Das Schweigen ist Schrei!

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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„Cum tacent clamant.“ Übersetzt: Ihr Schweigen ist wie Schreien, wie eine Anklage. Dieser berühmte Satz ist von Cicero. Es gibt heute eine Menge Schweigen. Das ist mehr wie Verzweiflung, aus Angst nicht anders als schweigen zu können. Oder das, wovon die Rede ist, liegt so fern, dass nur noch geschwiegen werden kann. Die aber reden, wissen das lieber nicht.

Wenn die Nachricht zu schrecklich ist, fürchten wir, als Bote gelyncht zu werden. Dann ist Schweigen für uns wie Gold. Wenn wir etwas befehlen wollen, was für andere schwer zu schlucken ist, sind wir mit dem Schlucken der Kröten ganz zufrieden. Die Gewalt, die wir übten, traf auf keine Gegengewalt. Immerhin.

Heute ist es oft die Zeit, dass Mitarbeiter entlassen werden sollen oder geplant ist, ihren Lohn zu senken. Mindestens aber sollen sie mehr arbeiten und auch gehorsamer sein. Da werden dann Reden gehalten, die diese Absichten als geniale Strategie tarnen und mit Begeisterung verkünden. „Das einzig Beständige ist der Wandel. Er ist gut per se, was immer sich wie wohin wandelt. Jeder, der etwas ändert, ist der Held der neuen Zeit, würdig Manager mit Optionen zu sein. Viele, ja viele, fürchten den Wandel, denn sie sind voller Angst und zeigen sich als Schwächlinge, kaum gerüstet für die doch wechselvolle Zukunft. Sie zittern bei der Ahnung, dass der Wandel auch kleinere Nachteile bringen kann, um die sie sich selbstsüchtig kleinkrämerisch den ganzen Tag sorgen anstatt zu arbeiten. Natürlich werden wir Mitarbeiter entlassen, aber wer anständig arbeitet, hat nichts zu fürchten. Wir entlassen nicht alle gleichzeitig, sondern nur nach und nach. Wir stellen fest, dass nach jeder Entlassung die Arbeit dennoch von den übrigen getan werden kann. Oh, wie faul sind Sie alle, Sie verdienen kaum den Namen Mitarbeiter. Was soll es sonst bedeuten, dass die Arbeit stets von weniger Menschen getan wird? Sie hängen sich wahrscheinlich auch heute und nicht morgen wirklich rein, wir werden noch einschneidendere Maßnahmen nötig haben.“

Cum tacent clamant. Aber es ist das Schweigen der Lämmer.

Und die Arbeit wird schon lange nicht mehr getan. Die Kunden werden kaum noch betreut und verlieren das Vertrauen. Der Service funktioniert nicht mehr gut, die Kunden beschweren sich. Die Zeitungen berichten jeden Tag, wie zum Beispiel Banken oder Call-Center die Kunden verprellen oder „vertriebsstark“ unter Druck setzen, ohne sich um den Kunden selbst zu kümmern. Unnötige Versicherungen werden aufgeschwatzt, Handyverträge angedreht. Schummelpackungen enthalten nun weniger.

Das wussten die Mitarbeiter schon immer. Die Bankmitarbeiter haben sich nun schon 15 Jahre die Reden ihrer Chefs von den Vertriebsoffensiven angehört und bitter geschwiegen. Sie rufen heute Kunden zu Hause belästigend an und spüren, wie das Vertrauen zerrinnt. Sie werden kurzfristig mehr verkaufen, ein-, zweimal noch bei den Kunden. Der Chef wird sie dafür loben und sie werden wieder schweigen. Wenn die Kunden verschwinden, werden sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Nicht gleich jetzt alle, nur nach und nach. „Wir haben uns überlegt, wegen der Synergien die schlecht frequentierten Zweigstellen zu noch weniger frequentierten Großzweigstellen zusammenzulegen. Wir sind in einer Notlage, weil die Kunden für den tollen Service nicht zahlen wollen. Die Kunden sind gnadenlos.“

„Wir wollen die beste Firma mit den besten Mitarbeitern und den besten Produkten und den zufriedensten Kunden und dem besten Image und dem höchsten Gewinn und der größten Begeisterung der Mitarbeiter sein!“

Und Sie? Sie schweigen. Das, was Sie denken, ist zu weit weg von dem, was gesagt wird. Keinen Zweck etwas zu sagen. Alles annähernd Wahre ist verglichen mit dem Gesagten schon sehr destruktiv und läuft ins offene Messer.

Cum tacent clamant. Aber es ist das Schweigen der Lämmer.

Merken denn Ihre Manager, dass Sie schreien, wenn Sie schweigen? Ich höre es oft so: „Ich hatte einen mächtigen Bammel, den Mitarbeitern diese schwere Kost zu vermitteln. Aber sie haben alles geschluckt. Wir haben sie gezwungen, auf Bewertungsbögen anzukreuzen, wie gut die Reden ankamen. Meine war 2.6 im Schnitt. Das ist mäßig, ja, aber ich kann nicht mehr erwarten. Ich habe meinen Job getan. Es war nicht zu erwarten, dass sie mich küssen, wenn ich die Einschnitte ankündige. Es ist mein Job, so zu reden. Er ist sehr hart, besonders in solchen Momenten. Mein Job erfordert, dass es mir egal ist, was sie über mich denken. Ich darf mich nicht emotional auf das einlassen, was ich sage. Dann wittern sie auch meine Angst. Ich rede und rede. Ich will nichts anderes hören müssen. Ich höre von oben schon genug, nämlich, dass es noch nicht genug ist – und das gebe ich weiter. Ich hoffe, dass sie es dennoch schaffen, was ich wollen soll, dann bin ich aus dem Schneider.“

Überall Schweigen.

„Ihr seid auf der Hauptschule und werdet wohl bald arbeitslos. Es wäre besser, ihr lernt ein paar Sprachen und passt auf, damit etwas aus euch wird. Ich fordere euch auf, zu tun, was ich sage, denn das ist das einzige, was euch rettet. Begeisterung für Mathematik und Deutsch rettet. Liebe zu Jahreszahlen und Niederschlagsmengen. Ich bin nur Lehrer und kann euch keine Zukunft geben, denn es gibt längst schon keine mehr für alle. Wer eine Zukunft haben will, muss sie sich selbst durch Interesse und Lernfreude zu erschaffen beginnen. Meckert nicht mit dem unsinnigen Schulstoff, für den kann ich nichts, egal, was ihr über mich denkt. Es ist mein Job. Der Lehrplan ist wie er ist. Er ist die Eintrittskarte für die, die mich hier in Ruhe meinen Unterricht machen lassen.“

Irgendwie glauben die da oben fest entschlossen wider eigenes Wissen, dass schweigend Schreiende immer noch gut arbeiten. Deshalb können Sie so lange schreiend schweigen, wie Sie wollen. Das ändert nichts. Dabei gäbe es Situationen, in denen Wandel ganz angebracht wäre.

Wer aber wirklich schreien will, muss sich überlegen, wer es hören soll. Der eigene Chef, das Fernsehen oder unsere Politiker?

„Ich wollte ihn anschreien, aber ich weiß, dass es ihm noch schlechter als mir geht. Ich arbeite ja noch die meiste Zeit relativ konstruktiv wenn auch überlastet, aber als Manager bekommt er wirklich ganztags Strom. Er tut mir leid. Er ist verzweifelt, aber als Manager darf er das viel, viel weniger zeigen als ich kleines Licht unten. Was wäre also gewonnen, wenn ich ihm zeige, wie er ist, denn er weiß es ja?“

Was tun wir also, wenn die gefühlte Wahrheit schon zu weit weg ist, dass sie hilfreich sein könnte? Wenn Wahrheit mehr schmerzen würde als das Verbleiben im Trug? Wenn Rückkehr mehr leiden ließe als das Weitergehen?!

Macbeth ächzt: „Ich steck so tief / im Blut, dass, sollte ich nicht weiter waten, /der Rückweg ebenso ermüdend wär’.“

Also weiter schweigend schreien? Ich sage:

Schweigen ist der letzte Schrei.
Ihr letzter. Des Lammes letzter. 

Alle zurück, schrei ich! Hören Sie? Und dieser Wandel ist meinetwegen so schrecklich wie der, der Sie zum Schweigen gebracht hat. Denn Sie müssen nun selbst kämpfen. Ja. Na, und? Los!

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

9 Kommentare

  1. Etwas sehr pessimistisch. Aber es ist schon merkwürdig, dass aus dem technischen Fortschritt, aus der Möglichkeit mit weniger Arbeit mehr zu schaffen keine Verbesserung der Lebensqualität der Beschäftigten folgt, eher das Gegenteil.

  2. Täuschung & Ausbeutung

    “Da werden dann Reden gehalten, die diese Absichten als geniale Strategie tarnen und mit Begeisterung verkünden.
    oder anders ausgedrückt:
    “Die Kunst der (Selbst-)täuschung” ??

    “Irgendwie glauben die da oben fest entschlossen wider eigenes Wissen, dass schweigend Schreiende immer noch gut arbeiten. Deshalb können Sie so lange schreiend schweigen, wie Sie wollen. Das ändert nichts. Dabei gäbe es Situationen, in denen Wandel ganz angebracht wäre.”

    ……und der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht…..endlich haben die Bauern mal mit dem “schreienden Schweigen” aufgehört und ich vermute mal, dass, sobald eine weitere “Schmerzgrenze” erreicht ist, das Blatt sich gegen jene wendet, welche diese Entwicklung(en) heraufbeschworen haben….und noch weitere sich gegen die entstandenen Härten wehren werden…

    Vielleicht schafft es “Mensch” hier dem Vorbild der “Schwarmintelligenz” aus der Tierwelt zu folgen….

  3. Sehr interessanter Text.

    “Etwas sehr pessimistisch. Aber es ist schon merkwürdig, dass aus dem technischen Fortschritt, aus der Möglichkeit mit weniger Arbeit mehr zu schaffen keine Verbesserung der Lebensqualität der Beschäftigten folgt, eher das Gegenteil.”

    Aber das sehe ich etwas anders. Klar ist durch den Technische Fortschritt die Lebensquallität gestiegen. Denk nur mal wo wir heute ohne Autos, Motorräder, Computer oder Fernseher wären.

  4. Jammern ist IN

    Herr Dueck
    Ihr Artikel zeigt sehr schön, dass bei uns das Jammern IN ist.
    Man ruht sich auf dem aktuellen Status aus, bis nichts mehr zum Ausruhen da ist; da haben sie vollkommen recht.

    Die bisher übliche Vorgehensweise, Leute abzubauen um Kosten zu sparen ist letztlich nur die Arbeitsweise von unfähigen Managern/Betriebsräten.
    Ein guter Manager/Betriebsrat würde versuchen, seine qualifizierten Leute zu halten => d.h. er würde einen neuen Produktions-/Vertiebsbereich aufbauen, um die Kenntnisse seiner erfahrenen Mitarbeiter weiterhin nutzen zu können, statt sie zu entlasten. D.h. Mehrwert zu schaffen und die Position der eigenen Firma zu stärken.
    Manchmal dürfte der Aufbau neuer Firmenbereiche billiger sein, als die für die Abfindungen zu zahlenden Beträge.

  5. Tippfehler, es mus heissen: ´statt sie zu entlassen´. (nicht: entlasten) Sorry

  6. Schweigen über das Schweigen

    Ein bisschen irritiert bin ich ja nun doch über die Kommentare…ich wollte sagen, dass der normale Mensch doch jetzt bald mal laut werden muss und nicht zusehen darf, bloß weil er Angst hat. Das Jammerm, dass die da oben in Wirtschaft, Politik, weiß weiß ich nichts tun, ist doch ein Zeichen, dass wir grimmig böse sind, dass wir aber gleichzeitig so sehr gehemmt sind, dass der eigentliche Zeus’sche Zorn nur als Tränentröpfchen einer bekümmerten Jammerbacke heraussickert…Das Jammern ist nicht das Problem, sondern das Hemmen des Zorns, so dass es nur beim Jammern bleibt. Ich fände es gut, wenn der Artikel etwas zum Abbauen des Hemmens beitrüge, aber…dann schreib ich vielleicht noch einmal einen deutlicheren.

  7. Alternativen gesucht

    Sie haben recht, das Jammern ist nicht das Problem – aber das Hemmen des Zorns auch nicht.
    Sondern der Mangel an Alternativen.

    Wir brauchen Leute, die neue Ideen haben, damit es Alternativen gibt.

    Es nützt nichts, sich über einen Zustand mehr oder weniger intensiv aufzuregen, wenn man ihn doch nicht ändern kann. Und man sollte keine falschen Hoffnungen machen.
    Viele Leute sind bloß deshalb ´ruhig´, weil sie keine Lebens-Alternative haben.
    (Ich traf vor einigen Jahren ältere Arbeiter, die in ihrer Firma sehr anstrengende Akkordarbeiten machen mussten. Innerhalb eines halben Jahres gab es zwei Tote durch Herzinfakt. Wenn sie gekonnt hätten, dann hätten sie Alle sofort aufgehört, zu arbeiten. Aber in ihrem Alter hätten sie dann ihre Familie nicht mehr ernähren können. So hoffte jeder, dass er die Rente noch erleben würde.)

  8. Spiegelbilder

    Leider ist dieser Beitrag nicht nur auf den beruflichen Bereich der Menschen zugeschnitten. Ich finde es unglaublich erschreckend, dass selbst im privaten Umfeld immer mehr geschwiegen, statt kommuniziert oder auch mal geschrien wird. Ich stelle die Frage, was ist der Spiegel wovon: der harte Umagang in der Arbeitswelt oder die stetig abnehmende emotionale Vereinsamung im Privaten, die unter anderem aus Schamgefühl entsteht?