Eris und Menschenbeurteilungsangst

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Ungeniert Befehle erteilen und ohne Scheu Urteile abgeben, die Schmerzensschreie hervorrufen – das ist viel weniger Menschen gegeben als fast alle von uns glauben. Tatsächlich haben die meisten Chefs Angst, ihre Mitarbeiter zu beurteilen und ihnen das Urteil zu erklären. Sie müssen dazu nämlich verletzten Seelen in die Augen schauen. Könnte doch eine Maschine nach Zahlen entscheiden! Und der Manager nur noch managen müssen!

Eris, die Göttin der Zwietracht, kleingeschrumpelt und hinkend, warf zornig als natürlich Nichteingeladene einen Apfel mit der Aufschrift „Der Schönsten“ unter die Hochzeitsfeier der Götter. Zeus sollte urteilen, ob Hera, Aphrodite oder Pallas Athene der „Zankapfel“ überreicht werden sollte. Das wollte er lieber nicht, er war ja nicht dumm. Schon ein normaler Ehemann hat ein Problem, die Fragen der Gattin zu beantworten: „Das Kleid ist schön, aber irgendwie gewagt und vielleicht zu schrill. Sag mal deine ehrliche Meinung, ob ich gut aussehe.“ Wer unter solchen Umständen urteilen muss, verliert bei jeder Antwort.

Das ist bei Mitarbeiterbeurteilungen meistens auch so – oder schwungvoll deutlich: immer so. Ich erkläre es. Ich habe einmal vor 20 Mitarbeitern erklärt, dass ich ein Budget habe, zweien von ihnen eine sehr deutliche Gehaltserhöhung zu geben. Ich kündigte an, jedem der Mitarbeiter getrennt unter vier Augen zwei Fragen vorzulegen: „Verdienen Sie es selbst, zu den Zweien zugehören? Wenn Sie außer sich selbst den besten Mitarbeiter aussuchen dürften, wer wäre das?“

Siebzehn der Mitarbeiter fanden, sie seien unter den besten zweien. Wiederum siebzehn Mitarbeiter nannten als sonstig Besten genau denselben Namen, den ich auch gewählt hätte.

So ist das.

Jeder von uns kann hell sehen, nur nicht im Spiegel.

Und weil das so ist, teile ich als Manager bei jeder beliebigen Entscheidung in dieser Sache bitteres Unrecht aus. Ich bin so ungerecht wie Paris. Nicht, weil meine Entscheidung falsch ist, sondern weil sie auf jeden Fall von den meisten als falsch empfunden wird. Jeder, der eine schlechte Bewertung erhält, ist gekränkt! Deshalb sind die gängigen Bewertungssysteme ein Werk der Göttin Eris.

Man entscheidet ja nicht, welcher Mitarbeiter gut ist – das ginge noch an. Man entscheidet, wer der Beste ist. Das ist der Zankapfel in der wahrsten olympischen Form.

Weil sich die Göttinnen sehr schön finden und die Mitarbeiter so gut, hat ein Chef einfach so viel Angst vor dem Beurteilen, dass er taktiert. Die meisten Manager sind so gnadenlos feige, dass sie den Spielraum nach oben so gut ausnutzen wie es geht. Sie würden jeden Mitarbeiter zum Helden der Arbeit erklären, wenn es das Lohnerhöhungsbudget hergäbe. Zurzeit werden im öffentlichen Dienst neue Beurteilungssysteme eingeführt. Ich beobachte sarkastisch, wie sie Gerechtigkeit verteilen wollen, aber eigentlich Zankäpfel werfen. Man bekommt in ein paar Sparten jetzt Punkte, im Durchschnitt insgesamt 15 und maximal 25.

Schwupps, alle sind 25! Das darf nicht sein, weil dann alle schöne Gehaltserhöhungen bekämen. Damit sich das System vor der Feigheit der Chefs schützt, verlangt es nun zusätzlich, dass der Durchschnitt über alle Mitarbeiter 15 ist. Schwupps, und alle Chefs geben allen Mitarbeitern 15 Punkte. Und wieder muss das System der Feigheit der Chefs vorbauen. Es verlangt nun, dass eine sinnvolle Spreizung bei den Bewertungen vorgenommen wird. Nun wird es ernst. Jetzt stehen die Chefs am Pranger! Schwupps, geben sie denjenigen Mitarbeitern die schlechten Punktzahlen, die gutmütig oder gleichmütig sind, und denjenigen, die sich nach heftigstem Ärger schnell wieder beruhigen und sofort wieder gut arbeiten. Ältere, die es gewohnt sind, bieten sich an, und auch oft Frauen, die nicht protestieren – sie protestieren durchaus in ihren Gesichtsmienen, aber zu wenig deutlich. Sie ärgern sich heimlich schwarz, wenn Mitarbeiter, die bei schlechten Bewertungen sofort offen randalieren, vielfach ganz gut weg kommen. Würden Sie sich denn trauen, etwa Stefan Effenberg nach ein paar torlosen Spielen eine Gehaltssenkung zu verkünden? Der zeigt es Ihnen!

Das ist die Menschenbeurteilungsangst des Chefs.

Er will nicht, was das Unternehmen will. Der Wille des Unternehmens ist der Wille des Managements in seiner Gesamtheit. Das will diese Beurteilungen unbedingt. Aber die einzelnen Manager wollen sie nicht physikalisch Auge in Auge abgeben.

Haben Sie gemerkt, was ich sagen will? Das Management ist Eris und Zeus zugleich, es will eine Entscheidung, sie aber nicht selbst Auge in Auge treffen. Am Ende kommt Krieg heraus. Das Bewertungssystem des Zankapfels löst dann einen Krieg aus und erinnert mich an so etwas wie ein trojanisches Pferd für das Unternehmen.

Bewertungssysteme sind erdacht worden, damit sie zu höheren Gewinnen führen. Na gut, aber niemand hat sich Gedanken gemacht, dass das Führen damit viel schwieriger ist. Niemand sieht, dass der Chef nun mutig und weise sein muss, emotional intelligent und integer.

Wer also solche neuen Systeme einführt wie der öffentliche Dienst und andere, muss sich deshalb auch um bessere Chefs kümmern. Wer diese Systeme ohne diese Maßnahme schon eingeführt hat, merkt den Mangel ja schon lange.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

2 Kommentare

  1. Klasse Artikel und sehr treffend.

    Ein unterstützendes Beispiel aus der Computerspielebranche bei den Online-Rollenspielen: Wenn man dort einen Patch ausführt der einer bestimmten Charakterklasse (also sagen wir mal 10% der Spielerbasis) Vorteile bringt, dann hat man schon verloren… in Wirklichkeit empfinden nun nämlich 90% der Spieler einen Nachteil und das Gemeckere ist groß.

    Der Mensch vergleicht sich nunmal gerne mit anderen. Wenn es mir gut geht und allen anderen noch ein bissl besser, dann fühle ich mich schlecht. Wenn es aber mir schlecht geht und allen anderen noch schlechter, dann fühle ich mich gut!

  2. Off-Topic: Kleinigkeit

    Das Deutsche unterscheidet hin und wieder zwischen Objekt- und Meta-Ebene. So auch bei physikalisch und physisch. Wenn ein Manager etwas Auge in Auge mitteilen muss, so tut er das sicherlich Angesicht zu Angesicht. Er glänzt also durch seine physische Anwesenheit. Erst wenn er den Vorgang mathematisch modelliert und Experimente entwirft, wird es physikalisch.
    Man hat sich ja schon daran gewöhnt, dass vielen Menschen – vermutlich mit tatkräftiger Hilfe des Englischen – der gleiche Unterschied zwischen psychisch und psychologisch nicht klar ist. Physisch/physikalisch ist wohl der nächste Kandidat. Wer braucht schon Ausdrucksstärke …