Das Glück im Stacheldraht

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Wir träumen davon, steinreich zu sein. Dann könnten wir alles tun, was Steinreiche gewöhnlich oder angeblich so treiben. Die sehen wir im Fernsehen Champus trinken, jagen, yachten, kiffen, modelgrapschen und vor allem Geld auf den Kopf hauen. Sie leben in mehreren Traumhäusern und fahren farblich passende Autos, befehligen die Armen und dürfen rein alles. Im Urlaub in Südafrika lernte ich eine neue Variante des Reichenglücks kennen – das Glücksgefühl des Stacheldrahtes.

Stacheldraht ist in Johannesburg allgegenwärtig, ich habe noch nie so viele verbarrikadierte Häuser Gutsituierter gesehen, die wie Bollwerke verschanzt waren und zu einem guten Teil abschreckende Werbeschilder trugen („Secured by Services and Technology of…). Wundervolle Anwesen wie Gefängnisse von außen!
Nach einem Herumstreifen in den Reichenbezirken sollte die Rundreise zum Kontrast kurz in einem Slum haltmachen. Wir fühlten uns unwohl, ärmste Menschen so anzuschauen wie im Krüger-Nationalpark die Tiere. Wir wurden aber von Sozialarbeitern des Kiptown Youth Projects (KYP) in Johannesburg mit glänzenden Augen empfangen, sie führten uns ansteckend fröhlich durch das ganze Elend, zeigten uns Hütten von innen und dann stolz ein kleines, schmuckes Areal in der Mitte von Kiptown, wo das Project Kindern zu essen gibt, Schulgelder mitfinanziert und bei der Anschaffung der Schuluniformen hilft. Die Kinder hatten glückliche, liebe Gesichter, solche Kids hätte man gerne selbst! Sie führten für uns die Tänze auf, die sie gerade für eine Chinareise einübten (China hatte eine Gruppe von ihnen eingeladen – sie waren unendlich glücklich darüber). Und natürlich haben wir alle finanziell unterstützend viele KYP-T-Shirts gekauft.
Das wollte ich gar nicht im Kern erzählen, aber ich musste doch den Kontext erklären! Ich habe ein paar Fotos gemacht, zum Beispiel dieses:

 Aus Kliptown, Südafrika

Wie diese Hütte hatten alle (echt alle) einen Zaun mit aufgesetzten Stacheldraht ringsum. Ich stand etwas ratlos davor, da lachte der Sozialarbeiter und erklärte, dass natürlich absolut nichts aus den Hütten zu stehlen sei und auch nie etwas gestohlen würde. „Aber der Stacheldraht gibt uns das wundervolle Gefühl und das Selbstbewusstsein, dass wir so ähnlich wie die Reichen leben.“

Das schockte mich ein bisschen. Stacheldrahtglück?
Ist das nicht ein besonders krasser Fall von etwas, was in uns allen vorgeht? Dass wir nicht nachdenken, was uns selbst glücklich macht, sondern dass wir uns um Traumsymbole bemühen, die uns wie Steinreiche fühlen lassen? Wir ziehen nur Marken an, wollen nur abgerundete Smartphones, hungern uns dünn, quälfreuen uns mit Highheels und Nagelstudio und erstrahlen, wenn wir einen Star persönlich sehen. Die Symbolsucht ist immer die gleiche, ob es nun um die Anzahl der Facebook-Friends geht oder um eben Zäune.
In all dem fühlen wir Glück, das nichts mit uns und nichts mit Glück an sich zu tun hat. Wir trauen uns nicht, ganz selbst glücklich zu sein, das ist schwerer und leichter zugleich. Es ist schwer, die Symbolsucht abzulegen, die uns Fremdglück gibt. Wer das Ablassen schaffen würde, könnte vielleicht ganz leicht Eigenglück finden? Ist das so? Oder nur im Wort zum Sonntag? Es fehlen die Erfahrungen in der Breite, denn wer wäre nicht süchtig (gemacht worden)…

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

11 Kommentare

  1. Danke,

    solche Erfahrungen zu vermitteln, bleibt wichtig. Und an solchen Erfahrungen *weiter* zu denken: Ganz glücklich kann man ja nicht sein über die glücklichen Gesicher der Slum-Kinder; und nicht über die lächelnde Antwort ihres Sozialarbeiters zum Stacheldraht. Über das eingeigelte Glück der Reichen auch nicht. Da lief schon unheimlich viel schief; es kann einem unheimlich werden: Was wird da noch werden? Wenn etwa die Kinder mal merken, wer warum im Stacheldraht der Reichen hängen blieb, erschossen wurde… Vielleicht jemand, der Geld besorgen wollte, um ihnen Medikamente zu kaufen…

  2. Stacheldraht?

    Das mit dem Stacheltdraht ist bezeichnend. Sonderbar, dass wir aber auch alles nachmachen, was irgendwo “vorgemacht” wird.

    Aber übrigens:
    Auf dem Bild ist ein Draht abgebildet, der sich in Europa Natodraht nennt. Das ist etwas anderes, als simpler Stacheldraht für die Weide. Dieser Nato-Draht hat nämlich scharfkanntige Widerhaken, anstatt Stacheln und verschlimmert damit die Überwindung dahingehend, dass man sich darin auch derart verheddern kann, dass man nicht mehr ohne Hilfe herrauskommt. Zudem gibt es erhebliche Schnittverletzungen und nicht nur ein paar Stiche von den Stacheln.

  3. Glück im Unglück

    Es ist in der Tat traurig, dass dort soviel Stacheldraht notwendig scheint. Und doch kann ich die Wertung nicht ganz nachvollziehen – warum ist der Draht in den Slums ein krasser Fall dessen, was in uns allen vorgeht?

    Die Kritik der Symbolsucht als solcher kann ich gut nachvollziehen – auch wenn sie gewissermaßen menschlich ist. Nur für die Slumbewohner geht es ja nicht um Sucht, sondern um Überlebenhilfe. Die sind doch so arm und so am Rande der Gesellschaft, dass ihnen andere Wege zum Glück gar nicht offen stehen. Ist dann nicht ein Stück billiger Stacheldraht hilfreich, wenn sich durch ihn zum ihrem reinen Überleben auch etwas Glück gesellt, oder besser etwas weniger Neid oder Wut oder Ärger? Mir scheint das nämlich ein gelunges Mittel zur Sublimierung dieser und anderer negativer Emotionen auf die Reichen zu sein.

    Krass ist allerdings (und vielleicht war es so gemeint), dass das nötig ist – also dass es Manchen an allem mangelt während andere Champus trinken… Aber dazu müssen wir gar nicht so weit weg reisen.

  4. Rudeltiere=>Glück aus dem sozialenStatus

    Alphamännchen sind stärker, gesünder, haben mehr Sex mit mehr Partnern. Der Mensch scheint dieses soziale Modell von einem Rudel auf größere Gemeinschaften übertragen zu haben. Alphagruppen leben gesünder, sind glücklicher und werden benieden.
    Als soziale Wesen fällt es uns schwer (Zitat) ganz selbst glücklich zusein, denn sozialisiert zu sein bedeutet vor allem abhängig zu sein von der Meinung und dem Ansehen, der Einschätzung durch Andere.

  5. Kriminalität in Südafrika

    Was bis jetzt noch von keinem Kommentator angesprochen wurde ist die große Gewaltbereitschaft von Räuberbanden in Südafrika. Nicht selten werden bei Raubüberfällen Menschen fast willkürlich und grundlos umgebracht. Deshalb sollte man sich über Verbarrikadierungen nicht wundern.

  6. Ich glaube, dir ist ein “l” abhanden gekommen. In Joburg kenne ich nur das Township Kliptown.

    Überdies finden sich Stacheldraht und hohe Mauern nicht nur bei den Reichen, sondern auch um Häuser der Mittelklasse. Sobald es dunkel wird, stirbt die Stadt aus, zumal sie nicht so gebaut ist, dass man dort flanieren könnte, einen Straßenplausch gibt es nicht. Wenn was passiert, dann würde niemand helfen. Die Mauern in Joburg haben einen großen Vorteil: Man sieht nicht, wenn jemand in Not ist, egal auf welcher Seite man sich befindet.

  7. geht es wirklich nur um das imitieren von vermeintlichen Statussymbolen? wie einer der vorherigen Kommentatoren schon anmerkte, handelt es sich hier nicht um einfachen Stacheldraht, sondern um Banddraht (aka “Nato-Draht”), der nicht nur besonders eklige Verletzungen verursacht, sondern dem Bewohner der Hütte durchaus Unkosten bereitet haben dürfte.
    Ich würde außerdem nicht so einfach davon ausgehen, das de “eh nicht zu holen” sei. Das Material, aus dem die Hütte besteht, könnte für den Bewohner und etwaige Konkurrenten (um eben dieses Material) durchaus einen echten Wert haben. Abgesehen davon ist iirc in Johannesburg die Kriminalität hoch und brutal, wie es in Südafrika oft auch ethnische Auseinandersetzungen gibt. Möglicherweise möchte hier also nur jemand halbwegs sicher und ruhig schlafen. Ich halte es also für extrem billig und mit großer Sicherheit auch falsch, hier über die vermeintliche “Symbolsucht” völlig fremder Menschen zu spekulieren, ohne auch nur im geringsten auf die Fakten in dem Land einzugehen.

  8. Ursache von Stacheldraht

    … ist natürlich auch eine permantente Gefahr von Einbrüchen und Diebstahl und Gewallt, die ohne Rüchksicht auf Menschen getan werden. Gewallt also ist dort sicher mehr präsent als bei uns in Mitteleuropa.

    Es wird also auch die eigene Angst damit therapiert, indem man sich in seiner eigenen Welt einmauert und sicherstelen zu sucht, dass diese mauern niemand überwindet.
    Interpretiert – aufgrund des höheren Preises des Nato-Drahtes (wenn denn einer sich derartig absichert) kann man aber auch von Statussymbol reden. Denn man kann auch mit simplen Stacheldraht eine unüberwindbare Mauer herstellen – braucht nur mehr davon.
    Aber es ist angesichts der offenbar vorhandenen höherne Gefahrensituation (die schieinbar nicht nur so empfunden ist) nicht gerade redlich und Fair, von Statussymbolen zu sprechen. Das mag uns hier in Deutschland nur so vorkommen können.

  9. Was man nicht alles braucht

    Ich versuche mittlerweile seit ca einem halben Jahr von den Wirrungen des glücklichseins zu entkommen, indem ich KRAM abschaffe und vereinfache. Grundsätzlich gibt es zwei Unterarten: Dinge die ablenken und Dinge die nicht ablenken.
    Fernbedienungen, Klamotten, Kleingeräte hab ich relativ leicht abgeschafft. Das nächste wird wohl schweren Herzens mein Drucker und Soundsystem.

  10. Stacheldraht

    In all dem fühlen wir Glück, das nichts mit uns und nichts mit Glück an sich zu tun hat. Wir trauen uns nicht, ganz selbst glücklich zu sein, das ist schwerer und leichter zugleich. Es ist schwer, die Symbolsucht abzulegen, die uns Fremdglück gibt.

    Vielleicht ist der Stacheldraht ja gar kein Symbol?!

    MFG
    Dr. Webbaer (der zum Nachdenken anregt)

  11. Dr. Webbaer Stacheldraht 04.09.2012, 15:56

    “Vielleicht ist der Stacheldraht ja gar kein Symbol?!”

    -> Doch. Ein Symbol der Angst. Oder eben ein Zeichen der Angst. Durchaus aber könnte diese begründet sein … in der Gegend.