Psychozid oder die Kränkungen rund um Bewerbungen

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Absagen schmerzen ungemein. Das weiß jeder, aber warum nimmt man so wenig Rücksicht auf die drohenden Seelenverletzungen? Warum verletzt man in Bewerbungsgesprächen fast noch absichtlich und begeht damit einen Psychozid (bewusst schadende psychologische Einflussnahme), um mehr aus dem Bewerber herauszubekommen?

Ich habe viele Jahre in der Bundesjury der Studienstiftung des deutschen Volkes mitgewirkt. Ich habe außerdem selbst Assessments und langwierige Ernennungsprozeduren als Bewerber hinter mir, da waren auch herbe Enttäuschungen dabei, sage ich Ihnen! Viele andere Manageranwärter und Begabtenstiftungsanwärter haben mir Feedback gegeben, wie sie sich nach Absagen fühlen. Ich habe oft Studenten getröstet, die einfach vollkommen verzweifelten (meist habe ich ihnen dann mit einer Kritik Ihrer Unterlagen helfen können).

Im letzten Monat geschah in meiner Umgebung zweimal dies: Eine Frau (in beiden Fällen) gefiel dem neuen Arbeitgeber offenbar ganz gut, es deutete sich eine Einstellung an. Daraufhin gab es noch ein letztes entscheidendes Gespräch mit einem Höhergestellten. Der lehnte lässig im dunklen Anzug fast liegend im Ledersessel zurück, kaute ein bisschen an der Brille und stellte Fragen der Art: „Na, Sie wollen hier arbeiten? Was qualifiziert Sie denn Ihrer Meinung nach dazu besonders? Verstehen Sie eigentlich, dass wir mit Ihnen ein ganz schönes Risiko eingehen? Sie wissen, dass Sie unser Vertrauen rechtfertigen müssen, wenn wir in Sie investieren? Warum meinen Sie, die beste aller Bewerberinnen zu sein?“
Beide Frauen fühlten sich so sehr erniedrigt, dass sie glatt und entschieden absagten. Sie waren hochempört. Ich versuchte, ihnen zu sagen, dass da ein Boss den Willkommensgruß mit einem Stressinterview verwechselt haben könnte. Damit sei er nicht entschuldigt, aber die Situation sei vielleicht besser erklärt. „Nein, Arroganz ist es! Nie werde ich in der Nähe eines solchen A….loches arbeiten!“

Viele Personalgespräche haben Stressinterviewelemente. Drei wichtig dreinblickende Personen mit Notizblöcken prüfen biertiefernst, sie starren auf den Bewerber, lassen lange Pausen, um ihn zu zermürben. Dann kommen wieder schnelle Fragen im Stakkato. Persönliche Fragen können darunter sein, ganz unverschämte oder solche, die in Verlegenheit bringen. „Wie viele Kinder wünschen Sie sich? Wann denn? Sie müssen das nicht beantworten. Sie können einfach sagen, dass Sie sich dazu nicht äußern. Wir nehmen das hin.“ – „Was war im letzten Monat Ihr größter Erfolg, und warum glauben Sie, dass das so toll war?“ – „Haben Sie sich auf andere Stellen beworben? Auf wie viele?“ – „Wenn wir Ihnen befehlen, eine für Sie niedrige Arbeit auszuführen, wie reagieren Sie?“ – „Als Manager müssen Sie bereit sein, jede beliebige (unangenehme) Position auszufüllen, die wir Ihnen geben, egal welche! Führungskräfte zucken nicht zurück. Niemals. Sind Sie bereit?“

Uiih, die letztere Frage ist mir einmal gestellt worden. Ich sagte tapfer, dass ich ganz sicher nur Positionen ausfüllen würde, die ich mit Begeisterung annehmen könnte. Und ich betonte, dass ich wüsste, dass ich jetzt vielleicht gleich gehen müsste, aber ich hätte dazu meine eigene Meinung. Ich könnte ja gegebenenfalls meinen Managerstatus wieder aufgeben oder auch kündigen. Das gab eine lebhafte Diskussion rund um Loyalität und Disziplin! Ich blieb standhaft… Aber danach war ich total erschöpft, sehr irritiert und auch gekränkt. Immerhin bin ich nach dem Stressinterview zu einem Assessment geschickt worden, das war dann noch viel härter zu ertragen – auch das habe ich bestanden, aber im Innern habe ich mich lange danach seelisch gekrümmt. Nur ein Bruchteil der Leute in einem solchen Stress-Assessment wird eingestellt oder zum Manager befördert, die anderen gehen seelisch lange am Stock. Ich kenne viele schwach gebrochene Seelen, die etwa das Stipendium nicht bekamen und von seltsamen unfairen Fragen der Interviewer berichten. Ich kenne viele Managementaspiranten, die mit der Ablehnung nicht fertig werden konnten.
Ich war in so vielen Jurys! Ich habe dabei das Gefühl, dass die Entscheidungen an sich in der Regel gut waren. Die Entscheidungen waren nicht ungerecht – gar nicht! Aber die Abgelehnten, oft auch die Akzeptierten bekommen einen Seelenschaden durch die Art ihrer Behandlung.

Die Abgelehnten quälen sich nach der Absage so: „Ich bin froh, dass ich nicht in diesem arroganten Sch…verein bin.“ – „Ich ärgere mich überhaupt nicht. Ganz und gar nicht. Ich will mich nicht ärgern, das sage ich mir so oft. Ich hätte da nicht hingepasst.“ – „Seitdem hasse ich die Manager. Alle. Weil ich nicht dazugehören darf.“ – „Sie waren alle gegen mich. Sie mochten mich nicht.“ – „Die Begründungen für die Ablehnung waren lächerlich und beleidigend, ich frage mich, warum Sie mich überhaupt durchgemangelt haben.“

Bei Beförderungen, Assessments, Stipendien oder dergleichen sind so über den Daumen ein Drittel der Bewerber erfolgreich. Und ich rechne nach: Man schickt drei Prozent der besten Studenten oder vielleicht zwanzig Prozent der besten Mitarbeiter zu solchen Prozeduren – und anschließend haben zwei Drittel der Allerbesten dann so erhebliches Seelenweh, dass sie die innere Bindung zu ihrer Organisation verlieren und immer wieder „hier möchte ich nicht mehr sein“ denken? Können wir es uns als Gemeinschaft leisten, zwei Drittel der jeweils Besten durch ein zu hartes Verfahren seelisch teilzuvernichten?
Man kümmert sich viel zu wenig oder gar nicht um Abgelehnte – die waren eben nicht gut genug! Ich kenne die Argumente: „Wir haben nur zwei Stunden Zeit, da müssen wir alles aus dem Bewerber herauskitzeln. So eine Lebensstelle ist ein Investment von mehreren hunderttausend Euro. Da müssen wir schon hart nachfragen.“ Ich wundere mich… bei Investitionen nahe der Millionengrenze will man mit einem zweistündigen Interview auskommen? Wo doch sonst ebenso lange über eine Taxirechnung gezetert wird? Andere Personaler sagen: „Das harte Anfassen ist doch nicht persönlich gemeint. Es muss auch dem Bewerber klar sein, dass es Teil eines Spiels ist.“ Der Personaler spielt aber nur mit dem Bewerber, aber der um sein Leben! Und es gehört zum Spiel eisern dazu, dass der Bewerber jeden Dreck schlucken und heiter-gelassen-souverän „spielen“ muss. Der Bewerber, so raten Personaler, soll unbedingt authentisch sein – der Personaler aber darf manipulieren und aus einer Machtposition heraus schalten und walten, wie er will. Ach Leute, das ist kein Spiel und sicher kein faires. Die Spielregeln harten Anfassens lassen uns fast zwingend unter Arroganzeindrücken aufheulen. Und last, but not least, ist das ganze Spiel wieder eines, bei dem Frauen mehr zu leiden haben als Männer – glaube ich wenigstens.

Können wir es uns leisten, immerfort zu kränken und tief zu irritieren, bloß weil wir „nur zwei Stunden für den Bewerber Zeit haben wollen“? Wird überhaupt verstanden, was in den Seelen geschieht? Sollten die Personaler und Prüfer nicht irgendwie emotional intelligent sein müssen? Warum können wir uns nicht zu Begründungen der Absagen verpflichten, die die Abgelehnten als halbwegs fair und verständlich akzeptieren können – sodass sie noch genauso hart sind, aber nicht seelisch versenken? Können wir Absagen nicht auch zu einem Moment konstruktiven Feedbacks und neuen Aufbruchs machen?

***

(Anmerkung: Es ist ja nicht überall so hart, ich weiß. Es gibt auch viele nette Personaler. Und es ist schwer, jemanden abzulehnen, das gibt oft Eruptionen! Das kenne ich, ich habe mich immer bemüht, meine Absagen so nett es geht zu begründen – aber dann drohen oft wieder „juristische Schritte“ und dergleichen… Es ist das eine oder andere Mal eine Beschwerde gefolgt, weil ich meine Ablehnung begründet hatte (die Briefe kamen von Eltern oder Professoren). Das alles ist nicht so einfach! Aber alles in allem ist da im Durchschnitt ein Missstand, eine Misswirtschaft mit dem Seelischen. Ich glaube, diese Misswirtschaft ist schlimmer als alles rund um Burnout etc., deshalb hier mein Protest!)

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

20 Kommentare

  1. Absagen bei Bewerbungsgesprächen

    Eine gewisse Härte bei den Gesprächen oben genannter Art muss nicht schlecht sein, ein Vorstellungsgespräch ist ja immer auch eine Art Verkaufsgespräch.

    Können wir Absagen nicht auch zu einem Moment konstruktiven Feedbacks und neuen Aufbruchs machen?

    Die Absagen werden ja leider zunehmend qua Rechtslage “freundlicher” und nichtssagender; zumindest im Schriftlichen.

    Zudem: Ein Sich-Bewerbender sollte nicht unter Druck stehen den Vertrag unbedingt abschließen zu wollen und Einblicke in die Freundlichkeit oder Unfreundlichkeit des potentiellen Arbeitgebers können sehr hilfreich für den Bewerber sein.

    Es ist also auch gut, wenn potentielle Arbeitgeber ihrer (Firmen-)Kultur entsprechend auftreten.

    MFG
    Dr. W

  2. Non-vanishing commutator

    Gunter Dueck schrieb (22. November 2012, 21:47):
    > […] Können wir es uns leisten, immerfort zu kränken und tief zu irritieren […]?
    > […] Aber alles in allem ist da im Durchschnitt ein Missstand, eine Misswirtschaft mit dem Seelischen.

    Irritierend genug, wenn sich Leute in Machtpositionen (als Personaler, in Juries, als SciLogs-Autor …) selbstkritisch und gefühlsduselig geben.
    Macht es einem als Ohnmächtigen fast unmöglich, sich vom jeweiligen “arroganten Sch…verein” ganz zu entbinden.

  3. Dissonanzreduktion

    Bei der Interpretation der hypothetisch angenommenen externen Realität gibt es zwei Mechanismen die ein Individuum leiten.
    1.) Versucht der Mensch realistisch zu sein. Hätten unsere Vorfahren zum Beispiel ein falsches Konstrukt eines Astes nachdem sie griffen, dann gebe es die Spezies Homo sapiens nicht.
    2.) Die zweite Triebkraft, die bei der Interpretation der externen Realität wirkt, ist die des Selbstwertgefühls.
    Zuweilen können diese beiden Mechanismen in unterschiedliche Richtungen ziehen. Wenn ich auf etwas in meiner Umgebung stoße, sagen wir eine Bewertung über meine Fähigkeiten als Arbeitskraft und diese negativ ausfällt, dann werden sehr viele Leute ein Verhalten zeigen, dass eher dem psychologischen Phänomen der Dissonanz entgegenwirkt, als etwa die Kritik realistisch zu sehen.

  4. Ein super Inhalt

    Sehr geehrter Herr Dueck,

    ganz herzlichen Dank für diese herzlich-intelligenten Überlegungen in Ihrem Artikel “Psychozid oder die Kränkungen rund um Bewerbungen”!

    Dem ist – zumindest von meiner Seite – nichts hinzu zu fügen.

    Liebe Grüße
    Lisa Becker-Schmollmann

  5. Psychozid

    … scheint Dueckscher Eigenbau zu sein und man könnte versucht sein mit ‘Seelenmord’ zu übersetzen.

    Wichtig also in jedem Fall – um im Bild zu bleiben – mit geschützter Seele an derartigen Gesprächen teilzunehmen. Auch wenn es oft um einiges geht, ist ein derartiges Gespräch nur eine Chance, die verpasst werden darf.

    Insgesamt vielleicht ein wenig mehr Wally sein!

    MFG
    Dr. W

  6. Vielleicht

    etwas intelligenter sein, Herr Strafgesetzverweigerer “Dr” Webbär.

    Ihre Polemiken sind an geistiger Flatulenz nicht zu überbieten, meinen Glückwunsch.

    Allerdings sind Ihre Flatulenzen olfaktorisch zu sehr wahrnehmbar, also mäßigen Sie sich.

  7. Feuilleton-Niveau

    Zweifellos ein lesens- und bedenkenswerter außergewöhnlicher Blogbeitrag, der Feuilleton-Niveau in einer etablierten Tageszeitung hat oder gar übersteigt.

  8. Arbeitswahn

    Dahinter steht letzlich unsere Einstellung zur Arbeit insgesamt.
    Gerade in Deutschland identifizieren sich viel zu viele Menschen direkt über die Arbeit , sie halten ihr Ich und ihren Job für beinahe identisch, bis weit hinein in den Niedriglohnsektor.

    Das führt – gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit -zwangsläufig dazu , daß Arbeitgeber sich immer mehr herausnehmen können .
    Schuld daran sind einerseits die Arbeitgeber mit dem Glauben an ein vermeintliches Recht auf Herunterdrücken des Arbeitsnehmers .

    Auf der anderen Seite und nicht zuletzt sind es aber die Arbeitnehmer selber , weil sie sich eben brav alles bieten lassen – man könnte so einer anmaßenden Flachpfeiffe ja auch mal den Schreibtisch abräumen oder ihm ein wenig die Möbel gerade ziehen.

    Warum bitte , braucht es ein Assessement für eine Einstellung?
    Es ist einem Personalchef ohne weiteres zuzumuten , mit Menschenkenntnis zu erfassen , ob jemand passt oder nicht.

    Reiner Machtmißbracuh , das Ganze , und gerade wir Deutschen werden besonders schmerzhaft lernen müssen , daß die Zukunft nicht im pietistischen Arbeitswahn liegen kann.

  9. nur ein paar Überlegungen

    Sinnvolle Begründungen für Ablehnungen wären in der Tat wünschenswert – nicht nur bei Stellen, sondern ganz besonders bei Stipendien. Denn wenn man nicht weiß, weshalb man nicht angenommen wurde, dann war der ganze Aufwand nur Zeit- und Energieverschwendung, weil man nichts daraus lernen kann. Oder für den Lerneffekt auf Vermutungen angewiesen ist.

    Ich kann mir vorstellen, daß Firmen und Stipendiengeber den Aufwand scheuen, den eine solche Begründung mit sich bringen kann, weil der Abgelehnte dann möglicherweise Anhaltspunkte dafür hat, gegen die Entscheidung zu protestieren. Aber kann man nicht erwarten, daß es für eine Ablehnung zumindest auch nachvollziehbare sachliche Gründe gibt (ich weiß, daß manchmal einfach “die Chemie nicht stimmt”, aber vielleicht ist ja auch das bei näherer Betrachtung ein akzeptabler Ablehnungsgrund) und daß diese nicht gegen geltendes Recht verstoßen dürfen (wie z.B. das Antidiskriminierungsgesetz)?

  10. Ablehnungsgründe

    Ich kann mir vorstellen, daß Firmen und Stipendiengeber den Aufwand scheuen, den eine solche Begründung mit sich bringen kann, weil der Abgelehnte dann möglicherweise Anhaltspunkte dafür hat, gegen die Entscheidung zu protestieren.

    Gemeint wohl: zu prozessieren.

    Private Arbeitgeber handeln denn auch der Rechtslage folgend zunehmend so, dass sie gar nicht die Ablehnung begründen; sie sind nach Kenntnis des Schreibers dieser Zeilen in D nicht dazu verpflichtet und werden ihr Bestes geben nicht ihre Rechtsbeistände bemühen zu müssen. Denn die sind teuer.

    Hier kann man wieder sehen, wie Gutgemeintes ungut wirkt. Es wäre vermutlich für beide Seiten besser, wenn Ablehnungsgründe keine rechtlichen Folgen hätten.

    Q: Soll man ablehnende Arbeitgeber zu einer Begründung rechtlich verpflichten.
    A: Würde kaum helfen, denn die Ablehnungsgründe würden dann in einer bestimmten rechtskonformen Form standardisiert und rechtlich sicher überliefert werden.

    Q: Und die vereinzelten Klagen, die zurzeit die mediale Lage ergänzen?
    A:Sind der Nachlässigkeit beim ablehnenden potentiellen Arbeitgeber geschuldet, Arbeitgeber werden zunehmend vorsichtiger werden.

    HTH
    Dr. W

  11. Nicht nur bei Managern

    Man muß nicht Manager werden oder sich für eine hochdotierte Stelle oder ein Stipendium bewerben wollen, um solch erniedrigende Behandlung beim Vorstellungsgespräch zu erfahren. Sowas passiert auf allen Ebenen, bis runter zur einfachen Schreibkraft.

    Ich bewarb mich ab 1998 als Netzwerkadministratorin, von Nähe Weinheim aus in alle Richtungen, das heißt, vor allem nach Süden bis Stuttgart runter und nach Norden bis Frankfurt. Was ich in der Zeit erlebt habe, geht auf keine Kuhhaut. Ich wurde ungewöhnlich häufig eingeladen, bedenkt man, daß ich Berufsanfängerin war. Aber häufig hatte ich den Eindruck, man wollte sich nur mal “die Frau angucken, die behauptet, daß sie Computer kann”.

    Da war zum Beispiel eine Firma in Südhessen, die mich zum Vorstellungsgespräch anfahren ließ (selbstverständlich ohne Übernahme der Fahrtkosten), nur um mir dann zu sagen: “Sie sind eine Frau, Sie könnten ja noch Kinder kriegen.” Als wäre das in der Bewerbung überhaupt nicht zu erkennen gewesen, daß ich weiblich bin. Da fühle ich mich doch gleich so richtig verarscht. Sorry, wenn ich eingeladen werde, erwarte ich ein ernsthaftes Gespräch, und keine blöden Bemerkungen.

    Oder die Firma, die mich über eine etwa ebenso weite Strecke anfahren ließ (natürlich wieder ohne Erstattung der Fahrtkosten, warum auch), um mir dann zu sagen: “Sie können doch gar nichts, was wollen Sie eigentlich?” — wobei aus meinen Bewerbungsunterlagen klar ersichtlich war, daß ich Berufseinsteigerin war und eben nicht alles schon 20 Jahre lang gemacht habe. Was soll sowas? Finden die das witzig?

    Ich fühlte mich wie ein Pferd auf dem Markt, das jeder mal antatscht und dem jeder ins Maul und in die Hufe guckt, dann freundlich lächelt und weitergeht. So nach dem Motto, mal unverbindlich gucken (die Kosten interessieren ja nicht, da kann die Erwerbslose sich drum kümmern), aber einstellen muß man die Leute ja nicht, also mal ruhig alle antanzen lassen.

    Und ich frage mich, ob es Männern auch so geht (OK, die können keine Kinder kriegen …).

  12. Absagen

    Achja, eins noch: Ende 80er, Anfang 90er war es noch einigermaßen üblich, Absagen zu verschicken und die Unterlagen zurückzugeben, wenn auch häufig verknickt, mit Flecken oder eingerissen. Begründungen standen im allgemeinen nicht dabei, oder so schwammiges Zeug wie “liegt nicht an Ihrer Qualifikation”.

    Mittlerweile ist das völlig aus der Mode gekommen. Absagen zu verschicken kostet zu viel Zeit und Geld, also werden Unterlagen, die nicht mehr benötigt werden, einfach weggeworfen, sofern man sich auf Papier beworben hat. Und auf E-Mails nicht zu reagieren, ist ja noch einfacher.

    Bis auf eine Firma, die es fertigbrachte, meinen Lebenslauf, den ich in der Mail-Bewerbung mit Link auf meine Website eingefügt hatte, auszudrucken und mir diesen “zur Entlastung zurück” zu geben. Ähm, ja. 😉

  13. Powertripping

    Need I say more?

    Okay: “Why do you do that?” “Because I can”

    Und was “wir definieren uns zu sehr über Arbeit angeht”: man braucht ja nen Job. Das ist Punkt 1. Und zweitens braucht man einen angemessenen Job. Welcher Uni-Absolvent will schon, so wie man das aus dem “Do you want fries with that”-Klischee kennt, unter seinen Qualifikationen arbeiten?

    Und “sich nicht mit andern vergleichen” ist leicht gesagt (genauso wie “mit geschützter Seele”… würg). Leider erlaubt uns diese Gesellschaft diesen Luxus nicht. Wie erfolgreich andere sind ist immer “in your face”. Man kann sich bemühen, das zu ignorieren… aber in “bemühen” steckt eben wieder “Mühe” drin, also ne Anstrengung. Wieder Stress.

    Und die Frage, ob wie uns das leisten können? Herr Dueck, sie erwarten doch nicht etwa ernsthaft von dieser Unternehmensgesellschaft, dass sie längerfristig (oder gar an das Gesamtbild) denkt? “Mein Unternehmen, meine Aktien”. So weit. Nicht weiter. Ist zu viel Arbeit. Aber über Taxifahrten… ja, Prioritäten muss man setzen. 😛

  14. @Sabine

    Oder die Firma, die mich über eine etwa ebenso weite Strecke anfahren ließ (natürlich wieder ohne Erstattung der Fahrtkosten, warum auch), um mir dann zu sagen: “Sie können doch gar nichts, was wollen Sie eigentlich?”

    Für die andere Seite stellt sich das zumindest manchmal in etwa wie folgt dar: Sie sitzen in einer Marathon-Sitzung mit Bewerbenden und haben vielleicht zwei Kräfte einzustellen. Für diese Zwecke ist ein Bewerber-Pool bereitgestellt worden (bspw.: von der P-Abteilung) und es gilt auch eher nicht dem Anforderungsprofil entsprechende Bewerber abzuklopfen. Bei Berufseinsteigern wäre bspw. die Nerd-Eigenschaft [1] zu prüfen. 🙂

    Denn auch ein frischer Nerd hätte eine Chance, weniger der “klassische” Berufseinsteiger, hmmm, …, …, schwierig zu sagen, derartige Veranstaltungen haben etwas Unzugängliches, loge!, haben aber auch ihren Sinn.

    MFG
    Dr. W

    [1] zumindest wenn’s um IT geht

  15. Ich hätte ja gerne … 

    einmal die Geistesgegenwart, in der Situation den Spieß umzudrehen. „Sie wissen ja, für mich ist es ein erhebliches Investment, mich in Ihr Unternehmen einzubringen. Sagen sie mir doch mal: Warum soll ich für Sie arbeiten? Was qualifiziert das Unternehmen denn, eine solch wichtige Rolle in meinem Leben einzunehmen? Sprechen Sie auch mit anderen Bewerbern über diese Stelle?“ 

  16. So

    … kann man es machen:

    Sie wissen ja, für mich ist es ein erhebliches Investment, mich in Ihr Unternehmen einzubringen. Sagen sie mir doch mal: Warum soll ich für Sie arbeiten?

    Allerdings, allerdings, finden in diesem Fall oft keine Bewerbungsgespräche statt, sondern man wird an das Unternehmen gebunden ohne dass ein derartiges B-Gespräch erfolgt. Weil man sich vorab kennt.

    Kein ungewöhnlicher Weg.

    B-Gespräche sind denn auch eher für den in das Unternehmen Hineindringenden gedacht. Hier sind Menschen auf Seiten der potentiellen Vertragsgeber leider oft grausam.

    Auch und gerade dann, wenn jemand dem Profil entspricht, aber nicht genommen werden soll. >:->

    Wenn man das aber alles vorweg weiß, kann und soll man als Bewerber auch möglichst schmerfrei auftreten. – Ärgerlich hier aber die Kosten, die entstehen die Bewerbung überhaupt zu versuchen, korrekt!

    MFG
    Dr. W

  17. @Konrad: Spieß umdrehen

    Ich habe etwas Ähnliches tatsächlich mal bei einem Recruiting-Seminar einer der großen Unternehmensberatungen gemacht. Auf die Frage, warum ich mich bei ihnen bewerbe (die einer aufwändigen Powerpoint-Unternehmenspräsentation folgte), sagte ich, ich sei auf der Suche nach einem Unternehmen, das zu mir passe. Da ging schon ein hörbares Raunen durch den Raum 😉

    Überflüssig zu sagen, dass ich die Stelle nicht bekommen habe. (Dafür aber eine, mit der ich bis heute sehr glücklich bin.)

  18. Monty Python Job Interview

    Die englische Satiregruppe Monty Python hat dieses Thema großartig behandelt.

    Ich will jetzt keine Youtube links posten aber man findet den Sketch problemlos mit den Stichworten Monty Python und Job Interview

  19. Vielen Dank für diesen tollen Beitrag! Ich denke wirklich, dass sich unsere Gesellschaft darüber einmal Gedanken machen muss. Leistungsgesesellschaft, ja, vielleicht muss es einfach so sein. Diese psychische Belastung allerdings, die von Absagen und psychisch beanspruchenden Auswahlverfahren muss mehr als nur hinterfragt werden.
    Auch ich habe in dieser Woche eine Absage für ein Stipendium der Studienstiftung erhalten – und es war hart. Weil man so viel von sich gegeben, ein Wochenende volle Konzentration und Durchhaltefähigkeit bewiesen hat und dann ein lächerlicher Brief. So erging es weiteren 40 jungen Studentinnen und Studenten, die alle zu den besten ihres Jahrganges gehören, und trotzdem wurden sie sehr geprellt, schwer enttäuscht, viele haben geweint und auch den Glauben an sich selbst hinterfragt. Vor allen Dingen belastet es mich sehr, weil doch davon auch meine Studienfinanzierung abhängt, also nicht nur ein emotionaler Tiefschlag, sondern auch ein finanzielle und existenzbedrohender.

  20. @Annika Ich war 25 Jahre in der Jury der Studienstiftung (bin selbst auch mal sehr holprig da hineingekommen): Ich hatte die Hochschulvorschläge, wo nur Interviews stattfinden. Ich habe versucht, allen Bewerbern nach dem Interview zu erklären, warum sie abgelehnt werden könnten, was an Ihrem Fall nicht so gut ist…das hat die Verletzungen minimiert, denke ich. Ab und zu aber haben Eltern meinen Kopf gefordert, weil ich “gekränkt” habe…ich musste also dieses Risiko nehmen (das tun die Institutionen eben nicht und schreiben Einzeilerabsagen) . Ich habe so viel “Leid danach” sehen müssen und auch erfahren… (ich selbst bin eigentlich abgelehnt gewesen, dann kam noch ein nachträglicher Schulvorschlag, dann haben sie mich nochmals begutachten lassen – und irgendwie kam ich rein). Bei den Ablehnungen hat man eigentlich immer ganz vernünftige Gründe…die könnte man ja erklären…geschieht nicht, und ich habe mich oft gefragt: Wir schauen uns die 4% Besten an, nehmen 1% und stoßen die anderen 3% irgendwie in ein Loch. Was ist dann der Overall-Nutzen?