Nur Branchenkenner sind befugt zu reden! Eine Wein-Story.

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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„Sie sind nicht aus der Branche, das merkt man sofort. Das geht nicht so leicht, wie Sie denken.“ – „Diese Startups werden schon alle Probleme kennenlernen, wenn sie an die Wand fahren.“ – „Uns macht man nicht so leicht etwas vor, wir haben eine lange Erfahrung, und die werden wir natürlich selbstbewusst ausspielen, ganz klar.“ – „Bange machen gilt nicht, soll jetzt alles plötzlich verkehrt sein?“

Von außen sah man Amazon schon lange zur Bedrohung des Handels werden. Googles Erfolge und die von Facebook waren lange vorher klar. Jetzt jammern alle schon heute Betroffenen und lecken sich die Wunden. Die noch nicht Betroffenen weinen später. Sie wollen sich absolut nicht intuitiv auf einen Blick von außen auf ihre Branche einlassen. Von außen sagen schon viele: „Internetapotheke ist okay.“ – „Skype-Arzt ist okay.“ – Sofort schreien die Insider auf. Genauso zitterten vor Jahren die Banker rasend vor Ungeduld über den dummen Spruch: „Internetbanking ist okay.“

Ich muss jetzt eine alte Geschichte ausgraben, nämlich die Story des US-Ökonomen Orley Ashenfelter, der sich überlegte, wie man die Qualität eines Bordeaux-Weinjahrganges früh voraussagen oder erkennen könnte, um dann bei der Wein-Spekulation Gewinne zu erzielen. Je nach Weinjahrgang wird der Wein nämlich manchmal richtig gut oder eben oft nicht, die Preise differieren stark. Bordeaux reift erst einmal längere Zeit in Fässern (18-24 Monate) und entwickelt sich erst langsam in der Flasche. Eine Anekdote dazu: Neulich probierten Kunden in einer Weinhandlung drei Jahre alte Bordeaux-Weine, die gerade neu in den Verkauf gekommen waren. Der Weinhändler raunte mir zu: „Das ist Kinderschändung, die jetzt schon zu probieren.“ Soll korrekt heißen: Richtig gute Bordeaux brauchen ihre Zeit.

Jetzt muss man aber, wenn man mit Wein spekulieren will, möglichst schnell entscheiden, ob der neue Jahrgang gut ist oder nicht. Man vertraut in der Regel darauf, dass Weinpäpste wie Robert Parker jr. mit Schlürfen, Zungenumwälzen und Ausspucken ganz früh in den noch „untrinkbaren“ Weinen die kommenden Stars entdecken können. Ashenfelter aber dachte nach, was einen guten Weinjahrgang wohl auszeichnen würde. Na, jeder weiß das irgendwie: Im Winter/Frühjahr gut Regen, im Herbst viel Sonne.

Ashenfelter nahm alle verfügbaren Vergangenheitsdaten und setzte eine statistische Regression an. Ergebnis:

Jahrgangsgüte  = 12.145 + 0.00117 Winterregenmenge + 0.0614 Durchschnittstemperatur während der Wachstumsphase – 0.00386 Herbstregenmenge.

Diese Formel performte in den 80/90ern besser als das Gefühl der Weinpäpste! (Ich finde leider keine neuen Erfolgserlebnisse mit dieser Formel im Netz, es gibt ja auch einen Klimawandel – daher müsste man die Formel auch ändern! Oder viele mathematisieren jetzt im Geheimen?

Robert Parker zitierte man damals etwa so: „Filmkritiker müssen also den Film gar nicht mehr anschauen?? Sie addieren am besten Punktzahlen der Hauptdarsteller und des Regisseurs??“ Britain’s Wine Magazine: „The formula’s self-evident silliness invite[s] disrespect“. Und es hagelte Vokabeln wie lächerlich, grob gewaltsam mathematisch, hysterisch und so weiter. Niemand schien „aha!“ zu sagen. Niemand schien die zynische Empörungsidee Parkers gut zu finden oder ernst zu nehmen, die Filme per Computer auszuwerten. Nein, der Wein muss unbedingt gekostet werden. Eine Beurteilung aus der Ferne wird ausgeschlossen. Dabei kann man doch heute Politiker fast nach drei Sätzen… ich lasse das einmal.

Anderes Beispiel: Bei einer Konferenz berichtete jemand aus dem Hause Bertelsmann, wie man einstmals in einem Meeting um einen Konferenztisch herum gesessen habe. In der Mitte des großen Tisches lag ein iPod. „Ist das Konkurrenz zur CD?“ Man beschloss im Meeting, dass Jugendliche unbedingt mit dem Besitz einer CD- oder Plattensammlung bei anderen angeben wollten, daher sähe man im iPod keine Gefahr. Der „Besitz!“ des Tonträgers sei der Wunsch des Kunden, den man doch so lang schon kenne. Drei Stunden später ging es auf der Konferenz um Autos (das ist ca. zwei Jahre her). Ich meinte in die Runde, die Autohersteller würden ganz genauso potentiell irren wie Bertelsmann! Wenn nämlich der Tonträgerbesitz ein falscher Gedanke war, wäre da nicht Analoges bei Autos im Raum der Möglichkeiten? „Hören Sie bloß auf, Auto sind etwas anderes als Musik!“ Und: „Haha, nett gefragt, Sie haben ein seltsam assoziatives Gehirn, dass Sie auf solche Gedanken überhaupt kommen. Nett! Ganz nett!“

Und wenn man heute mit Big Data kommt (oder auch nur mit ein bisschen Statistik), dann sagen sie alle: „Du verstehst das nicht. So simpel ist es nicht.“ So muss sich Kepler gefühlt haben…

 

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

4 Kommentare

  1. Gunter Dueck schrieb (11. September 2018):
    > […] die Story des US-Ökonomen Orley Ashenfelter, der sich überlegte, wie man die Qualität eines Bordeaux-Weinjahrganges früh voraussagen oder erkennen könnte, um dann bei der Wein-Spekulation Gewinne zu erzielen. Je nach Weinjahrgang wird der Wein nämlich manchmal richtig gut oder eben oft nicht, die Preise differieren stark.
    > […] Man vertraut in der Regel darauf, dass Weinpäpste wie Robert Parker jr. mit Schlürfen, Zungenumwälzen und Ausspucken ganz früh in den noch „untrinkbaren“ Weinen die kommenden Stars entdecken können. Ashenfelter aber dachte nach, was einen guten Weinjahrgang wohl auszeichnen würde […] und setzte eine statistische Regression an. Ergebnis:

    > Jahrgangsgüte =
    12.145 + 0.00117 Winterregenmenge + 0.0614 Durchschnittstemperatur während der Wachstumsphase – 0.00386 Herbstregenmenge.

    Güte” ?? — Auktionspreis!

    (bzw. dessen Logarithmus, vgl. Table 1 bzw. die Fit-Koeffizienten aus Table 3;
    wobei alle Größen dieser Gleichung offenbar durch bestimmte, aber nicht ganz so freigiebig preisgegebene Maßeinheiten zuzuschneiden sind).

    > Diese Formel performte in den 80/90ern besser als das Gefühl der Weinpäpste!

    Was die Frage nahelegt, in wie fern die betreffenden Weinpäpste (resp. -experten) Einfluss auf Weinpreise haben/nehmen.

    (Davon weiß u.a. Karl Storchmann unter dem Titel “Wine Economics” zu berichten; zu dessen Artikel ich hier allerdings vorsichtshalber keinen Link einfüge, weil ja leider nicht dokumentiert ist, bei wie vielen SciLogs-Kommentar-Links der “Ihr Kommentar wird moderiert.”-Rausch einsetzt …&)

  2. Ich meinte in die Runde, die Autohersteller würden ganz genauso potentiell irren wie Bertelsmann! Wenn nämlich der Tonträgerbesitz ein falscher Gedanke war, wäre da nicht Analoges bei Autos im Raum der Möglichkeiten?

    Ton ist Information (in Form von Data), sog. Automobil ist Gerät.
    Außerdem war der Tonträger inklusive Besitz, Dr. W verfügt(e – um präziser zu sein) über eine recht große diesbezügliche Sammlung, kein ‘falscher Gedanke’, seinerzeit.
    Sogenannte Langspielplatten oder sog. Singles sind gemeint.
    Dr. W hat dann irgendwann weggeschmissen.
    War auch ein wenig bedröppelt, in Anbetracht der Investition.
    Zum Glück hört Dr. W keine möglicherweise vorliegenden Qualitätsunterschiede i.p. “Vinyl” und “Digital”.

    Schichtentrennung, sinnhaft gebildete, ist schon wichtig.

    MFG + schönen Tag des Herrn noch,
    Dr. Webbaer

  3. @ Herr Dr. Wappler :

    […] bei wie vielen SciLogs-Kommentar-Links der “Ihr Kommentar wird moderiert.”-Rausch einsetzt […]

    Eine unerfreuliche Unsitte.
    Sozusagen. (Also die Unsittlichkeit meinend, die nur metaphorisch gemeint sein kann, denn es liegt immer Sittlichkeit vor.)

    Hoffentlich werden Sie nicht allzu sehr automatisiert ausgesondert, Herr Wappler.

    MFG
    Dr. Webbaer

  4. Dr. Webbaer schrieb (16. September 2018 @ 17:45):
    > […] Unsittlichkeit meinend, die nur metaphorisch gemeint sein kann, denn es liegt immer Sittlichkeit vor.

    Solche jeweils vorgelegte Sittlichkeit ist vielleicht nicht unbedingt genau das Ding, das das Gemüt des Einzelnen mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht erfüllt

    > Hoffentlich werden Sie nicht allzu sehr automatisiert ausgesondert, Herr Wappler.

    Danke; gleichfalls; wo ich mich nicht (so) äußern darf (wie’s nun mal bei mir Sitte ist), da schweige ich eben automatisch, aber hoffentlich wenigstens nicht ganz unauffällig.

    (Damit zusammenhängend habe ich festgestellt, dass meinem ersten Kommentar auf dieser SciLogs-Seite, 13. September 2018 @ 21:03, versehentlich nicht das Memo vorangestellt ist, das ich mir dafür eigentlich ausgesucht und vorgesehen hatte, und das ich hier korrigierend nachreiche.)

    p.s.
    SciLogs-Kommentar-HTML-Test:

    “n = 1000 * (ρ<sub>M</sub> – ρ<sub>W</sub>)” wird dargestellt als:
    “n = 1000 * (ρM – ρW)“.