Digital Immigrants und Analog Exiles

BLOG: WILD DUECK BLOG

Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Die Zukunft ist digital. Das Internet ist ihr neues Leitmedium. Das neue Heimatland für unsere nächsten Jahrzehnte stieg auf wie aus dem Nichts. Viele von uns sind dort schon mit einer Flatrate geboren worden. Andere ziehen nach und nach zu, die Digital Immigrants – meist Ältere, die sich langsam für die neue Heimat begeistern. Ja, und dann wären da noch die Analog Exiles…

Man sagt heute nicht mehr „Jugend“, nein! Die Jungen heißen heute Digital Natives, weil sie schon mit fünf ein Handy hatten, ohne das keine ungestörte Persönlichkeitsentwicklung im Digital Age möglich ist. Oma sagt: „Bald darfst du zur Schule. Brauchst du da nicht ein Handy zum Geburtstag?“ – „Wehe, ich bekomme ein Handy! Ich will ein Smartphone! Wehe, ich bekomme eins mit Tasten! Wehe, eines von (ups!), was Papa hat!“ Digital Natives fragen die Mama: „Ma, von welchem Portal habt ihr mich gedownloadet?“ Und Papa bittet: „Pass auf, meine Kleine, wir machen einen Deal, weil ich mit dem Computer absolut nichts blicke. Du arbeitest für mich im Home-Office für meine Firma und ich mache dafür deine analogen Hausaufgaben, die seit Humboldt die gleichen sind, die kann ja noch jeder wie ich, der aus der Steinzeit stammt.“

Das Digitale Land ist aus dem Meer aufgestiegen wie Jamballa, als gleichzeitig „Das Land, das nicht sein darf“, mit der Burg der Wilden 13 vom Wasser verschlungen wurde. (Na, noch Jim Knopf im Kopf?) Viele Ältere ziehen dort ein. Sie heißen Digital Immigrants. Sie wollen die Sprache und die Grammatik des neuen Landes erlernen und dort heimisch werden. „Wie heißt Buch auf Digital?“ – „Häng im Zweifel erst einmal ein e vorne dran, also eBuch. Das stimmt nicht ganz, wird aber schon verstanden, Opa.“ Die heimischen Digital Natives, die Ureinwohner des neuen Landes, kümmern sich rührend und mit sprichwörtlicher Engelsgeduld um die Neuankömmlinge, bis sich diese in der neuen Heimat eingerichtet haben. „Ich benutze den Laptop immer nur ganz kurz, damit er noch länger hält. Ich weiß nicht, was Runterfahren heißt, ich ziehe immer den Stecker raus, wenn ich fertig bin. Jetzt ist aber die Batterie leer. Brauche ich ein neues Laptop?“

Unter Immigranten versteht man im engeren Sinne Menschen, die sich aktiv und freudig einem neuen Volk anschließen wollen. Es gibt aber auch so etwas wie Wirtschaftsflüchtlinge, die nur deshalb in ein anderes Lang ziehen, um dort Vorteile für sich selbst mitzunehmen. Sie denken nicht daran, sich im neuen Land zu akklimatisieren und sehen auch nie eine Heimat darin. Sie lernen nicht die Sprache des Landes, in das sie zogen – nein, sie kommen nur, um die Nachteile ihrer eigentlichen Heimat nicht erleiden zu müssen. Sie leben wie in der Verbannung und trauern um die gute alte Vergangenheit.

Das analoge Land, in dem Internet nicht sein darf, versinkt langsam und bietet immer weniger Lebensraum. Dort leben noch alte Lehrer, die sich früher von ihren eigenen radikalalten Eltern das Recht auf mehr als eine halbe Stunde Fernsehen und längere Haare erstritten haben und die nun gegen die Internetpest in ihren Klassenzimmern wüten. Es ist Krieg wie damals, als die Verteidiger der Logarithmentafel gegen die Einführung des Aristo-Rechenschiebers zu Felde zogen. Hohe Führungskräfte sprechen noch heute konsequent in Diktaphone, die vor Jahren nur ein Boss nutzen durfte – und analoge Sekretärinnen tippen alles mit Schreibmaschine auf Papier ab und geben es einem Digital Immigrant zum Übertragen in eine E-Mail. Viele Politiker wissen so wenig über das Internet! Geben Sie einmal bei Google „Youtube Zypries Browser“ ein und nehmen Sie sich drei Minuten Zeit, da hören Sie dann, wie Westerwelle und andere Mitte 2007 bestürzendes Unwissen an den Tag legen, ohne irgendwie verlegen zu sein! Die kleinen Kinder, die sie interviewen, zeigen sich sehr verwundert… Na, so wie die Kapitäne das Schiff als letzte verlassen, bleiben die Führungskräfte unseres Landes noch lange in Analogien, bis sie irgendwann nicht mehr gewählt oder ernannt werden, weil sie allein im Land zurückgeblieben sind! Dann kommen sie schließlich mit einer Digital Secretary als billige Pflegekraft in die Digital Future und leben unter uns wie Wirtschaftsflüchtlinge oder Analog Exiles. Analog Exiles kommen nur zu uns, weil sie es im Land ohne Internet nicht mehr richtig aushalten. Sie wollen keineswegs hier ihre Heimatzelte aufbauen – nur eben nicht mehr im Elend der analogen Welt bleiben. Sie wollen an der digitalen Prosperität teilhaben, ohne am Aufbau des neuen Landes mitzuwirken. Die Digital Natives sollen eben nur ihre Rente erarbeiten.

Ja, und dann regen sich besonders die Analogen auf, wenn es noch andere ganz reale Exilprobleme mit Leuten gibt, die nur hierher kommen, um gut zu leben.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

4 Kommentare

  1. Pervasive Computing & Digital Invasion

    Altgediente Politiker haben Schwierigkeiten mit Internet, Browser, Computer, scheinen aber mit Handys und iPad besser zurecht zu kommen (siehe auch Wie ein Tablet-PC den Bundestag erobert

    In der ersten Phase des digitalen Zeitalters (noch altmodisch Computerzeitalter genannt), das immer noch andauert, aber langsam abgelöst wird, waren early adopters die scouts, die in die neue digitale Welt vordrangen und sich selber reprogrammieren mussten um mit der neuen Welt zurechtzukommen, in der Fähigkeiten wie das Memorieren von 100 verschiedenen Passworten, das An- und Abmelden und das Durchlesen von dickbändigen User Manuals den neuen Alltag bestimmten. Wer in der Hierarchie schon ein bisschen weiter oben angekommen war und dementsprechend die nötige Selbstreprogrammierung nicht mehr auf sich nehmen wollte und vielleicht auch schlicht zu faul oder vorgeblich zu beschäftigt dafür war, überliess das seinen menschlichen Assistenten.

    Heute in der 2.Phase des digitalen Zeitalters wird nicht nur das Internet, sondern alles Digitale zunehmend Ubiquitous und Pervasive und es hat sich so etwas wie eine digitale Zweitidentität ausgebildet. Für Politiker wird diese Zweitidentität – zum Beispiel in Form ihrer Homepage und ihres Facebook-Auftritts – immer noch von ihren menschlichen Assistenten in Gang gehalten.

    Für Politiker und viele Leute der älteren Generation war der Computer nie im engeren Interessenfokus und er wird es wohl nie sein.
    Für die digitalen Scouts der 2.Phase des digitalen Zeitalters hat die Bedeutung der Hardware (Laptop, PC, Smartphone, Tablet) sowohl zu- als auch abgenommen. Zugenommen, indem der digitale Scout gerne mit all den neuen Gadgets, gerade auch den mobilen, herumspielt. Abgenommen, als er seine digitale Identität immer mehr der Cloud anvertraut, so dass er auf all seine Daten von überall her zugreifen kann. Der neue digitale Scout hält Privatsphäre oft auch für ein atavistisches Konzept oder aber er baut sich schillernde Zweit- und Drittidentitäten auf.

    Doch diese 2.Phase des digitalen Zeitalters hat einen viel weiteren potentiellen Nutzerkreis. Gerade über neue Gadgets wie dem Smartphone oder dem Tablet (IPad) erreicht diese 2.Phase auch diejenigen, die eigentlich nur am Content interessiert sind. Plötzlich kann man den Spiegel im Sofa auch elektronisch lesen und landet fast unbemerkt im Forum, stösst auf Twittereinträge und Blogs.
    Wirklich pervasive und ubiquitous wird die digitale Welt wahrscheinlich erst, wenn jeder Moment unseres Alltags auch ein digitaler Moment ist, wenn also die meisten eine Brille tragen, die mitsieht und einen zugehörigen Prozessor, der mitdenkt und sich softwaremässig wie ein digitaler Assistent verhält, also mir beispielsweise den Namen der Person, der ich gerade das Gesicht zuwende ins Ohr flüstert. Ganz anders als viele annehmen werden nicht etwa Nerds die Hauptbenutzer solcher digitaler Alltagsassistenten sein, sondern gerade auch ältere Menschen, die durchs Leben begleitet werden müssen.

  2. Ich kann immer nur…

    mit dem Kopfschütteln, weil sich eine bekannte Buchhändlerin in den 30ern hartnäckig gegen eBooks wehrt. Echte Bücher seien ja viel toller, man braucht keinen Reader, keinen Strom, blabla… Fast richtig – aber vor allem zu kurz gedacht. So wie die Geldautomaten den Bankkassierer “obsoletisieren”, so werden eReader/eBooks den Buchhandel vernichten.

    Und dass es Lehrer gibt, die sich gegen das iNet wehren, finde ich nur peinlich. Eigentlich müsste es da eine Möglichkeit der Eltern zur Benotung der Skills der Lehrer ihrer Kinder geben.

  3. Irgendwie hinkt…

    …doch diese ganze Analogie mit den Eingeborenen und den Zugezogenen.

    Die Unterscheidung zwischen denen, die nur die Oberfläche nutzen und denen, die sich auch unter der Motorhaube auskennen geht bei der Unterteilung in Immigrants und Natives irgendwie verloren (oder vielleicht übersehe ich auch nur, wie sie sich in die Analogie einbauen lässt?).

    Wenn es darum geht, sich neue und innovative Nutzungsmöglichkeiten auszudenken, kann die Gewohnheit von Kindesbeinen an ja durchaus ein Vorteil sein. Aber auch das Wissen darum, was unter der Oberfläche vorgeht, kann zu ganz neuen Einsichten führen, auf die der digitale Eingeborene, der zwar von Geburt an auf Facebook ist, aber noch nie etwas von “Open Graph” oder dem “Graph API” gehört hat, niemals kommen würde.