Wollen oder Müssen? Die Digitalisierung in Unternehmen am Beispiel von Oma & Enkelin

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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„Oma, ich suche mir gerade auf dem Computer Apps raus, Spiele und Videos. Ich freu mich so auf Weihnachten, Oma, so sehr!“ – „Kind, es ist doch noch lange hin bis Weihnachten, und wir haben gesagt, dass du ganz bestimmt kein neumodisches Telefon bekommst.“ – „Doch habt ihr. Ihr habt gemeint, dass ich schon seeehr brav sein müsste, dass ich eins bekomm.“ – „Und bist du sehr brav?“ – „Vielleicht nicht, aber das sagen Pa und Ma immer so, wenn sie nicht glatt nein meinen und rumstreiten wollen wie seit zwei Jahren. Ich bin schließlich schon erwachsen.“ – „Du wirst zehn!“ – „Ich bin dann Teenager.“ – „Na, gerade so. Ich weiß aber wirklich nicht, ob du so etwas haben solltest. Du kannst damit gar nicht umgehen.“ – „Das lerne ich doch gerade, Oma. Ich kenne alle Internettarife und ziemlich viele Apps. Ich schaue mir die Smartphones von allen Älteren an, wie gut die zu mir passen. Ich suche welche, die schon mit den Apps was machen, die ich auch gerne hätte. Bei Pokémon Go kostet es auch was, wenn ich viele Eierbrüter haben will. Oma, du solltest mehr Sport machen, wenigstens länger spazieren gehen. Dann sind die Eier jeden Tag fertig gebrütet und ich kann in meiner Klasse super gut dastehen. Die anderen haben keine Oma, die viel rumläuft. Du kannst mir auch Münzen kaufen, damit ich viele Eierbrüter kriege. Du bist dann mein Eggwalker.“ – „Was ist denn ein Eggwalker?“ – „Na, wie ein Dogwalker, das sind Leute, die in Amerika die Hunde spazieren führen und damit Geld verdienen. Bei Pokémon Go bekommst du neue Pokémon, wenn du mit dem Phone ein paar Kilometer läufst.“ – „Bekomme ich dann auch Geld für das Phone-Ausführen?“ – „Oma! Du bist doch lieb! Schau mal, ich kenne vom Zugucken bei den anderen in meiner Klasse schon alle 371 Pokémon, alle! Soll ich sie dir aufzählen? Also: Pikachu, Bisasam, Glumanda, Schiggy, …“ – „Hilfe, ich glaube es ja!“ – „Oma, ich kenne alle Entwicklungsstufen, Typen, Skills und Kraftpunktwerte, ich weiß, welcher Skill von jedem der 370 gegen jeden anderen der 370 angewendet werden muss, Oma…! Oma, hör doch zu! Ich habe so irre viel nur allein von der einen einzigen App gelernt, dass ich ganz bestimmt nicht digital dement werden kann. Das denkt die Lehrerin sich so, die spinnt. Sie sammelt Falkpläne, weiß aber echt nichts. Sie hat keine Ahnung, wo die Pokéstops sind. Oma, ich will auch englische Videos anschauen, von Katy Perry oder so. Am einfachsten lernt man Englisch von einem – weiß nicht wer das ist – Oettinger oder so, sagen sie alle, er spricht etwa so gut wie ältere Englischlehrer ohne Apps.“

„Oma, pass auf, wir haben jetzt alle ein SmaPho und posten über WhatsApp, da musst du jetzt mitmachen, sonst bist du raus, sagt auch Papa.“ – „Das kommt nicht in Frage, ich habe gesehen, was ihr da Dämliches schreibt – ‚schönes Wetter’-Blabla und dann schickt ihr Bilder vom Essen, das ist dumm.“ – „Mama sagt, du schreibt dasselbe auf ziemlich viele Postkarten, das ist auf die Dauer zu teuer. Du kannst dann auch auf dem Handy ganz altes Zeug gucken, Loriot oder Sarah Neander. Du kannst mit Tante Else und Opa Kurt whatsappen, die haben schon Smartphones.“ – „Mit denen habe ich keinen Kontakt, sie erwidern die Postkarten nicht, sie schneiden mich.“ – „Nein, Oma, du whatsappst nicht. Hier ist mein letztes iPhone, Oma, das haben wir für dich gedacht.“ – „Und was soll ich damit anfangen?“ – „Da ist Whatsapp drauf. An wen willst du was schreiben? Opa Kurt?“ – „Nein, nein, ich weiß doch nicht was.“ – „Schreib doch: ein Klavier, ein Klavier.“ – „Ah, von Loriot!“ – „Ja, tipp es hier ein.“ – „Oh, mach du es erst für mich, ich traue mich nicht.“ Zwei Tage später.

„Das iPhone ist kaputt. Das ist ja mal ein richtiges schönes Geschenk von euch. So ein Mist, keine Qualität.“ – „Ist es aufgeladen?“ Drei Tage später: „Alle im Heimatverein haben Smartphones und nur ich habe ein iPhone, wie stehe ich jetzt da!“ Zwei Wochen später. „Ich finde es sehr umständlich, das Phone und mein altes Tastentelefon gleichzeitig herumzuschleppen. Es müsste dafür ein einziges Gerät geben, das gleichzeitig whatsappen und telefonieren kann.“ – „Oma, schau, so kannst du mit dem Phone telefonieren… Hast du denn gar nicht gemerkt, dass das alte Telefon abgemeldet ist und gar nicht funktioniert?“ – „Nein, schau, es ist aufgeladen. Es funktioniert.“ – „Aber du kannst damit nicht mehr anrufen.“ – „Will ich ja auch nicht.“ Einen Monat später. „Oma, warum antwortest du nichts? Oma?“ – Stille. „Oma?“ – „Ich will nicht immer erreichbar sein, sonst werde ich dement, hat ein echter Professor gesagt. Das mit Whatsapp ist so eine Mode, die schnell vergeht. Ich habe es ja auch nur ein paar Tage mitgemacht.“

Warum schreibe ich das? Erkennen Sie den Unterschied zwischen Wollen und Sollen oder gar Müssen? Diese Neugierde und Erwartungsfreude auf der einen Seite und die unwillige Nichtwirklichakzeptanz auf der anderen?
„Echt jetzt“: Vor meinen Reden werde ich jedes zweite Mal vom einführenden Moderator gefragt: „Ist die Digitalisierung nun ein Fluch oder ein Segen?“ Und ich antworte tapfer, dass diese Frage das Problem sei. Oh je. „Ist Digitalisierung eine Chance oder ein Risiko?“ – „Welche Vorteile und Nachteile hat Digitalisierung für mich persönlich?“ – „Wird es eine digitale Spalte zwischen Kids und Oldies geben?“ – „Ist es nicht ungerecht, dass die, die ihre Chancen nutzen, im Vorteil sind?“ Aber die Frage „Kommt die Digitalisierung wirklich?“ wird nicht mehr so oft gestellt, immerhin. Aber mich graust es doch ein bisschen, denn ich habe seit 1987 eine eMail-Adresse und bin im Netz. Das sind nun schon 30 Jahre. In acht Wochen 31.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

4 Kommentare

  1. Jaja, Scheinwelten, i.p. Push und Pull bevorzugt der Schreiber dieser Zeilen, der seit bald 40 Jahren im Bereich der netzwerkbasierten Kommunikation unterwegs ist, eindeutig das Pull.

    Ganz am Rande notiert : Wenn Opa W mal was erklären will, kommt oft die Antwort “Das muss man nicht wissen!”

    MFG
    Dr. Webbaer

  2. ‘Sein’, ‘wollen’, ‘müssen’, ‘dürfen’, ‘besitzen’ und ‘können’ sind womöglich die zentralen Verben, die jedes Kind als erste lernt, erst konzeptionell, dann sprachlich.
    (Sofern keines vergessen worden ist, haha.)
    Witzig auch so etwas, das wirklich stimmt : ‘Bei Pokémon Go bekommst du neue Pokémon, wenn du mit dem Phone ein paar Kilometer läufst.’
    Hierzu noch kurz :

    „Ist die Digitalisierung nun ein Fluch oder ein Segen?“ Und ich antworte tapfer, dass diese Frage das Problem sei.

    Die IT ist (für einige überraschend) nicht dafür da soziale Probleme zu lösen, sie leitet auch nicht direkt Geschäftsmodelle an, es liegt stattdessen ein Instrumentarium vor, das die Lösung von sozialen Problemen unterstützen hilft, potentiell.

  3. Ein Problem sehe ich da eher in der Abgrenzung. Da man schnell (besonders als Kind) eine gewisse Art der Persönlichkeitsentwicklung auf Irrwege geleitet werden kann. Zb. wenn Geschichte Erfahrungen Realität(diese schönen Kindheitserfahrungen) das erlernen von Langeweile/Selbstwert Zeit zum Gefühle sortieren etc. in einer Masse von Kunstmüll untergeht bzw. Suchtpotenzial. Aber auch nur meine Meinung (;

    • Um 3uhr am Morgen darf man auch bestimmt ein paar Wörter weglassen. Gruss Martin Graeber