Optimale Wahl des Mottos für das Jahr 2015

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Wenn ein neues Jahr beginnt, ist es wichtig, einen Leitspruch zu kreieren, der die Mitarbeiter eines Unternehmens seelisch im Geiste zusammenschweißt.
Am besten ist es, dieses Motto 2015 gleich beim Januar-Kickoff des Unternehmens zu dessen Selbstfindung thematisch durch alle Begeisterungsreden zu ziehen, damit sich die Redner nicht zu viel selbst ausdenken müssen. Da das Motto sehr wichtig ist, muss es ja wieder und wieder im Stakkato ausposaunt werden. Deshalb ist es ganz okay, wenn alle Redner dasselbe evozieren: Motto! Motto! Motto!

Nun muss nur noch ein Motto ausgewählt werden, das in die Redentemplates eingefügt werden kann. Man sollte sich das nicht zu einfach vorstellen, weil dazu eine Menge emotionaler Intelligenz erforderlich ist, die ja im Unternehmen kaum jemand hat, jedenfalls keiner, der Mottos macht. Haben die Sekretariate einen EQ? Oder der Empfang unten? Die Unternehmenskommunikation? Schwierig. Man könnte extra jemanden mit normalem EQ einstellen, aber was tut der das restliche Jahr über? Man fragt am besten eine Agentur, die gleichzeitig auch solche Mottos anbietet, die auf irdene Kaffeepötte gedruckt werden können, die die Mitarbeiter dann zum Kickoff geschenkt bekommen.
Ein Beispiel: Ein gutes Motto wäre „Versucht, dem Kunden so viel wie möglich zu verkaufen! Bleibt dran, quält jeden Kunden zum Abschluss, hängt wie eine Klette an ihm, nervt ihn, schubst ihn, drückt! Presst! Presst!“. Das ist super, aber zu lang. So viel können sich Manager nicht merken, die ja die Mitarbeiter mit dem Motto indoktrinieren müssen. Außerdem könnte dieses Motto verschiedentlich Kunden verärgern, weshalb man das Motto beim Bekanntgeben auch irgendwie geheim halten müsste. Deshalb ist es besser, das Motto zu verklausulieren und es nur für Eingeweihte beim Kickoff zu dechiffrieren. Die Agentur hat da Erfahrung und schlägt vor: „Der Kunde steht im Mittelpunkt.“ Das klingt gut, oder? Und zum Glück weiß dabei kein Kunde, was wirklich gemeint ist! Man könnte „Presst!“ auch in „Prost!“ kodieren?! Auch das geht, aber es muss natürlich darauf geachtet werden, dass wirklich alle Mitarbeiter vollzählig beim Kickoff erscheinen! Es muss ja ausgeschlossen werden, dass ein Mitarbeiter das Motto ernst nimmt bzw. wörtlich auffasst. Wenn das passiert – na dann Prost!

Motto-Berater schlagen oft vor, den Leitspruch so zu wählen, dass damit gleichzeitig ein wichtiges Problem des gesamten Unternehmens quasi per Kaffeepott gelöst werden kann. Ein Beispiel: Ein Gymnasiast ist in Gefahr, nicht versetzt zu werden, weil er in Physik eine Sechs erwarten kann. Dann ist es klug, wenn die Eltern 2015 als das Jahr der Physik ausrufen und einen Kaffeepott mit e = m*c2 bestellen. Klar? Dieses Prinzip übertragen wir auf Unternehmen. Die Berater beurteilen, was im Unternehmen im Allerärgsten liegt, zum Beispiel „rüder, rücksichtsloser und unhöflicher Umgang mit Kunden“. Dieses Problem wird wieder so kodiert, dass es zu einem Design-Motto taugt. Entsprechender Einsatz von EQ ergibt: „Der Kunde steht im Mittelpunkt.“
Nun los zum Kickoff! Moment, jetzt kommt der Kaffeepott-Produzent. Er bemängelt, dass das Motto textlich zu lang ist, weil ja auch das Logo des Unternehmens auf den Pott muss. Einige Manager freut das, sie wollen gleich ein neues Logo machen, weil eine Logoerneuerung ja immer den Profit des Unternehmens steigert. Nein, man solle das Motto kürzen, sagt der Produzent. Er könnte aber alternativ ein symbolisches Menschlein in 3D mitten in die Tasse hineinproduzieren und es mit „Kunde“ etikettieren. Der Produzent sagt, dass dies aus seiner Sicht eine geniale Idee sei, weil der Pott dann das Vierfache kosten würde. Ablehnung.
Oh, es ist nicht so einfach mit einem Motto. Jetzt beginnt nämlich erst die eigentliche langwierige Arbeit, die wahre Meisterschaft erfordert. Nach mehreren Design-Thinking-Phasen (das Motto Buy! Buy! wird zB in Bye-Bye codiert) kommen die ersten brauchbaren Vorschläge:

•    Grow
•    Win
•    Team
•    Lead
•    Smile
•    Passion

Das Kickoff-Taskforce (KITA) ist begeistert. Alle jubeln, bis ein alter Hase mit bedenklicher Miene moniert, dass diese idealen Mottos schon auf den Tassen der Vorjahre gestanden haben. „Wir kommen ja im Unternehmen schon lange nicht mehr mit den Kunden klar, das liegt quasi in unserer DNA. Bis zur Lösung des Problems müssen wir wohl noch einen langen Passionsweg zurückgelegen.“ – Manche sind jetzt entgeistert. „Passion steht also immer in dieser Doppel-bedeutung auf den Tassen? Ist das so?“ – „Ja, natürlich, es ist kodiert.“ – „Aber das wurde doch nicht beim Kickoff dechiffriert, oder? Haben wir nicht hingehört?“ – „Nein, wir haben nur die Führungskräfte informiert – so doof sind wir doch nicht. Die Führungskräfte sollen immer diese Formulierung benutzen: ‚Wir haben noch einen langen Weg zu gehen, das werden wir alle mit aller Passion tun.‘ Die Führungskräfte sind angewiesen, das deutsche Wort Passion wie Pähschen auszusprechen, dann fällt nichts auf.“ – „Oh, dann nehmen wir wieder Passion! Wir könnten auch statt des Logos eine Passionsfrucht abbilden, oder?“

„Sage mir, was du kodierst, und ich sage dir, wer du bist.“ Na, das kennen Sie ja. Wir können als Spezialfall ableiten: „Sage mir, was auf deiner Tasse steht, und ich sage dir, wo sie in deinem Schrank fehlt.“ Immer das Allerärgste steht kodiert auf dem Pott. Wenn dann neue Berater kommen, sind sie schon nach dem ersten Kaffee eingearbeitet.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

3 Kommentare

  1. Da war wohl eine ganze Menge Dilbert im Spiel, hmm, hmm, der Marketing-Bereich meint wohl aus sich heraus das Unverständliche, nichtsdestotrotz müsste der Verkaufsbereich, auch heute noch, nicht davon geleitet sein, dass der Kunde ‘im Mittelpunkt’ [1] steht, das B2B meinend, auch den EQ der Vetriebsmitarbeiter, oder hat sich da generell etwas geändert?

    MFG
    Dr. W

    [1] Der Abnehmer einer Leistung wäre nach herkömmlicher wirtschaftlicher Theoretisierung kein sozusagen unbestimmtes Subjekt, das irgendwie besonders betreut werden muss, dass nicht weiß und nicht kann, so etwa wie der Kunde im Supermarkt?!