Wie erzeuge ich Schizophrenie?

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Psychische Störungen werden ja meistens ziemlich spät diagnostiziert – wenn sie schon stark nerven. Dann überlegen alle, wie es dazu kommen konnte. Wenn sich diese Frage nicht gut beantworten lässt, muss es an einem genetischen Defekt liegen, für den niemand verantwortlich ist. Dass Störungen fast planmäßig erzeugt werden können, will niemand hören. Dabei geht es doch in der Vorstellung ganz gut, oder? Wie erzeugen wir zum Beispiel Schizophrenie?

Ich schreibe gerade noch ein bisschen Text zum Erscheinen der zweiten Auflage meines Buches Topothesie – der Mensch in artgerechter Haltung. Darin schildere ich, wie eine Mutter in einem Kind schizophrene Zustände erzeugen kann, indem sie ihm zu hohe Ziele einredet und die Zielerreichung ununterbrochen prüft und ratschlagend begleitet. Kurz geschildert geht es etwa so:

Eine Mutter liebt ihren Sohn abgöttisch. Er ist ihr Ein und Alles. Sie hält ihn für den kommenden Gott der Menschheit. Er soll ein Superstar werden. Sie weiht sich selbst und ihren Sohn diesem utopischen Ziel. Sie gibt ihrem Sohn schon von Geburt an diese Aufgabe mit. Er wird etwas sehr viel Besseres werden. Eine Nummer 1. Sie wacht argwöhnisch auf den Fortschritt und beobachtet den Sohn beständig bei allem, was er tut. Sie krittelt herum, wie er grüßt, wie er schaut, wie er lernt, wie er den Löffel hält, vor allem, mit wem er spricht und spielt. Nicht mit jedem! Nicht mit Niedrigen!

Der Sohn ist stolz, einst Superstar zu werden, fühlt sich aber durch die große Pflicht bedrückt. Die anderen Kinder leben normal, aber er geht den steilen Weg. Die Mutter ist immer da. Sie überwältigt ihn mit ständigen Signalen, wie weit er schon ist, was er falsch macht, wie er besser werden kann. Die Mutter wird ihn lieben, wenn er es geschafft hat. Sie liebt ihn vorgreifend schon jetzt, quasi auf Kredit, den er abzahlen muss.

Wenn der Sohn älter wird, sieht er, dass er zwar ein prächtiger Mensch zu werden verspricht, aber im Verhältnis zum Traum der Mutter kaum Fortschritte macht. Er ist nicht sehr viel besser als die Niedrigen um ihn herum. Er beginnt zu erschrecken. Wenn er der Mutter die Wahrheit sagt, dass er den Liebeskredit nicht zurückzahlen wird, wird es eine Katastrophe geben. Wenn er weiterhin versucht, Superstar zu werden, geht er sehenden Auges in einen sicheren Misserfolg, der ebenfalls in einer Katastrophe mit der Mutter enden wird. Er kann wählen: Sofortiger Krieg oder lange Agonie. Das Grauen angesichts dieser beiden Todesarten zerreißt ihn. Diese Zerrissenheit fühlt er am stärksten, wenn die Mutter in seiner Nähe ist. Er liebt seine Mutter, er liebt es, dass sie nahe ist. Wenn sie aber nahe ist, bekommt er Rat, wie er Superstar wird – und damit unausgesetzt indirekte Vorwürfe, dass er es bisher noch immer nicht geschafft hat. In der Gegenwart der Mutter zerreißt seine Seele – zwischen seinem Liebesbedürfnis und der Sorge der Mutter, dass er versagt. Die Mutter sagt mit jedem Satz, dass sie ihn liebt und dass sie mit ihm äußerst ungeduldig ist, weil er ihr Leben zerstört, wenn er versagt. Die Mutter ist nun immer eindringlicher. Sie klebt an ihm. Er fürchtet ihren immer wie tadelnden Blick wie einen Messerstich und will doch ihre aufmerksame Liebe so sehr.

Über die Jahre wird aus dem Knaben ein junger Kerl. Er hält es nicht mehr aus. Er beginnt, mit sich selbst zu diskutieren. Er fühlt sich permanent durch Blicke gestochen. Denn die Lehrer in der Schule sind allesamt nichts weiter als der lange Arm der Mutter. Er will Ruhe vor Blicken haben! Vor Signalen seines Versagens. Er duckt sich ab. Er ist vollkommen verheddert und gleichzeitig zerrissen. Manchmal versucht er zaghafte Wutausbrüche, aber die Mutter fängt ihn vorwurfsvoll blickend schnell wieder ein. Nie kann er klarmachen, was ihn wirklich quält. Er weiß es ja selbst nicht genau.

Was ist Schizophrenie? Gedanken und Gefühle werden als fremd und von außen gesteuert erlebt. Viele ganz zufällige Vorkommnisse werden überstark wahrgenommen und sehr oft bedrohlich interpretiert. Eigene Gedanken werden oft als Stimmen gehört. Die Umwelt des Schizophrenen nimmt ihn emotional wie reduziert oder auch ganz unangemessen wahr. Die Schizophrenie erscheint („manifestiert sich“) beim Menschen meist im Alter von 15 bis 25 Jahren und zeigt sich in beginnenden Gefühls- und Willensstörungen. Die Entstehungsursache der Schizophrenie ist noch unbekannt, auch wenn sie viele Wissenschaftler schon kennen – schreiben sie wenigstens.

Aber die geschilderte Strategie der Mutter sieht doch schon ganz passend aus? Ich will nicht sagen, dass sie die einzige Strategie ist oder eine, die immer funktioniert. Ich will nur eindringlich vor solchen Strategien warnen, die von eigenen Utopie-Syndromen ausgehen. Wer ist dann eigentlich krank? Die Mutter oder der Sohn? Wenn die Mutter mit kaltem Blut so verfährt – in der Hoffnung, es könnte ja mit dem Superstar klappen und sie reich machen – dann nur der Sohn?? Die meisten Psychotherapeuten behandeln den, der eingeliefert wird. Sie kennen natürlich auch die wahrhaft Kranken, aber die würden nur wütend, wenn man ihnen zum Kommen riete, und wechselten „den Arzt“.

Das Management einer Firma hat den Traum, sie zum führenden Weltunternehmen umzubauen. Es weiht sich selbst, die Firma und alle Mitarbeiter diesem Ziel. Sie gibt dieses Ziel den Mitarbeitern jede Sekunde mit. Sie wacht argwöhnisch auf den Fortschritt und beobachtet die Firma und alle Mitarbeiter beständig bei allem, was geschieht. Sie krittelt herum, wie Kunden gegrüßt werden, wie hoch der Einsatz ist, wer lange in Urlaub geht…

Die Mitarbeiter sind stolz, in der einst führenden Firma zu arbeiten, sie fühlen sich aber durch die große Pflicht bedrückt. Das Ziel ist groß, aber die Pein der unendlichen Überprüfungen auch. Sie könnten den Boss warnen, dass sie es nicht schaffen, das aber würde zur Katastrophe. Sie könnten einfach weiterarbeiten und nur ganz normal wie eine durchschnittliche Firma abschneiden – das würde ihnen aber nicht verziehen. Normale Leistungen werden nicht gewürdigt! Für diese Würdigung aber leben sie.

In der Nähe eines Managers zerreißt es sie. Sie wollen gewürdigt werden, bekommen aber nur Signale, wie sie besser würden, also indirekte Vorwürfe des Versagens.

Die Manager werden immer eindringlicher, je länger die Firma normal bleibt. Das wollen sie nicht! Für so kleine Ziele opfern sie sich nicht! Da fühlen die Mitarbeiter die Blicke oder Reviews des Managements wie Messerstiche und sehnen sich gleichzeitig nach Anerkennung. Sie sind ganz verheddert und zerrissen. Bei der Arbeit erscheinen ihre Gedanken oft wie von außen gesteuert. Zufällige Fluktuationen im Geschäft werden unerhört wichtig genommen, übergewichtig gefühlt und meist bedrohlich interpretiert. Die Mitarbeiter reduzieren sich emotional mehr und mehr. Das sieht das Management ganz enttäuscht als innere Kündigung und denkt über stärkere Signale nach…

Was ist hier krank oder handelt falsch? Der, der behandelt wird? Der, der andere an Utopien scheitern lässt?

Was soll ich sagen? LASSEN SIE DAS.

Oder merken Sie wenigstens, was Sie tun, wenn die von Ihnen angestrebten späteren Nummer Einsen ängstlich Ihren Blicken ausweichen. Dann muss sich später auch nichts mehr manifestieren, wovon die Entstehungsursache nicht aufgeklärt werden kann. Sie können die Mitarbeiter feuern oder die Manager wechseln, das Problem der Utopie bleibt.

Ziele muss man mit gemeinsamem Herzen stemmen.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

9 Kommentare

  1. Hört sich nach Doppelbindungstheorie an. Das Problem ist, daß die von Ihnen geschilderte Mutter ja selbst krank ist. Was hat sie krank gemacht? War sie Hausfrau und wegen mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung mit sich unzufrieden, so daß der Sohn nun als Fortsetzung ihrer selbst das erreichen soll, was ihr versagt blieb? Warum ist Anerkennung wichtig? Warum sind “Stars” wichtig? Was veranlaßt uns überhaupt, nach irgendwas zu streben, wo doch der Heimleiter schon mit dem Sabberlatz winkt, um uns gnädigst auf die Grube vorzubereiten? Ein Wille, ungebändigt und vernunftlos? Schopenhauer läßt grüßen…

  2. In der Projektion verschwinden

    Dort wo es uns an Selbstwahrnehmung fehlt, regiert die Projektion. Dann müssen uns die Anderen gnadenlos erleiden.
    In den Projektionen eines Anderen zu verschwinden, ist ein schreckliches Gefühl. Plötzlich gibt es keinen Spiegel mehr, der uns sichtbar macht… wir werden ausgelöscht und als eigene Person unsichtbar. In Beziehungen oder Freundschaften ist dann der Punkt gekommen, mich zu verabschieden – und mich wieder in Sichtbare zu bewegen.
    Wie schrecklich muss es sein, wenn man sich nicht lösen kann, weil man als Kinde einfach immer aufs Tiefste mit seinen Eltern verbunden ist?

  3. Ich finde nicht, daß die Mutter oder die Firma krank sind. Es ist normal, daß beruflich oder privat Erwartungen an einen gestellt werden, die man nicht erfüllen kann oder will. Das sind typische, alltägliche Interessenkonflikte. Man muß eben zusehen, daß man seine Interessen gut vertreten kann. Wenn ein Unternehmen nicht den Willen hat, in sinnvollen Schritten an die Spitze zu kommen, kann es im Prinzip gleich dicht machen. Hier gilt der alte Spruch “Stillstand ist Rückschritt”. Man muß stets bestrebt sein zu wachsen, zu optimieren und neue Märkte zu erschließen, sonst hat man den Kampf schon verloren. Die Einstellung, so arbeiten zu wollen “wie eine durchschnittliche Firma”, geht total an der Realität in der Industrie vorbei. Wer den Druck nicht aushält, soll halt besser im öffentlichen Dienst arbeiten…

  4. @ Markus V.

    “Es ist normal…”
    “typische, alltägliche…”
    “Man muß eben zusehen…”
    “Stillstand ist Rückschritt”
    “optimieren und neue Märkte…”
    “Wer den Druck nicht aushält, soll halt besser im öffentlichen Dienst arbeiten…”

    Man kann es aber auch anders sehen:

    “Es fiel mir auf als ich versuchte eure Spezies zu klassifizieren. Ihr seid im eigentlichen Sinne keine richtigen Säugetiere! Jedwede Art von Säugern auf diesen Planeten entwickelt instinktiv ein natürliches Gleichgewicht mit ihrer Umgebung. Ihr Menschen aber tut dies nicht! Ihr zieht in ein bestimmtes Gebiet und vermehrt euch, und vermehrt euch bis alle natürlichen Ressourcen erschöpft sind. Und der einzige Weg zu überleben ist die Ausbreitung auf ein anderes Gebiet. Es gibt noch einen Organismus auf diesen Planeten der genauso verfährt! Wissen sie welcher? Das Virus! Der Mensch ist eine Krankheit, das Geschwür dieses Planeten! Ihr seid wie die Pest!” (aus dem Film Matrix)

  5. ein echter Leckerbissen

    Hallo,
    alle Achtung meine Herren. Herr Dueck Hut ab.

    @ Hilsebein Nicht wahr aber touche! klapp,klapp

    Gruß Uwe Kauffmann

    (*Herr Dueck, was tun Sie mir an, hab eh kaum Zeit zum Lesen.*)

  6. Erfahrungen im Alltag

    Hallo! Bin gerade auf den Artikel gestoßen. Ich muss sagen, dass mit dem Zusammenhang zwischen Erwartungsdruck und Schizophrenie hat schon etwas wahres. Meine Frau ist Lehrerin und erzählt oft von Kindern, welche (über-)gefordert werden und dadurch z.B. akute Probleme, beispielsweise in der Schule, bekommen!

    • Haben diese Probleme denn etwas mit Schizophrenie zu tun? Dass man durch Stress psychische Probleme ist ja allgemein bekannt.

  7. Zwillings- und Adoptionsstudien legen nahe, dass ererbte Gene eine Person für Schizophrenie anfällig machen, und dass dann Umweltfaktoren auf diese Anfälligkeit einwirken, um die Störung auszulösen.