Was ich als Letztes will, das man mir tu, das füg ich allen andern zu

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Jajaja, man soll ja Einfühlungsvermögen haben und anderen Menschen nichts zufügen, was man selbst partout nicht mag. Zum Beispiel: Viele können es auf den Tod nicht leiden, beim Teilen die kleinere Hälfte zu bekommen. Deshalb sollten sie beim Aufteilen darauf achten, dass immer der Andere die größere Hälfte bekommt. Manche Menschen verbittern, wenn sie nicht zuerst gegrüßt werden. Ja, das ist sehr schlimm. Deshalb sollten sie von sich alle anderen zuerst grüßen, um jenen nichts Furchtbares anzutun.
Jetzt habe ich Sie natürlich mit Beispielen überfallen, in denen es keine gute Lösung für ein Dilemma gibt. Leider kommen solche Lagen ziemlich oft vor – so oft, dass das bekannte Sprichwort, das ich hier umkehre, manchmal fast wie ein Witz klingen muss. Haha, was du nicht willst, was man dir tu, das füge keinem andern zu…

Sperren Sie einmal zwei Leute zusammen, die in ihrer jeweiligen Umgebung dauernd alle mit Leidenskundgebungen nerven, sie seien am allerkränksten und am zurückgesetztesten. Die Botschaft ist: „Ich bin die Nummer 1 von hinten. Das Schicksal straft mich stets am stärksten.“ Hui, dieser Titel wird mit allen Mitteln verteidigt! „Hören Sie, über Ihre Krankheitsgeschichte kann ich ja nur lachen. Hören Sie einmal meine an…“ Nach zehn ungeduldigen Minuten: „Sie haben die Schwere meiner Leiden einfach überhört und Ihrerseits Ihre Mini-Wehwehchen hysterisch übertrieben. Ich möchte nochmals…“ Und am Schluss hassen sie sich, weil sie beide eigentlich nur nach gutmütigen Empathen suchen, die sie für kurze Zeit dominieren können. Ja, dominieren! Oft geht es im Leben um Macht!
Der Ur-Psychologe Alfred Adler verwendet in seinen Büchern eine so schöne Ausdrucksweise! Es heißt etwa so: „Der Nervöse ist ständig darauf bedacht, die Menschen seiner Umgebung in seinen Dienst zu stellen.“ Dabei würde man heute das Wort nervös durch neurotisch oder gestört ersetzen, wenn man solche Wörter überhaupt noch politisch korrekt benutzen darf.

Es gibt Beckmesser, Über-Controller, Besserwisser und Nörgler, die andere damit bekämpfen („sie in ihren Dienst stellen“), indem sie ihnen genüsslich, triumphierend, herabsetzend oder hackordnend jeden Kleinstfehler unter die Nase halten. Viele von ihnen haben es darin zur Meisterschaft gebracht, und wir anderen hüten uns in ihrer Gegenwart tatsächlich nach Kräften vor Fehlern, weil die Höchststrafe der Herablassung so sehr schmerzen würde (das ist in manchem Sinn und in gewissem Ausmaß auch eine Störung in uns selbst). Damit stehen wir in ihrem Dienst. Wenn wir nun aber unsererseits etwas an diesen Personen zu kritisieren haben und so eine Kritik auch einmal (nur einmal) vorzubringen wagen, dann gibt es einen Eklat größerer Dimension, der oft in Feindschaft endet. Merke: Man darf jemanden, der leidenschaftlich gerne kritisiert, nicht selbst tadeln. Das ist das Schlimmste, was man ihm antun kann – und das tut er nur den anderen an! Allen anderen!
Manager, die ihre Mitarbeiter anbrüllen und mit Entlassung drohen, haben an eben dieser Stelle für sich selbst eine sehr feine Wahrnehmung. Ihren Mitarbeiten sagen sie kerzengerade nüchtern ins Gesicht: „Sie sind schon seit einiger Zeit Low Performer. Sie gehören im Grunde nicht hierher. Ich nehme an, das wissen Sie schon länger selbst. Ich wundere mich, dass Sie nicht schon längst aktiv von sich aus geworden sind. Warten Sie auf eine Abfindung? Pokern Sie, dass Ihre schlechten Leistungen Ihren Preis nach oben treiben? Schämen Sie sich nicht? Was denkt denn Ihr Lebenspartner?“ Aber genau diese Problematik, einmal am Ende der Karriere zu stehen, treibt Vorgesetzte sehr stark um. Ihnen soll ja keiner sagen: „Jetzt ist das Ende der Fahnenstange für Sie erreicht.“
Menschen, die andere schlagen und erniedrigen, wollen zuletzt geschlagen und erniedrigt werden. Viele Menschen mit Helfersyndrom, die stolz sind, anderen stets zu helfen, nehmen selbst nicht gerne Hilfe an, weil sie dann ihre Hauptrolle verlieren…
Die Nervösen versuchen sich an Indienststellungstechniken, die aber niemals auf sie selbst angewandt werden dürfen – für solche Versuche haben sie den siebten Sinn. Denn sie selbst sind ja die Meister in solchen Techniken, in solchen Schlüsselstellungsvorstellungen oder meinetwegen auch schon unbewusst-automatisierten Verhaltensweisen. Meta-Diskussionen mit solchen Leuten verlaufen in aller Regel sehr unerfreulich. „Weißt du eigentlich, dass du dauernd meckerst, keine liebevollen Geschenke zu Weihnachten zu bekommen, dass du aber selbst ziemlich viel Gedankenloses schenkst?“ – „Ah! Ah! Ha! Wer denn bloß, wer denn hat sich nicht gefreut? Nenne Ross und Reiter für die angekündigte Apokalypse!“

Die Sinnorientierten unter uns predigen unverdrossen „Symmetrie“ in den Beziehungen. Das nehmen die Asymmetrischen wie eine Aufforderung wahr, endlich alle ihre Waffen abzugeben – wenn sie die Forderung nach Symmetrie überhaupt würdigen (können). In einer Welt, in der alle die Besten sein sollen, suchen sich eben viele Menschen eine Zuflucht im Leben, indem sie es schaffen, sich in irgendeiner selbsterfundenen Skala als die Besten im Spiegel zu sehen – mindestens in einem gewissen Umkreis. Wie gesagt, das könnte seelenwichtig sein – im heutigen Zeitalter des Leistungslebens. Vielleicht sogar bitter-bitter-nötig, weil das Leben viele von uns so nervös macht?
Wenn das so ist, müssen wir wohl milde sein. Wir sollten nicht am Einzelnen verzweifeln, nur am Ganzen.

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Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

5 Kommentare

  1. Mein Vater hat als Kind folgenden Witz erzählt.
    Dr Hannes und der Karle kehren nach einer Fuhre Holz ein. Sie bekommen auf einen Teller einen großen und einen kleinen Fisch. Karle, der Ältere fordert Hannes auf, sich zu bedienen. Der nimmt sich den größeren. Karle daraufhin empört: Ich an Deiner Stelle hätte den kleineren genommen.
    Hannes: Den haste ja nu au.

  2. Als Zivi habe ich in einer Verwaltung gearbeitet, in der immer der Reihe nach jeder einmal die Kaffeesahne gekauft hat. Kollegin A war mal krank, so dass Kollegin B dafür eingesprungen ist. A wollte B dann das Geld geben. B wollte das nicht annehmen. A legte es einfach hin. B trug es wieder hinterher … Das steigerte sich dann in einen ausgewachsenen Zoff.

    Seitdem nehme ich bewusst so kleine Nettigkeiten einfach an und drücke meine Freude aus. Das Gefühl, jemandem eine Freude gemacht zu haben, ist für den anderen anscheinend mehr wert als das, um was es eigentlich geht.

  3. Kleine Ergänzung hierzu:

    Menschen, die andere schlagen und erniedrigen, wollen zuletzt geschlagen und erniedrigt werden.

    Sie wollen in der Tat nicht selbst geschlagen werden, aber sie sind witzigerweise auch darin geübt einzustecken. Sie haben ein dezent formuliert grundsätzlich problematisches Verständnis von zwischenmenschlicher Kooperation. Sie meinen es oft nicht so, sie haben gelernt getreten zu werden und weiterzutreten. Dies auch angemerkt zu der kleinen Ausführung, die mit ‘Was denkt denn Ihr Lebenspartner?’ endet.

    Ansonsten ist die Regel der Art, dass das, was selbst nicht gewünscht wird zu erfahren, auch keine anderen erfahren sollen, ganz OK, wenn sie richtig verstanden wird.
    Sie konkurriert mittlerweile auch mit der sogenannten Platinum Rule, die aus verschiedenen Gründen sehr problematisch ist.

    MFG
    Dr. Webbaer

  4. “Was ich als Letztes will, das man mir tu, das füg ich allen andern zu”

    Ach, deshalb leben wir zeitgeistlich-reformistisch in Konfusion / Spaltung und Überproduktion von Kommunikationsmüll der Hierarchie von und zu materialistischer “Absicherung”, im nun “freiheitlichen” Wettbewerb um die Symptomatik von “Wer soll das bezahlen?” und “Arbeit macht frei”, in systematisch-gebildeter Suppenkaspermentalität auf stets systemrationaler Schuld- und Sündenbocksuche, im bewußtseins- und glaubensschwach-gepflegten Kreislauf des geistigen Stillstandes seit der “Vertreibung aus dem Paradies”!? 😉