Neodigitalisierung und erstarrende Konzerne
BLOG: WILD DUECK BLOG
Oft haben wir das Gefühl, das es Computer erst richtig gibt, seit wir sie durch das Internet besser kennenlernen können. Vorher waren sie in Rechenzentren eingesperrt – heute sind sie uns „in der Cloud“ irgendwie nähergekommen. Das Netz hat alles verändert.
Die Banken oder Telekommunikationskonzerne setzen aber schon sehr viel länger Großrechner ein. Mit oft Hunderten von Millionen DM entstanden die Anwendungen zum Zahlungsverkehr, die Vermittlungssysteme und die Abrechnungssysteme unserer Telefonanrufe. Versicherungen verwalten Verträge, bearbeiten Leistungen und Schäden, sie managen die Provisionen ihrer Agenten. Dabei sind seit den siebziger und achtziger Jahren die so genannten Kernanwendungen entstanden. Damals wurde alles schön individuell selbstgestrickt! Damals gab es noch nicht wirklich das, was man heute „Standardsoftware“ nennt, die man von außen einkauft und die dort verbessert wird und immer wieder Updates erfährt. Denken Sie daran, dass es die Office-Anwendungen und SAP R3 erst seit den neunziger Jahren gibt.
Die alten Kernanwendungen müssten nun ersetzt werden. Das entspricht fast der Entkernung bei historischen Gebäuden, bei denen man eigentlich alles erneuert, obwohl es hinterher so ähnlich aussieht. Bei Gebäuden ziehen erst die Bewohner aus, dann kommen die Bohrhammer. In der IT aber bleiben die Bewohner drin… Das Geschäft muss ja laufen. Es ist so, als würde man Arjen Robben während des Spiels von seinen Verletzungen kurieren. Heute häufen sich die Meldungen, dass Konzerne unter ihren alten Kernanwendungen leiden.
„Die Marketing-Leute denken sich alle paar Monate neue Telefontarife aus. Es werden mit der Zeit Hunderte und Tausende verschiedener Tarife und Optionen. Wir freuen uns ja, wenn die unwissenden Leute ihre Tarife seit manchmal Jahrzehnten nicht kündigen. Daran verdienen wir gut. Aber wir müssen die Verträge immer in der IT mitschleppen. Die entstehende Komplexität bringt uns noch um. Wir haben Altverträge, die nur noch eine Handvoll Kunden betreffen.“
Sogar neuere Unternehmen klagen: „Wir haben unsere Infrastruktur eigentlich zu früh aufgebaut. Wir haben Inhalte jeweils auf die einzelnen Browser abgestimmt. Dann kamen noch die mobilen Bereitstellungen dazu, alles soll jetzt auch auf Android und iOS und auf Tablet und Mini-Smartphones laufen. Newcomer im Markt beginnen mit den neuesten PHP-Versionen. Wir schleppen nun schon Altlasten mit uns herum, obwohl unsere Firma noch jung ist.“
Sie haben sicher auch die Pressmeldungen über die IT-Modernität der Deutschen Bank gelesen, als neulich massenweise Überweisungen falsch liefen. Neulich konnten sich auch Millionen von Mobiltelefonen nicht mit dem Netz verbinden! Und wenn ich auf der Lufthansa-Seite einen gemischten Flug buchen muss, also z.B. ein Flugsegment mit der Swiss, mit Austrian oder Eurowings zurücklegen muss, sehe ich es alle paar Wochen: „Sitzplatzreservierung geht hier nur mit LH-Flügen“, bei Swiss-Flügen ist meine Vielfliegernummer nicht automatisch übertragen worden, das Online-Einchecken ist unterschiedlich geregelt – na, die IT ist jedenfalls nicht durchgängig geregelt, das merkt man als Kunde leidvoll genug.
„Viele Unternehmen kaufen andere auf und hoffen auf Synergien, aber dann müssen sie doch die Kernanwendungen der aufgekauften Unternehmen integrieren. Diese Integration unterschätzen sie oft gnadenlos.“
http://www.wiwo.de/unternehmen/it/veraltete-it-hohe-kosten-fuer-wartung-und-instandhaltung/12093342-2.html
Kurz: Viele Konzerne ersticken an ihrer Erstdigitalisierung, besonders Banken, Versicherungen und Telecoms, die einst ja die Vorreiter waren. Eine Neodigitalisierung ist nun bitter nötig. Bitter? Das Problem ist, dass man keinen Gewinn damit macht! Es ist einfach nur saure Arbeit, und man muss jahrelang ächzen, hat lauter Baustellen und wird nicht geliebt. Nach vielleicht zehn Jahren glänzt dann alles wie neu! Wundervoll, aber die Welt ist dann wohl schon wirklich näher an 4.0 dran – und es muss wieder alles neu entkernt werden. Es ist keine Innovation! Es ist nur Nachziehen! Wenn das Nachziehen beendet ist, kann es gleich weitergehen.
Die IT muss sich wohl an den Hotelketten orientieren, die immer einmal wieder die Zimmer neugestalten (alle 12 bis 15 Jahre?) – sonst sind sie weg vom Fenster. Jetzt jedenfalls muss die IT nebst den Daten in die Cloud!
Ja, selbst die IT scheint sich zu erneuern, ich lese gerade interessiert von neuen Unternehmen, die die Großen wie SAP oder Oracle angreifen. Immer öfter kommen Namen wie Salesforce, Tableau, Hortonworks, ServiceNow. Zendesk oder Workday (kennen Sie noch andere?) auf, die heute ganz wie Tesla von den Autofirmen verspottet werden, dass sie noch keinen Gewinn machen und noch ganz klein sind…
Merke: Auch IT kann ziemlich alt werden, so sieht sie dann auch aus.
Neodigitalisierung!
Vor allem ist es wichtig, dass die Standardsoftware, SAP liegt hier auf der Zunge, SAP-R3 oder SAP-ERP gemeint galt vielen Unternehmen auch als eine Art Zwangsjacke – hier steckt auch das deutsche Standarte drinnen, es lohnt sich zwischen dem Standard und der Standarte zu unterscheiden wie etwa zwischen scheinbar und anscheinend -, dem Druck des Marktes und insbesondere der Mitbewerber ausgesetzt bleibt.
Das Web hat hier User-Interfaces und Web-Services, auch XML und andere Sprachen meinend, ganz schön geändert.
Opi W. ist noch mit Fortran und COBOL aufgewachsen, auch mit ganz anderen Client-Server-Strukturen und ganz anderer Organisation,
MFG + weiterhin viel Erfolg [1],
Dr. Webbaer
[1]
Ganz am Rande angefragt, fällt einem Dilbert-Leser etwas zur Indossierung des Scott Adams’ ein?
IT im Unternehmen ist seit Jahrzehnten das nackte Elend. Bei Konzernen sind die Strukturen zementiert und entsprechend unbeweglich. Im Mittelstand dagegen gibt es zahlreiche Chancen. Oft haben die Gründer bei einem Global Player oder an einer Universität gearbeitet und sich ob der Zustände dort selbständig gemacht, z.B.:
http://www.omninet.de/DE/Seiten/company_history.aspx
https://www.rs-soft.com/unternehmen/erfolgsgeschichte/
Howdy, Herr Mistelberger,
Der Grund hierfür könnte darin bestehen, dass sich im IT-Bereich eine bestimmte Verkrustung ergeben hat, insofern auch, weil -never change a winning team- auf bestimmtes Personal, das in puncto Innovation prohibitiv wirkt, nicht verzichtet werden soll.
Tatsächlich könnte insofern von einem ‘nackten Elend’ gesprochen und geschrieben werden, wird aber meist nicht, weil das vorhandene und oft nicht zukunfts-orientierte Personal der IT beibehalten werden soll, weil auch oft über Geheim- oder Herrschaftswissen verfügend, auf Unternehmen bezogen. [1]
Dort schaut’s ähnlich, wenn auch weniger schlimm aus.
—
Wer nichts zu verlieren hat, fachlich aber steif (und kompetent) am Start, kann sich als Gründer bemühen, es gab zuletzt oft im Web derartige Karrieren, wenn hier richtig verstanden worden ist.
>:->
MFG
Dr. Webbaer
[1]
Hört sich vielleicht ein wenig blöde an, aber (traditionelle) Unternehmen funktionieren genau dann am besten, wenn billig eingekauft wird und teurer verkauft, was hier idR oft hilft ist ein schlichtes Geschäftsmodell.
(vs. Web und so, dies wäre eher etwas für die “Schlaubies”)
IT – kaum installiert – schon veraltet? Unmodern, in die Jahre gekommen? Vielleicht ist die Zeit der Großrechner, selfmade IT mit Hierarchien und endlosen Qualitätskontrollen wirklich vorbei? Wie zum Hohn klappt beim Lesen dieses Artikels ein grünes Werbefeld mit einem Windrad auf. Das Windrad dreht sich und nimmt meine ganze Aufmerksamkeit, zudem überdeckt es den Text des Beitrages. Als ob es lacht und schlauer sein will. Ist das Neodigitalisierung?
Und wenn dann bei Firmenübernahme die gelegentlich kurzstreckig denkenden neuen Oberen gerne die technische Kompetenz des übernommenen Unternehmens chassen, weil sie „ihnen nicht ordentlich im Thema drinnen zu sein «scheinen». Dann wird es zusätzlich nochmal richtig lustig.