Direktglaube – Die Brücke sind wir!

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Der Papst will eine stärkere Entweltlichung der Kirche. Er ist als Papst der Pontifex für alle Gläubigen und Menschen überhaupt. Er baut die Brücke zu Gott. Die Kirche erweitert die Brücke zu Gott. Was leistet eine Brücke? Für welche oder wie gute Menschen ist sie bestimmt? Was tut man, wenn die Brücke nicht trägt? Geht es auch ohne Brücke?

„Glühende Heilige“ sollen wir alle nach dem Wunsch des Papstes sein, nicht nur die „lauen Christen“! Das verstehe ich – ja. Ich bin allerdings evangelisch, als einziger in meiner Familie – und ich erschauere bei einem solchen Appell nicht spontan. Aber die Forderung als solche macht mich nachdenklich. Sie ist berechtigt, aber sehr extrem.
Solche Forderungen werden in vielen Situationen gestellt. Taoisten sollen dem Weg folgen, nicht in die Weltordnung störend eingreifen, nur durch Weisheit ohne Handeln wirken, sich des eigenen Selbsts entäußern. Buddhisten sollen den Weg ins Nirwana verfolgen, aller Gier, allem Hass und eigener Verblendung entfliehen, ihr Selbst erlöschen lassen und kein Karma erzeugen. Konfuzius will extreme Lebensregeln des Edlen eingehalten sehen. Es gibt die Erzählung, dass es ein Schüler tatsächlich auf einige Wochen regelkonform sündenfreies Leben gebracht habe.

Der Wunsch nach Heiligkeit ist so alt wie die Welt. Die Erkenntnis, dass die meisten Menschen sich diesen Wunsch andächtig und auch wohlgefällig anhören, aber selbst nicht einmal entfernt so sind, ist bestimmt noch älter. Deshalb schwächen sich dann die puristischen „wahren“ Heiligkeitsforderungen so weit ab, dass sie tragfähige Kirchenordnungen zulassen. Die Buddhisten lassen vom reinen Nirwana ab und verlangen „nur“ noch das Gehen des Edlen Achtfachen Pfades (rechtes Handeln, rechte Rede, rechte Einsicht, …). Die Christen sehen sich schon dann auf gutem Wege, wenn sie wirklich gute Menschen sind. Sie lieben den Menschen dann zwar nicht wie sich selbst, aber doch hinreichend genug.
Immer gibt es die absolute heilige Auffassung und die für allgemeine Menschen vernünftige erwartbare Version, die sich mit Hilfe einer kirchlichen Organisation im praktischen Sinne „managen“ lässt.

Diese Unterschiede in den Versionen treten auch im profanen Leben auf. Manager wollen ausschließlich „glühend Begeisterte“ als Mitarbeiter, andere überhaupt nicht mehr. Sie wollen alle diese anderen, die „mitzuschleppenden Feierabendersehner“, am liebsten entlassen. Sie übersehen, dass die vernünftig erwartbare Version nur die sein kann, dass die Mitarbeiter einfach normal gut arbeiten.

Das Heilige ist immer extrem, auf seinem Pfad wandeln wenige. Für welche Menschen oder für wie viele ist eine Kirche oder ein Manager denn nun wirklich zuständig? Nur für Heilige bzw. Leistungsträger? Oder sollte man Anstrengungen unternehmen, überhaupt alle zu Heiligen oder Leistungsträgern zu machen? Wie soll das gehen? Dann müsste man jeden einzelnen Christen oder Mitarbeiter sorgfältig entwickeln, coachen und leiten – mit Hingabe und Liebe, Christ für Christ, Mitarbeiter für Mitarbeiter.
Welche dieser beiden Entweltlichungen will der Papst? Zurückziehen auf den Kern? Oder eine extreme Erhöhung der kirchlichen Anstrengungen, den Bereich des Heiligen auf Erden auszuweiten, Christ für Christ?

Genau um die Frage, wie es gemeint sein soll, drücken sich alle. Der Papst will uns als Heilige. Der Vorstandsvorsitzende appelliert an uns, Leistungsfanatiker zu sein und unsere Employability (unsere persönliche Beschäftigungsfähigkeit oder unsern Employee-Value) zu steigern. WIR sind allein für Heiligkeit und unsere Berufsfähigkeit verantwortlich. „It’s up to you!“, habe ich so oft gehört. Gleichzeitig werden die Bildungsanstrengungen gesenkt, die Kirchen ziehen sich auf Seelsorgeeinheitenzentralen zurück und lassen die Gläubigen im Dorf ohne stete Präsenz des Heiligen quasi allein.

Wo ist die Brücke? Sind wir das jetzt selbst? Müssen wir zum vermittlungslosen Direktglauben an Jesus übergehen? „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Sollen wir uns im Web 2.0 organisieren?

Das dachte ich beim hohen Besuch in Deutschland. Jetzt bekomme ich bestimmt Proteste, dass mich das als Protestanten nichts angeht. Ich gehöre aber zu den Besserverdienenden und zahle per Splitting ein Heidengeld per Steuer an die katholische Kirche. Das ist gern gegeben, aber dann darf ich doch berechtigterweise gesamtchristliche Fragen aufwerfen?

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

6 Kommentare

  1. Kirchgeld?

    „Ich gehöre aber zu den Besserverdienenden und zahle per Splitting ein Heidengeld per Steuer an die katholische Kirche.“

    Laut WP [1] wird das besondere Kirchgeld recht uneinheitlich erhoben. Wechseln Sie in doch einfach in die getrennte Veranlagung. Dr. Schäuble wird’s Ihnen danken. Oder verlagern Sie den Wohnsitz (Ihrer Frau), nötigen Sie Ihre Frau zum Austritt oder reduzieren Sie Ihr Einkommen auf Null. Mit all diesen Möglichkeiten sparen Sie sich das Aufwerfen unvernünftiger Fragen.

    [1] http://de.wikipedia.org/…schiedener_Ehe#Erhebung

  2. “Wo ist die Brücke? Sind wir das jetzt selbst? Müssen wir zum vermittlungslosen Direktglauben an Jesus übergehen? „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“”

    Warum nicht? Ein Sterblicher, der sich als “heiliger Vater” titulieren läßt, kann sicherlich keine “Brücke” sein. Der arme Jesus würde sich im Grabe herumdrehen.

    “Was nennst du mich gut?…” Und ob “Gott” “gut” ist, wissen wir auch nicht. Stühle können auch nicht heilig sein. Stühle sind in der Regel kaputt oder ganz.

  3. Toller Beitrag!

    Das ist wirklich ein kluger Text – konstruktive Kritik & Hinterfragen auf höchstem Niveau. Besonders spannend fand ich die Übertragung der “Erwartungshaltung” in Religion und Wirtschaft. Darüber werde ich noch grübeln.

    Danke, gerade auch für solche Texte ist das Bloggen gedacht! 🙂

  4. Buddhisten

    “Buddhisten sollen den Weg ins Nirwana verfolgen, aller Gier, allem Hass und eigener Verblendung entfliehen”

    Buddhisten sollen nichts!

  5. Ich vertsehe die Institution “Kirche”, so wie sie derzeit in Deutschland anzutreffen ist, sowieso nicht. Speziell die katholische Kirche hat so überhaupt gar nichts mit der Armutslehre von Jesus Christus zu tun. Ein Stellvertreter Christi der mit Prunk, Pomp und Heiligkeit regiert, das ich nicht lache.

    Ich bin kein Christ, aber ich kenne die Bibel gut. Christus würde sich jedenfalls im Grabe umdrehen, wenn er wüßte wie sich die Kirchen in seinem Namen verhalten.

  6. Pontifex

    Inwieweit der Pontifex ein “Brückenbauer” ist, ist mir nicht klar. Der Begriff selber ist da etymologisch nicht gesichert, aber die andere röm. Bedeutung “Wächter des Götterkultes” passt sicherlich.

    Gerade bei dem Papst habe ich wenige Brücken gesehen, die er aufgebaut hat, aber enige die er eingerissen oder beschädigt hat.

    Man denke nur an die Piusbrüder, die Karfreitagsfürbitte, die Indianer, die angeblich auf ihre christliche Erlösung “gewartet” hatten uvm. und beim Skandal um den Kindesmissbracuh in seiner Kirche hat er sich auch nicht gerade postiv bemerkbar gemacht.

    Also erstmal im eigenen Laden fegen bevor man von anderen etwas fordert.

    Mit der Feldrede hat die RKK eh nichts am Hut.