkenntnissen der Zeit weiterentwickeln.

    Fatalismus / Nihilismus / Relativismus darf bis muss, dürfen bis müssen, nicht in die Rechtspflege / Strafrechtslehre, einfließen, selbst dann nicht, wenn es einen so postulierten Determinismus (vs. “Freien Willen”) gibt.

    Korrekt bliebe angemerkt, dass die Rechtspflege / Strafrechtslehre ein zivilisatorisches Gut ist, sie auch anders ausfallen könnten. – Nicht unbedingt ‘Zivilisationen’ (“Bürgerwerdungen”) meinend.


    Beömmeln tut sich der Schreiber dieser Zeilen, wenn in Täter-Kultur gemacht wird.
    Zum Wiehern reicht es noch nicht.
    Die(se) Welt kann nicht als umfänglich deterministisch eingeschätzt werden, es gilt insofern Straftäter nicht zu entschuldigen – wobei ein besonderer Gag darin besteht, dass Straftäter auch in einer umfänglich deterministischen Welt gar nicht entschuldigt werden könnten (siehe oben).

    Täterkultur und was es da sonst noch i.p. neumarxistischem Weltbild gibt, dürfen gerne zu Hause bleiben; kollektivistischer derartiger Offspring ebenfalls.
    Das Individuum lebt sozusagen. Durchaus für sich.

    MFG
    Dr. Webbaer

  105. @Joker: Ich ging von @fegalos Satz aus : »Man verweigert sich der simplen logischen Einsicht, dass Intentionalität sich nicht aus Kausalität konstruieren lässt.« und verlinkte darum zum Intentionalitäts-Artikel der Wikipedia. Selber benutzte ich die Worte Absicht/Intention, weil diese Worte an vielen Stellen hier verwendet werden (von Hoppe und auf ihn Antwortende). Meiner Meinung nach kann man Intention auch in die Richtung des philosophischen Begriffs interpretieren, denn es ist ein allgemeiner Begriff.

  106. @fegalo

    »Ja wer drückt denn die Tasten? Worauf soll das hinauslaufen? Wenn wir wirklich etwas „meinen“ mit unseren Aussagen, dann findet das doch im Bewusstsein statt, oder nicht? Wenn Sie das bestreiten, und das Bewusstsein für ein Epiphänomen ausgeben, dann müssen Sie eine andere (materielle?) Instanz behaupten, in der das Meinen eigentlich stattfindet.«

    Intentionales Vokabular und materielle Naturvorgänge passen irgendwie nicht gut zusammen. Dass das so ist, ist unbestritten, und es hilft uns auch kein bisschen weiter, wenn wir die unterschiedlichen Beschreibungsebenen vermischen. Wenn Intentionen nicht logisch aus kausalen Prozessen abgeleitet werden können, dann ist damit nur gezeigt, dass es sich hierbei um unterschiedliche Kategorien handelt. Die Frage, ob in einem menschlichen Gehirn ohne Hilfe einer „geistigen Instanz“ Intentionen generiert werden können, wird dabei nicht berührt.

    Das, was ich „Bewusstsein“ nenne, ist funktional von Bedeutung und insofern kein Epiphänomen. Davon zu unterscheiden ist jedoch das phänomenale, bewusste Erleben, das mit der Aktivität des funktionalen Bewusstseins notwendig und untrennbar einhergeht. Diese phänomenalen Erlebnisse können wohl insofern Epiphänomene genannt werden, weil sie als bloße Erscheinungen nicht kausal wirksam werden können.

    Leider finden wir in der Natur keine immateriellen Dinge, weshalb man das Phänomen der Empfindungen mit nichts anderem vergleichen kann.

  107. PS :
    Schrecklich, dass die Zeitstempel und die Perma-Links weggefallen sind, die scilogs.de – Startseite zudem aktuell in den Juni dieses Jahres zurückspielt.
    Wäre Dr. W hier am Start, für dieses (an sich : seht beachtenswerte) Inhalte-Angebot verantwortlich, würden Köpfe rollen…

  108. Einfache Beispiele sind oftmals lehrreicher als hochgeistige Verrenkungen mit phantasievollen Begriffen.

    Wir kennen die menschlichen Gesichter am Mt. Rushmore. Offensichtlich und objektiv existieren sie, denn jeder gesunde(!) Mensch kann sie sehen. Aber welche Art von Existenz oder Realität oder Sein ist es? Ist dieses Sein von unserem Bewusstsein unabhängig? Ist es von Materie unabhängig? Wie würden Menschen, die von Amerika nichts wissen, diese Gesichter deuten – wie würden Aliens sie deuten?

    Ein Elektron hat dieselbe Existenz wie diese Gesichter, denn auch Elementarteilchen sind das Ergebnis von (indirekten) Sinnesreizen und deren sinnvollen Interpretation. Da Elektronen aber nicht einmalig sind wie diese Gesichter, sondern universell in der Welt vorkommen, ist es sinnvoll, sie in eine Theorie als Modell für Elektronen einzubetten, die für alle Elektronen Gültigkeit hat.

    Genauso könnte man die Gesichter am Mt. Rushmore in eine psychologische oder mythische Theorie einbetten, als Modell für alle menschlichen Gesichter! Dass es keinen Sinn macht, ist klar, so wenig wie es Sinn machen würde, mit Theorien der Physik die menschliche Psyche erklären zu wollen. Trotzdem beruht die Psychologie auf der Biologie und der Physik, so wie die Gesichter in den Fels gemeißelt sind.

  109. @ anton reutlinger

    “Ich bin vorsichtig, den lebenden Organismus überhaupt als System zu bezeichnen” aber “Darüber, dass der lebende Organismus ein kybernetisches System ist, kann kein Zweifel bestehen.”

    Aha.

    “Wenn Wahrnehmung, Gedächtnis und Motorik auf naturwissenschaftliche Weise erklärbar sind, dann gibt es keine Begründung für die Annahme metaphysischer Erklärungsversuche, für die es keinerlei Indizien, sondern nur ideologische Wurzeln aus vorwissenschaftlicher Zeit gibt.”

    Wenn wir X, Y und Z auf naturwissenschaftliche Weise erklären können, dann ist zu A, B und C noch gar nichts gesagt. Ihre banalen Gleichsetzungen und Analogieschlüsse scheinen aus einer nachphilosophischen Zeit zu stammen, in der der Reflexion über unterschiedliche Begriffe und mögliche Kategorien bereits alle Wurzeln gekappt wurden.

    Zur Güte (zum Teil Copyright @fegalo):

    Wer sich auf eine Position versteift, sollte anerkennen, dass bei ihm metaphysische Überzeugungen eine Rolle spielen und Andersdenkenden nicht ständig unredliche Argumentation, logische Absurdität und ideologische Motive unterstellen. Mein Vorschlag ist: Wir sollten die theoretischen Probleme lieber locker im Raum stehen lassen und in aller Ruhe begutachten.

    Analytische Philosophie kann dabei helfen, einem interessante Perspektiven zu verschaffen, so wie Herr Hoppe das hier am Beispiel des Begriffs “frei” demonstriert hat.

  110. Der Webbaer muss sich hier noch einmal einmischen, es war witzigerweise genau die Frage nach dem sogenannten Freien Willen, die ihn so ca. um 2000 (der Webbaer war bereits seit ca. 1980 im Bereich der netzwerkbasierten Kommunikation unterwegs) herum veranlasst hat im Web auch politisch beizutragen, sich so auch zu exponieren.

    Diese Frage ist eigentlich ganz einfach (auch zu beantworten) :
    Die Antwort liegt idR in der Fragestellung selbst und was mit ihr gemeint ist.

    Sollte gemeint sein, dass das, dieses Weltsystem determiniert ist, deterministisch, lautet die Antwort : “Nein, es gibt keinen freien Willen, Bruder!”, sollte das Weltsystem anders ausgestattet sein, gibt es einen freien Willen.
    Weil nun aber das Weltsystem in dieser Frage für den Weltteilnehmer (vs. Weltbetreiber / Gott) nicht entscheidbar ist, gilt :

    Es ist sinnvoll, von der Freiheit des indivuellen Willens auszugehen.

    Es muss (also auch hier) gesetzt werden.

    Generell muss gesetzt werden, auch im Wissenschaftlichen, auch im Religiösen oder generell im Meta-Physischen, vielleicht ist dies einigen unklar. [1]

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    Kollege ‘joker’, klein geschrieben, ist ja pfiffig, es gibt abär immer Bessere.

  111. Es ist sinnvoll, von der Freiheit des indi[vid]uellen Willens auszugehen.

    So schaut’s besser aus.

  112. @sherfolder, @all:

    Hierzu hat mir noch keiner geantwortet (in einem meiner Kommentare):

    “… konsequenten Determinismus. Absichten … sind … letztlich … irrelevant: die wabernde Atomwolke schiebt sich vorwärts durch die Zeit. Es macht in dieser Perspektive letztlich keinen Unterschied, ob sich ein Schuss aus einer Pistole aus Versehen gelöst hat (Unfall) oder ob absichtlich, vielleicht sogar mit sadistischer Lust, abgedrückt wurde (Mord) – auf einer grundlegenden Ebene sind alle Vorgänge letztlich “Unfälle”. Denkt man … (diesen) Gedanken … weiter, fragt man sich, warum wir dann überhaupt noch andere psychische Phänomene in diesem Zusammenhang ernst nehmen und darauf juristisch antworten sollten: die moralische Empörung über einen Mord ist doch ebenfalls nur ein determiniertes Epiphänomen ohne kausale Relevanz, der Tod ist ein materieller Zerfall ohne jede Bedeutung, ebenso … (der) Wunsch, Täter vor einer neurophilosophisch nicht gerechtfertigten Strafe schützen zu wollen. Warum sollten wir ausschließlich beim Täter die Psyche für letztlich wirkungslos und irrelevant erachten? Wir könnten uns … entscheiden, die psychische Ebene für ein letztlich irrelevantes Epiphänomen zu halten – wir müssen uns nur klar sein, dass dies konsequenterweise in einen moralischen Nihilismus und Fatalismus führen würde: jeder Anspruch auf Bedeutung wäre illusionär, im Grunde gäbe es dann nur noch Automatismen. – Vielleicht verhält es sich so.”

    Dass wir nicht anders können, ist klar – wir können auch optische Täuschungen nicht “überwinden”. Aber im Falle der optischen Täuschung ziehen wir unsere Konsequenzen aus der Einsicht in den illusionären Charakter einer solchen Wahrnehmung. Macht es nicht einen Unterschied, ob wir uns zurecht für (moralische) Personen halten oder ob wir dies als Illusion durchschaut und nun erkannt haben, dass wir nichts als programmierte Biomasse sind?

    Ist programmierte Biomasse, die erkennt, dass sie programmierte Biomasse ist, programmierte Biomasse?

    ???

  113. Vielleicht verdankt es sich stets einem Entschluss, eine Person und frei zu sein.

  114. Ist programmierte Biomasse, die erkennt, dass sie programmierte Biomasse ist, programmierte Biomasse?

    Dies Frage ist halt (für den Weltteilnehmer) nicht entscheidbar.
    Sie würden ja (hoffentlich) auch nicht öffentlich herum rennen und posaunen, dass es keinen Gott gibt? – Oder?


    Ansonsten, es ist in der Tat so, dass Welten Welten gebären, die Welt des Erkenntnissubjekts ist letztlich nicht unterscheidbar von der übergeordneten Mutterwelt, von der Materie.
    Die Evolution könnte darin bestehen, dass Welten Welten gebären, und sich nun einige gefunden haben, die dies zweifelsfrei und alternativlos, um einmal rein spaßeshalber die “bundesdeutsche Mutti” zu zitieren, erkannt haben.


    Also, Sie sind, lieber Herr Dr. Hoppe, vielleicht hat Sie Ihr Langzeit-Kommentatorenfreund auch gelegentlich hart rangenommen, zu hart rangenommen, schon ein Dick- oder Betonkopf, abär hier müsste sich doch i.p. Ratio noch etwas machen lassen?!

    MFG
    Dr. Webbaer

  115. @ Hoppe

    Zitat Lisa Tessman

    Imagine being a doctor or nurse caught in the following fictionalised version of real events at a hospital in New Orleans in the aftermath of Hurricane Katrina in 2005. Due to a tremendous level of flooding after the hurricane, the hospital must be evacuated. The medical staff have been ordered to get everyone out by the end of the day, but not all patients can be removed. As time runs out, it becomes clear that you have a choice, but it’s a choice between two horrifying options: euthanise the remaining patients without consent (because many of them are in a condition that renders them unable to give it) or abandon them to suffer a slow, painful and terrifying death alone.

    Dazu ein paar Anmerkungen:

    Es geht hier nicht nur um eine moralische Frage, sondern vorrangig um eine rechtliche: Zumal nur das klinische Personal eine Entscheidung treffen muss, nicht die Putzfrau, die auch das Haus verlässt, obwohl sie die Situation vielleicht mitbekommt. Der Satz „ultra posse nemo obligatur“ ist auch ein juristisches Prinzip.

    Die erste Frage wäre: Ist die Feuerwehr überhaupt befugt, eine Evakuierung rigoros durchzusetzen, wenn sie den zwangsläufigen Tod von Personen zur Folge hätte? Ich denke, dass ein Arzt auch entscheiden könnte, bei den Patienten zu bleiben, wenn er sie dadurch vor dem Tod bewahren könnte. Wenn natürlich der Strom ausfällt, ist es schlecht, dann kann man nichts machen.

    Zweitens ist dies keine privatmoralische Angelegenheit, sondern eine medizinrechtliche und -ethische, also eine berufsethische (sonst wäre die Putzfrau ebenso in der Pflicht). Hier muss der Arzt auf Richtlinien zurückgreifen können, ansonsten darf er im Nachhinein nicht haftbar gemacht werden. Es liefe darauf hinaus, ob man aus den Gesetzen von Louisiana eine Pflicht zur finalen „Erlösung“ ableiten könnte, oder ob der Arzt nicht eher seiner medizinischen Pflicht damit genügen würde, den unvermeidbar und „natürlich“ eintretenden Tod durch starke Schlaf-/Schmerzmittel einfach nur zu lindern.

    Doch natürlich kann keinem Arzt die moralische Pflicht auferlegt sein, andere Menschen aktiv zu töten, das gibt es gar nicht. Auch das Abtreibungsrecht sieht das nicht vor, wenn eine medizinische Indikation vorliegt.

    Der Arzt kann sich also auf höhere Gewalt berufen, wenn er das Krankenhaus gegen seinen Widerstand verlassen muss, es aber nicht vertreten kann, die Patienten zu töten.

    Insofern kann es grausam sein, in bestimmten Verantwortungssituationen Entscheidungen treffen zu müssen, aber das moralische Dilemma lässt sich doch im Großen und Ganzen auflösen.

  116. @ Hoppe

    „Dass wir nicht anders können, ist klar – wir können auch optische Täuschungen nicht “überwinden”. Aber im Falle der optischen Täuschung ziehen wir unsere Konsequenzen aus der Einsicht in den illusionären Charakter einer solchen Wahrnehmung. Macht es nicht einen Unterschied, ob wir uns zurecht für (moralische) Personen halten oder ob wir dies als Illusion durchschaut und nun erkannt haben, dass wir nichts als programmierte Biomasse sind?“ (Hervorhebung von mir)

    Sie schreiben von „Einsicht“, „durchschaut“, „erkannt“, – aber davon ist doch nicht die Spur vorhanden. Stattdessen haben wir es wieder mit der altbekannten materialistischen Position zu tun, welche immer damit wedelt, ihre Belege eines Tages beizubringen.

    Wenn jemand einem Delinquenten abspricht, etwas anderes als ein Automat zu sein, dann muss derjenige, der diese Behauptung vertritt, diese auch auf sich selbst anwenden. Sonst ist die Behauptung selbstwidersprüchlich (wenn man davon ausgeht, dass Menschen hier als prinzipiell gleich beschaffen anzusehen sind). Und wenn ein Automat etwas äußert, dann ist das in Hinsicht auf „Wahrheit“ vollkommen irrelevant, da er ja nur ein Programm abspult, das völlig zufällig „42“ oder 104“ ausspuckt. Die These hebt sich also selbst auf.

    Darum würde ich es auch nicht einem Entschluss zuschreiben:

    „Vielleicht verdankt es sich stets einem Entschluss, eine Person und frei zu sein“

    sondern als die Anerkennung einer Vorfindlichkeit. Wir erkennen unsere Freiheit mitsamt der einhergehenden Verantwortlichkeit an und ebenso, dass wir und auch andere Menschen Personen sind und nicht nur Organismen.

    Natürlich kann man das auch unterlassen, und dafür geben einschlägig bekannte Materialismusfetischisten auch in diesen Blogs hier genügend seltsames Anschauungsmaterial. In der wirklichen Welt laufen die aber alle mit einer kognitiven Dissonanz durch die Welt, denn den Materialisten möchte ich noch sehen, der den Vergewaltiger seiner Tochter von seiner Schuld entbindet, weil der ja gar nicht anders konnte (er selbst aber schon).

    Wir finden uns vor in einer Welt, in der wir uns und andere als frei erleben. Die Behauptung der Unfreiheit und des Determinismus ist stets eine spätere, aufgesetzte und nie belegbare Uminterpretation. Man darf sie getrost verwerfen, vor allem mit Hinsicht auf ein funktionierendes Rechtssystem.

  117. Ist Wahlfreiheit immer wünschenswert?

    Ist das Leben immer wünschenswert?

    Ansonsten, der Schreiber dieser Zeilen hat die Gelegenheit kurz genutzt sich mit Lisa Tessman zu beschäftigen, es handelt sich dem Anschein nach um eine talentierte (jüdische) Kraft, die allerdings falsch liegt.
    Mit ihrem ganzen Lehrsystem.

    Es gibt keine Möglichkeit für erkennende Subjekte sich in einen Determinismus zurück zu flüchten, der nur die Verantwortungslosigkeit meinen kann.
    Denn die Frage nach einem vorliegenden oder nicht vorliegenden Determinismus ist unbeantwortbar. [1]

    Kommentatorenfreund ‘fegalo’ hat sich hier mehr bemüht, abgerackert, (zumindest) den letzten Absatz weiter oben, aus seiner letzten Nachricht, fand Dr. Webbaer solid.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    Es gibt, wer hätte dies nie geglaubt?!, also auch dumme Fragen.
    Gefährliche Fragen sozusagen, idR per se unbeantwortbare Fragen.
    Die Logik hilft hier nicht, denn derartige Fragen sind idR logisch, also kohärent, sie erreichen auch viele recht gut; helfen tut hier nur die Setzung.
    Es muss geglaubt werden, natürlich in bestmöglicher skeptizischer Grundhaltung, sozusagen.

  118. @Christian Hoppe

    »Macht es nicht einen Unterschied, ob wir uns zurecht für (moralische) Personen halten oder ob wir dies als Illusion durchschaut und nun erkannt haben, dass wir nichts als programmierte Biomasse sind?«

    Mit der Erkenntnis: „Denn Staub bist du, und zum Staub kehrst du zurück“, kann man ganz unterschiedlich umgehen, wie die Geschichte und die Erfahrung zeigen.

    Ich denke, dass das Leistungsvermögen eines Organs wie das menschliche Gehirn gewaltig unterschätzt wird, wenn man meint, in einem solchen Organ könnten keine Zielvorstellungen und Handlungsabsichten generiert werden. Nicht wenige scheinen zu glauben, dass, wenn wir von Geist, Psyche, Absichten und Handlungen reden können, dann müsse es dafür auch eine real existierende Entsprechung geben. Die sich aber, leider, leider, dem Zugriff der Naturwissenschaften entzieht. Absichten lassen sich nun mal nicht physikalisch erfassen.

    Ich kann mich als autonome Person empfinden und trotzdem davon überzeugt sein, dass mein Körper (also ich) zu 100% aus Materie und nichts anderem besteht und dass keine anderen Kräfte als die der Natur im Körper wirksam werden (dass mein Körper zugleich Milliarden von Mikroorganismen als Lebensraum dient und ohne deren Anwesenheit zugrunde ginge, lasse ich mal außen vor).

  119. @ Christian Hoppe

    “Ist programmierte Biomasse, die erkennt, dass sie programmierte Biomasse ist, programmierte Biomasse?”

    Ja.

    “Macht es nicht einen Unterschied, ob wir uns zurecht für (moralische) Personen halten oder ob wir dies als Illusion durchschaut und nun erkannt haben, dass wir nichts als programmierte Biomasse sind?”

    Woher stammt denn die Gewissheit, dass nichts als programmierte Biomasse sich nicht zurecht für eine (moralische) Person halten darf?

    Aus einem Sein folgt kein Sollen. Ich kann nicht erkennen, wie aus der Annahme eines deterministischen Weltenlaufs, damit auch eines determinierten (programmierten) Willens, sich eine spezielle Norm ableiten ließe. Auch keine, die es verbieten würde, Straftäter zu bestrafen. Falls ein Täter sich auf den Determinismus beruft, “Ich konnte nicht anders”, so wird der Richter ihn bestrafen können mit den gleichen, begleitenden Worten, “Ich konnte nicht anders”.

    Dass sich normative Ordnungen in Gesellschaften herausbilden, erscheint mir wiederum zwingend.

    @fegalo

    “Wir finden uns vor in einer Welt, in der wir uns und andere als frei erleben. Die Behauptung der Unfreiheit und des Determinismus ist stets eine spätere, aufgesetzte und nie belegbare Uminterpretation. Man darf sie getrost verwerfen, vor allem mit Hinsicht auf ein funktionierendes Rechtssystem.”

    Wir finden uns vor in einer Welt, in der wir Sonne und Himmel um die Erde drehend erleben. Die Behauptung der Eigenrotation der Erde ist eine spätere, aufgesetzte Uminterpretation. Man darf sie getrost verwerfen, vor allem mit Hinsicht auf funktionierende Sonnenuhren.

    Ich bestreite,
    1) dass wir unser eigenes Erleben nicht hinterfragen und auf Korrektheit überprüfen sollten
    2) dass frühere, nie belegbare Interpretationen höher zu gewichten wären als spätere
    3) dass Behauptungen ignoriert werden sollten, allein weil ihr Zutreffen unliebsame Konsequenzen haben könnte
    4) und schon gar nicht, wenn das Eintreffen unliebsamer Konsequenzen selbst eine unbeweisbare Behauptung ist.

    Ich bestreite nicht, dass Belege in den Naturwissenschaften eine wichtige Rolle spielen.

  120. @ Joker

    Sie setzen hier zwei verschiedene Wissensformen gleich und ziehen deshalb falsche Analogieschlüsse:

    Die empirische Wissenschaft kann unser Wissen erweitern und zuweilen unsere Vorstellungen umkrempeln über Gegenstände der äußeren Welt, wie zum Beispiel das Planetensystem oder den Elektromagnetismus.

    Dagegen kann sie das Wissen über uns selbst als Menschen, das keinen methodisch-empirischen Quellen sondern der Selbstwahrnehmung entstammt, weder erweitern noch korrigieren. Die Literatur der Antike ist ein unglaublich sprechender Beweis dafür. In ihr finden wir jedes Wissen über unser menschliches Wesen vor, das wir selbst überhaupt haben können, gleichzeitig ist nichts von dem, was wir dort über Menschen lesen, von irgendeiner Wissenschaft überholt oder korrigiert worden. Herodot, Sophokles, Aristoteles, Cicero, Horaz, Seneca, Juvenal, um nur Beispiele zu nennen.

    Sie vergleichen mithin Äpfel mit Birnen bei den Wissensformen.

    Ferner sind Ihre Punkte 3 und 4 nichts weiter als die Unterstellung von Feigheit bzw. die eigene Anmaßung höherer Tapferkeit anstelle eines Arguments.

    Ich finde nicht, dass dies eine argumentative Kraft hat.

  121. Zitat des Artikels: „Der Wille ist keine Instanz, er ist auch nicht das eigentliche Subjekt von Handlungen oder Entscheidungen: das bin immer noch ich selbst!“

    Man sollte, wie so oft, einmal Kant berücksichtigen, wenn dieser in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ sagt: „Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum, in praktischer Rücksicht, wirklich frei, d.i. es gelten für dasselbe alle Gesetze, die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind, eben so, als ob sein Wille auch an sich selbst, und in der theoretischen Philosophie gültig, für frei erklärt würde.“ Und in seinen „Vorlesungen über die philosophische Religionslehre“ sagt er: „Der Mensch handelt nach der Idee von einer Freiheit, als ob er frei wäre, und eo ipso ist er frei.“

    Zunächst stellt Kant hier die Verbindung der freien Handlung zu der Wesens-Vorstellung her. Was ist eigentlich die Ich-Vorstellung, gibt es im Hirn einen Homunkulus oder auch nur ein Ich-Zentrum? Nein, daher ist der freie Wille nur in Verbindung mit der Ich-Vorstellung zu betrachten.

    Gemäß den Libet-Experimenten ist die Bewusstwerdung den Handlungen stets nachgeschaltet, d.h. die Ich-Vorstellung besteht in der Reflexion oder Zuschreibung von Handlungen, wobei diese Reflexionen allerdings auch Auswirkungen auf die Handlungen haben können – allerdings nur als bloße Reflexionen im Verbund mit anderen Einflüssen wie den emotional gesteuerten Instinkten. Erst in einer weiteren Reflexion schreibt sich die Ich-Vorstellung eine eventuell ausgeführte und wahrgenommene Tat wiederum zu. Das, was wir darin als Wille empfinden, ist durch die Emotionalität der Instinkte bedingt.

    Die Ich-Vorstellung ist dabei eine besondere Struktur der Sinneswahrnehmung und -verarbeitung, wobei in dem dadurch bedingten Bewusstsein stets davon auszugehen ist, dass sowohl die eigene Ich-Vorstellung als auch andere denkende Wesen frei handeln, obwohl das objektiv gar nicht der Fall ist. Wenn das nicht getan wird, funktioniert das mit dieser Struktur und der Ich-Vorstellung nicht mehr, genauso wenig wie das mit der Farbe funktioniert, wenn wir darin nur elektromagnetische Wellen sehen.

  122. @ fegalo

    Ja, die alten Griechen und Römer, die wussten über uns Menschen schon alles. (Juvenal: “Es ist schwer, keine Satire zu schreiben.”)

    Wir finden uns vor in einer Welt, in der wir uns als frei und Frauen und Sklaven den Freien dienend erleben. Die Behauptung der Gleichheit aller Menschen ist eine spätere, aufgesetzte und nie belegbare Uminterpretation. Man darf sie getrost verwerfen, vor allem mit Hinsicht auf funktionierende Gesellschaften.

    “zwei verschiedene Wissensformen”

    Ist da ein Unterschied wegen der unterschiedlichen Zugangsweise? Wolfgang Prinz schreibt dazu:
    “Wenn wir ihn jedoch aus einer psychologischen Perspektive betrachten, scheint der Unterschied viel weniger tief und überhaupt nicht kategorisch zu sein.” (Selbst im Spiegel)

    “Dagegen kann sie [die empirische Wissenschaft] das Wissen über uns selbst als Menschen, das keinen methodisch-empirischen Quellen sondern der Selbstwahrnehmung entstammt, weder erweitern noch korrigieren.”

    Was kann man schon anhand von Selbstwahrnehmung über sich selbst erfahren? Ohne Spiegel nichts.

    Ich denke, nicht nur Naturalisten sollten ihre Dogmen reflektieren, sonst bleibt die Selbstwahrnehmung eine einzige Selbsttäuschung.

  123. @ Joker

    “Wir finden uns vor in einer Welt, in der wir uns als frei und Frauen und Sklaven den Freien dienend erleben. Die Behauptung der Gleichheit aller Menschen ist eine spätere, aufgesetzte und nie belegbare Uminterpretation. Man darf sie getrost verwerfen, vor allem mit Hinsicht auf funktionierende Gesellschaften.”

    Wieder eine Vermischung verschiedener Dinge. Das Eine ist die Natur des Menschen und das unwandelbare intuitive Wissen darüber. Das anderen sind Herrschafts- und Gesellschaftsformen, welche historisch wandelbar sind. Für beides gibt es Berge von historischen Belegen.

    Ist da ein Unterschied wegen der unterschiedlichen Zugangsweise? Wolfgang Prinz schreibt dazu:
    “Wenn wir ihn jedoch aus einer psychologischen Perspektive betrachten, scheint der Unterschied viel weniger tief und überhaupt nicht kategorisch zu sein.”

    Falsch, Herr Prinz. Man zeige mir eine relevante Erkenntnis über den Menschen, die von der Psychologie aufgedeckt wurde. Und jetzt bitte nicht mit Freud kommen, dem angeblichen „Entdecker des Unbewussten“. Denn einerseits weiß man seit Jahrtausenden vom Unbewussten, und andererseits ist die klapprige Mechanik des Unbewussten nach Freud bereits wieder im Orkus verschwunden, wo sie hingehört.

    Die Pädagogik gibt weiteres Anschauungsmaterial dafür, dass hier nichts vorangeht. Trotz tausender Lehrstühle und hunderttausender Forschungsprojekte werden solche idiotischen Methoden wie „Schreiben lernen nach Gehör“ implementiert.

  124. Werter “fegalo”, mich würde Ihre (philosophische) Sicht zum Begriff „Emergenz“ interessieren.

    Wäre es aus Sicht der Philosophie gestattet, zu formulieren, dass z.B. rund 2 Millionen winzige „Bildpunkte“, die mittels Elektronik so „gesteuert“ werden dass sie am Bildschirm eines Fernsehers zu einem Bild, bzw. Film
    „e m e r g i e r e n“ ?
    Dies ist eine absolut grundsätzliche Frage.
    Diese Idee stammt von P. Nipkow, „Fernsehen“ wurde vorher, auch aus philosophischen Gründen, für unmöglich gehalten.

    Diese Frage ist besonders deswegen von Bedeutung, weil in der Elektronik/Informatik stets aus einer großen Zahl „aufbereiteter“ einzelner oder veränderlicher Signale, von oder an definierten Orten ausgehend oder ankommend, stets so etwas wie „abstrakte Objektabbildungen anstehen“, die nach den Gesetzmäßigkeiten dieser Fachgebiete „verarbeitet“ werden.
    Im Sinne der Informatik „emergieren“ einzelne Information abbildende Signale zu ebenfalls Information abbildenden „Objekten“, z.B. Ergebnisse einer Rechnung. Dies kann aber soweit gehen, dass z.B. bei einem 3-d Drucker tatsächlich materielle Objekte generiert werden.

    Der wesentliche Unterschied in der technischen und neuronalen Informationsverarbeitung liegt darin, dass in der Technik grundsätzlich „starre Gatterfunktionen“ (Prädikatenlogik) zur Anwendung kommen, im Gegensatz zu neuronalen Systemen.
    Neurone entsprechen ungefähr „qualifizierte UND Gatter“ und sind, entsprechend ihrer „Programmierung“ (synaptische Verknüpfungen), in so etwas wie „Cluster“ angeordnet. Es können sich, selbst bei gleichem Input, „unterschiedliche Signalwege durchsetzen“, was bedeutet, dass man selbst in der gleichen Situation unterschiedlich handeln kann. Was in der Technik absolut nicht geduldet würde.
    Ich glaube übrigens nicht, dass Singer und Roth gegen eine realistische Beurteilung und „Behandlung“ von Verbrechern sind. Sie würden vermutlich Terroristen für problematische Kreaturen halten, die eben das Pech haben mit einer verrückten „Programmierung“ im Gehirn herumlaufen zu müssen, aber selbstverständlich muss die Gesellschaft geeignet geschützt werden.

  125. Im Sinne der Informatik „emergieren“ einzelne Information abbildende Signale zu ebenfalls Information abbildenden „Objekten“, z.B. Ergebnisse einer Rechnung.

    ‘Im Sinne der Informatik’ “emergiert” nichts.
    Die Informatik, als Formalwissenschaft, setzt in etwa so, dass erkennende Subjekte Sachen oder Sachverhalte der Welt, durchaus im realistischen Sinne, kodieren in der Hoffnung, dass spätere Abnehmerschaft sie dekodiert oder abstrahiert, so dass sich ein zumindest ähnlicher Zusammenhang, beim anderen, ergibt.
    Dieser Kommentar wäre insofern das beste Beispiel.


    Die Emergenz meint insofern die Welt und das “Auftauchen” bestimmter Weltzusammenhänge, die in sozusagen plötzlicher tatsächlicher oder anscheinender Präsenz, zum Umdenken Anlass gibt, beispielsweise zu sogenannten Paradigmenwechseln.

    Dies nur ganz am Rande angemerkt und die Diskussion nicht stören wollend, hier –
    Es können sich, selbst bei gleichem Input, „unterschiedliche Signalwege durchsetzen“, was bedeutet, dass man selbst in der gleichen Situation unterschiedlich handeln kann.
    – könnte sich womöglich ein Pluspunkt ergeben, allerdings kann innerhalb eines Systems nicht indeterministisch gedacht werden, so dass außerhalb dieses Systems Stehendes abzufragen gilt, um (sinnhafterweise, vgl. mit “Nash”) unberechenbar zu bleiben.

    MFG
    Dr. Webbaer

  126. @ fegalo

    “Man zeige mir eine relevante Erkenntnis über den Menschen, die von der Psychologie aufgedeckt wurde.”

    Angesichts der Erkenntnisse, die von der Psychologie aufgedeckt wurden, grüble ich noch, was Relevanz Ihrem Verständnis nach bedeuten könnte.

    “Man darf sie [spätere, unbelegbare Interpretationen] getrost verwerfen, vor allem mit Hinsicht auf ein funktionierendes Rechtssystem.”

    Ich muss gestehen, Zweckdienlichkeit könnte ein relevantes Kriterium sein, um unbelegbare Intuitionen zu bewerten. Den Zeitpunkt der Entstehung sehe ich allerdings immer noch als ungeeignet hierfür an.

    Warum wir eigenes Erleben nicht hinterfragen sollen, ist mir anhand Ihrer Antworten auch noch nicht klar geworden.

  127. Jerry A. Coyne liegt hier natürlich schrecklich falsch, ein merkwürdiger Weise weit beachtetes Essay liegt vor, Coyne macht mehrere Fehler, A) er versteht die Welt nicht (“Alles hängt mit allem zusammen”), B) er versteht nicht, dass die Frage der Entscheidbarkeit der Welt, nicht nur dieser Welt, nicht bearbeitbar ist für den Weltteilnehmer und C) er versteht “Nash” nicht.

    MFG
    Dr. Webbaer (der sich hier noch wesentlich mehr aufregen könnte)

  128. @ Dr. Webbaer

    “‘Im Sinne der Informatik’ “emergiert” nichts.”

    Dazu bezieht z.B. der FB 12, Mathemaik und Informatik, der Uni Marburg wie folgt Stellung unter dem Stichwort Emergenz:

    “In unseren emergenten Systemen entstehen Distanz- und Dichtestrukturen in Datensätzen die als U-Matrix, P-Matrix oder U*Matrix betrachtet werden konnen. Aus den emergierten Strukturen können Gruppierungen (Cluster) in Datensätzen abgeleitet werden. Emergente Strukturen beschreiben das System der elementaren Prozesse auf einem neuen, übergeordneten Niveau.

    @ fegalo

    Das Buch von Peter Janich “Emergenz – Lückenbüßergott für Natur- und Geisteswissenschaften“ aus dem Steiner Verlag ist noch erhältlich.

  129. @ Dr. Webbaer

    “schrecklich falsch” ist natürlich auch das hier:

    “Sollte gemeint sein, dass das, dieses Weltsystem determiniert ist, deterministisch, lautet die Antwort : “Nein, es gibt keinen freien Willen, Bruder!”, sollte das Weltsystem anders ausgestattet sein, gibt es einen freien Willen.”

    Auch ein indeterministisches Weltsystem garantiert keinen freien Willen.

    Auf jeden Fall ist ein “freier” Wille, der erst noch durch mich bestimmt werden müsste, bevor er handlungswirksam werden kann, absurd – in allen möglichen Welten!

  130. @ Elektroniker

    „Wäre es aus Sicht der Philosophie gestattet, zu formulieren, dass z.B. rund 2 Millionen winzige „Bildpunkte“, die mittels Elektronik so „gesteuert“ werden dass sie am Bildschirm eines Fernsehers zu einem Bild, bzw. Film
    „e m e r g i e r e n“ ?“

    Ich denke, man kann klar sagen, dass da nichts emergiert. Das Bild (im Sinne einer Einheit) ist nicht auf dem Bildschirm vorhanden, sondern im Kopf des Betrachters. In einem technischen Gerät gibt es keine Stelle, in der das Bild als Bild repräsentiert ist. Auf der Ebene des Geräts gibt es nur eine Kausalitätskette ohne inneren Zusammenhang. Auf der Ebene des Technikers ist dies eine „Befehlskette“, erst der Betrachter des Bildschirms macht daraus ein Bild.

  131. @ Joker

    “Angesichts der Erkenntnisse, die von der Psychologie aufgedeckt wurden, grüble ich noch, was Relevanz Ihrem Verständnis nach bedeuten könnte.”

    Ich würde sehr gerne ein Beispiel von Ihnen bekommen für eine relevante Erkenntnis aus der Psychologie, die etwa eine Antwort auf folgende Frage wäre: Was wussten die Griechen und Römer noch nicht über sich selbst, was die moderne Psychologie herausgefunden hat?

    Ganz ehrlich: Ich sehe da nichts. (Ich meine mit „relevant“ nicht solche Unterscheidungen wie Erkenntnisse über „Langzeitgedächtnis“ und „Kurzzeitgedächtnis“ etc., sondern fundamentale Angelegenheiten, die unser Selbstverständnis betreffen).

    “Warum wir eigenes Erleben nicht hinterfragen sollen, ist mir anhand Ihrer Antworten auch noch nicht klar geworden.”

    Ich sage doch nicht, das wir das nicht hinterfragen können oder sollen, ich gebe lediglich zu bedenken, dass eine groß angelegte Umdeutung der menschlichen Existenz stets scheitert. Es gab manchen Versuch, über totalitäre Systeme eine neue Deutung des Menschen zu implementieren und zu erzwingen. Die Beispiele sind bekannt. Derzeit ist schon wieder was im Anmarsch: ein Aspekt davon ist die Gendertheorie. Jedoch sind alle Versuche, den Menschen umzudeuten, historisch gegen die Wand geknallt. Wer antike Gedichte liest, dem wird klar, dass wir, über allen Wandel der Herrschaftsformen und religiösen Systeme hinweg, dieselben geblieben sind. Hat was Befriedigendes.

  132. Zitat “fegalo”: “Ich denke, man kann klar sagen, dass da nichts emergiert. Das Bild (im Sinne einer Einheit) ist nicht auf dem Bildschirm vorhanden, sondern im Kopf des Betrachters. In einem technischen Gerät gibt es keine Stelle, in der das Bild als Bild repräsentiert ist. Auf der Ebene des Geräts gibt es nur eine Kausalitätskette ohne inneren Zusammenhang. Auf der Ebene des Technikers ist dies eine „Befehlskette“, erst der Betrachter des Bildschirms macht daraus ein Bild.”

    Man könnte es “fast” so sehen, wenn man die “alte” Analogtechnik zugrunde legt.

    In der “neuen” Digitaltechnik gibt es einerseits Speicherstrukturen in denen das Bild zwar nicht optisch, sehr wohl aber codiert, als auf besondere Art zusammengehörige Zahlenwerte in einer Matrix “mathematisch abgebildet” wird.
    Um eine ökonomische Videoübertragung (geringe Bandbreite bei hoher Qualität) zu ermöglichen, werden Bildmuster (bzw. deren mathematische Abbildung) “extrahiert”, mittels komplexer Kompressionsalgorithmen aufbereitet, übertragen und danach für die Videodarstellung am Bildschirm verarbeitet.
    Andererseits geschieht ähnliches, eine zunächst tatsächlich optische Abbildung auf der Netzhaut im Auge, eine Zerlegung in “Muster”, letztlich eine “Einordnung” und codierte “Abbildung” der “Muster” in neuronale Verbände im Gehirn.
    Danach stehen die Informationen für die “Denkprozesse” zur Verfügung.

    “Bilder”, als 2 dimensionale “Information” (gleichzeitig) abbildende Strukturen, sind so gesehen nichts anderes als “Hilfsmittel” um “innere Zusammenhänge” herzustellen (auch “informell abzubilden” ).
    Dies ist in der Informatik/Mathematik (Matrix, Tabellen, Diagramme…) so, aber auch beim Menschen, z.B. bei Hirn internen “Abbildungsprozessen” (Netzhaut, Hirnhaut, Zwischenschichten zwischen den Organen…) so.
    Es geht darum “Zusammenhänge abzubilden”, egal ob man den Begriff “emergieren” verwendet, oder eben einen anderen, neuen Begriff der genau diesen Sachverhalt “abbildet”, nutzt.

  133. @fegalo:
    Ihren letzten Absatz (Umdeutung der menschlichen Existenz) stimme ich fast begeistert zu, obwohl ich es sonst eher mit “Joker” halte.
    Besonders sein Zitat der FB 12, Mathematik und Informatik, der Uni Marburg zum Stichwort Emergenz hat es mir angetan. Ich habe versucht, anschaulicher zu argumentieren.
    Ich meine allerdings, dass die Repräsentanten der Psychologie früher ein “zerstrittener Haufen” waren und sich vermutlich von der neueren Hirnforschung angetrieben die Situation eher beruhigt hat.
    Mich stört es immer wieder dass auf realistische psychologische Aspekte eher zuwenig Rücksicht genommen wird.
    Allerdings gibt es durch die neuen Technologien starke Veränderungen. Es stehen genügend Ressourcen für ein relativ angenehmes Leben fast aller Menschen bei uns zur Verfügung und “Verrücktheiten” sind nicht mehr ganz so existenzgefährdend wie früher.
    Allerdings, die Auswirkung einer groß angelegten Umdeutung der menschlichen Existenz soll man auch nicht unterschätzen. Allein die Auswirkungen auf die Geburtenrate scheint existenzgefährdend.
    Man könnte Vergleiche ziehen, z.B. mit den Moslems mit ihren “eisernen” Traditionen. Obwohl es weitaus weniger Moslems in der Bevölkerung gibt, ist ihr Anteil unter den Grundschülern sehr hoch und nimmt auch noch zu.

  134. @ Kommentatorenkollege ‘Joker’ :

    Sollte gemeint sein, dass das, dieses Weltsystem determiniert ist, deterministisch, lautet die Antwort : “Nein, es gibt keinen freien Willen, Bruder!”, sollte das Weltsystem anders ausgestattet sein, gibt es einen freien Willen.” [Dr. Webbaer]
    Auch ein indeterministisches Weltsystem garantiert keinen freien Willen. [Joker]

    Jein, gemeint war, dass in einem (partiell) indeterministischen Weltsystem unentscheidbar wäre, ob es einen freien Willen gibt.

    Komplett indeterministische Weltsysteme können keine Erkenntnissubjekte hervorbringen.

    Es gibt ja, als denkbar und somit möglich, rein deterministische Weltsysteme, partiell deterministische Weltsysteme und rein indeterministische Weltsysteme. (Diese Partialtität ist unentscheidbar für den Weltteilnehmer, in ‘rein indeterministische Weltsystemen’ wird natürlich, mangels Erkenntnissubjekt, nichts mehr unterschieden.)

    Auf jeden Fall ist ein “freier” Wille, der erst noch durch mich bestimmt werden müsste, bevor er handlungswirksam werden kann, absurd – in allen möglichen Welten!

    Nicht, wenn das Erkenntnissubjekt Anforderung an das Weltsystem stellen könnte, die Indeterminismus (“Zufall” – vgl. auch mit “Nash” an anderer Stelle) bereit stellt, auf Zuruf sozusagen; es gibt hier in der Physiklehre gewisse Hinweise.
    Bspw. mal im Web ‘Zeilinger’ und ‘Beobachter’ recherchieren.

    MFG
    Dr. Webbaer

  135. @ Kommentatorenkollege ‘Joker’ + v2, hoffentlich siehts nun besser aus :

    Sollte gemeint sein, dass das, dieses Weltsystem determiniert ist, deterministisch, lautet die Antwort : “Nein, es gibt keinen freien Willen, Bruder!”, sollte das Weltsystem anders ausgestattet sein, gibt es einen freien Willen.” [Dr. Webbaer]
    Auch ein indeterministisches Weltsystem garantiert keinen freien Willen. [Joker]

    Jein, gemeint war, dass in einem (partiell) indeterministischen Weltsystem unentscheidbar wäre, ob es einen freien Willen gibt.

    Komplett indeterministische Weltsysteme können keine Erkenntnissubjekte hervorbringen.

    Es gibt ja, als denkbar und somit möglich, rein deterministische Weltsysteme, partiell deterministische Weltsysteme und rein indeterministische Weltsysteme. (Diese Partialtität ist unentscheidbar für den Weltteilnehmer, in ‘rein indeterministische Weltsystemen’ wird natürlich, mangels Erkenntnissubjekt, nichts mehr unterschieden.)

    Auf jeden Fall ist ein “freier” Wille, der erst noch durch mich bestimmt werden müsste, bevor er handlungswirksam werden kann, absurd – in allen möglichen Welten!

    Nicht, wenn das Erkenntnissubjekt Anforderung an das Weltsystem stellen könnte, die Indeterminismus (“Zufall” – vgl. auch mit “Nash” an anderer Stelle) bereit stellt, auf Zuruf sozusagen; es gibt hier in der Physiklehre gewisse Hinweise.
    Bspw. mal im Web ‘Zeilinger’ und ‘Beobachter’ recherchieren.

    MFG
    Dr. Webbaer

  136. @ Dr. Webbaer

    “v2”

    Erst bemängeln Sie jahrelang, dass es bei den SciLogs keine Vorschau für die Kommentare gibt, und jetzt, wo sie da ist, benutzen Sie die nicht!?

    Bei der Gelegenheit möchte ich Sie auch an Ihr Wort erinnern.

  137. @ fegalo

    “Was wussten die Griechen und Römer noch nicht über sich selbst, was die moderne Psychologie herausgefunden hat?”

    Das ist einfach, die Griechen und Römer wussten nichts von dem, was die moderne Psychologie über uns selbst herausgefunden hat.

    “Ich meine mit „relevant“ […] fundamentale Angelegenheiten, die unser Selbstverständnis betreffen”

    Sofern Fundamente angesprochen werden, handelt es sich um Dogmen und Setzungen. Niemand kann gezwungen werden, aufgrund empirischer Befunde seine metaphysischen Ansichten zu ändern, weder über die Götter noch über sich selbst.

    Bleiben wir beim Thema “freier” Wille. Heutzutage existieren parallel die verschiedensten Überzeugungen dazu. Dabei ist jede mit begrifflichen Schwierigkeiten verbunden, aus meiner Sicht aber keine definitiv selbstwidersprüchlich.

    Soweit das damals überhaupt diskutiert wurde, kann ich mir nicht vorstellen, dass unter allen Griechen und Römern hier eine einheitliche Meinung herrschte, oder gar Wissen vorhanden war, dass dann ja mittlerweile verlorengegangen sein müsste.

    “dass wir […] dieselben geblieben sind”,

    dem widersprechen auch die Psychologen und Biologen nicht.

    “eine groß angelegte Umdeutung der menschlichen Existenz [scheitert] stets”

    Die “Umdeutung”, der Mensch habe keinen freien Willen, kann nicht scheitern, da mit ihr gar keine Zielsetzung, insbesondere keine gesellschaftliche, verbunden ist.

  138. @ ‘Joker’ :

    Auf jeden Fall ist ein “freier” Wille, der erst noch durch mich bestimmt werden müsste, bevor er handlungswirksam werden kann, absurd – in allen möglichen Welten!

    Jaja, Sie haben ja recht, dass der Webbaer die Bereitstellung einer Vorschau, wie auch die wieder aufgetauchten Zeitstempel spät, zu spät bemerkt hat, aber die zitierte Aussage war unverständig.
    Wissen Sie ja auch…

    MFG
    Dr. Webbaer (der weiterhin nichts gegen ein strukturiertes Kommentariat hätte)

  139. @Joker

    » Die “Umdeutung”, der Mensch habe keinen freien Willen,… «

    Dieser aktuellen „Umdeutung“ ging wohl die frühere Umdeutung, der Mensch habe einen freien Willen, voraus. Es ist ja nicht so, als hätte die Menschheit schon immer über den heutigen Willensbegriff verfügt, und schon gar nicht über die Idee, dass dieser Wille „frei“ sei.

  140. @Hoppe
    “Sie vertreten einen konsequenten Determinismus. Absichten treten hier zwar auf, sind aber letztlich – als Teil der Kausalkette oder deren “subjektives” Epiphänomen – irrelevant.(…)
    Denkt man Ihren Gedanken allerdings weiter, fragt man sich, warum wir dann überhaupt noch andere psychische Phänomene in diesem Zusammenhang ernst nehmen und darauf juristisch antworten sollten: die moralische Empörung über einen Mord ist doch ebenfalls nur ein determiniertes Epiphänomen ohne kausale Relevanz, der Tod ist ein materieller Zerfall ohne jede Bedeutung, ebenso Ihr Wunsch, Täter vor einer neurophilosophisch nicht gerechtfertigten Strafe schützen zu wollen. Warum sollten wir ausschließlich beim Täter die Psyche für letztlich wirkungslos und irrelevant erachten?
    Wir könnten uns Ihnen anschließen und uns entscheiden, die psychische Ebene für ein letztlich irrelevantes Epiphänomen zu halten – wir müssen uns nur klar sein, dass dies konsequenterweise in einen moralischen Nihilismus und Fatalismus führen würde: jeder Anspruch auf Bedeutung wäre illusionär, im Grunde gäbe es dann nur noch Automatismen. – Vielleicht verhält es sich so.”

    Herr Hoppe, Sie offenbaren hier in der Diskussion um den freien Willen einen blinden Fleck, nämlich insofern, als Sie den Menschen nicht als Produkt der Evolution begreifen bzw. ihn unter diesem Aspekt in Relation zu den Ergebnissen der Neurowissenschaften setzen (wollen).
    Denn nur so ist Ihre Annahme zu erklären, dass aus einer wissenschaftlich basierten Betrachtungsweise des Menschen ein moralischer Nihilismus oder Fatalismus folgen müsse.

    Verlieben sich Menschen plötzlich nicht mehr ineinander, wenn sie wissen, dass sie ihre Gefühle evolutionär entstandenen Mechanismen verdanken, die ihre Basis u.a. in einer erhöhten Ausschüttung von Dopamin, Neurotrophin, Oxycotin und Serotonin haben, also letztlich genetisch-biochemisch bedingt sind?
    Schmecken Ihnen Erdbeeren z.B. nicht mehr, wenn Sie darum wissen, dass es gar nicht die Erdbeeren selbst sind, die den Geschmack enthalten, sondern dass Ihr Gehirn diesen hervorbringt?

    Der Mensch büßt doch nicht deshalb seinen Willen zum Leben und Überleben ein, nur weil er erfährt, dass alles, was er tut, denkt und fühlt den deterministisch/teils indeterministisch ablaufenden Prozessen seiner Neuronentätigkeit unterworfen ist. Aber genau diese Schlussfolgerung scheinen Sie zu ziehen.

    ” Wir könnten uns Ihnen anschließen und uns entscheiden, die psychische Ebene für ein letztlich irrelevantes Epiphänomen zu halten”

    Warum sollten wir uns dafür entscheiden? Wir entscheiden uns doch auch nicht plötzlich dafür, Lebensmittel für irrelevant zu erklären, das sind schließlich auch nichts anderes als chemische Produktformeln.
    Die “psychische Ebene” von anderen, hat erheblichen Einfluss auf unser Wohlbefinden.
    Wenn die “psychische Ebene” eines anderen mir freundlich gesinnt ist, dann geht es mir gut. Wenn die “psychische Ebene” eines anderen mir etwas Schlechtes will, sei es weil sie einem bösen Nachbar, Arbeitskollegen oder gar einem Kriminellen zu eigen ist, dann hat das ganz konkret erheblichen negativen Einfluss auf mein Leben und ist alles andere als ein irrelevantes Phänomen.
    Wir sind doch trotz Wissens um die Naturgesetze ständig bemüht, unser Wohlbefinden zu steigern und umgeben uns nicht mit Menschen, die diesem Bestreben im Wege stehen.
    Deswegen führt Ihre Vermutung, “die moralische Empörung über einen Mord ist doch ebenfalls nur ein determiniertes Epiphänomen” auch vollkommen ins logische Abseits.
    Denn genausowenig, wie wir plötzlich anfangen werden, ungenießbare Sachen zu uns zu nehmen, (ist ja letztlich alles nur Bio-Chemie),
    genausowenig werden wir Menschen, die andere absichtlich töten, plötzlich zu einem irrelevanten Epiphänomen erklären, nur weil wir wissen, dass deren Handeln aus determiniert ablaufenden Hirnprozessen entstanden ist.

  141. Noch einmal zur (moralischen) Empörung, die, wie ich weiter oben schrieb, am Anfang jeden Strafsystems steht und in einem evolutionären Prozess entstanden ist, dient sie doch dem Überleben des Einzelnen und/oder der Gruppe, indem sie dazu motiviert, Schädiger zu bestrafen, also im wahrsten Sinne des Wortes “unschädlich” zu machen.

    Angenommen, das Gefühl der Empörung ließe sich auf einer Skala von 1 (niedrig) bis 10 (sehr hoch) bewerten, dann kann man davon ausgehen, dass ein Wissen in der Bevölkerung um das Fehlen eines freien Willens dazu führen könnte, dass die durchschnittlich gemessenen Werte auf der Empörungsskala von 10 auf 7 oder noch tiefer sinken würden. Die Empörungsenergie würde dann nicht mehr in gleichem Maße gebraucht, wenn an ihre Stelle ein Wissen um die determinierten, physiologischen Entstehungsbedingungen kriminellen Verhaltens treten könnte.

    Ein Gedankenexperiment soll das verdeutlichen:
    Sie lesen in den News:
    A: Im Dorf …. wurde ein 10 jähriges Mädchen bei einem plötzlich herauf ziehendem Gewitter tödlich von einem Blitz getroffen.
    B: Im Dorf … wurde ein 10 jähriges Mädchen von einem Mastiff Hund zu Tode gebissen.
    C Im Dorf …. wurde ein 10 jähriges Mädchens ermordet aufgefunden.

    Wenn Sie die drei verschiedenen Varianten der Nachrichten lesen, dürfte sich Ihr Empörungslevel zwischen 0 und 10 bewegt haben.
    Im Fall A dürfte er bei Null gelegen haben, denn wird jemand durch einen Blitz getroffen wird, dann empört uns das nicht, denn wir wissen, dass hier ausschließlich ein Wettergeschehen – wenn auch in schicksalhafter Weise – wirksam war.
    Etwas anders sieht die Sache schon bei Var. B aus; hier könnte ein wenig Empörung
    darüber aufflammen, dass sich der Halter des Hundes vielleicht vorwerfen lassen muss, seinen Hund nicht adäquat beaufsichtigt, erzogen zu haben, das Gartentor nicht verschloss etc.
    In der Var. C dürfte die Empörung so ziemlich aller Menschen sicher bei 10 gelegen haben.
    Jetzt wird hypothetisch angenommen, die Akzeptanz des Fehlens eines freien Willens hat sich in der Bevölkerung auf breiter Basis durchgesetzt.
    Ein Ergebnis eines solchen Umdenkens wäre dann auch eine Neubewertung des Falles C, es fände eine Annäherung zu der emotionalen Bewertung aus der Variante A statt: Die Empörung fehlt oder ist zumindest sehr stark abgeschwächt, was bleibt, ist das Wissen um ein determiniert, (schicksalhaft) stattgefundenes Verhalten eines Täters.

    In früheren Zeiten war das Verhältnis des Menschen zu Gewittern, zu Blitzen ein anderes, ein hoch emotionales.
    Starb jemand durch einen Blitz, so traf ihn der Zorn der Götter. Er oder sein Volk hatten Schuld auf sich geladen, Verfehlungen begangen, keine oder nicht ausreichend Opfer gebracht.
    Da der Mensch keine Kontrolle über das Wettergeschehen hatte, blieb ihm nur die Furcht, Empörung gegenüber den Gewalten des Blitzes und des Donners wäre auch sinnlos gewesen.
    Heute gibt es keinen inneren Aufruhr, keine Furcht vor unberechenbaren Himmelsgöttern und Dämonen am Firmament; unser Verhältnis zu Blitz und Donner ist vollkommen neutral geworden, denn wir haben sie als Vorgänge der Natur verstanden.
    Eine solche Wandlung unserer emotionalen Beteiligung und Einstellung könnte es auch einmal in unserem Verhältnis zu kriminellen Tätern geben.

  142. @sherfolder // 18. August 2017 @ 19:27

    » …es fände eine Annäherung zu der emotionalen Bewertung aus der Variante A statt: Die Empörung fehlt oder ist zumindest sehr stark abgeschwächt, was bleibt, ist das Wissen um ein determiniert, (schicksalhaft) stattgefundenes Verhalten eines Täters.«

    Ich denke, so kann man das nicht sagen, „determiniert, (schicksalhaft) stattgefundenes Verhalten“, es klingt irgendwie falsch, dem Vorgang des Verhaltens (oder der Handlung) nicht angemessen.

    Wenn von einem „determinierten“ Verhalten gesprochen wird, fragt man sich unwillkürlich, wer oder was hier wen determiniert.

    Aber es gibt keine (höhere) Instanz, die das Verhalten eines Individuums determinieren würde, das Individuum determiniert sich sozusagen selbst (weitgehend, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten). Wenn selbstbestimmtes Verhalten möglich ist, dann ist das Individuum frei und nicht fremdbestimmt. Sein Verhalten kann ihm mit Recht zugeschrieben werden.

  143. @ Balanus

    “wer oder was hier wen determiniert”

    Der Zustand des (diskreten) Universums (und somit auch aller darin befindlichen Individuen) folgt aus seinem vorigen Zustand und den Naturgesetzmäßigkeiten.

    “das Individuum determiniert sich sozusagen selbst (weitgehend,”

    Nicht mal weitgehend. Ein Individuum, wie immer man das abgrenzen möchte, ist durchdrungen von Feldern und wechselwirkt ständig mit seiner Umgebung – es kann die Gesetzmäßigkeiten nicht beeinflussen, höchstens die Gesetze.

    “im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten)”

    Es gibt nur eine.

    “Sein Verhalten kann ihm mit Recht zugeschrieben werden.”

    Die Verantwortung für sein Verhalten wird ihm vom Recht zugeschrieben, zu Recht.

    “Die Empörung fehlt oder ist zumindest sehr stark abgeschwächt” (@sherfolder)

    Wenn Empörung nachlassen würde, Emotionen ganz allgemein abgeschwächt würden, damit auch Bedürfnisse reduziert würden, dann gäbe es am Ende auch keine Straftäter mehr – und bald darauf vermutlich auch keine vernunft- und philosophiebegabten Individuen mehr, andere würden sich evolutionär durchsetzen, wenn ich die herrschenden Gesetzmäßigkeiten richtig verstehe.

  144. @Joker

    »Ein Individuum, wie immer man das abgrenzen möchte, ist durchdrungen von Feldern und wechselwirkt ständig mit seiner Umgebung…«

    Und genau hierin liegt die Selbstdetermination. Denn es liegt an der Verfasstheit des Individuums selbst, was am Ende dabei herauskommt (schon Helmut Kohl wusste: Entscheidend ist, was hinten rauskommt).

    Kant unterschied beim Menschen ja noch zwischen dem Natur- und dem Vernunftwesen. Ohne Selbstbestimmung ergäbe die Rede von der Vernunft wohl kaum Sinn.

  145. @Joker
    “Wenn Empörung nachlassen würde, Emotionen ganz allgemein abgeschwächt würden, damit auch Bedürfnisse reduziert würden, dann gäbe es am Ende auch keine Straftäter mehr (…)”
    – da haben Sie in einem Satz gleich zwei Fehlschlüsse untergebracht:

    1. Wenn Empörung nachlässt, Emotionen sich ganz allgemein abschwächen – dann führt das nicht zur Reduzierung von Bedürfnissen.
    Die Bedürfnisse bleiben, nur sie werden jetzt mit anderen Mitteln realisiert.

    Das religiöse Bedürfnis, eine göttliche Instanz anzurufen, auf dass sie Regen bringe, eine gute Ernte ermögliche, vor Krankheiten schütze, ist indem Maße zurückgegangen, da die Menschen um die wissenschaftlichen Kausalzusammenhänge wussten.
    Bauern wollen immer noch eine gute Ernte einfahren, aber sie nutzen jetzt die Dienste von Meteorologen etc.
    Menschen haben immer noch das Bedürfnis eine Krankheit zu heilen, aber sie gehen nun zum Arzt und opfern keine Tiere mehr.

    Das Bedürfnis, dass diejenigen, die andere Menschen umbringen, ausrauben, vergewaltigen, betrügen, die sich also nicht an die Regeln der Gemeinschaft halten, dafür bestraft werden, verschwindet nicht, denn dieses Bedürfnis ist Teil des Selbsterhaltungstriebes.
    Die evolutionär entstandene Empörung über Straftaten oder moralische Vergehen diente der Initiierung bzw. Aktivierung von Bestrafungshandlungen, die dafür sorgten, dass Individuen ihre Eigeninteressen nicht auf Kosten und zu Lasten von anderen durchsetzen konnten.
    Wenn man weiß, dass der Straftäter in seinem Handeln in gleicher Weise determiniert war, wie ein Hund, der sich von der Kette losreißt und einen Menschen mit Bissen verletzt, dann ist nur noch wenig bis kein Platz mehr für Empörung.
    Das Bedürfnis aber, sich vor solchen Schadensereignissen, ganz gleich ob diese durch ein Tier oder einen Menschen ausgelöst werden, zu schützen, besteht nach wie vor und verschwindet mit dem Wissen um die Determiniertheit des Verhaltens nicht.
    Dies wäre dann auch das Argument gegen Ihren 2. Fehlschluss, es würde keine Straftäter mehr geben. Selbstverständlich gibt es diese weiterhin, nur wird man ihnen keinen Schuldvorwurf mehr machen, sondern sie nur noch als Verursacher eines schädigenden Ereignisses behandeln können. Das aber schließt eben nicht aus, dass man Täter viele Jahre oder gar lebenslang ins Gefängnis sperrt, so wie man auch einen Hund, der sich als gefährlich für Menschen erwiesen hat, für immer im Tierheim oder auf einem Gnadenhof unterbringt.

  146. @sherfolder // 20. August 2017 @ 14:58

    »Wenn man weiß, dass der Straftäter in seinem Handeln in gleicher Weise determiniert war, wie ein Hund, der sich von der Kette losreißt und einen Menschen mit Bissen verletzt, …«

    …dann landet dieser Mensch in der geschlossenen Psychiatrie. Im Gegensatz zum Hund, den man …

    » …für immer im Tierheim oder auf einem Gnadenhof unterbringt.«

  147. @Balanus
    Aus der Tatsache, dass der Mensch über keinen freien Willen verfügt, also in dem, was er tut und denkt vollständig determinierten, neurologischen Prozessen unterliegt, folgt, dass er gleich einem Hund letztlich auch nur eine Biomaschine ist.

    “Ich denke, so kann man das nicht sagen, „determiniert, (schicksalhaft) stattgefundenes Verhalten“, es klingt irgendwie falsch, dem Vorgang des Verhaltens (oder der Handlung) nicht angemessen.”

    Doch genauso kann man und muss man es möglicherweise auch sagen:
    Ich zitiere hier mal Christian Hoppe:
    “Schicksalshaft und tatsächlich durch den Täter letztlich nicht frei beeinflussbar ist die Tatsache, dass er überhaupt eine gesetzwidrige Absicht in handlungswirksamer Intensität entwickeln konnte und alle Gegenfaktoren letztlich unwirksam blieben – einschließlich der ihm bekannten Strafandrohung.

    Um was geht es bei der Diskussion um die Willensfreiheit in Bezug auf strafwürdiges Verhalten eigentlich?
    Um die jeweilige, individuelle Fähigkeit zum Absichtenmanagment. (Hoppe)

    Und ich ergänze: Diese individuelle Fähigkeit zum Absichtenmanagement ist schicksalhaft und durch den Täter letztlich nicht frei beeinflussbar.

  148. @ sherfolder

    “nur wird man ihnen [Straftätern] keinen Schuldvorwurf mehr machen”

    Also ich, ein bekennender Determinist, mache anderen ständig Schuldvorwürfe (und manchmal auch mir).

    Schuld ist doch nicht von “metaphysischen Wahrheiten” in Bezug auf den freien Willen abhängig. Ich würde auch Ihnen zumindest eine Teilschuld geben, falls aufgrund Ihres Kommentars, jemand anfangen würde, dies zu glauben.

    Warum sollten ausgerechnet Straftäter als unschuldig betrachtet werden?

  149. @sherfolder // 21. August 2017 @ 14:26

    »Diese individuelle Fähigkeit zum Absichtenmanagement ist schicksalhaft und durch den Täter letztlich nicht frei beeinflussbar.«

    Der Punkt ist, dass der Täter handelt, und zwar aus sich heraus. Es klingt absurd, wenn gesagt wird, er könne seine Handlungen nicht beeinflussen, denn schließlich gibt es in ihm eh keine übergeordnete (außerphysische) Instanz zur Beeinflussung von Handlungen oder Absichten.

    Der Mensch agiert genau wie ein Hund aus sich heraus, eben selbstbestimmt, aber der Mensch weiß in der Regel, was er da tut. Das ist der entscheidende, strafrechtlich relevante Unterschied.

    Ich habe den Eindruck, irgendwie sehen Sie das alles noch zu dualistisch. Man muss sich, wenn man die Sache konsequent zu Ende denkt, alles Geistige komplett wegdenken, doch auch dann bleibt immer noch das selbstbestimmt agierende Individuum.

  150. @ Joker
    Wenn Sie schreiben, dass Sie anderen ständig und manchmal auch sich selbst Schuldvorwürfe machen, dann bedeutet das, dass Sie den Begriff “Schuld” in dem in der Alltagssprache üblichen Sinn verwenden.
    In diesem Rahmen könnte man auch davon sprechen, dass eine Katze “schuld” daran war, dass das Geschirr zerbrach, als sie auf den Tisch sprang und dabei die Tischdecke herunterriss.
    Im Gegensatz dazu ist im Strafrecht Schuld eben doch von “metaphysischen Wahrheiten” in Bezug auf den freien Willen abhängig, denn die Feststellung des Fehlens oder aber einer “besonderen Schwere” der Schuld hat erheblichen Einfluss auf die Höhe des Strafmaßes.
    So kann zB ein Täter, der seine Ehefrau tötet, einmal als Mörder mit lebenslang, bei Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld, erst nach 25 Jahren mit seiner Freilassung rechnen, während ein anderer für die gleiche Tat, die nur als Totschlag gewertet wird, bei guter Führung bereits nach 6 Jahren entlassen werden kann.
    Geht der Täter heimtückisch (Mordmerkmal) vor, nutzt er also die Arg – und Wehrlosigkeit seines Opfers aus und erschießt zB. die Ehefrau im Schlaf, dann wird er idR mit lebenslang als Mörder bestraft. Im anderen Fall, der Täter rennt nach einem Streit ins Nebenzimmer, holt den Revolver und erschießt wütend seine vor ihm stehende Frau, wird er nur wegen Totschlags verurteilt und kann bei guter Führung, bereits nach 6 bis 7 Jahren mit seiner Freilassung rechnen.
    Warum aber soll der mit “Heimtücke” vorgehende Täter als “schuldiger” gelten, wenn er doch gleich dem anderen Täter gar nicht anders handeln konnte?

  151. Ich habe diese – vorwiegend “in mir selbst” geführte – Diskussion zum Thema “Freier Wille” schon vor längerer Zeit zu folgendem Schlusspunkt gebracht:

    Der “freie Wille” ist immer der freie Wille der anderen.

    Anders gesagt: das Wort “freiwillig” sehe ich als umgangssprachliche Bezeichnung für das Maß an Handlungsfreiheit, das ICH in ANDEREN vermute, um sie ggf. zu einer Handlung zu veranlassen – ohne physische oder psychische Gewalt anzuwenden, aber vielleicht durchaus indem ich meine Überredungskünste anwende oder Anreize in Aussicht stelle.

    Über mein EIGENES Handeln denke ich dagegen nicht in Form von “Willensentscheidungen” nach sondern als Summe von “Bedürfnissen und – evtl. unbewussten – Wünschen”, die in ihrer Gesamtheit meine Handlungsfreiheit einschränken und auf diese Weise oft zur Realisierung des EINEN (Bedürfnisses oder Wunsches) den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf die Realisierung ANDERER (Bedürfnisse oder Wünsche) erfordern.

    In dieser Form Alternativen abzuwägen und letztendlich eine Handlungsentscheidung zu realisieren, ist die “Freiwilligkeit”, die wiederum mein “gefühltes ICH” empfindet.

    Determinismus, wenn konsequent zu Ende gedacht, mag bedeuten, dass jedes Ereignis – bis auf die Femto-Sekunde genau, in der es geschieht – bereits in der Konfiguration des Urknalls vorgegeben war, aber dadurch materialisiert sich nicht automatisch ein Keks in meinem Mund, wenn ich Lust darauf bekomme, und deshalb verlasse ich jetzt den Schreibtisch und nehme mir einen aus der Packung … ganz allein auf Basis meines freien Willens (sic!).

  152. @Balanus
    “Der Mensch agiert genau wie ein Hund aus sich heraus, eben selbstbestimmt, aber der Mensch weiß in der Regel, was er da tut. Das ist der entscheidende, strafrechtlich relevante Unterschied.”

    Der Mensch weiß in der Regel, was er da tut ? Ja – genauso, wie der Löwe weiß, dass er gerade ein Zebra und nicht einen Pavian gerissen hat,
    genauso, wie die Hyäne weiß, dass sie und ihr Rudel gerade den Geparden erfolgreich vom Gnu-Kadaver vertrieben haben ….
    Wenn der Löwe und die Hyäne sprechen könnten, sie würden Ihnen erzählen, was sie gerade getan haben, denn das “Wissen darüber, was geschah”, ist nicht das Problem.

    Ihr Satz “Der Mensch agiert genau wie ein Hund (…) eben selbstbestimmt, aber der Mensch weiß in der Regel, was er da tut”, zeigt, dass Sie ganze Diskussion um den freien Willen nicht wirklich verstanden haben.

  153. @sherfolder // 23. August 2017 @ 18:18

    »Der Mensch weiß in der Regel, was er da tut ? Ja – genauso, wie der Löwe weiß, dass er gerade ein Zebra und nicht einen Pavian gerissen hat,… «

    Wenn ein Mensch ohne Jagdschein während der Schonzeit ein Reh erlegen will, dann weiß er, dass er sich (doppelt) strafbar macht und schaut, dass es keiner mitkriegt.

    Der Wolf hingegen weiß nichts von Jagdscheinen und Schonzeiten.

  154. @Balanus
    Ich schrieb ja, Sie haben es nicht verstanden:
    Es spielt einfach keine Rolle, ob jemand ein Reh mit Wissen um die Schonzeit und die Jagdgesetze erlegt hat; da niemand anders konnte, als er gehandelt hat, ist dieses “Wissen”, ohne Relevanz in Bezug auf die Schuldfrage im Tier-Mensch-Vergleich. Das Ergebnis ist nämlich in allen Fällen das gleiche: die Biomaschine Wolf ist genauso wenig “schuldig” für ihre Handlungen/Tötungen wie die Biomaschine Mensch schuldig für ihre Taten i.S. der Unmöglichkeit eines Anders-Handeln-Könnens ist.

  155. @sherfolder

    Ok, nächster Versuch, Libet-Experimente:

    Bei Experimenten dieses Typs gehen die Versuchsleiter immer davon aus, dass die Versuchspersonen selbstbestimmt den rechten oder linken Knopf drücken können.

    Sie werden jetzt vermutlich so etwas sagen wie: die Person kann gar nicht zwischen rechts und links wählen, oder: dass einmal rechts und einmal links gedrückt wird, ist nicht das Ergebnis eines Entscheidungsprozesses, sondern steht von vorneherein fest, oder sowas in der Art.

    Aber das ist alles Unsinn, denn der Proband entscheidet, welcher Knopf als nächstes gedrückt wird, und niemand anderes. Man kann auch sagen, das Gehirn des Probanden entscheidet, oder: die deterministischen Hirnprozesse führen zu einem bestimmten motorischen Output — wie immer man es auch formulieren mag, es braucht keinen „freien“ Willen, um selbstbestimmt handeln zu können.

  156. @sherfolder // Nachtrag

    Fast vergessen: Wenn man nun statt eines menschlichen Probanden ein Versuchstier nimmt, sagen wir einen Hund oder Makaken, dann wird man schnell merken, wie wichtig die bei Mensch und Tier unterschiedliche Fähigkeit zur neuronalen Informationsverarbeitung für den Verlauf der Experimente vom Typ Libet ist.

    Dieser Unterschied ist auch für die strafrechtliche Bewertung eines ansonsten vergleichbaren Verhaltens bei Mensch und Tier relevant—und das, ohne einen „freien“ Willen postulieren zu müssen.

  157. @Balanus
    Selbstbestimmt handeln können” – Sie verwenden hier eine Formulierung in einer Weise, welche vollkommen im Widerspruch zu ihrer üblichen Verwendung steht.

    Wenn Sie weiter oben davon schreiben “Der Mensch agiert genau wie ein Hund aus sich heraus, eben selbstbestimmt,” , dann führen Sie die Verwendung des Begriffes “selbstbestimmt” geradezu ad absurdum.
    Nirgendwo werden Sie eine Beschreibung tierischen Verhaltens finden, in welcher von einem “selbstbestimmten Handeln eines Tieres” die Rede wäre.

    Zur “Selbstbestimmung” aus dem Duden: ” (Philosophie) Unabhängigkeit des Individuums von eigenen Trieben, Begierden u. Ä.”

    Der Begriff wird par excellence zur Abgrenzung des Menschen gegenüber Tieren verwendet.
    Sie aber benutzen “selbstbestimmt” in einem völlig sinnwidrigen Zusammenhang, (aka deterministische Hirnprozesse bei Mensch und Tier) –
    ein klassischer Fall davon, wie begriffliche Verwirrung zu unlogischen Aussagen führt.

  158. @sherfolder

    »Zur “Selbstbestimmung” aus dem Duden: ” (Philosophie) Unabhängigkeit des Individuums von eigenen Trieben, Begierden u. Ä.” «

    Oh, sorry, das habe ich übersehen, dass man den Begriff „Selbstbestimmung“ auch so verstehen kann.

    Ich hatte eine etwas andere Definition im Sinn, die von Google gelieferte kommt ganz gut hin:

    „der Umstand, dass jmd. unabhängig ist und seine eigenen Angelegenheiten selbst vertritt und regelt.“

    .
    Ich meinte mit ‚Selbstbestimmung‘ eigentlich nur das Gegenteil von Fremdbestimmung. Die eigenen Triebe und Begierden (Absichten, Wünsche) gehören klarerweise zum Selbst. Sonst würde man ja eine Art Dualismus vertreten (ist wohl der Fall bei der von Ihnen zitierten Duden-Definition).

    Wenn es stimmt, was Sie da schreiben, dass der Begriff „par excellence zur Abgrenzung des Menschen gegenüber Tieren verwendet“ wird, dann kann es sich hierbei auch nur um ein dualistisches Verständnis von Gehirn und Geist handeln, wo eben das Selbst abgetrennt ist vom den physischen Trieben und Begierden.

    Ich gebe zu, das mag alles etwas verwirrend sein, aber ich schreibe hier aus einer monistischen Position heraus und ging davon aus, dass auch Sie mit dualistischen Ideen nichts am Hut haben.

  159. @Joker;
    Ein strikter Determinismus ist in sich unlogisch. Es gibt nur einen scheinbaren Determinismus in unserer makroskopischen, zeitlich begrenzten Welt. Wir beobachten nicht die Welt-an-sich, sondern nur wahrnehmbare Phänomene. Naturgesetze sind bereits menschbestimmte Aggregationen, Approximationen und Idealisierungen spezifischer Ausschnitte des Weltgeschehens. Der Maßstab dafür ist nicht die Wahrheit, sondern die Reproduzierbarkeit von Beobachtungsdaten, die Zuverlässigkeit und Nützlichkeit (z.B. Vorhersagen).

    Tatsachen sind bereits “kleine Theorien”. N.Goodman: Weisen der Welterzeugung.

  160. @ sherfolder

    “die Feststellung des Fehlens oder aber einer “besonderen Schwere” der Schuld”…

    … wird anhand von empirischen Befunden getroffen, z.B. Indizien.

    “Warum aber soll der mit “Heimtücke” vorgehende Täter als “schuldiger” gelten, wenn er doch gleich dem anderen Täter gar nicht anders handeln konnte?”

    Weder Fatalismus noch Konsequentialismus sind überzeugende Positionen. Da erscheint es naheliegend, die Entstehungsgeschichte des Willens zur Be- bzw. Verurteilung von Taten mit heranzuziehen, u.a. auch die Motive.

    Inwiefern kann man aus einer metaphysischen Überzeugung, die Welt verlaufe deterministisch oder indeterministisch, Argumente für die ein oder andere Ethik gewinnen oder für das ein oder andere Strafrecht?

    Halten Sie Motive für metaphysisch und wollen Sie diese generell aus Beurteilungen eliminieren, oder nur bei Straftaten?

  161. @ anton reutlinger

    “Ein strikter Determinismus ist in sich unlogisch.”

    Inwiefern?

    “[…]”

    Falls der Rest Ihres Kommentars den ersten Satz logisch untermauern soll, so fürchte ich, haben wir schon divergierende Ansichten zu dem, was logisch ist.

  162. @Joker;
    Ein strikter Determinismus kann nicht den radioaktiven Zerfall, die Quantenfluktuation, die Unbestimmtheitsrelation oder die Hawkingstrahlung erklären. Ein strikter Determinismus steht im Widerspruch zur Diskretheit der Welt (Energie) sowie zum Prinzip der Entropie. Ein strikter Determinismus würde die Endlichkeit oder Begrenztheit von Raum und Zeit voraussetzen. Jede Variable, die nicht eindeutig belegt werden kann, würde den Determinismus untergraben.

    Ein schwacher Determinismus innerhalb eines abgegrenzten Systems, mit Abstraktion und Approximation, ist nicht ausgeschlossen, sondern ist selber sogar Voraussetzung für den Erfolg der Naturwissenschaft. Dabei muss sich die Wissenschaft aus praktischen Gründen oftmals mit Statistik und Wahrscheinlichkeiten begnügen!

    Indeterminismus darf nicht mit Akausalität und nicht mit Zufälligkeit verwechselt werden.

  163. @ anton reutlinger

    “Ein strikter Determinismus kann nicht […] erklären.”

    Der Determinismus hat gar nicht den Anspruch, irgendetwas erklären zu wollen. Man könnte höchstens sagen, er stellt einen Rahmen zur Verfügung, in dem Erklärungen möglich sind. Daher kann man aus dem Determinismus alleine auch gar nichts erschließen – schon gar nicht Richtlinien für das Strafrecht. (Immerhin tut er aber auch nicht weh.)

    Ein strikter Determinismus steht nicht im Widerspruch zum radioaktiven Zerfall, der Quantenfluktuation, der Unbestimmtheitsrelation oder der Hawkingstrahlung. Ein strikter Determinismus steht schon gar nicht im Widerspruch zur Diskretheit der Welt (Energie) sowie zum Prinzip der Entropie. Ein strikter Determinismus würde keineswegs die Endlichkeit oder Begrenztheit von Raum und Zeit voraussetzen. Keine Variable, die nicht eindeutig belegt werden kann, würde den Determinismus untergraben.

    Der strikte Determinismus ist keine wissenschaftliche, sondern eine nicht falsifizierbare Hypothese.

    Umso lustiger, dass Sie manchmal versuchen, ihn mit empirischen Aussagen zu widerlegen, mit einer Art von Gottesbeweis für den Indeterminismus. Dabei verwechseln Sie anscheinend die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit mit den Grenzen der Welt. Ich fürchte, ob hinter der Grenze unserer Erkenntnisfähigkeit der Indeterminismus, ein Gott (oder mehrere Götter), der Determinismus oder was auch immer regiert, werden wir nicht klären können.

    Sie sollten “auch Ihre eigene Theorie als bloß eine weitere im Meer der Theorien behandeln können.” (@fegalo)

    Schönen Sonntag. Fürchtet Euch nicht.

  164. @ anton reutlinger

    “Können Sie Ihre kategorischen Behauptungen irgendwie begründen?”

    Ich hoffte, das müsse ich nicht, taten sie es doch bei Ihren Behauptungen auch nicht und meinte ich doch, meine Behauptungen seien evident. Wie könnte zum Beispiel der Determinismus der Unbestimmtheitsrelation widersprechen?

    Logisch könnte man eine andere meiner Behauptungen z.B. folgendermaßen ableiten:

    P1.1: Jenseits der Unbestimmtheitsrelation ist für uns kein Wissen möglich.
    P1.2: Wo wir kein Wissen erlangen können, können wir nichts falsifizieren.
    ——————————————————————
    K1.1: Jenseits der Unbestimmtheitsrelation können wir nichts falsifizieren.
    P1.3: Die Determinismus-Hypothese bezieht sich auf Bereiche jenseits der Unbestimmtheitsrelation.
    —————————————————————–
    K1.2: Die Determinismus-Hypothese kann nicht falsifiziert werden.
    P1.4: Was nicht falsifiziert werden kann, steht in keinem Widerspruch zu empirischen Erkenntnissen.
    —————————————————————–
    K1.3: Die Determinismus-Hypothese steht in keinem Widerspruch zu empirischen Erkenntnissen.
    P1.5: Radioaktiver Zerfall ist eine empirische Erkenntnis.
    —————————————————————–
    K1.4: Die Determinismus-Hypothese steht in keinem Widerspruch zum radioaktiven Zerfall.

    Falls Sie sich doch noch der Mühe unterziehen, Ihre kategorischen Behauptungen irgendwie begründen zu wollen, so wäre ich eventuell bereit, Sie auf logische Fehler, begriffliche Schwächen oder andere Inkonsistenzen in Ihren Begründungen aufmerksam zu machen.

    Insbesondere wäre ich noch an einer Deduktion ihrer Behauptung interessiert, “Ein strikter Determinismus ist in sich unlogisch.”

    P0.0: Alles, was der Fall ist, verläuft deterministisch.
    P0.1: Radioaktiver Zerfall ist der Fall.
    ———————————————————–
    K0.1: Radioaktiver Zerfall verläuft deterministisch.

    Was daran ist in sich unlogisch?

  165. @Joker;
    Ihre Vorstellung von Determinismus ist mir schleierhaft. Es gibt in der Welt Bereiche des Determinismus und Bereiche des Indeterminismus. Die Grundsatzdebatte um Determinismus ist für die Willensfreiheit daher rein hypothetisch und praktisch obsolet. Der Mensch kann nur einen winzigen Ausschnitt der Welt überblicken, daher liegt der Indeterminismus für ihn im Mangel an Wissen. Jede Naturkatastrophe zeigt es in aller Deutlichkeit, so wie gerade gegenwärtig! Was nützt jede Willensfreiheit, wenn in der Praxis die Natur einen Strich durch die Rechnung macht?