Digitale Potenz – ein Überspitzer gegen den Über-Spitzer

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Alles hat zwei Seiten, besonders alles Neue. Die Antagonisten des Neuen verdammen es dadurch rhetorisch smart, indem sie seine vermutlichen oder zu befürchtenden Schattenseiten mit den Sonnenseiten des idealisierten Alten vergleichen. Die neuen Technologien unserer neuen Zeit verheißen dem Menschen „Digitale Potenz“. Das schmeckt vielen nicht, weil sie diese ja erst durch Lernen erwerben sollen. Da kommt der Bannfluch der „Digitalen Demenz“ von Manfred Spitzer gerade richtig.

Das Neue verheißt den Zugang zu allem Wissen der Welt, so wie die Bibliothek in Alexandria der alten Welt einen Kulturschub gab. Wer ein klein wenig wissen will, schlägt bei Google nach, was in zehn Sekunden ermöglicht, wozu früher der Gang zur Bibliothek nötig war (eine Stunde für eine winzige Info?). Fragen bleiben nie mehr ungestellt, nur weil der Gang zur Bibliothek zu lästig wäre. Bildung ist für jeden da, auch in den Slums, die wenigstens ein bisschen Strom haben. Das Beste der Welt ist überall da, es ist nicht den Reichen und Professoren vorbehalten. Bildung hat viel mit der Kenntnis und dem persönlichen Verstehen des Wertvollen zu tun, die kann nun jeder erlangen. Jeder kann sich bilden, wenn er nur will. Das Netz bringt Transparenz und engt das Böse ein, es bringt Bürgern neue Freiheiten gegenüber missbrauchter Macht… Das ist die Verheißung des Neuen! Das Neue begeistert den, der das Gute will. Er verspricht sich viel von der neuen Digitalen Potenz.

Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht um das Gute wirklich scheren und eigentlich nur Lust, Ablenkung und Instinktbefriedigung suchen. Solche Menschen wollen nichts leisten und nicht lernen, sie lassen das Hirn lieber leer und schreiben die Hausaufgaben bei anderen ab. Sie wissen nichts selbst, sondern fragen andere. Sie täuschen erforderliche Leistungen vor. Sie verdaddeln mit Spielen die Zeit und befriedigen sich mit Horror und Sex. Sie sind oft süchtig, spielsüchtig, trunksüchtig, tablettenabhängig – was es alles so gibt. Sie konzentrieren sich nicht auf das Gute, sondern zerfließen impulsiv in vieles Zerstreuende. Von ihren eigenen Kindern fühlen sie sich gestört. Die stellen sie ruhig, zuerst mit Zuckertee, später mit Fernsehen, Süßem oder Wegschicken („geh raus und spiel was“). So geben sie ihr Unwesen weiter.

Um diese Menschen kümmert sich nun endlich Manfred Spitzer. Er fragt sich, was sie wohl mit dem Internet anstellen könnten. Sie müssen nichts mehr wissen! Sie googlen. Sie müssen nichts mehr schreiben! Sie kopieren. Sie müssen nicht mehr planlos auf der Straße sitzen, sie daddeln auf dem Smartphone. Sie konzentrieren sich nicht, sie reagieren auf SMSe. Sie streiten sich nicht mehr mit realen Menschen, sie mobben im Web. Sie müssen nicht mehr bis in die Nacht warten, bis das TV mit Sex & Crime lockt, sie haben es jetzt rund um die Uhr. Wer nichts will, kann zum Beispiel auf der Straße nichts wollen oder eben vor einem Tablet auch nichts. Wer irgendwelche Süchte hat, kann sie nun um Internetsucht erweitern oder ersetzen.
Spitzer verlangt, dass diesen Menschen, die nichts wollen, zur Ursachenbehandlung das Netz weggenommen wird… Denn ihr Gehirn (so sagt der von ihm selbst unendlich oft betonte Hirnforscher, der Widerspruch unmöglich macht) nimmt beim Nichtswollen/Impulszerfließen Schaden. Das kann ja sein, sage ich, meinetwegen, sage ich, aber dieses immer wieder bejammerte „Verkommen“ gab es doch als „Analoge Demenz“ schon immer? Was hilft das Klagen einer nun technologiemöglichen neuen Form des Verkommenkönnens? Müssen wir uns nicht doch immer wieder nur auf den Menschen an sich besinnen?
Wie verhindere ich „Demenz“ und wie fördere ich „Potenz“? Diese Aufgabe stellt sich immer neu, wenn sich unser Leben verändert, ja. Aber das Neue abzulehnen, weil nun jede analoge Demenz (an die wir uns gewöhnt haben) durch eine digitale ersetzbar ist? Warum?

Herr Spitzer: Digitale Impotenz ist behandelbar.

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Veröffentlicht von

www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

6 Kommentare

  1. Dämonisierung x.0

    Vielen Dank, Herr Dueck für dieses Posting … das trifft die Sache genau 🙂

    Ich selbst habe Herrn Spitzer 2008 live bei einem Vortrag erlebt und konnte nicht umhin, anfangs seine Polemik einleuchtend zu finden. Bei näherem Hinhören/-schauen, bemerkte ich aber deutlich die Wiederholungen in seiner “Argumentation”. Vereinfacht ergab sich dann eine knappe Gleichung: Neu = anders = schlecht!

    Es ist verführerisch, populistisch affinen Menschen zuzuhören und ihnen zu glauben, zumal die offensichtliche Überzeugung, der einzige zu sein, der dazu imstande ist, die Welt zu retten, für manche anziehend wirkt. Emotional geführte Debatten, die darauf basieren, den Menschen Angst zu machen, sind extrem kontraproduktiv und haben in der Wissenschaft, zu der sich Herr Spitzer ja berufen fühlt, nichts verloren.

    Tatsächlich taugte Medienkonsum noch nie dazu, ihn als monokausale Wahrheit für den Untergang des “Abendlandes” (denn für das Morgenland schreibt man den neuen Medien ja gar heils- bzw. revolutionsbringende Kräfte zu, was ebenso nicht zu pauschalisieren ist) zu erheben.

    Ein Beispiel:
    Wie lächerlich erscheint uns in der Retrospektive die Aufregung, die durch die Gesellschaft geisterte, als jeder zweite Jugendliche mit Walkman und Kopfhörer durch die Straßen taperte!

    Keiner (nun ja, vielleicht doch noch ein paar “Hängengebliebene”) würde behaupten, die Generation der Walkman-Nutzer wäre für ihr ganzes Leben geschädigt worden. Oder sollte auch ich, der wohl dieser Gruppe angehörte, mich daraufhin mal untersuchen lassen?
    Auch wenn der Walkman den Jugendlichen heute fast völlig unbekannt und er von MP3-Playern (nicht nur von Apple) oder inzwischen Smartphones abgelöst wurde, spielt Musikhören eine wichtige Rolle in der Freizeit … egal, ob per Knöpfe im Ohr oder Kopfhörern auf den Ohren.

    Wenn wir Medien nutzen, kostet das unsere Zeit und Aufmerksamkeit. Daran ist an sich nichts Verwerfliches. Dumm nur, wenn als Folge andere Dinge auf der Strecke bleiben. Also wäre eher eine differenzierte Aufklärung über Folgen, Alternativen und Wahlmöglichkeiten wesentlich angemessener als blumige Buzzwords von selbsternannten Heilsbringern.

    Menschen, die einen Faktor als den ultimativen Fluch identifiziert haben, sollten einem immer verdächtig vorkommen. Denn so einfach gestrickt ist der Mensch als Lebewesen und Teil einer Gesellschaft und Kultur nun doch wieder nicht (hoffe ich zumindest).

    Statt zu verbannen und zu dämonisieren sollte man seine Energie dafür verwenden Neues zu schaffen, statt zu Altem zurückzukehren. Es ist sehr viel einfacher, auf Bekanntes/Bewährtes zu verweisen als sich Gedanken über Innovationen zu machen.
    Wenn Herr Spitzer mal wieder ein Buch schreiben möchte, dann würde ich vorschlagen, er bietet einen Katalog neuer (!) Alternativen an, wie man seine Zeit sinnvoll nutzen kann, statt von “digitaler Demenz” zu sprechen und uns an die “gute, alte” Prä-Computer-Zeit zu erinnern bzw. uns dorthin versetzen zu wollen.

    Und noch etwas:
    Nur, weil man Argumente wiederholt, werden sie nicht gleichzeitig wahrer …

  2. Herr Spitzer

    … hat womöglich ein grundsätzliches Medienproblem, Fernsehen mache bspw. “dick, dumm & gewalttätig”; dankenswerterweise reicht seine eigene Medienkompetenz aus Medien zu nutzen und seine Erkenntnisse weiterzutragen, auch im TV und im Web…

  3. Professoren

    Herr Professor, es ist doch sonst nicht Ihre Art, in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen.
    Dieses regelrechte Wüten gegen den Prof. Spitzer, das paßt doch gar nicht zu Ihnen .
    Das erinnert mich an einen alten Spruch, getroffene Hunde bellen.

    >

    Sie wissen doch ganz genau, daß das so, wie Sie es beschreiben, s.o., nicht ganz stimmt. Jeder Dösbattel, der mit der Maus umgehen kann, hat nun Zugang zu allem Wissen der Menschheit. Zugang, heißt noch lange nicht Umgang. Mit dem Wissen muß man umgehen können, wozu es Fähigkeiten bedarf, Können. Kann das auch google vermitteln?
    Nein, das kann jeder selbst. >
    Das erinnert mich stark an das Märchen, “Vom Tellerwäscher zum Millionär”.
    Können Sie mir auch nur einen Solchen nennen? Der es geschafft hat, auf anständige Art und Weise diesen Weg so zu gehen?

    Ich denke, der Herr Prof Spitzer hat nicht ganz Unrecht.
    Wenn Sie ihm empfehlen, digitale Demenz sei behandelbar, ist es vielleicht auch nicht von der Hand zu weisen, die neuen Technologien, die dem Menschen digitale
    Kompetenz verheißen, immer einmal wieder auf den Prüfstand zu stellen.

  4. Professoren-Korrektur

    Herr Professor, es ist doch sonst nicht Ihre Art, in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen.
    Dieses regelrechte Wüten gegen den Prof. Spitzer, das paßt doch gar nicht zu Ihnen .
    Das erinnert mich an einen alten Spruch, getroffene Hunde bellen.

    >

    Sie wissen doch ganz genau, daß das so, wie Sie es beschreiben, s.o., nicht ganz stimmt. Jeder Dösbattel, der mit der Maus umgehen kann, hat nun Zugang zu allem Wissen der Menschheit. Zugang, heißt noch lange nicht Umgang. Mit dem Wissen muß man umgehen können, wozu es Fähigkeiten bedarf, Können. Kann das auch google vermitteln?
    Nein, das kann jeder selbst. >
    Das erinnert mich stark an das Märchen, “Vom Tellerwäscher zum Millionär”.
    Können Sie mir auch nur einen Solchen nennen? Der es geschafft hat, auf anständige Art und Weise diesen Weg so zu gehen?

    Ich denke, der Herr Prof Spitzer hat nicht ganz Unrecht.
    Wenn Sie ihm empfehlen, digitale Demenz sei behandelbar, ist es vielleicht auch nicht von der Hand zu weisen, die neuen Technologien, die dem Menschen digitale
    Kompetenz verheißen, immer einmal wieder auf den Prüfstand zu stellen.

  5. Digitale Bulimie

    Wir haben uns so an das Internet als eine bequeme und universelle Antwortmaschine gewöhnt, daß wir uns kaum noch vorzustellen vermögen, wie es einst war, ohne Internet auch nur an das Kinoprogramm der Nachbarstadt zu gelangen oder eine Zugverbindung zwischen Aachen und Zwiesel herauszufinden. Und doch hatte der “lästige Gang zur Bibliothek” vielleicht sein Gutes, indem er uns nämlich zwang, jedesmal abzuwägen zwischen dem Aufwand des Weges und dem Wert, den die gesuchte Information für uns ganz persönlich hatte. Gehe ich hingegen heute online, um eine Information zu recherchieren, bleibe ich garantiert in den verführerischen, schier unerschöpflichen Angeboten des Netzes hängen. Ich folge mehr oder weniger ziellos Links, die mir Interessantes verheißen, und aus einer unbestimmten Angst, etwas zu verpassen, statte ich gleich auch noch diversen Blogs einen Besuch ab. Zurück bleibt ein Ekel angesichts der vertanen Zeit (die ich vielleicht doch besser für einen Bibliotheksbesuch verwendet hätte?), in der ich Unmengen an Infohäppchen heruntergewürgt habe, die ich – kraß ausgedrückt – am liebsten wieder auskotzen möchte. Längst besteht mein Problem ja nicht mehr im Finden von Informationen, sondern in deren Abwehr. Aber wahrscheinlich zähle ich einfach zu den Menschen, die sich laut Gunter Dueck “nicht um das Gute wirklich scheren und eigentlich nur Lust, Ablenkung und Instinktbefriedigung suchen”.

    Vielleicht ist es aber auch so, daß jedes Medium auf seine ganz spezifische Weise unser Denken, Kommunizieren und Handeln tiefgreifend prägt. “Das Medium ist die Botschaft”, so brachte es einst der Medientheoreiker Marshall McLuhan auf den Punkt. Dann würde es allerdings zu kurz greifen, wenn Gunter Dueck und andere Apologeten des digitalen Fortschritts uns suggerieren, Medien seien doch bloß neutrale Werkzeuge, und es liege an uns, wie und wozu wir sie nutzen.

    Spätestens seit dem Aufkommen der Umweltbewegung in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß Erfindungen wie etwa Atomkraftwerke oder Autos nicht per se zu einer Verbesserung unseres Lebens beitragen müssen. Doch während wir uns ganz selbstverständlich Sorgen machen um unsere Umwelt, wenn sie durch die “harten” Technologien der Industriegesellschaft bedroht und ausgebeutet wird, tun wir uns schwer mit einer vergleichbar kritischen Besorgnis angesichts möglicher Auswirkungen der digitalen, “virtuellen” Technologien auf unsere “Innenwelt”. Der von einer langen Tradition der Technikkritik erkämpfte Konsens, daß nicht alles, was technisch machbar ist, auch umgesetzt gehört, scheint heute wieder außer Kraft gesetzt: In unserer digitalen Welt wird eine geradezu naiv anmutende Fortschrittsgläubigkeit plötzlich wieder salonfähig: Gunter Dueck darf die “Verheißungen des Neuen” preisen und der Kommentator R. Schneider pauschalisierend die Innovation über das Bewährte stellen.

    Es ist an der Zeit, daß wir uns ernsthaft fragen, was es für künftige Generationen bedeuten wird, in eine zunehmend überdeterminierte und virtuelle Welt hineingeboren zu werden, in der z.B. die Kluft zwischen dem, was ein Kind konsumiert, und dem, was es selbst schaffen kann, immer größer wird. (Können junge Leseratten sich prinzipiell ein Schulheft zur Hand nehmen, um sich selbst als Autor zu versuchen, bleibt ein Computerspiel für die meisten Kinder zwangsläufig eine “Schwarze Kiste”.) Und wie viele Menschen werden in der Häppchenkultur eines allgegenwärtigen Internets noch die Konzentration und Kontemplation aufzubringen vermögen, wie sie die Lektüre eines Buches erfordert.

    Auch wenn mir das mechanistische Menschenbild der Hirnforschung eher fern liegt: Ich bin Manfred Spitzer dankbar, daß er mit seinem, zugegebenermaßen manchmal plakativ und selbstgerecht auftretenden Bestseller eine notwendige Diskussion entfacht und den Apologeten einer schönen neuen Medienwelt engagiert Paroli bietet.

  6. @ G Wagner

    Haben Sie das Buch von M Spitzer einmal gelesen, vielleicht die ersten Seiten bei Amazon? Ist das ein guter Ton? Wollen Sie, dass ich wie im amerikanischen Moralfilm den Guten spiele, der unter Qualen dann durch ein Glücksfall doch noch am Ende irreal siegt? Darf nur die eine Seite poltern – muss die andere zart ziemend züchtig bleiben? Ist es okay, Polemik durchgängig als Hirnforschung auszugeben etc?? Ist mein Ton nicht gerade lieb gegen “das Buch”? Ach, das Poltern ist “Sorge um Menschen”, und bei mir nicht?