Duales Management – geht das überhaupt?

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich hier auf die verschiedenen Denk- und Sprechweisen von Managern und Menschen hingewiesen, je nachdem welche Menschenauffassung sie in sich tragen. Was ist ein Mensch? McGregor unterschied als erster in den 60er Jahren die „Vorstellungsbilder“ von X-Menschen und Y-Menschen.

•    Theorie X: „Arbeitssklave“, muss dauernd getreten und gedrängelt werden.
•    Theorie Y: Will von sich etwas leisten, sich entwickeln und stolz darauf sein.

In der Presse ist derzeit immer wieder so etwas über einen bekannten Dieselhersteller zu lesen: „Man musste gehorchen.“ – „Man verzeiht keine Fehler.“ – „Man duldet keinen Widerspruch.“ – „Wir durften praktisch nur die erfolgreiche Erledigung berichten, das taten wir auch jedes Mal.“ – „Es herrscht ein Klima der Angst.“ Was kann man dazu sagen? Es herrscht Kultur X.
Die Presse ist der Meinung, diese zitierten Stimmen seien ein Zeichen für eine falsch gelebte Fehlerkultur. Nein, stimmt nicht, es sieht aus wie eine vollkommen richtige X-Kultur, aber aus Sicht eines Y-Menschen beurteilt.
Wir hören immer wieder ähnlich klingende Berichte von Unternehmen wie vormals Schlecker und anderen Discountern, von Fließbändern und Junk-Food-Ketten. Dort schleusen sich manchmal Y-Menschen ein und urteilen über X aus Sicht von Y: „Dieses Command & Control muss aufhören! Die Menschen müssen für voll genommen werden, sie sind keine Mägde und Knechte mehr!“ In solchen Kulturen werden Fehler eben nicht geduldet. An Fließbänder sollten sie ja auch nicht vorkommen. Die Industrialisierung lebt wesentlich davon, dass alles fehlerfrei rollt. Das rechtfertigt keine Galeerensklaverei, aber das Streben nach Fehlerfreiheit.

Weiter oben in den Hierarchien geht es aber auch (oder vor allem) um neue Konzepte für die Zukunft, um die Gestaltung neuer Geschäftsprozesse, um Innovation, gesellschaftliche Verantwortung und die kulturelle Einbindung des Unternehmens. Dort sollte es eine Y-Kultur geben, also vor allem eine im höheren Management und bei den technischen Spitzenkräften. Praktisch alle neuen Management-Lehren beziehen sich auf diese Ebene. Y-Management für Y-Manager!

Da könnte man von weitem gesehen sagen, dass „weiter unten“ eben traditionelle X-Prozessabarbeitung vorherrscht, wo man Mitarbeiter wie eh und je zu routiniertem Arbeiten unter maximaler Eile und Anstrengung erzieht. Aber „oben“ soll bitteschön Y-Denken die Regel sein.

Geht denn das? So eine Art dualer Struktur, wo unten malocht werden soll, oben aber eine lockere andersartige Y-Kultur die Fäden in der Hand hat? Bei Google, Amazon oder Apple könnte das so sein – die sind ja als Y-Startup entstanden und legen sich mit der Zeit immer mehr X-Zonen von Lagerarbeitern, Smartphonezusammensteckern und Codern zu. Sind solche Strukturen stabil? Werden die Y-Strukturen Opfer der X-Geister, die sie riefen?

Oft beginnt die Karriere in großen Konzernen in der X-Zone. Man arbeitet und gehorcht. Man wird befördert und man gehorcht. Befördert und gehorcht. Noch einmal befördert und plötzlich heißt es: „Nun sei ab jetzt schön kreativ, innovativ und selbstinitiativ! Experimentiere auch dann mutig, wenn einmal etwas schief gehen könnte! Liebe deine Kollegen, liebe das Team, den Wandel und alles Disruptive. Hänge nicht an den Prozessen, die unten das Tagesgeschäft zu 100 Prozent ausmachen. Denke neu, anders, quer, out of the box!“
Können Leute, die als X-Menschen arbeiteten und so behandelt wurden, dann später Y-Menschen werden? Natürlich geht das in jedem Einzelfall – aber geht das in der erforderlichen Mehrheit? Ich glaube ja nicht! Ich erinnere mich an ein Top-Management-Meeting, in dem das Top-Team eingeschworen werden sollte, Neues zu wagen. Man gab ihnen die volle Aktionsfreiheit, sagte ihnen jede Unterstützung zu: AUFBRUCH. „Aufbrechen!“, rief der Chef, „Klar, oder noch Unklarheiten?“ Er schaute in die Runde. Da meldeten sich zwei Fragende. „Nach welchen Kriterien wird das Aufbrechen bewertet?“ Das war die eine Frage. Die andere: „Könnten wir jetzt einmal die ärgerlich vagen Appelle des heutigen Tages beiseitelassen? Was sollen die überhaupt? Was, bitte, soll ich als Vice President denn jetzt ganz genau in meinem Bereich konkret tun? Ich brauche doch Anweisungen, was ich umsetzen soll. Sagt, was ich ändern soll, und ich mache es. Aber einfach Aufbrechen ohne jeden Plan und ohne vorgegebene Struktur!? Soll ich mir etwa alles selbst ausdenken?“ – „Ja, genau, da kann doch nicht jeder eigenmächtig rummachen“, sagte der andere, „und wie bewertet man das bei den Boni?“

Da sitzen die X-Tops und lassen sich nicht einmal gedanklich umschulen. Ich spürte einen größeren Resignationsgau in meinem Leben.
Und ich denke bei mehr: Wenn unten zu viel X-Kultur herrscht, zieht das nach oben immer weiter hoch – egal, was die Management-Gurus dazu Y-lamentieren. Die Gurus wollen es über die Einsicht von oben her lösen, es geht aber nur per Abschaffung von unten.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

4 Kommentare

  1. Genauso ist es. Das Top-Management “wünscht ” sich abstrakt irgendwie Y, handelt und redet aber wie X.

  2. Es gibt ja den alten, aus Militärkreisen stammenden Spruch von den möglichen Kombinationen klug/dumm und fleißig/faul. Die größte Gefahr für die Effizienz einer Armee seien die Menschen, so heißt es dort, die dumm und fleißig sind.
    Sind diese Leute nicht ein Problem für “Y”?

  3. In meiner Branche, der IT, sind eher Mischformen anzutreffen. Auch die Innovation sollte dort ein systematischer und ergebnisorientierter Prozess sein. Auch hier gbt es X- und Y-Bereiche wie Betrieb und F&E, und die Menschen sind ja auch verschieden: Manche fühlen sich wohler in einer X-Struktur, andere in ene Y-Struktur. Moderniät heißt doch dann, den Menschen mit ihren Potetialen gerecht bzu werden.

  4. Ich kenne wohl Kollegen, die ich tendenziell auch wie “X” behandle, aber ich kann mir kaum vorstellen, daß sich jemand in einer “X” Kultur wohlfühlt. “X” heißt doch, daß man wie ein Sklave behandelt wird. Für mich bedeutet “X” nicht, daß manche Mitarbeiter/Kollegen deutlich klarere Aufgabenstellungen brauchen als andere.