Yips – Vor dem Höllentor der Entscheidung

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Machen Sie eigentlich traumhaft sicher die Big Points, wenn es wirklich darauf ankommt? Oder sind Sie Trainingsweltmeister aller Klassen? Gerade ist Phil Taylor, den sie „The Power“ nennen, wieder einmal Dart-Weltmeister geworden. Er spielt vollkommen seelenruhig und scheint absolut ausgeglichen. Der Dart fließt nur so von seiner Hand ins Bull’s Eye, aber sehr viele andere Spieler leiden unter der so genannten Dartitis. Sie können nicht loslassen.

Ja genau, sie können den Pfeil nicht loslassen! Oder sie lassen ihn nur quasi ungern los, sodass er zu tief auf der Scheibe ankommt – das Ergebnis ist eine Punktekatastrophe. Im Hirn eines Dartitis-Kranken versagt etwas. Der Wille verliert gegen die Angst. Die Angst blockiert die Hand.

Seitdem der damalige fünfmalige Dart-Weltmeister Eric Bristow von seiner Loslassschwäche berichtete und sich nach einem Leistungseinbruch unter höchster Selbstdisziplin wieder bis zur Nummer 1 hochkämpfte, ist das Phänomen weithin bekannt geworden.

Es scheint viele Spieler zu befallen, aber meist erst dann, wenn sie es zu einiger Meisterschaft gebracht haben. Fürchten sie sich vor der Entscheidung? Verkrampfen sie in Höllenqualen vor der Schwelle, die Triumph oder Versagen bedeutet?

Es gibt viele Ratschläge im Internet, wie man die Dartitis wieder loswird. Am besten ohne Druck und ohne Publikum spielen! Keine internen Leistungserwartungen mitbringen! Viel Geduld – am besten eine Meisterschaftssaison aussetzen! Wer die Dartitis besiegt, berichtet oft, dass der Sport nie wieder so schön wie früher geworden ist.

Weil mich das Thema interessiert hat, während Phil The Power Taylor gerade im Finale überlegen Weltmeister wurde, stieß ich beim Googlen auf eine andere Krankheit: sie heißt Yips und tritt beim Golfen fast nur beim Einlochen auf und soll bis zu einem Drittel der Spieler in der einen oder anderen Stärke befallen. Bernd Langer wird als berühmtes Beispiel angeführt, der 1988 am vorletzten Loch der British Open fünf Schläge für den letzten Meter zum Loch benötigte. Ratgeber über Ratgeber raten zu Entspannungsübungen, damit sich der Schläger ruhig zum Putt schwingt.

Gibt es noch mehrere solcher Verkrampfungen, die durch eine große Angst vor dem schlechten Ausgang und der Häme der Zuschauer verursacht werden? Ich schaue… Goldfieber befällt die Bogenschützen! Sie haben Schusshitze. Sie können das Ziel nicht richtig anvisieren und halten den Bogen gespannt – unter größter innerlicher Anspannung und Seelenzittern. Es ist wohl wie Lampenfieber der Schauspieler, wie die Angst vieler Manager, auf die große Bühne zu einer Rede zu gehen, wie die Angst von Politikern, im TV etwas anderes als druckreif Korrektes zu sagen.

Es gibt bei den Verkäufern die Abschlussangst – die Angst vor dem eisigen Nein des Kunden. Wir alle kennen das Gefühl vor dem Heiratsantrag, wir fragen lieber erst, wenn die Zustimmung sicher ist. Viele Verkäufer müssen unbedingt vor Jahresende noch die Unterschrift des Kunden holen und trauen sich nicht, die Gretchenfrage zu stellen. Sie eiern herum, weil ein Nein das endgültige Aus für die dicke Provision bedeuten würde (welche ja eigentlich ein Anreiz sein sollte). Dadurch machen sie den Kunden unsicher in seiner Entscheidung und verlieren den Deal.

Viele Manager können sich nicht zu einer Entscheidung durchringen, besonders nicht zu einer Innovation. Es ist nicht die „Angst, Fehler zu machen“, wie überall in geredet wird, es ist wie Yips oder „Decisionitis“!

Kleinanleger wie Investoren starren oft auf die Kurse und können sich nicht entschließen, zu kaufen oder zu verkaufen. Sie starren auf diese eine Aktie, die sie schon lange kaufen oder verkaufen wollen und tun dann täglich nichts – das ist „Stockitis“.

Kinder leiden unter Prüfungsangst bis hin zu totalen Leistungsblockaden, später haben sie Berufswahl- oder Bewerbungsangst, beim Sport gibt es Torblockaden.

Für alle Probleme gibt es Heilungschancen – über Atmungsübungen, Entspannung und Ruhe. Im Grunde aber steckt der Teufel in den zu hohen Erwartungen an uns selbst, mögen sie von den Eltern, den Chefs, der Gesellschaft, unserer Familie oder von uns höchstpersönlich stammen. Der Teufel steckt in der Kulmination. Ein einziger kurzer Moment scheint über Leben und Tod zu entscheiden. Unser Leben erscheint vor dem Elfmeter, dem Matchdart, der Investition, dem Heiratsantrag wie ein russisches Roulette.

Wenn wir jung sind, ist alles wie eine Hürde, die wir meistern werden. Später erst fühlen wir, dass wir womöglich über beängstigend weite Abgründe springen. Und da reagieren wir wie Pferde: die bocken, steigen hoch, scheuen oder gehen durch. Ich glaube, man muss ewig jung bleiben und die ganze Zeit vor Freude springen, oder? Ich will lebenslang auf hohen Mauern laufen können und nicht beim Anblick der eigenen Enkel dabei Angstkribbeln im Körper bekommen. Ich will unbekümmert siegen wollen!

Wie ich schon früher geschrieben habe: Bayern München wird immer Meister, wenn sie Spielfreude auf den Rasen mitbringen, und Schalke litt bis heute immer unter Yips. Nie wird Schalke Meister, schrieb ich, denn Schalke zerbricht regelmäßig unter den Erwartungen viel zu glühender Fans. Für dieses eine Jahr 2010 bin ich nicht mehr so sicher. Ihr Trainer Felix Magath hat absolut kein „…itis“. Schau’n mer mal, München? Und Real Madrids Mannschaft ist jetzt so irre teuer, dass sie ganz bestimmt so etwas wie Yips bekommen muss.

Auch wenn wir uns selbst und alle anderen uns mit Erwartungen belasten: Geben wir einfach unser Bestes und vergessen wir alle Erwartungen in der Aktion. Oder versuchen wir, uns an dem Gesichtsausdruck bei der Wendung „freudige Erwartung“ zu orientieren. Es ist unser Baby, das da entsteht, unser normales Baby, und das ist vollkommen gut so.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

2 Kommentare

  1. Dartitis

    Ich empfehle: Eugen Herrigel, Zen und die Kunst des Bogenschießens, da steht alles relevante dazu drin 🙂