Über Großgeistigkeit, Dialoge, Stellungen und Positionen

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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In dieser Woche diskutiere ich in Dossenheim („Kreidezeit“ – kommt im Internet!) mit Pädagogen und Didaktikern über die Bildungserfordernisse der neuen Zeit. Darauf freue ich mich. Das bringt mich weiter. Wir alle werden voneinander lernen. Hoffentlich ist kein stereotyper Amtsträger dabei, dann erläutert er nur vielmals eine Position, meist nicht einmal seine. Dialog ade! Über diesen Unterschied möchte ich jetzt einmal wettern.

Dialoge dienen dem Zweck, einer Wahrheit, einem gemeinsamen Verständnis oder dem besseren Erkennen des jeweils anderen vertiefend näherzukommen. Wertungen, Kulturverständnisse, Gefühle, latente Grundannahmen aller Seiten werden intensiv betrachtet. Solche Dialoge, wenn sie „gelingen“, werden „fruchtbar“ genannt.
Talkshows, in denen die Standpunkte aufeinanderprallen, sind nicht fruchtbar, nur bestenfalls kontrovers-emotional quotentreibend. Warum?

Meist wird kein fruchtbarer Dialog angestrebt, es werden Standpunkte erläutert. Die Mehrheit der Teilnehmer hat schon lange vor einem „Dialog“ eine Stellung eingenommen oder eine Position bezogen, die verteidigt werden soll oder mit deren Hilfe eine fremde Stellung oder Position angegriffen werden soll. Man fordert den DiskussionsGEGNER heraus und zieht sich bei drohender Niederlage auf Rückzugspositionen oder Minimalstandpunkte zurück. Das ganze Vokabular à la Stellungsbezug, Position, Provokation etc. passt ganz gut zu Infanteriekämpfen von verschanzten Truppen. Man „positioniert“ sich, lässt argumentative Bomben platzen, attackiert die andere Seite. Man blufft, irritiert den Feind und stärkt Koalitionären den Rücken.

Das ist wie Krieg! Vertreter der Kriegsparteien kämpfen auf Positionen, die sie die ihrigen nennen, die aber von den Oberen jeweils sorgsam erarbeitet werden. Amtsträger verteidigen grundsätzlich ihre Amtsführung, Interessenvertreter ihr Geld oder ihre Macht, IT-Firmen ihre Patente. Floskeln entwerten alles. „Lassen sie uns doch nicht alles schlechtreden. Das deutsche Bildungssystem war lange Zeit Vorbild für die Welt.“ – „Bei aller Kritik dürfen wir nicht vergessen, wo wir gestartet sind, nämlich fast von Null, weil uns erst neulich die Macht übertragen wurde. Seitdem sind die kleinen Fortschritte im vorgefundenen Saustall kaum noch zu zählen. Haben Sie Geduld bis nach unserer nächsten Wiederwahl.“ – „Oh, da sprechen Sie ein wichtiges Problem an, das macht uns schon lange Sorge. Wir planen schon seit einiger Zeit eine Kommissionsgründung dafür, so wie wir es bei jedem Problem als beste Lösung handha-ben. Leider sind wir alle gerade in vielen Kommissionen vollkommen verplant. Wir alle sind verplant, total! Wäre ja auch schlecht, wenn wir nicht verplant wären, dann würden wir ja nur herumsitzen. Gegen herumsitzen ist nichts zu sagen, aber bitte geordnet in Kommissionen und Meetings.“ – „Auch dieses Problem werden wir angehen, sehr energisch, aber es gibt natürlich Prioritäten und Abhängigkeiten.“

Wenn nun eine „gegnerische“ Seite absolut nur ihre schon lange bezogene und sorgsam befestigte Stellung verteidigen will, die andere „Seite“ aber einen fruchtbaren konstruktiven Dialog führen möchte – was dann? In einer solchen Lage habe ich mich in den ersten TV-Sendungen gefühlt. Ja, was dann? Im Grunde muss ich dann wohl den Wunsch nach Dialog („kooperative Welt“) fallenlassen und mitkämpfen („kompetitive Welt“)? Wozu? Wofür, wenn sich der Gegner gar nicht bewegen will? Will ich so etwas mitmachen?
Da fällt mir Brecht ein. Dem wird mental zugeschrieben: „Stell Dir vor es kommt Krieg und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu euch! Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will: Denn es wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“
Also zieh‘ ich auch immer ein bisschen mit in den Krieg, ja. Ich soll derzeit immer „gegen Spitzer“ und gegen den wie einen Kriegsruf wahrgenommenen Ausdruck der „Digitalen Demenz“ eine „Position“ beziehen. Und ich winde mich, der ich gerne einen fruchtbaren Dialog hätte. Ich will keine Position haben, in der ich mich verschanze. Ich will gemeinsam weiter…

Im Krieg, mindestens aber in den Heldenliedern, gibt es auch manchmal so etwas wie Großmütigkeit oder Großherzigkeit. Etwas, was mitten im Kampf noch die Prinzipien heilig lässt. So müsste es bei den Auseinandersetzungen dieser Tage auch Großgeistigkeit geben. Ja, die, obwohl sie nicht im Duden steht. Hiermit sei sie in die Welt gesetzt.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

5 Kommentare

  1. Ursache und Wirkung

    “… was mitten im Kampf noch die Prinzipien heilig lässt.”

    GRUNDSÄTZLICH, geht es in den zeitgenössischen “Dialogen” doch meist nur um die Reform der Symptomatik des “gesunden” Konkurrendenkens im nun “freiheitlichen” Wettbewerb um …, also ist das PRINZIPIELL immer der (UN-)HEILIGE Monolog in multischizophrener Überproduktion von systemrationalem KOMMUNIKATIONSMÜLL!?

  2. Berechtigungen

    Sowohl der ‘fruchtbare konstruktive Dialog’ als auch der Meinungskampf haben ihre Berechtigung, beide werden in der offenen Gesellschaft benötigt.

  3. Scharmützel im Meinungskrieg um Bildung

    Der Bildungsdiskurs ist ein gelungenes Beispiel für quasireligiös miteinander verbundene und voneinander getrennte Lager. Lager, die zu scheinbar endlosen Stellungskriegen (es grüsst Verdun) bereit sind.
    Vor allem wenn solche Saalschlachten in den Medien ausgetragen werden, wird viel langwierig präparierte Munition in die Luft geböllert. Und am Schluss weiss man wieder einmal auf welcher Seite welcher der Diskutanten steht – mehr aber auch nicht.
    Warum ist gerade der Bildungsdskurs für derartige Abläufe prädestiniert? Wohl weil er schon so alt ist und sich immer noch keine rationale Klärung ergeben hat, die uns alle weitergebracht hätte. Statt dessen dominieren weiterhin Glaubensbekenntnisse, die sehr viel mit dem Menschenbild derer zu tun haben, die sie vertreten.
    Eine wichtige Grundlage für die erbitterten Auseinandersetzungen im Bildungsdiskurs ist die Kombination von
    1) Weitverbreiterter Überzeugung, Bildung sei heute der entscheidende Faktor und der Bildungserfolg hänge vom Bildungssystem entscheidend ab
    2) Dem Fehlen von gesichertem Wissen, was für Faktoren den Bildungserfolg stark beeinflussen. Statt dessen hat jeder seine eigene Theorie wie Bildung anzubieten und einzutrichtern sei.

    Diese Analyse zeigt auch, wo eigentlich der Ausweg wäre: Man sollte mehr beim gesicherten oder auch weniger gesichterten Wissen über die realen, nicht aber über die gefühlten Faktoren ansetzen, die den Bidlungserfolg oder/und die Bildungsmisere betreffen, ansetzen.
    Also eine Rationalisierung des Diskurses. Wobei auch hier die Gefahr besteht, dass sich Diskutanten hinter Studien verschanzen, die sich bei genauerem Hinsehen vielleicht als von zweifelhafter Aussagekraft erweisen.

  4. Teile und herrsche , wer – insbesondere im Fernsehen – Leute aufeinanderhetzt , der hofft darauf , daß sich auch die Bevölkerung aufeinanderhetzen läßt.

    Reiche gegen Arme , Arbeitslose gegen Geringverdiener , usw.usw.

    “Gegen herumsitzen ist nichts zu sagen, aber bitte geordnet in Kommissionen und Meetings.“

    Willkommen in der Welt der “Leistungsträger”.

    Nicht daß ich dem Arbeitswahn und dem Fleiß das Wort reden möchte , davon haben wir schon viel zu viel , aber die “Eliten” schaffen es doch tatsächlich , dem Normalbürger einzureden , daß ihre Wichtigtuerei was mit unentbehrlicher Leistungskraft zu tun habe.

  5. Großgeistigkeit

    Herr Professor.

    Durch Ihre Kolumne angeregt, habe ich mir “Dossenheim zur Kreidezeit” angesehen, live. Nun, Tage später, muß ich leider sagen, ich habe mir die Sendung angetan.
    Es fällt mir nicht leicht, ob der grenzenlosen Begeisterung (siehe Twitter), zu sagen, das war einfach nur Gelaber. Es hat Spaß gemacht, war immer wieder zu lesen. Ist das alles, Spaß haben? Sollte uns die Bildung nicht ein wenig mehr Ernsthaftigkeit wert sein?
    Das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert.
    Wo war da der Dialog, den Sie erwartet haben, dient?
    Wo war da die “Großgeistigkeit”?
    Ein Hochschullehrer, der stolz darauf ist, Goethes “Faust” nicht gelesen zu haben? Wo war Professionelle Intelligenz, die Exzellenzgesellschaft, und Sie selbst führen auch noch die Supernanny als Beispiel an.
    Großgeistigkeit, von Ihnen in die Welt gesetzt, sehr gut, die kann man doch nicht der Supernanny überlassen.

    MfG, G. Wagner