Ebermast: Tierwohl als Tierschutzproblem

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Das betäubungslose Kastrieren männlicher Ferkel muss ein Ende haben. Hat es auch, allerdings erst 2019, obwohl man auch jetzt bzw. schon bald Fleisch von Tieren finden wird, die von der unschönen Prozedur nichts mitbekommen haben. Der deutsche Tierschutzbund setzt eine solche Form der Kastration voraus. Nur dann gibt es auch das passende Siegel dazu. Im November schrieb ich einen Kommentar bei Spektrum, zu einem Zeitpunkt als die Novelle des Tierschutzgesetzes gerade verschoben wurde.

Zitat: Dabei gibt es durchaus Alternativen, aus der betäubungslosen Kastration auszusteigen. So dürfen männliche Ferkel in der Schweiz seit 2010 nur nach Schmerzmittelgabe und Gasnarkose kastriert werden. Laut einer Untersuchung des Veterinärdienstes im Kanton Luzern funktioniert das zwar noch nicht optimal, doch liegt das eher an Management-Problemen bei Hygiene und Dosierung – sollte sich also als lösbar erweisen. Die rechtlichen Fragen sind schwieriger zu klären: Das Narkosemittel Isofluran dürfen in Deutschland nur Tierärzte anwenden. Die Schweiz löst dieses Problem durch eine Anwendungserlaubnis für Landwirte. Die zweite mögliche Variante ist die so genannte Eber-Impfung. Grob gesagt bleibt dabei alles am Schwein dran, allerdings unterdrücken zwei Impfungen die Hodenfunktion.

Neben diesen beiden Möglichkeiten existiert noch eine dritte Möglichkeit, mit männlichen Ferkeln zu verfahren. Man lässt sie einfach in Ruhe, mästet sie also ohne Kastration. Das klingt erstmal sehr gut und ich hielt es in meinem Kommentar auch für eine gute Idee, diese Form der Mast als langfristiges Ziel anzustreben. Beinahe als Bestätigung kündigte die Supermarktkette Carrefour an, man wolle nur noch Fleisch unkastrierter Eber verwenden. Jetzt tauchen allerdings nach und nach Zweifel auf, ob die Mast unkastrierter Eber tatsächlich etwas mit Tierwohl zu tun hat. Persönlich stelle ich mir das beobachtete Verhalten jedenfalls nicht sonderlich angenehm vor:

Beim sogenannten Penisbeißen reiten die Eber zur Befriedigung des natürlichen Geschlechtstriebes bei Buchtengenossen auf und schachten den Penis aus. Das wiederum animiert andere Tiere, in diesen roten Penis zu beißen. Stark blutende Verletzungen sind die Folge. An bayrischen und belgischen Schlachthöfen wurden entsprechende Penisverletzungen dokumentiert.

Hinzu käme noch eine große Unruhe im Stall. Kastraten hingegen sind eher ruhig, eine Beobachtung, die schon in den Untersuchungen zum Schweinespielzeug dokumentiert wurde. Gar nicht gut. Bevor sich diese Variante der Mast noch weiter etabliert, sollte das geschilderte Verhalten noch näher untersucht und mögliche andere Faktoren, die diese Verhalltensstörungen begünstigen können (z.B. die Stalltechnik), ausgeschaltet werden.

Bleiben erstmal noch die Narkose-Variante und die Eberimpfung, die beide sicherlich auch nicht völlig ohne Nachteile sind, aber vermutlich unproblematischer sind als Penisbeißen.


Wir sollten uns alle für das Tierwohl einsetzen – mein Kommentar bei Spektrum, die Meldung zum Penisbeißen bei AHO und die Meldung zu Carrefour auf der gleichen Seite.

 

 

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

10 Kommentare

  1. Mit viel Schwein ins neue Jahr

    Als Verbraucher hat man natürlich ein ungutes Gefühl, wenn man weiß, dass das Fleisch, das man kauft, von unsachgemäß gehaltenen und ohne Betäubung kastrierten Tieren stammt. Ansonsten ist das Thema wohl eher für Landwirte und Tierärzte von Belang. Deshalb will ich mal ein paar Fragen an Dich loswerden: Du schriebst ja bereits, dass Kastration notwendig sei, weil sich unkastrierte Tier oft gegenseitig verletzen. Wäre es nicht auch möglich die Eber unblutig zu Kastrieren, so wie das hier bei anderen landwirtschaftlichen Nutztieren wie etwa Schafböcken beschrieben wird?

    http://www.tierarzt-augsburg-wenger.de/…emid=195

    In dem verlinkten Artikel wird auch auf ein anderes Problem eingegangen, nämlich auf den typischen Ebergeruch, den manche Tiere verströmen. Aus diesem Grund wird hier die von Dir erwähnte “Eber-Impfung” empfohlen:

    http://www.laborwelt.de/…gen-stinkerfleisch.html

    Ich habe einige Bedenken gegen die chemische Kastration, da nicht gewährleistet ist, dass sich ist der Impfstoff nicht doch im Fleisch wiederfindet und dann verspeist wird, was sicher ungünstige Auswirkunken auf die Konsumenten hätte. Kannst Du vielleicht Näheres darüber schreiben?

    Der oben erwähnte Ebergeruch soll sich wegzüchten lassen, aber das dürfte nicht von heute auf morgen gehen. Wäre das eine Alternative?

    http://www.cernart.com/…oll-weggezuchtet-werden/

    Oder sollten doch lieber “Schnüffler am Schlachtband” eingesetzt werden?

    http://www.spiegel.de/…gel/print/d-78413787.html

  2. Einige Antworten

    Hallo Mona,
    Die Schafbock-Variante ist mir durchaus bekannt, allerdings ist so ein Ferkel etwas filigraner als ein Bock. Außerdem dauert diese Prozedur pro Tier eine Weile, das wird auch nicht ohne Betäubung oder mindestens Beruhigungsmittel funktionieren. Was Deine Bedenken wegen der Impfung angeht, sollte der Stoff im Körper verstoffwechselt werden. Denke nicht, dass sich da noch Spuren nach der Schlachtung finden. Genaueres muss ich aber auch noch raus finden.
    Du hast recht, den Ebergeruch durch Zucht und Selektion verschwinden zu lassen, wird dauern. Außerdem müssen die genetischen Folgen dieser Selektion noch erforscht werden. Es gibt dabei auch noch die Idee, den Ebergeruch durch die Art der Fütterung zu unterbinden oder mindestens zu verringern. Wirklich spruchreif ist das meines Wissens nach aber auch noch nicht. Das mit den Schnüfflern am Schlachtband ist wiederum ein Schritt zu spät, wenn sich die Tiere im Stall quälen wie oben beschrieben. Ansonsten ist natürlich möglich. Ob es auch wirklich funktioniert, sei mal dahingestellt 😉

  3. Immunokastration

    Danke für die Antworten! Du schreibst: “Was Deine Bedenken wegen der Impfung angeht, sollte der Stoff im Körper verstoffwechselt werden. Denke nicht, dass sich da noch Spuren nach der Schlachtung finden.” Ich dachte zuerst, die Hormonproduktion müsste bis zur Schlachtung unterbunden werden. Die chemische Kastration mit dem Impfstoff Improvac wurde in Australien und Neuseeland bereits zugelassen. Anscheinend wirkt der Impfstoff nicht als Hormon. Die genaue Wirkweise wird hier auf Seite 11 beschrieben:
    http://edoc.ub.uni-muenchen.de/…itinger_iris.pdf

  4. Schäfer-Vortrag

    Hallo Kai!
    Das klingt doch mal nach einem spannenden Vortrag, werde ich gerne mal reinschauen. Danke Dir 🙂

  5. Isofluran oder Impfung

    Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) empfiehlt ihren Mitgliedern, das Narkosemittel Isofluran, das bei der Ferkelkastration zur Anwendung kommt, nicht zu verschreiben oder abzugeben (http://www.landwirtschaft.ch/…tration/print.html)und die Zeitschrift “Top Agrar” berichtete in ihrer Ausgabe 6/2009 über Studien, wonach das Betäubungsgas Isofluran im Verdacht steht, möglicherweise Alzheimer beim Menschen auszulösen oder die Entwicklung zu beschleunigen.
    Und natürlich müssen auch gegen Ebergeruch geimpfte Schlachttiere am Schlachtband vorsorglich überprüft werden, ob die Impfung auch gewirkt hat. Die Betrachtung der Hoden reicht dafür i.d.R. nicht aus. Dass Meldungen über “Penisbeißen” in Umlauf gesetzt werden von einem Internetportal, dass offen für die Impfung wirbt, könnte hier kritisch hinterfragt werden?

  6. Hallo Klaus,

    die Studien zu Isofluran waren mir nicht bekannt, ich glaube Dir das einfach mal.

    Dass die Meldungen zum Penisbeißen erstmal eben genau das sind, ist mir durchaus bewusst. Deshalb schrieb ich ja auch im Artikel, dass es dahingehend Untersuchungen geben müsse, um dieses Problem weitgehend zu bestätigen bzw. zu widerlegen. Schließlich wäre nichts dämlicher als auf ein neues Haltungssystem umzustellen und dann wieder neue Tierschutz-Probleme zu haben.

  7. Externe Antwort

    Hallo Sinneswandlerin,

    ich hatte da noch eine Frage offen. Es ging, wenn ich richtig liege, um die Kastration von Ferkeln. Die Thematik hatte ich schon mal in einem Kommentar bei Spektrum erwähnt. Zitat: zum Tierwohl-Siegel des Deutschen Tierchutzbundes:

    Wer dieses Siegel auf seinen Produkten sehen möchte, darf seine Schweine nur mit Isofluran und Schmerzmitteln kastrieren. Oder eben gar nicht.

    http://www.spektrum.de/…erwohl-einsetzen/1170234

    Schätze, dass das nur durch einen gewissen Mehrpreis zu gewährleisten ist. Soweit ich das deutsche Tierschutzgesetz durchschaut habe, muss hier für die Prozedur ein Tierarzt anwesend sein. Zudem gibt es hier gegenüber dem Mittel eine gewisse Skepsis. Inwieweit die begründet ist, kann ich aber auch nicht sagen

  8. Danke!

    Hm, die Produkte von Aktion Tierwohl, die ich sah, waren vergleichsweise günstig und damit werben sie ja auch. Also deswegen keine Kastration :-/
    Irgendwas ist auch immer!
    Danke, für deine schnelle Antwort 🙂

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