Vertrauenserwerb

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Die meisten wollen Vertrauen geschenkt. Wehe nicht! "Er vertraut mir nicht, das merke ich mir." Sind Sie aber vertrauenswürdig? Was tun Sie dafür, Vertrauen zu erwerben?

Erinnern Sie sich an die Vertrauensformel?

Vertrauenswürdigkeit = (Glaubwürdigkeit plus Zuverlässigkeit plus Vertrautheit) / Selbstorientierung.

Die normale deutsche Erziehung widmet sich unter großen Mühen der Glaubwürdigkeit, der Ehrlichkeit und besonders der Zuverlässigkeit des deutschen Menschen. Alles am Kind wird zu seinem Besten geprüft, zum Beispiel: Schwindelt das Kind oder lügt es sogar? Sind seine Hausaufgaben erledigt? Hat das Kind alle Pflichten erfüllt? Wird es tugendhaft? Ist sein Verhalten normal oder „weicht es ab“? Was sagen die Lehrer und Nachbarn über das Kind? Gibt es Tadelnswertes?

Solche immerwährende Kontrolle schließt das Kind naturgemäß in sich selbst ein. Es erzählt nicht mehr alles, beginnt ein eigenes inneres Leben zu führen. „Das da drinnen geht niemand was an.“ Die fortschrittlichen behavioristischen Erziehungsmethoden sorgen sich sowieso nur um das äußerlich gezeigte „beobachtbare Verhalten“ des Kindes und manipulieren es mit Stimulus-Response-Reiz-Reaktions-Mechanismen. Reinforcements oder Verstärkungen durch Belohnungen und Lob bestimmen das Feld. „Aus dir wird ein ganz Großer, das sehe ich schon daran, wie schön gleichmäßig du den Rasen gemäht hast, wozu ich normal keine Lust habe!“

Das da drinnen aber verbirgt sich aus Angst vor Kontrolle und Normalitätsrasenmäherei. Das Kind liebt und hasst aus Angst vor Kontrolle ganz heimlich und bildet verstohlen eine eigene Seele aus. Die Kontrolleure aber, die dieses Verbergen erst durch invasive Kontrolle erzeugen, lesen lieber ein Buch über Trotzphasen, Pubertätsstörungen oder Identitätskrisen und fordern das Kind auf, doch weiter den Eltern alles anzuvertrauen, damit die Kontrolle weiter zu ihrem Besten reibungslos weitergeführt werden kann. Das Kind aber lernt spätestens in der Pubertät, sich von den Kontrolleuren zu distanzieren. Erst stirbt die Vertrautheit mit den Eltern und später sagt immer etwas in ihm: „Still! Der Chef kommt!“

Was ich sagen will: Das Kontrollsystem der Erziehung und später des Managements opfert die Vertrautheit auf dem Altar der Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und der Aberziehung der Ego-Orientierung. Zusätzlich wird die Lage in den letzten Dekaden noch komplexer oder scheinheiliger, weil die Systeme auffordern, zwar nie offen egoistisch zu sein, aber wenigstens unbedingt erfolgreich, egal wie. Alles also, was man von Menschen explizit will und zur Sicherheit kontrolliert, verdrängt und verjagt das Vertraute in den engsten Freundeskreis oder die Ehe.

Nun bemerken wir, dass wir vertrauensvolle Teamarbeit brauchen. Nun bemerken wir, dass uns unsere Kunden ihre Wünsche anvertrauen müssen, damit wir besten Service leisten. Dass wir so gerne einen vertrauten Umgang mit unserem Chef hätten! Aber leider sind wir nicht mehr vertraut, sondern durch unsere Kontrollinstanzen distanziert.

Gibt es noch Vertrautheit? Ja, aber wir müssen sie neu erwerben, also die Distanz zwischen uns senken. „Wie geschieht das denn?“, fragten mich Leser nach meinen letzten Beiträgen.
Ich glaube – es geschieht wie beim Verlieben, oder? Das Umwerben eines Partners hat viel mit der Gewinnung von Vertrautheit zu tun. Wir müssen die Distanz senken. Und das tut weh! Schüchterne Menschen brechen fast seelisch zusammen, eine Frage wie „Hast du einen Freund?“ zu stellen. Als ich klein war, wurde man wütend über Ehefrauen, die keinen Ring trugen. „Man muss doch von außen sehen, ob sie vergeben ist oder nicht, verdammt!“ So verklemmt und distanziert waren sie, die Deutschen. Und sie sind es noch. Wer sich um Senkung der Distanz bemüht, muss erst ein Stück des eigenen Zauns abbauen. „Wollen wir du sagen / tanzen / essen gehen?“ Und dann kommt die Vernichtung. „Nein.“ Oder eine Distanzlockerung von der anderen Seite. „Nächsten Monat vielleicht?“ Zug um Zug wird die Distanz gesenkt. Irgendwann an der Grenze gibt es Abweisungen, die vielen von uns so irrsinnig wehtun. So sehr, dass viele sich nie um Vertrautheit bemühen. „Warum soll ich mich kränken lassen!“ Und dann sind wir Schüchternen so neidisch auf „Plumpe“, die es einfach mit Anbaggern versuchen.

Es ist im Prinzip ganz leicht, die Distanzen abzubauen! Zug um Zug. Wie bei der Partnerwerbung!

Aber den meisten tut es zu weh, weil es Abweisungen hagelt, die in aller Regel zu persönlich genommen werden. „Mein eigen Kind sagt, das gehe mich nichts an!“ Abweisungen zeigen nur die Grenze, mehr nicht. Wenn Sie zu viele Abweisungen fürchten müssen, könnten Sie sich fragen, woher die kommen. Ich glaube, Sie sind dann eine Art Chef, bei dessen Erscheinen die Menschen verstummen. „Still, Mutter kommt!“ Sie könnten ein Exekutionssüchtiger sein, der auf Distanzverringerungen mit Ratschlägen und Lösungen reagiert. „Mama, ich habe Liebeskummer …“ – „Das denke ich mir. Du hörst nicht. Du musst ein Deo benutzen und die Haare schneiden. So würde ich dich auch nicht wollen.“ Wenn Sie nicht exekutionssüchtig sind, könnten sie schüchtern sein oder eine ganz verletzliche empfindliche Seele besitzen, der bei Abweisungen so sehr das Herz bricht, dass Ihre Seele lieber allein bleibt als in rauem Klima leben wollte.

So verteilen die Exekutionssüchtigen distanzlose Ratschläge oder nehmen plump Vertrauen als gegeben an. („Heute habe ich keine Krawatte an, wir trinken Brüderschaft. Ich habe mein Team lieb. Ich bin ein Mensch. Es ist nur meine Rolle, die Hälfte von euch nächsten Monat zu feuern. Das bin nicht ich.“ – „Ihr Kinder könnt mir alles sagen. Ich bin euer Freund. Habt ihr Sex-Videos? Nehmt ihr Drogen?“) In solchem Klima verpanzern sich empfindliche Seelen in depressive Diaspora oder setzen sich vor Computerspiele.

Ich glaube, wir verstehen die Zerstörungen unseres Kontrollwahns nicht. Wie heißt es so schön? „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Die beiden, Kontrolle und Vertrautheit – sie beißen sich. Sie können nicht beides haben. Wer Kontrollen unentwegt verstärkt, schafft Polizeistaatklima und äußerste Distanz. Wer Vertrautheit will, muss die Kontrolle und damit dann die Distanz senken. Wer Vertrautheit will, muss sich das Wertende, Urteilende, Lösende abgewöhnen und akzeptieren. Und die, die zu weich sind, müssen auch das Harte irgendwie lieben können. Und alle sollten alle Grenzen kennen und wissen, welche aufweichbar sind und wie viel Geduld das braucht. Und schließlich sollten wir wissen, dass Vertrauen doch besser ist als Kontrolle – egal was durch Kontrolle Heruntergedimmte dazu sagen.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

1 Kommentar

  1. Meine Grenzen , Deine Verrücktheit

    wenn es so heißt, wenn die eigenen Überempfindlichkeiten ernst genommen werden, aber die des Gegenübers nicht, dann kann Vertrauen wohl nie sprießen. Wollen wir füreinander achtsam sein? Wollen wir zuhören? Wollen wir uns hingeben, einmal die rosarote Brille der Liebe aufsetzen? Dueck schreibt bestechend einfach, aber wahr: “Vertrautheit erlangen geschieht wie beim Verliebt sein…” Frankl sagte den schönen Satz: Liebe macht nicht blind, sie macht erst sehend!
    Oh ja, ich glaube das ganz fest! Beherzige ich es immer? Bei weitem nein! Doch ich will so gerne sehend werden! Offen bin ich denke ich schon. Für die Meisten zu offen, das verletzt auch Grenzen. Ich will sanft voran gehen, ich will geduldig sein, ich will sehend werden. Nicht aus Angst verletzt zu werden kontrollieren. Klar werde ich verletzt. Doch wenn ich mich vielen Menschen gegenüber öffne, ihnen Freundschaft anbiete, dann werden einige darauf eingehen. Der Rest, das sind kleine Blechschäden, die nichts mit meinem Selbstwert zu tun haben.
    Im Grunde kann mich keiner mehr kontrollieren, wie in meiner Kindheit. Es gibt keinen Blick mehr auf die Uhr, ob ich zu dem nicht gewollten Zeitpunkt auch wieder daheim bin. Im Grunde stimme ich nur noch Dingen zu, die ich will, oder die ich tun muss, um ein größeres Ziel zu erreichen, das ich will!
    Und ich will sehend werden!

    Sehr schön hat Herr Dueck das dargestellt! Wundervoll dieses wichtige Thema, an dem Hingabe und die Bereitschaft Herzblut zu vergießen hängt, das uns so viel Kraft schenken kann, aber auch so viel Energie ins Dunkle verkehren kann uns schrittweise näher gebracht!

    Ich möchte vertrauen!