Zirkustiere – Wenn Löwen Stress haben

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Ich kann mich noch vage daran erinnern, dass dieses Thema schon mal über Twitter aufkam. Das muss letztes Jahr gewesen sein. Dort schrieb ich – übrigens im Einklang mit meinen Verfolgern – dass ich die Haltung von Tieren im Zirkus kritisch sehe. Es hatte allerdings seinen Grund, dass es passend dazu keinen Artikel hier im Blog gab. Mir fehlte schlicht die Basis – Studien, Erfahrungen, ich hätte nicht mal Anekdoten zum besten geben können. Zugegeben, ich bin kein großer Zirkusgänger. Wenn mich mein Gedächtnis nicht hängen lässt, war ich in meinem Leben genau ein Mal im Zirkus als kleiner Junge. Da gab es sogar eine Tiernummer mit mindestens einem Eisbären, der direkt vor mir saß und ich den Rest daher nur noch mit meinen Ohren rekonstruieren konnte.

Die Zeichen für einen Artikel standen also einigermaßen schlecht. Bis vor einer Woche. Da flatterte mir ein Buch eines Autors in die Wohnung, der es wissen muss und auf diesem Gebiet über all das verfügt, was mir fehlte: Dr. Immanuel Birmelin. In seinem Buch “Tierisch intelligent” berichtet er in mehreren Kapiteln über Formen der Intelligenz, über schlaue Tiere und fesselt mich dabei mit seinen Erzählungen über Erfahrungen mit seinen eigenen Haustieren oder auch Beobachtungen von Wildtieren, gepaart mit physiologischen Erklärungen. Aber das soll ja hier keine Rezension werden (ich habe es ehrlich gesagt auch noch nicht ganz gelesen…). Springen wir also direkt zum Zirkus-Kapitel. 

Dort berichtet er über eine Untersuchung, die er zusammen mit einer Wissenschaftlerin der Universität Münster durchgeführt hat, um der Frage nachzugehen, ob Löwen durch das mobile Zirkusleben stärker getresst werden als zB. in freier Wildbahn. Das lässt sich relativ leicht über die Menge des Stresshormons Cortisol feststellen. Jetzt gab es dabei allerdings eine Hürde zu meistern. Bei Meerschweinchen und anderen Tieren, die nicht gerade über das Potential verfügen Wissenschaftler in den Himmel zu schicken, wird dafür Blut entnommen. Das geht auch bei Löwen – allerdings nur unter Narkose und diese brächte zu viele Risiken mit sich, weshalb sich Dr. Birmelin und Prof. Kaiser für den Speichel entschieden. Aber auch für diesen muss man ziemlich nah an die Tiere heran – die Lösung brachte ein Tierlehrer, der sich mit seinen Tieren ziemlich gut verstand und sich daher traute. Er verwendete einen Tampon, welcher mit einer Substanz versehen war, die das Cortisol im Speichel binden sollte. Damit es auch tatsächlich etwas zum Aufsaugen gab, zeigte der Tierlehrer den Löwen erst ein Stück Fleisch und wischte dann mit dem Tampon durch die Löwenmäuler. Das geschah an vier aufeinanderfolgenden Tagen in Monte Carlo, bevor sie sich auf den Weg nach München machten, wo sich die Aktion wiederholte. Dr. Birmelin merkt noch an, dass diese Strecke wohl außergewöhnlich sei und so fast nie vorkäme. Die Proben wurden an der Uni Münster analysiert und zeigten, dass die Mengen des Cortisols sich vor und nach der Reise nicht wesentlich unterschieden und die Mengen sogar jener entsprächen, die bei Löwen in der Serengeti und im Ngorongoro-Krater gemessen wurden.

Das war also der chemisch überprüfbare Teil. Dr. Birmelin schildert darüber hinaus aber auch die Arbeit einiger Tierlehrer, darunter auch der oben erwähnte, denen es nicht nur um das schlichte Dressieren der Tiere geht, sondern auch um deren Persönlichkeit. Sie müssen die Tiere kennen, ihren Charakter erforschen, sogar ihre Launen erkennen, da diese täglich wechseln können.

Während ich über dieses Thema nachdachte, fiel mir auf, dass in Zoos seit einigen Jahren der Begriff “behavioral enrichment” Wissenschaftler und Tierpfleger immer wieder aufs Neue fordert. Die Tiere haben im Zoo wenig bis gar nichts zu tun. Zumindest darüber können sich Zirkustiere nicht beklagen. Sicher, es gibt bezüglich der Haltung und Pflege der Tiere im Zirkus immer wieder Negativ-Beispiele, aber das ist in der Landwirtschaft nicht anders. 

Vor einigen Tagen hatte ich eine kleine Diskussion mit einer Bekannten auf Facebook. Es ging um Tierhaltung in der Landwirtschaft und all ihre negativen Auswirkungen, aber vor allem ihre Nebenwirkungen wie grausame Zustände in den Ställen und die Behandlung der Tiere. Ihre Argumentation entsprach dem hinlänglich bekannten Muster, welches ich früher ohne weiteres bestätigt hätte, als Landwirtschaft für mich praktisch nicht existierte und ich darüber nur dann etwas erfuhr, wenn wieder irgendein Skandal durch die Medien rauschte, während der normale Alltag der restlichen 364 Tage im Verborgenen passierte. Meine Frage, ob es nicht sein könne, dass sie eben jenem Wahrnehmungs-Fehler erliege, begegnete sie mit einem entschiedenen “Könnte sein”, glaubte aber nicht daran. Nun, glauben lässt sich eine ganze Menge, besonders in Kirchen, ein Nährboden für eine substanzielle Debatte ist der Glaube aber nicht gerade.

Und ich wollte bei Tieren im Zirkus mangels eigener Erfahrung nicht in die gleiche Falle tappen.


Wie gesagt, ich habe das Buch noch nicht ganz gelesen, bin mir aber sicher, dass da auch zu Zirkustieren noch viele spannende Gedanken zu lesen sind und wollte zumindest diesen kleinen Teil schon mal hier einstellen.

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

2 Kommentare

  1. Tiere im Zirkus unterbeschäftigt

    “Die Tiere haben im Zoo wenig bis gar nichts zu tun. Zumindest darüber können sich Zirkustiere nicht beklagen.”
    Das stimmt leider nicht. Nach dieser Studie:
    Iossa, G., Soulsbury, C.D., Harris, S.: “Are wild animals suited to a travelling circus life?”, Animal Welfare, Volume 18, Number 2, May 2009 , pp. 129-140(12)
    verbringen Zirkustiere nur 1-9% ihrer Zeit mit Training.

  2. Aktivität der Tiere

    Hallo Magarethe,

    das ist sicherlich richtig, dass die Tiere nicht ständig beschäftigt sind mit Training, Spielen oder auch Auftritten. Interessanterweise wäre genau das nämlich gegen ihre Natur. Löwen bspw machen 23 Stunden am Tag schlicht gar nichts und das völlig freiwillig 😉

    Natürlich gibt es auch Tiere mit einem anderen Tagesrythmus und auch anderen geistigen und sozialen Fähigkeiten, da hängt es dann vom Management ab, wie gut/schlecht diese Tiere damit zurecht kommen.

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