Beyond Corona

Corona geht, wird uns aber noch lange begleiten, weil wir neue Erfahrungen machen. Die Zukunft bleibt uns Deutschen oft wegen der mangelnden Erfahrungen versperrt. Wir beginne nicht gerne freiwillig etwas Neues, aus Neugier zum Beispiel. Nur einmal für ein paar Tage WhatsApp benutzen? Twitter? „Oh nein, da kenne ich mich nicht aus.“ Das verstehe ich gut: Wer es ablehnt, schnell mal neue Erfahrungen zu machen, der bleibt in der Welt gefangen, in die er damals von Prüfungsbehörden und Arbeitgeberanforderungen gezwungen wurde. Wer keine neuen Erfahrungen macht, sieht ab dem dreißigsten Lebensjahr veraltet aus.

Nun traf uns Corona – auch das leugnen so viele Leute, die nicht offen in die Welt schauen. „In meiner Straße ist kein Corona. Es wird übertrieben! Und ich darf nicht raus! Die Leute draußen sehen alle gesund aus.“ Auch die Hälfte der Bevölkerung, die Abitur hat, hat Exponentialrechnung vergessen: Wenn sich die Zahl der Infektionen alle drei Tage weiter verdoppelt, dann sind in zwei Monaten alle von uns mehr als hundert Mal infiziert worden: Heute sind es 20.000, das sind 0,025 Prozent von 80 Millionen, in drei Tagen 0,05 Prozent, in 30 Tagen ca. 25 %, in 33 Tagen 50 %. Hallo? Ich weiß, dass das Wachstum irgendwann abflacht, aber eben nicht bei 20 % oder so, die Zahl 60% macht die Runde. Die meisten wollen das nicht nachrechnen und benehmen sich wie Trump. „Übertrieben, diese Ausgangsbeschränkungen.“ Seit wir diese Beschränkungen haben, flacht sich das Wachstum sofort ab. Man muss aber erst diese Erfahrung machen, vorrechnen hilft nicht. Frust. Später, wenn die USA wegen Trump in Corona versinken, hat man aber eine Erfahrung gemacht, dass Ausgangssperren nicht schlecht sein müssen! Man muss erst Tote beklagen, die man persönlich gekannt hat, dann! Nur die Erfahrung zählt, Wissen nicht.

So ist es mit allem. Viele mögen kein Internet-Banking, kein bargeldloses Bezahlen, kein Einkaufen bei Amazon, kein Arbeiten über Internet, keine sozialen Netzwerke – auch Internet brauchen viele nicht. Nun aber kommt Corona. Aus der Not heraus müssen wir nun alle Erfahrungen machen:

  • Wer gar kein Internet hat oder irgendwo in der Diaspora wohnt und auch kein Smartphone besitzt, macht eine Erfahrung.
  • Viele werden jetzt mit Internet-Banking anfangen.
  • Viele werden sich sehnlich wünschen, einem Doktor per Skye vorzuhusten und sich kontaktlos behandeln zu lassen. Ärztliche Behandlung wird in Zukunft anders.
  • Medikamente werden gehortet, man kann sie im Internet bestellen (ich habe nachgeschaut: DocMorris gibt keine hohen Rabatte mehr, sie profitieren jetzt mächtig; die Shop Apotheke scheint die Preise nicht zweistellig angehoben zu haben). Das Apothekensterben geht weiter…
  • Wenn die Geschäfte schließen, kann man bei Amazon und überall sonst im Internet einkaufen, das werden viele Internet-Hasser zum ersten Mal probieren. Das schadet dem stationären Handel…
  • Wer sich langweilt, probiert eventuell doch auch mal ein eBook?
  • Wer keine Ahnung hat, beginnt jetzt zu surfen, weil er niemanden fragen kann?
  • Die Firmen erleiden hohe Verluste, weil es ihre IT gar nicht zulässt, im Home-Office zu arbeiten. Man hat zwar Internet daheim, aber das SAP lässt sich nicht von daheim anwerfen. Die Firmen werden auch ihre Erfahrungen machen.
  • Firmen brauchen Teamsoftware, damit Meetings im Netz stattfinden können. Die IT gibt es oft nicht her…
  • Das Schul- und Universitätssystem spürt, dass es im Vergleich zu den USA nur überall Versuche (auch gute, keine Frage) mit e-Learning gemacht hat, dass aber die Normal-Lehrer an der Normal-Schule nicht richtig von Ferne arbeiten können und die Unis eben die Vorlesungen nicht auf Video haben, obwohl man Jahre lang Zeit dazu hatte. Es wäre schon gut gewesen, wenn man alles nur mitgeschnitten hätte – ohne Schnickschnack dazu.
  • Firmen werden ihre Angst vor der Cloud aufgeben müssen…
  • Im nächsten Monat habe ich zwei „virtuelle Konferenzen“. Da reden nicht mehr Leute auf der Bühne, sondern „YouTuber“ nacheinander. Wie geht das, wenn man ein Konferenz-Format gefunden hat, was auch gut, aber viel billiger ist? Was geschieht mit mir?
  • Was geschieht mit Theatern, Künstlern, Agenturen, wenn man andere Formate gefunden hat?
  • Wir erfahren, dass eine Wirtschaft, die keine Reserven und Puffer hat, schnell dahin ist. Die Corona-Krise ist so schlimm, weil die Krankenhäuser auch in Hochprofitzeiten so dicht ans Limit gefahren wurden! Daher müssen wir sterben, auf dieses Konto geht ein Teil der Wirtschaftsschrumpfung in 2020 und beyond. Wirtschaften ohne Puffer ist leichtsinnig, das wissen wir, aber wir erfahren es jetzt. Kein Lager für Produktionsteile – wenn ein Autoteil aus China fehlt, kann das das Band zum Stoppen bringen. Das sehen wir daheim: Kein Klopapier und das Leben kann nicht weitergehen. Die Profitsucht kalkuliert ohne Puffer und zack! Die Unternehmen, die es überleben, werden aber kaum durch Erfahrung klug, sie werden wohl gleich wieder effizient…
  • Menschen, die Corona nur so gefährlich wie Grippe halten, impfen sich auch nächstes Jahr nicht gegen Corona, weil sie sich gegen Grippe auch nicht impfen ließen. Sie brauchen wohl erst eine Nahtod-Erfahrung und lassen sich immer noch nicht impfen. „Ich bin ja jetzt immun!“ Manchmal hilft auch Erfahrung nicht, beim Impfen nicht und im Management. Wenn Erfahrungen nicht helfen, redet man von Dummheit oder Schwarmdummheit.

Quelle. Adobe Stock

Corona geht vorbei. Ende des Jahres gibt es hoffentlich halbwegs brauchbare Medikamente, die eigentlich gegen andere Krankheiten gedacht waren. Wir werden uns impfen lassen können.

Aber die neuen Zwangserfahrungen bleiben uns, jenseits von Corona. Wo sich viele verweigert hatten, sind nun Erfahrungen aus der Not gemacht. Die bleiben bei denen, die aus Erfahrungen lernen. Jetzt wird sich vieles verändern. Vieles Alte wird schneller vergehen, als man es befürchten musste. Vieles Neue kommt schneller, als man dachte. Denn der Erfahrungsraum hat sich vergrößert. Und dieser bestimmt die Welt, nicht der Wissensraum.

 

 

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

3 Kommentare

  1. Was einen gemäßigten Prepper wie mich am meisten überrascht, ist dass man den sorgfältig zusammengestellten Sechs-Wochen-Vorrat auch wirklich brauchen kann.
    Im Jahre 1962 war das Motiv für die Prepper eher der Atomkrieg, aber wir haben ja auch noch die Asteroiden und die Riesencalderen, nur Mut.
    Bei Pandemien benötigt man zumindest keinen teuren Atombunker.
    Die gemäßigten Prepper verteilen ihre Hamsterkäufe auf viele Monate, was auch die Finanzierung erleichtert, und vor allem lange vor der Katastrophe stattfindet.
    Passender Film: Der Omega-Mann.

  2. Zitat:

    Vieles Alte wird schneller vergehen, als man es befürchten musste. Vieles Neue kommt schneller, als man dachte.

    Ja, und um es zu benennen: das Alte ist das Analoge, das Neue das Digitale/Gestreamte, das, was ohne einen menschlichen Mittelmann auskommt.

    Wer in bestimmten Bereichen noch analog unterwegs ist (ich zahle meist mit Bargeld) wird plötzlich dazu gedrängt zum digitalen Gegenstück zu wechseln (die Kreditkarte muss nur in den Schlitz, nicht in eine fremde Hand).
    Einkaufen, Etwas mitteilen, Lesen, Bilder ansehen (sogar Museumsbilder) geht alles digital und anonym und ohne jeden Handschlag, Gruss oder gar Wortwechsel. Die Lehre für viele Unternehmer, KMUs, Kleinbetriebe: Keine Menschen an den Schnittstellen, denn physisch interagierende Menschen gefährden den flüssigen Betrieb, sie könnten für den nächsten Stillstand verantwortlich sein.

    Nur gibt es (leider?) auch Dinge und Tätigkeiten mit grossem wirtschaftlichen Wert, die nicht ohne sich begegnende Menschen möglich sind: Reisen beispielsweise. Reisen über den halben Globus wie sie jetzt sogar von Schülern und Studenten unternommen werden sind sicher nicht ersetzbar durch digitale/virtuelle Äquivalente. Und doch darf man doch nach der Corona-Erfahrung nicht zulassen, dass sich Krankheiten rasend schnell um den Globus verbreiten. Man muss wohl auf eine technische Lösung hoffen, beispielsweise einen Virusschnelltest, den jeder Reisende über sich ergehen lassen muss, bevor er ein Flugzeug besteigt.

    Einiges wird sich aber sicher nicht ändern: es wird weiterhin Impfgegner und 5G-Gegner geben, denn was fest zur eigenen DNA gehört, das bleibt bis in den Tod.

  3. Im Falle einer Pandemie braucht man zumindest keinen teuren Atombunker. In anderen Bereichen wird der gleiche Ansatz plötzlich durch ein digitales Äquivalent ersetzt, was jeden, der ihn noch verwendet, zum Umstieg zwingt. Da physische Interaktionen einen effizienten Betrieb beeinträchtigen würden, befinden sich keine Menschen an den Schnittstellen. Darüber hinaus gibt es Aufgaben und Unternehmungen von erheblichem wirtschaftlichem Wert, die Menschen nicht alleine bewältigen können.