Über Bildung, Schulvollpfropfen und Bachelorziegelsteine

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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„Bildung ist so wichtig, dass wir mehr in sie investieren müssen!“ Das hört man jetzt immer wieder, besonders von Interessengruppen, die mehr Geld für sich reklamieren. Bildung verkommt irgendwie zu einem Finanzproblem, auch in ein Effizienzgeschacher um Klassengrößen, Deputate und Verschulungsverdichtung. Das betrübt mich so sehr, dass ich periodisch daran erinnern möchte, dass bei allem Streit um Interessen, Reformen, Internet und Geld das Ziel nicht aus den Augen verloren wird: Bildung.

Für mich ist das, was Bildung ist, am besten und ganz amtlich in meinem Neuen Brockhaus in fünf Bänden beschrieben (von 1960), den ich mir zur Konfirmation wünschen musste.

Bildung: Der Vorgang geistiger Formung, auch die innere Gestalt, zu der der Mensch gelangen kann, wenn er seine Anlagen an den geistigen Gehalten seiner Lebenswelt entwickelt. Gebildet ist nicht, wer nur Kenntnisse besitzt und Praktiken beherrscht, sondern der durch sein Wissen und Können teilhat am geistigen Leben; wer das Wertvolle erfasst, wer Sinn hat für Würde des Menschen, wer Takt, Anstand, Ehrfurcht, Verständnis, Aufgeschlossenheit, Geschmack und Urteil erworben hat. Gebildet ist in einem Lebenskreis, wer den wertvollen Inhalt des dort über-lieferten oder zugänglichen Geistes in eine persönlich verfügbare Form verwandelt hat.

Ach ja, könnten wir diese Beschreibung doch als Common Sense gemeinsam in uns tragen! Heute wird Bildung vielleicht nur noch als Vorstufe zur Berufsfähigkeit gesehen – es reicht also für eine Abiturprüfung oder einen Bachelorabschluss völlig aus, wenn man nur Kenntnisse besitzt und Praktiken beherrscht. In der oben genannten Definition aber wird explizit gesagt, dass man dann NICHT gebildet ist!
Die Schule und das Studium werden immer mehr modularisiert und in Prüfungsbausteine („Ziegelsteine“, „Brick in the Wall“) zerlegt. Im Grunde wird die Bildung industrialisiert. Dadurch wird das Wertvolle allenfalls auswendig gelernt, aber nicht erfasst. Die Forderung nach geistiger Teilhabe am Leben lässt Sie heute vielleicht schon breit lächeln. Die Vorstellung, wertvollste Inhalte in eine PERSÖNLICH verfügbare Form zu verwandeln, fällt der Modularisierung ohnehin glatt zum Opfer. Wie kann denn der heute junge Mensch „seine eigenen Anlagen an den geistigen Gehalten seiner Lebenswelt entwickeln“? Wie verstehen wir „Lebenswelt“? Lateinlernen und von anderen Kulturen nur das Wort „Koran“ oder „Der Weg ist das Ziel“ kennen? Was ist das heute Wertvolle? Diskutieren wir das?

Nein, es wird über fehlendes Geld gestritten, um die Prozentsätze, wie viel vom Bruttosozialprodukt in das „Bildungssystem“ verschoben werden muss, damit die nächste Weltstudie gnädig mit uns ist. Die Inhalte stehen in dürrer Tabellenform in Prüfungsordnungen festgenagelt. Niemand stört sich daran, dass fast jeder weiß, dass er nur die Prüfung besteht, im Grunde aber alles gleich wieder vergessen kann, weil es zu lebensfern war.
Das Internetzeitalter muss notwendig zu einem neuen Verständnis führen, was heute „der wertvolle Inhalt des zugänglichen Geistes“ darstellt. Was sind die Bildungsinhalte von heute, morgen und jeden neuen zukünftigen Tag? Wir müssen doch freudig neu gestalten, lebensnaher bilden, Inhalte und Ziele besprechen… Das Wissenszeitalter sollte mit einem Aufbruch beginnen, nicht mit dem Einbalsamieren unsere Kultur in Prüfungsordnungen. Wir brauchen neue wache Menschen, und keine kulturstumpfen Ziegelsteine. Schlagt das obige Bildungsverständnis an jede Wand!

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

2 Kommentare

  1. Bildung

    Gebildet ist in einem Lebenskreis, wer den wertvollen Inhalt des dort über-lieferten oder zugänglichen Geistes in eine persönlich verfügbare Form verwandelt hat.

    Der Schreiber dieser Zeilen hat’s mal so zusammengefasst: ‘Gebildet ist derjenige, der alles vergessen hat, was er je gelernt hat.’ – bis er dann irgendwann merkte, dass das von Heisenberg war (‘Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man alles vergessen hat, was man gelernt hat.’ (Quelle))

    Gemeint ist natürlich, dass derjenige gebildet ist, der auf Grund von konzeptuellen Wissen jederzeit in der Lage ist Spezialwissen angemessen aufzubauen, um dann umsetzen (lassen) zu können. Die Ethik spielt hier eine besondere Rolle und das Wissen um Kooperationsverhältnisse und Organisationsformen.

    MFG
    Dr. Webbaer

  2. Illosionen und Hirngespinste?!

    Über das, was “Bildung” bedeutet, kann man überall Fehlleistungen vernehmen. Wissen und Erkenntnisse reichten dafür nicht aus, was vielen (oder allen) Beteiligten nicht bewusst ist.

    Aber hier spielt eben auch ein gewisser Druck eine Rolle, den sich alle auferlegen und deswegen über Qualität hinwegsehen, damit wenigstens quantitativ etwas herausspring.

    Ausserdem … was Bildung angeht, ist es so, dass dazu von klein auf eine Förderung diesbezüglich benötigt. Wer erst in der Grundschule damit anfängt, hat es dann schon schwerer – ganz zu schweigen, wenn der erst auf der Uni meinte, nun mit “Bildung” zu beginnen. Hier bildete sich eine falsche Idee von dem was Bildung ist und dem, was Schulen und Uni´s leisten können.

    “Bildung für alle” ist also eine Illosion, … ein Werbesruch, damit überhaupt noch etwas dabei herrauskommt, wenn man Bildungsinstitutionen einrichtet… aber keine Familienförderung betreibt.

    Und zuletzt ist es aus bestimmten Grunde nicht nötig, diese Wahrheit einzusehen. Müsste doch aufgrund dieser jeder seinen Motivation verlieren, wenigstens Wissen und Kenntnisse sich anzueignen, wenn er wüsste, dass er damit trotzdem nicht wirklich zu den “gebildeten” aufsteigen würde. Hier spielt also auch der Spruch eine Rolle und Wahrheit: Die Dummheit anderer könnte des einen Vorteil sein. Kann sich also jeder sich als gebildet gesehene als wirklich gebildet bezeichnen? (einer ist immer schneller, höher, weiter, größer, stärker …gebildeter usw.)