An ihrem Selbstlob erkennt man sie

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Kaum eine Woche vergeht, dass nicht jemand mir gegenüber seine Mathematik-Unkenntnisse tränenlos beweint. „In Mathe war ich niemals gut.“ Diese Leute sagen mir das wohl, weil ich Mathematiker bin, und da gehört so ein fröhliches „Understatement“ zum Small Talk. So wie wenn ich selbst bedauernd-entschuldigend auf meine grauen Haare zeige. Ich kann eben auch nicht alles bieten… „Mathe kann ich nicht“, „Ich habe kein Internet“ oder „Ich will auch bewusst nicht alles können“ wird fast wie Eigenlob vorgetragen.

Sie loben sich, aber sie tadeln sich. Merken die das? Es klingt so:

  • „Vielleicht sehe ich das für Sie übertrieben genau, aber ich bin eben sehr sorgfältig und prüfe jedes Detail und auch, ob die Prozesse alle eingehalten sind. Die sind mir heilig.“
  • „Ich habe vier Jahre lang mit guter Politik wahnsinnig viel angeschoben. Leider hatte ich keine Zeit, meine Verdienste richtig darzustellen. Ich habe schließlich im Wahlkampf posaunt, so laut ich konnte. Man versteht meine Leistungen nicht. Dummes Volk. Es hat mich nicht verdient.“
  • „Ich frage eben immer, ob die Ausgabe sein muss. Ja, ich drehe jeden Cent um. Ich bin erschüttert über die Verschwendung, die ich überall sehe. Sie bestellen sich gerade einen Nachtisch für gutes Geld und klagen regelmäßig hinterher, übersatt zu sein. Und jetzt kurieren Sie den Fehler mit der Bestellung eines Digestifs. Ich verstehe sie nicht.“
  • „Ich bin eben sehr streng, was das Einhalten von Sitten angeht. Natürlich möchte auch ich einmal die Moral für mich selbst beiseitelassen – aber ich gebe solchen Versuchungen nie nach, ich habe mich im Griff, auch wenn es mir innerlich schlecht geht. Ich gewöhne mich daran.“
  • „Ich möchte nicht auffallen, jedenfalls nicht negativ. Da ist es sicher eine gute Strategie, am besten gar nicht aufzufallen. Daher mache ich mich unsichtbar! Aber es ärgert mich ständig, dass ich nie positiv auffalle, ich fühle mich von den anderen nicht wertgeschätzt.“
  • „Ich hebe eben alles auf – das ist gut so. Neulich ging der Strom nicht, da habe ich unsere alte Handkaffeemühle auf dem Boden gesucht. Ha, die haben wir irgendwo noch. Danach musste ich für das Heißwasser noch das Fondue finden. Mittendrin kam der Strom wieder, aber im Prinzip hätte ich es hinbekommen, ich habe sogar noch die Originalverpackung der Mühle da.“
  • „Ich lasse mich nicht dauernd quälen, ist das etwa nicht normal? Ich werde innerlich fuchsteufelswild, wenn zu hohe Erwartungen an mich in der Luft liegen. Ich soll so schnell arbeiten wie alle, sonst glotzen sie mich in bestimmter Weise an, ganz scheel. Ich will das nicht. Ich wehre mich, oh ja, das kann ich. Ich arbeite, wie ich arbeite, und zwar gut. Ich arbeite ganz stur penibel vor mich hin, so wie es sein muss.“
  • „Täglich Beleidigungen und Zumutungen von allen Seiten – jeder gegen jeden. Da muss ich mich doch aufregen. Die anderen nehmen mich nicht ernst, sie sagen, ich würde mich über Kleinigkeiten entrüsten und alles dramatisieren! Ha, Kleinigkeiten! Man muss den Anfängen wehren, und zwar scharf! Es gibt inzwischen so viele Probleme, dass ich fast gegen alles opponieren muss. Ich bin der Fels.“
  • „Ich fühle mich als einziger für alle verantwortlich. Ich schlage andauernd gemeinsame Veranstaltungen vor und lege jedem ein Stück Schokolade zum Nikolaus auf den Schreibtisch. Ich singe manchmal zu Mittag ein Lied in der Kantine, um den Stress der anderen abzubauen. Die aber sind so von ihrer Arbeit frustriert, dass sie gar nicht so recht wahrnehmen, was ich alles so leiste. Da ist ein Ist-ja-schon-gut das höchste, was sie sich rauspressen. Ich muss meine Anstrengungen verstärken, damit sie endlich einmal dankbar sind. Zuhause dasselbe: Ich lüfte die Zimmer und befülle die Spülmaschine absolut optimal, das macht mir keiner nach. Danke? Sagt niemand. Als ob ich der einzige gute Mensch auf der Welt bin. Da fühle ich mich eigentlich überlegen, aber so allein wie ich bin, ist es nicht gut.“
  • „Ich muss als Chef für hohe Leistung sorgen. Das geht bekanntlich nur durch Druck, und der muss stärker sein als der innere Schweinehund der Mitarbeiter. Das ist meine Aufgabe. Punkt. Na gut, ich komme dann manchmal etwas grob rüber und werde gehasst. Das ist ungerecht, aber damit muss ein Chef wohl leben.“
  • „Ich hasse das Geschwätz in Meetings. Dummes Zeug, Anmaßung und Anbiederung. Sachkompetenz?? Null!! Auf mich hört niemand. Dabei weiß ich alles. Ich habe beschlossen, auf immer zu schweigen. Es hat keinen Zweck. Ich stehe zu weit über ihnen.“
  • „Ich kann blitzschnell entscheiden. Dadurch bringe ich Bewegung in die Dinge. Natürlich muss ich hinnehmen, wenn andere mich grob und brutal finden. Sie merken nicht, dass es gut für das Ganze ist. Man muss nicht alles auf die Goldwaage legen, das ist zu langsam. Besser eine schlechte Entscheidung im Moment als gar keine.“
  • „Triumphe muss man feiern, auch die kleinen, das feuert an! Ich habe eine Trompete im Büro, in die blase ich, wenn mir etwas geglückt ist. Ja, zum Beispiel, wenn ein Kunde von selbst angerufen hat oder wenn sich einer für die Zusendung von Prospekten per Mail bedankt. Dann läuft das Geschäft! Da mache ich Stimmung! Das Leben ist schön, ich klopfe allen auf die Schulter, damit sie aufhören, sich wie Miesepeter zu benehmen. Sie müssen sich konzentrieren, sagen sie. Der Vertrieb aber lebt vom Feuer und von Dramatik!“
  • „Ich schufte wie wahnsinnig, aber ich mache doch auch Fehler. Fehler macht jeder, aber ich schäme mich als einziger und schufte noch viel mehr – jede Menge Überstunden. Ich finde es schlimm, wenn am Ende doch nur meine Fehler bestraft werden. Meine Anstrengungen werden böswillig ignoriert. Sie wollen mir nichts gönnen, da reiten sie auf mir herum. Aber am Ende zeige ich es ihnen, ganz klar. Ich schufte, ich bin nicht so faul wie die anderen.“
  • „Ich bin am besten gekleidet, frisiert und trainiert. Ich leiste sehr viel, was die anderen zu nerven scheint. Sie mögen mich nicht, das spüre ich. Gelber Neid. Dummes Volk. Auch meine Chefs, auch dumm. Es wird Zeit, dass ich aufsteige, damit der Laden endlich mal auf Zack kommt.“
  • „Ich vertrage mich immer. Von mir geht kein Konflikt aus, da scheine ich der einzige zu sein. Ich bin zugleich sehr gutmütig und gebe immer nach. Harmonie ist wichtig, dafür sorge ich. Die anderen überziehen es aber ganz schön mit dem Streiten. Ich finde, ich muss viel zu oft nachgeben. Meine Ethik wird ausgenutzt, ganz klar. Fast alle Menschen sind böse. Das macht mich traurig.“

Versuchen Sie einmal, einer dieser Äußerungen etwas entgegenzusetzen: „Das sehe ich nicht so.“ Dann werden Sie mindestens mit Blicken getötet. Sie sind unten durch. Diese Äußerungen sind eigentlich kein verdrehtes Selbstlob, sondern die Arbeit am Persönlichkeitspanzer, hinter dem die Seele kein Licht sehen soll. An diesem Lob-Tadel-Gemisch prallt jede Kritik ab. Wir sind dann mit Menschen befasst, die sich nie ändern können und werden. Diese Menschen leiden, um nicht noch mehr leiden zu müssen. Wir auch.

 

 

 

 

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

4 Kommentare

  1. Herr Dueck gibt, im Gegensatz zu den oben genannten Beispielen, gerne zu ein Querdenker zu sein bzw. auf diese Weise betitelt zu werden. Viele seiner neuen Gedanken sind innovativ, sein Aufstieg zur IBM-Spitze war nicht von “wahnsinniger” Arbeitsmoral geprägt, da “artgerecht” wenn nicht sogar bio bis halal.
    Wie viele andere Schriftsteller, dessen Wort nun schon mehr als 2400 Jahre nachhallt, legt auch Dueck Menschen wie auch Managern einen Teil seines tiefsten Gedankengutes brach – auf das es eingefroren in einer PDF auf ewig überdauern mag.
    Chapó!

  2. Herr Dueck
    Ihren Beitrag als Ganzes kann man nicht mehr toppen.
    Wollen Sie jetzt ein Lob hören oder sollen wir sie kritisieren?

    Kommunikation geschieht doch nicht nur auf rationaler Ebene mit versteckten Spitzen oder verstecktem Lob.

    Wir geben bei der Kommunikation etwas preis von unserer Persönlchkeit und erlauben es dem Gesprächspartner sich auf uns einzustellen.
    Vorallem haben sie einen ungeigneten Zeitpunkt gewählt.
    Heute ist der Dreikönigstag, da ist Gott in Form des Jesuskindes zu uns auf die Welt gekommen. Unsere persönlichen Mimositäten treten da in den Hintergrund.
    Stattdessen freuen wir uns und geben diese Freude weiter an unsere Gesprächspartner.
    Spüren sie schon die Kraft der Nächstenliebe ?

  3. Typische Kommunikationsvampire. Auf keinen Fall Widerstand aufbauen! Das ist es, worauf diese Spezies lauert. Die einzige Chance ist, den Angriff ins Leere gehen zu lassen, damit sie sich schnell ein anderes Opfer suchen. Und immer schön Lächeln!

  4. Hier mal was Lustiges zum Thema Mathekenntnisse.

    Wie viel ergibt zwei mal zwei plus zwei durch zwei minus zwei?

    Der Kandidat (bei “Wer wird Millionär”) war hier wohl hoffnungslos überfordert und nahm deshalb den Publikumsjoker. Und ihr werdet es nicht glauben, wieviel Prozent auf die richtige Lösung kamen!

    http://matheplanet.com/default3.html?article=1792

    Wer sicher gehen will, der gebe mal das da bei “Geogebraonline” ein.
    2*2+2/2-2
    https://www.geogebra.org/classic