Aus kontrolliert humaner Produktion
BLOG: WILD DUECK BLOG
Alles soll doch heute Bio sein, und wir behandeln unsere Haustiere oft besser als Kinder! Es sind unsere lieben Pflanzen, die unter natürlichen Bedingungen wachsen sollen! Es sind unsere Tiere, die ganz gewiss eine Seele wie wir selbst haben und daher human geschlachtet werden müssen! Schaut doch in ihre Augen! Ja, und da frage ich: Wo bleibt der Mensch? Der ist für sich selbst verantwortlich. Der hat das verfassungsgemäße Recht, nach seinem eigenen Glück zu streben. Es wird unterstellt, dass er das natürlich auch tut – und unsere Gesellschaft ist so fabelhaft, dass es auch jeder zu seinem Glück bringen kann, wenn er es nur wirklich versucht.
Mir fallen dazu zwei Begebenheiten in meinem Leben ein. Mein Vater wurde vor Jahren von einem Tag auf den anderen zu einem absoluten Schwerstpflegefall und starb einige Tage später. Ich suchte sofort aufgewühlt und hektisch nach einem Platz in einem Pflegeheim, sprach in einigen Häusern vor. Eine Leiterin, mit akademischem Grad in Management, versicherte mir, dass die Kosten in ihrem Hause wegen der hohen Zahl ausländischer Pflegekräfte sehr niedrig seien. Ich zuckte: „Die arbeiten also fast umsonst?“ – „Das auch, aber das ist nicht der eigentliche Punkt. Sie verstehen kein Deutsch und können nicht so viel Zeit damit verbringen, sich mit den Alten zu unterhalten.“
Die andere: Bei meinen ersten Taxifahrten in der Schweiz staunte ich mit großen Augen über die Höhe der Kosten. Sind Schweizer Taxis Einrichtungen von Raubrittern? Ich bat den Fahrer ungläubig um eine Erklärung für den hohen Betrag. Er aber sprach: „In jeder Gesellschaft gibt es Arbeiten, die erledigt werden müssen, auch das Müllentsorgen und Schweineschlachten, in Deutschland das Spargelstechen oder das Frisieren. Diese Arbeiten wollen wir von Menschen erledigt sehen. Wir in der Schweiz haben uns entschlossen, allen Menschen, die eine für die Gesellschaft notwendige Arbeit erledigen müssen, menschenwürdig zu bezahlen, so dass sie in Ehren davon leben können. Taxifahrten gehören zu solchen Notwendigkeiten.“
Ich weiß ja nicht, ob das so genau stimmt, aber ich war selten so beeindruckt – es klang nach Weisheit, wie man sie nicht oft antrifft.
Ja, wir müssen uns entschließen, notwendige Arbeit menschenwürdig zu bezahlen und dazu noch die Arbeitsbedingungen menschenwürdig zu gestalten.
Wenn jemand in Deutschland unter einem Job mit 5 Euro pro Stunde stöhnt, dann sagen wir ihm, er solle sich weiterbilden und einen neuen Beruf erlernen, der für ihn auskömmlich sein könnte. „Der Tüchtige schmiedet sein Glück.“ Wir sehen immer auf den Einzelnen hinab, der sich wohl nicht genug selbst um sein Glück kümmert und deshalb zu Recht unten in der Gesellschaft bleiben muss. Wir sehen aber nicht, dass Spargelstechen, Müllfahren oder Bücherversenden notwendige Arbeiten sind, die wir in der Gesellschaft brauchen. Wir sagen daher zwar jedem Einzelnen, dass er chancengleich bestimmt sogar Doktor werden könnte, wir akzeptieren gleichzeitig aber, dass vielleicht zwanzig Prozent der Jobs in Deutschland eben nicht auskömmlich sind und/oder schlechteste Arbeitsbedingungen bieten. Wir übersehen folglich, dass zwar jeder Einzelne zum Glück streben kann, dass aber zwanzig Prozent ständig unglücklich sein MÜSSEN. Tendenz steigend! Es werden bald wohl auch dreißig Prozent, wenn wir ungerührt so „voranschreiten“ wie in den zurückliegenden Jahren.
Wir zählen immer nur Arbeitslose. Wir sollten zählen, wie viele würdige Lebensplätze wir in unserer Gesellschaft haben. Was soll das Gerede über Chancengleichheit, wenn es nicht genug würdige Plätze gibt? Wenn eben ein Drittel im Elend leben muss? Was soll das Gerede von der steigenden Armut, über die wir weinen? Es ist der gesellschaftliche Unwille, jeden notwendigen Arbeitsplatz würdig zu gestalten. Denn wir glauben zu wissen:
Würde ist nicht wettbewerbsfähig.
Wenn wir aber schon Bio und erneuerbare Energien akzeptieren, warum nicht Würde? Warum führen wir nicht eine Plakette wie „Bio“ ein? „Aus kontrolliert humaner Produktion.“ „Kontrolliert humaner Service.“ Okay? Und schauen Sie auf Ihr Smartphone. Ist da eine solche Plakette drauf?
Wer?
Vielen Dank für Ihr Plädoyer für eine gerechtere Arbeitswelt und die Art und Weise, wie Sie den Leser argumentativ führen!
Es stimmt, auch ich bin – konfrontiert mit schlechten Löhnen – schnell damit, eine Weiterbildung zu empfehlen, welche i.d.R. zu einer besseren Bezahlung führt.
Dienstleistungen, die kaum eine Ausbildung erfordern sind schlechter bezahlt, das ist eine Tatsache. Wer den Aufwand (und die Kosten) einer guten Ausbildung auf sich nimmt, wird mehr Geld fordern können, klar.
Wäre das denn gerecht, wenn der eine mehr einsetzt (= Ausbildung) und nicht mehr bekäme, als derjenige, der nichts einsetzt (= keine Ausbildung)?
Folglich muss man also die Lohnniveaus generell anheben, so dass die Lohnempfänger am unteren Ende auch würdig (!) leben können.
Aber was ist mit unserer Geiz-ist-Geil-Mentalität? Wer kauft bei Aldi billig, nur damit er noch mehr Konsumgüter (immer die neueste Technik oder neue Möbel obwohl die “Alten” noch gut sind) käuflich erwerben kann? Obwohl er sich teurere Waren leicht leisten könnte, dann aber den neuesten Schnick-Schnack verzichten müsste.
Das tun im Moment meist nur Idealisten, innnerhalb ihrer individuellen Möglichkeiten. Das “ImmerMehrHabenWollen” ist so zutiefst menschlich. Leider!!!
menschenwürdig zu gestalten
Wenn GRUNDSÄTZLICH alles allen gehören dürfte, so daß systemrationale / wettbewerbsbedingte Symptomatik in “Wer soll das bezahlen?” und “Arbeit macht frei” keine konfusionierende wie spaltende Macht mehr hat, könnte PRINZIPIELL alles wirklich-wahrhaftig und menschenwürdig organisiert werden – Zusammenleben OHNE Steuern zahlen, OHNE “Sozial”-Versicherungen, OHNE manipulativ-schwankende “Werte”, OHNE Zeit-/Leistungsdruck zu einer Karriere von Kindesbeinen, usw., ist absolut machbar!!!
Markt?
Seltsam , daß das Marktdenken nie für den Arbeitsmarkt gilt , schlechte Jobs sind ein schlechtes Angebot und werden gemieden , so jedenfalls sollte der Normalfall sein.
Guter Artikel , volle Zustimmung.
@ SusanneK Wer?
19.08.2013, 14:05
Zitat:
“Wäre das denn gerecht, wenn der eine mehr einsetzt (= Ausbildung) und nicht mehr bekäme, als derjenige, der nichts einsetzt (= keine Ausbildung)?”
-> Ist nicht schon “Ausbildung” genug der Würde? Hat er nicht kraft seines Wissens Genugtuung?
Und was ist mit folgender Situation:
Der Handwerker – heute nicht besonders üppig bezahlt (das war mal etwas anders). Baustelle; 8 Stunden, halbe stunde Pause, Keine Zeit eine gescheite Mittagspause woanders zu machen; Malzeit auf dem Schoß, Thermoskanne auf dem umgedreht vor einem liegendem Schuttkübel, drumherum überal Staub, Dreck und Nässe, Lärm und zuweilen schräg schauende Bauleiter und Architekten (und vor allem Chefs), weil die “Leute” sitzen (und nicht arbeiten).
Vor und nach der Pause natürlich Staub, Dreck, Nässe, Kälte, Hitze…., körperlich schwehre Arbeit den ganzen Tag lang. Was macht der besser Ausgebildete, um sein Einkommen zu rechtfertigen? Genau: eben diese schlecht ausgebildeten, schwehr buckelnden “Arbeiter” antreiben, und zur Eile Mahnen. Mit welchem Recht. Die meisten können gerade noch die Aktentasche tragen – wohl weil der mit guter Ausbildung angefüllte Kopf so schwehr auf die Wirbelsäule drückt. Meine verachtung.
Oder anders:
Kundendienst, 5 Kunden in 5 Bezirken (berlin etwa), 8 Stunden zeit, stehst im Stau, siehst um dir herum nur Autos mit einer Person – dem Fahrer im Anzug etwa. Ein Blick über die Schulter auf deine Ladefläche zeigt dir: Ich kann nicht mit den Öffentlichen fahren. Neben den Anzugsträger liegt eine Aktentasche (wenn überhaupt). Warum verstopft der die Strasse? Parkplatzsuche, Schlepperei, 5 Treppen, alle schauen stereotyp auf die Uhr, weil kein Termin wirklich eingehalten werden kann. Wenn ich 5 Kunden nicht in 8 Stunden schaffe, erübrigt sich der 8 Stundentag. Oder ich bringe einen Kunden wieder zurück ins Büro und krieg einen Föhn. Mit welchem Recht?
Zitat:
“Folglich muss man also die Lohnniveaus generell anheben, so dass die Lohnempfänger am unteren Ende auch würdig (!) leben können.”
-> Nein, bringt nix. Inflationsgefahr. Wenn alle mehr verdienen, wird auch
für alle das Leben teurer und letztlich ist es für den prekärbeschäftigten ein Nullsummenspiel. Ausserdem, warum sollen “Minderleister” (sic – siehe oben) nur weil sie eine längere und besser angesehene Ausbildung hatten, “noch” mehr verdienen?
Mir war es immer egal, wieviel andere verdient haben. Hauptsache es reichte für mich und meine Interessen und hobbys. Tat es aber nie, also musste ich mehr arbeiten. Dann gabs aber kein Privatleben mehr und keine Zeit für Hobbys. Ein irrsinniger Kreislauf.
Übrigens:
Gabs da neulich eine Studie, die da sagte, dass Kinder und (Haus)Tiere mehr Mitgefühl im Subjekt erzeugten, als deren Mitmenschen.
Ich habs heute mal an meiner Mutter und ihrer Katze getestet. Bei mir stimmt es.
Schlechte Politik erzeugt Inhumanität
Es gibt sie, die zugleich interessanten als auch gut bezahlten Arbeitsstellen, doch immer Weniger haben die benötigten Voraussetzungen und es gilt ” dass vielleicht zwanzig Prozent der Jobs in Deutschland eben nicht auskömmlich sind und/oder schlechteste Arbeitsbedingungen bieten”. Tendenz zudem steigend. Ja, Gerechtigkeit bedeutet heute in Deutschland Chancengleichheit. Die gleichen Chancen, das gleiche zu verdienen und der Arbeitslosigkeit oder den schlechten Arbeitsbedingungen zu entfliehen. Doch die Flucht wird immer schwieriger. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt. Doch früher gab es tatsächlich eine ganz andere Arbeitswelt. Der Bericht von George Sheldon Der Schweizer Arbeitsmarkt seit 1920: Langfristige Tendenzen zeigt zwar, dass es auch schon im 20. Jahrhundert nicht immer Vollbeschäftigung gab: (Zitat)”In diesen Zeiten des Aufruhrs entschied die Schweizerische Nationalbank (SNB) der steigenden Inflation endlich die Spitze zu brechen und beschloss folglich, das Preisni veau radikal zu senken und zum alten Gold standard zurückzukehren. In der Folge sank die Jahresinflationsrate von rund +25% im Jahre 1918 auf das heute kaum vorstellbare Niveau von –20% im Jahre 1922. Als Folge brach die Wirtschaft zusammen, und die Arbeitslosenquote schnellte bis 1922 auf 3,4% hoch
Danach folgten Jahre der relativen Prosperität, bevor die Schweiz 1931 von der zweiten grossen Krise dieser Epoche erfasst wurde: der weltweiten Depression. Sie liess 1936 die durchschnittliche Arbeitslosenquote auf 4,5% ansteigen.
3,4 und gar 4,5 % Arbeitslosigkeit während der Depression, das waren die schlimmsten Jahre in der Schweiz. In vielen andern europäischen Ländern stieg die Arbeitslosigkeit dazumal jedoch weit über die 10%-Marke, wenn sie auch nicht die heutige Arbeitslosigkeitsrate von Griechenland oder Spanien erreichte. Viele Schweizer glauben, solche Zustände seien das Resultat schlechter damaliger und schlechter heutiger Politik, was Ihnen hin und wieder als Arroganz ausgelegt wird wie auch das Prinzip der Neutralität, welches die Schweizer nur darum hochhielten, um sich nicht an Kriegen beteiligen zu müssen. Womit Ihnen sicher viel entging.
Sheldon berichtet auch darüber, dass auch in der Schweiz die Sockelarbeitslosigkeit seit den 1970er Jahren kontinuierlich steigt. Insoweit ist sie keine Ausnahme.
Weiterbildung != bessere Bezahlung
Ich habe viele Menschen erlebt, die sich krampfhaft weiterbildeten, ohne daß es jedoch zu der erhofften Verbesserung in der Bezahlung kam.
In der Regel liegt es daran, daß “der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt”. Denn die Menschen, die schon wenig haben, werden erbarmungslos ausgebeutet, während die, die mehr als genug haben, immer mehr erhalten.
Ein Paradebeispiel der Ausbeutung habe ich gerade für einige Kliniken (privat geführt) in Hamburg gelesen. Da sollten junge Tunesier zu Krankenpflegern ausgebildet werden. Wunderbar, denken wir, aber die Sache hat einen riesigen Haken. Diese jungen Tunesier müssen ihre Ausbildung selbst bezahlen und haben dann über 20.000,-EUR Schulden. Gleichzeitig erhalten aber die Ausbilder zusätzlich noch staatliche Förderungen. Das bedeutet, diese jungen Menschen werden von vornherein in eine Schuldenfalle gelockt, die an Sklaventum erinnert. Sie werden nämlich so schnell nicht von den Schulden herunterkommen und sie so eine willkommene Beute der privaten Krankenhausträger. In der Mainstreampresse werden die Tunesier, die sich geweigert hatten, diesen Sklavenvertrag zu akzeptieren, als undankbar und faul bezeichnet.
Wer heute aus einem gutbürgerlichen Haushalt kommt, der hat eine weitaus größere Chance, einen gutbezahlten Beruf zu bekommen als jemand, der aus einem prekären Haushalt kommt. Und das ungeachtet der geistigen Fähigkeiten, nur durch das Recht der bevorzugten Geburt!
Schöner Artikel!
Warum suchen Leute 6 Monate nach dem perfekten Auto, aber stecken ihre Kleinkinder ohne große Überlegung in den nächstbesten Kindergarten mit dem Argument “meiner damals war auch Scheisse, aber ich hab’s ja überlebt”. Warum kaufen Leute billigstes Fleisch, obwohl sie genau wissen, wie es produziert wurde? Heute steht überall “Bio” drauf und man darf sich wieder sicher fühlen (und dabei ignorieren, dass auch Bio-Fleisch industriell produziert wird).
Was sind Werte unserer Gesellschaft? Produktivität? Konsum? Die Oma ins Heim zu geben ist gut für die Produktivität (es muss ja keiner daheim bleiben und sich um Oma kümmern) und die Norm. Warum ist das so? Weil jede Familie zwei Einkommen braucht um zu “überleben”? Weil wir keine Abstriche in unserem täglichen Luxus machen wollen? Ich hörte immer wieder “Du hast es dir verdient”. Da wir mir jedes Mal schlecht.
Es sehr schöner Artikel, Herr Dueck!